Ich antworte nichts darauf, sondern nicke nur.
Innerlich hoffe ich jedoch, dass wir trotzdem bald mit dem Interview beginnen können, damit ich nicht mitten im Dunkeln zurückfahren und eine Unterkunft suchen muss. Ich hätte mich vielleicht doch vorher nach einem Zimmer umsehen sollen. Die kleine Privatpension, deren Nummer ich von meinem Chef bekommen habe, ist bis 22.00 Uhr erreichbar und es wäre daher sinnvoll, vorher anzurufen und nachzufragen, sollte es hier länger gehen. Leider hat mein Handy ja überhaupt keinen Empfang, weder Telefon noch Internet.
„Sie sollten etwas trinken“ schlägt mein Gastgeber vor und deutet auf die diversen Getränke, die mir Maria gebracht hatte. „Oder möchten Sie etwas anderes?“
Er hat natürlich recht, Übernachtungsproblem hin und her. Ich greife nach einem der bereitstehenden Gläser und fülle es mit Mineralwasser, zwei Eiswürfel und einer Zitronenschale. Danach schaue ich fragend zu ihm hinüber.
„Maria wird gleich kommen, um mir meinen Vitamindrink zu bringen, oder vielleicht auch Markus“ erklärt er lächelnd. „Ich weiß, dass Sie als emanzipierte Frau keinen großen Wert legen, sich bedienen zu lassen, daher hatte ich gebeten, Ihnen eine Auswahl an Erfrischungen anzubieten. Sollte es Ihnen sonst an irgendetwas fehlen scheuen Sie sich bitte nicht, mir oder meinen Bediensteten Bescheid zu geben. Schließlich sind Sie mein Gast“.
„Das werde ich Gregor, vielen Dank für Ihr Angebot“. Ich bin trotzdem ein wenig irritiert. Ich werde ja nur zum Interview bleiben.
„Hat Ihnen Ihr Chef nicht Bescheid gegeben?“ höre ich den Grafen fragen.
„Wie?“
Ein entschuldigendes Lächeln umspielt seine Lippen. „Möglicherweise hat er sie nicht erreicht. Ich hatte diesen Gedanken, bevor ich mich hingelegt hatte und Markus einen entsprechenden Zettel hingelegt mit der Bitte, Ihren Verlag zu kontaktieren. Wann haben Sie zuletzt mit Ihrer Firma telefoniert?“
„Gestern Abend“ gebe ich bereitwillig Auskunft. Ich bin zu verblüfft, um eine ausweichende Antwort zu geben. „Ich war heute die ganze Zeit unterwegs und hier habe ich leider keinen Empfang“.
„Ich weiß“ antwortet er mir mit ruhiger Stimme. „Hier ist noch ein weißer Fleck, was die mobile Erreichbarkeit angeht. Sehen Sie es als Chance, von den eingefahrenen Gewohnheiten wegzukommen und nicht ständig erreichbar zu sein. Notfalls kann ich Ihnen natürlich beides über das Festnetz zur Verfügung stellen, Telefon und Internet, allerdings ist es nicht so zuverlässig, wie Sie es vielleicht von Deutschland gewohnt sind“.
„Ich verstehe nicht. Wir machen doch nur ein Interview, oder?“ verrate ich, nun noch mehr durcheinander. Weshalb bietet er mir das alles an, wenn ich doch in ein paar Stunden wieder weg bin?
„Verzeihen Sie bitte, wie unhöflich von mir. Markus hat mit Ihrem Arbeitgeber besprochen, dass…“. Er unterbricht sich, da in diesem Moment der Butler hereinstolziert. Er trägt auch ein Tablett vor sich her, wie zuvor Maria, allerdings ist es wesentlich kleiner und beinhaltet nur ein großes Weinglas, welches zu einem Drittel mit einer roten Flüssigkeit gefüllt ist. Fast ehrfurchtsvoll stellt er es vor Gregor ab, ehe er zur Seite tritt und dort wartend verharrt.
Mit Stirnrunzeln beobachte ich diese Szene. Soll das der Vitamindrink sein, wovon mein Gastgeber sprach? Rotwein?
„Markus, bring uns doch bitte noch eine kleine Auswahl an Weinen. Von den leichten Sommerweinen“.
Der Angesprochene nickt leicht, ehe er sich mit seinem Tablett wieder entfernt.
„Das ist sehr nett von Ihnen, Gregor“ bedanke ich mich. „Nur muss ich leider später noch fahren, daher kann ich nichts trinken“.
„Aber Sie trinken Wein schon, oder?“ ist seine Entgegnung.
„Natürlich“ beeile ich mich zu sagen.
„Dann ist das ja kein Problem“ meint er zufrieden. Ich muss wohl ziemlich ratlos aussehen, denn er fährt grinsend fort: „Das wollte ich vorhin sagen, bevor Markus hereinkam. Sie können hier übernachten, ich habe eh noch Zimmer frei. Wie ich Ihnen schon sagte, bin ich jemand, der gerne nachts arbeitet, eine Nachteule sozusagen, und daher macht es nichts, wenn es mit dem Interview etwas länger dauert. Ich möchte mir gerne Zeit lassen, Zeit für Sie. Mit Ihrem Chef ist das alles schon abgesprochen. Ich hoffe nur, Sie haben sich noch kein Zimmer besorgt?“ Seine Mimik wird ernst und fragend.
Ich starre ihn einen Moment an, ehe ich meine Sprache wiederfinde. Er hat mich überrumpelt und ich komme mir vor wie eine Schachfigur in irgendeinem blöden Spiel. Andererseits ist mir der Graf sehr sympathisch, davon abgesehen, dass er ein Alkoholproblem zu haben scheint.
„Ich habe noch kein Zimmer besorgt“ erkläre ich daher. „Ich nehme daher Ihr Angebot gerne an“.
Seine Augen mustern mich intensiv. Sie erscheinen dunkel, fast schwarz. Ich kann seinen Blick nicht deuten und fühle mich für einen kurzen Moment fast schon ein wenig eingeschüchtert, bevor sein Gesichtsausdruck wieder freundlich wird. „Das freut mich sehr, Viktoria“.
Ich entgegne nichts darauf, und so sitzen wir uns beide schweigend gegenüber.
Verdammt, ich bin sonst nicht so auf den Mund gefallen, aber Gregor bringt mich mit seiner Art leicht aus dem Konzept. Etwas Geheimnisvolles umgibt ihn. Vermutlich die Kombination aus Adel mit unklarer Herkunft – man denke nur dieses seltsame Familienwappen – und eigenbrötlerischem Schriftsteller.
Die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass ich mir das meiste einbilde und dieser Mann einfach etwas verschroben ist.
Wenigstens ist das Schweigen nicht unangenehm. Mein Gegenüber schließt kurz die Augen, ehe er sie wieder öffnet und seinen Blick kurz zur Seite schweift, über die italienische Landschaft. Dann wende er sich wieder mir zu. Er wirkt äußerst entspannt und zufrieden auf mich.
„Ich habe nicht oft Besuch, müssen Sie wissen, daher freue ich mich natürlich um so mehr, wenn ich heute eine so angenehme Gesellschaft habe“ schmeichelt er mir. „Ich bin mir sicher, Sie haben sich für später einige interessante Fragen ausgedacht“.
Süßholzraspler.
„Davon können Sie ausgehen“ antworte ich und möchte noch etwas hinzufügen, verstumme aber, da in diesem Moment der Butler mit den Weinflaschen zurückkommt.