Die Zikaden zirpen, als ich mein Auto vor dem hellen Landhaus parke.
Erleichtert stelle ich den Motor ab und öffne ich die Fahrertüre. Eine große Hitze strömt mir entgegen.
Innerlich halte ich Abbitte an meine Klimaanlage – ohne sie wäre die Fahrt bedeutend beschwerlicher gewesen. Erschöpft steige ich aus meinem Auto und schlage die Türe hinter mir zu, ehe ich die Zentralverriegelung betätige. Zwar erwarte ich nicht wirklich, dass mir hier jemand diesen Wagen stiehlt, aber erstens ist das reine Gewohnheit und zweitens sind wir in Italien.
Obwohl man mich angekündet hat, kann ich keine Menschenseele entdecken.
Nur diese Grillen sind zu hören.
Mir ist ein wenig unbehaglich zumute. Bis vor wenigen Minuten war ich noch überzeugt, am richtigen Ort zu sein, aber ich bin nun doch ein wenig verunsichert.
Ich kann kein Italienisch -was ist, wenn mir jetzt plötzlich irgendein heißblütiger alter Italiener mit einer alten Schrotflinte zu mir stürmt und mir diese vor die Nase hält, weil ich ungebetener Weise auf seinem Grundstück bin?
Ich richte mein Blick auf die schwarze, verdunkelte Limousine, die ebenfalls auf dem Parkplatz steht. Dadurch wirkt mein Corsa noch kleiner und unbedeutender, als er tatsächlich ist. Auf jeden Fall ist der Hausherr anwesend.
Nur warum kommt dann keiner, um mich zu begrüßen?
Seufzend gehe ich vorsichtig auf das Landhaus zu. Als ich vor der Türe stehe, entdecke ich einen runden Klingelknopf neben der Haustüre.
Das Namensschild darunter ist leer. Na prima. Läuft ja alles perfekt, denke ich ironisch.
Über der Klingel ist eine Art Familienwappen angebracht. Nicht im Gemäuer selbst, sondern es wurde offensichtlich selbst hergestellt. Es sieht aus, als wäre es aus Stein und ist mit vier Haken am Gemäuer befestigt.
Ich kenne mich leider mit Heraldik nicht aus, aber es wirkt auf mich irgendwie seltsam und ungewöhnlich. Über den Wappen befindet sich nicht ein geschlossener Helm, wie sonst oft üblich, sondern irgendein Fabelwesen, welches eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Drachen hat. Es muss aber etwas anderes gemeint sein, denn dafür ist der Kopf zu klein. Auf jeden Fall irgendetwas mit zwei großen Flügeln, die sich auch über beide Seiten erstrecken. Sind da nicht normalerweise sogenannte Schildhalter? Oder dürften diese auch fehlen?
Ich muss unbedingt später im Internet nachschauen.
Das Schild an sich ist längs zweigeteilt. Auf der linken Seite sind einfache Kreuze in verschiedenen Größen dargestellt. Gegenüber entdecke ich etwas, was wohl Wassertropfen darstellen soll, ebenfalls in verschiedenen Größen.
Vielleicht sind die Wattensteins früher zur See gefahren? Aber dann hätte man das doch anders dargestellt, oder?
Das Familienwappen ist mir ein Rätsel und wirkt nicht besonders einladend auf mich, eher abstoßend. Vielleicht ganz gut, dass es nur grau ist und nicht noch farblich gestaltet wurde.
Aber letztlich kann dieser Gregorius ja nichts für den schlechten Geschmack seiner Vorfahren. Ebenso wenig wie für seinen antiquierten Namen. Gregor hätte es doch auch getan, oder?
Alter Adel, den muss man nicht verstehen.
Sofern ich denn hier richtig bin.
Ich atme einmal tief ein und aus, ehe ich mit dem Zeigefinger den Knopf betätige. Vielleicht funktioniert die Klingel ja gar nicht?
O doch, tut sie. Ein schriller Ton ist zu hören, der die zuvor friedliche Stimmung empfindsam stört. Schuldbewusst schaue ich mich um als erwarte ich, dass jemand zu mir tritt und sich für diesen Lärm beschwert.
Natürlich passiert das nicht.
Genau – es passiert – NICHTS.
Klasse.
Läuft alles genau nach Plan.
Ich zögere kurz, dann klingle ich nochmal.
Wer diese Klingel installiert hat, der gehört erschossen.
Als ich schon überlege, zurück zum Auto zu gehen und die nähere Umgebung abzufahren, höre ich etwas. Schlurfende Schritte, die sich langsam nähern.
Mit einem Knarren öffnet sich die Türe und ein alter Mann öffnet die Türe. Er sieht irgendwie müde aus.
Ein kleiner, etwas untersetzter Mann, vielleicht so knapp unter 60, mit lichtem Haar und verkniffenen Augen starrt mich misstrauisch an.
Hilfe! Sieht so der berühmte Erotikschriftsteller aus?
Der Alte murmelt irgendetwas auf Italienisch, was ich natürlich nicht verstehe und sieht mich fragend an.
Ich räuspere mich unbehaglich, ehe ich ihm – auf deutsch – antworte: „Verzeihen Sie bitte, ist das hier das Haus von Herrn von Wattenstein? Ich bin Viktoria Helmstett, vom Magazin ‚Literarischer Bücherwurm‘. Ich müsste angemeldet sein“.
Der Blick meines Gegenübers wird etwas freundlicher. Immerhin. „Ah, Signorina Helmstett. Sie sind früh. Man hat sie erst in ein paar Stunden erwartet“.
Ich kann keinen Akzent erkennen. Also kein Italiener, sondern ein Deutscher. Ist das jetzt dieser ominöse Autor? Auf jeden Fall spricht er sehr geschwollen, das würde ja vielleicht passen.
Ich zwinge mich, höflich zu sein, auch wenn es mir schwerfällt. Ich bin müde und erschöpft und würde mich gerne etwas ausruhen. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass eine Uhrzeit ausgemacht war. Es war eine lange Anreise und war daher auch etwas schwierig zu sagen, wann ich ankomme. Sind Sie Gregor von Wattenstein?“
Der Kerl schüttelt ungläubig den Kopf. „Natürlich nicht. Ich bin hier nur angestellt. Wenn Sie bitte warten, ich frage nach, ob der gnädige Herr schon abkömmlich ist“.
Rumms! Hat dieser unhöfliche Mensch auch schon die Türe vor mir zugeschlagen.
Und lässt mich fassungslos draußen stehen.