Gregors Blick ist freundlich, trotzdem wirkt er entschlossen. Eine Diskussion darüber wird nichts bringen. Und ich kann es mir nicht leisten, ihn zu verärgern und damit das Interview zu gefährden.
„Also schön“ gebe ich deshalb nach. „Ich hole mir dann noch meinen Block, bevor wir anfangen“. Gleichzeitig denke ich, dass es unhöflich ist, jetzt einfach so aufzustehen. Aber er hatte angedeutet, dass wir sofort anfangen, oder hatte ich das falsch verstanden? Wie verhalte ich mich jetzt korrekt?
„Warten Sie“ bittet er. „Gestatten Sie mir eine kleine Aufmerksamkeit. Sozusagen als kleine Entschädigung, dass ich mich gerade mit meinem Dickschädel durchgesetzt habe“ bietet er mir an. „Was bevorzugen Sie als Schreibpapier? Kariert oder liniert?“
Ich starre ihn verblüfft an, ehe ich zögernd antworte: „Kariert“.
„Sehr schön. DINA 4 oder DINA 5? Kugelschreiber, Stift oder was anderes?“ möchte er weiter wissen.
„DINA 5 und Kugelschreiber“ erwidere ich stammelnd nach einer kurzen Pause.
„Gut“. Aus der Jacke seines Anzugs zieht er ein Handy heraus und wischt einige Male über den Bildschirm. „Markus kommt gleich“.
Wie?
Der Graf hat nicht gelogen. Es dauert tatsächlich nicht lange, und der Butler kommt mit einem leeren Tablett zu uns. Ungefragt nimmt er das inzwischen leere Glas des Grafen und schaut ihn fragend an.
Dieser nickt und schaut kurz zu mir herüber, ehe er antwortet: „Ja, heute brauche ich noch ein zweites Glas. Ganz besonders heute“.
Ehe ich mich darüber wundern kann, fährt er fort: „Markus, bring Frau Helmstett doch bitte eine Auswahl unserer karierten Schreibblocks in DINA 5. Und eine Auswahl an Kugelschreibern. Die aus der blauen Box“.
„Das ist aber wirklich nicht notwendig“ widerspreche ich.
„Bitte Viktoria. Es ist mir eine Freude. Und so haben Sie ein kleines Andenken an mich“.
Ich kann seinen Blick nicht deuten. Einen ganz kurzen Augenblick meine ich, einen leichten Spott in seiner Mimik zu erkennen, aber er verschwindet so schnell wieder, dass ich es mir möglicherweise auch eingebildet habe.
„Wenn Sie darauf bestehen, kann ich dann wohl nichts dagegen tun“ willige ich ein.
„Nein, das können Sie nicht“ meint Gregor zufrieden und wendet sich wieder seinem Bediensteten zu.
Dieser deutet eine Verbeugung an. „Haben Sie sonst noch Wünsche, Herr Graf?“
„Nein, das ist alles, Markus“.
Der Butler nickt und verschwindet wieder. Das leere Glas hat er mitgenommen.
„Sie müssen entschuldigen, Viktoria. Er ist manchmal furchtbar altmodisch“. Mein Gastgeber blickt mich fast etwas schuldbewusst an. „Aber er ist vermutlich der einzige, der es mit meinen Schrullen aushalten kann“.
Schrullen? Kann ich mir bei ihm nicht vorstellen. Eher empfinde ich Gregor auf seine Art auch etwas antiquiert, was ich jetzt aber nicht als negativ bezeichnen würde. Aber dieser Diener passt irgendwie zu ihm.
Fast ein wenig wie in einem alten Film, denke ich.
Ich genehmige einen Schluck und versuche ein wenig Smalltalk. „Wie lange ist er schon bei Ihnen angestellt?“
„Angestellt? Ach natürlich, Sie meinen Markus. Schon sehr lange. Wissen Sie, sein Vater war auch schon bei meiner Familie im Dienst, und sein Sohn ist dann in die Fußstapfen getreten. Eine ganze Butler- Familie, wenn Sie so wollen“.
„Er scheint seinen Beruf sehr ernst zu nehmen“ merke ich an.
„Ja, das tut er“ antwortet der Graf. „Manchmal übertreibt er allerdings ein wenig. Aber wie Sie ja bereits bemerkt haben, lebe ich eher zurückgezogen, und er ist so etwas wie die Konstante in meinem bescheidenen Leben, während um mich herum der Fortschritt boomt und sich die Welt immer schneller dreht“ verrät er mit einem leichten Lächeln. „Ich brauche jedoch die Ruhe zum Schreiben, und er hält mir den Rücken frei“.
„Sie schreiben ausschließlich hier?“ vermute ich.
„Oh nein“, lacht er. „Ich habe mehrere Feriendomizile. Aber ich muss zugeben, dass es hier in Italien fast noch am schönsten ist“ schwärmt er. „Nur bitte schreiben Sie das nicht in Ihrem Interview, das klingt etwas angeberisch. Sie können Ihren Lesern ja mitteilen, dass ich meine Werke zurückgezogen im sonnigen Süden schreibe, entfernt von dem oft so kalten und regnerischen Deutschland“.
Er möchte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Moment kommt der Butler zurück. Vornehm trägt er wieder sein Tablett und stellt es mit einem vollen Glas vor dem Grafen ab.
„Ihr Vitamindrink, Herr Graf. Entschuldigen Sie bitte, die gewünschten Schreibutensilien für Frau Helmstett kommen sofort“.
„Danke, Markus. Aber das nächste Mal bitte zuerst unsere Gäste“. Der Mann blickt weiterhin freundlich, jedoch der Tadel ist unüberhörbar.
„Selbstverständlich. Es soll nicht wieder vorkommen, Herr von Wattenstein“. Markus vollführt einen formvollendeten Diener; offenbar, um sein Fauxpas wieder gut zu machen. Dann wendet er sich mir zu. „Entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau. Ich bringe es Ihnen sofort“. Leise und unauffällig zieht er sich wieder zurück.
Ein wenig tut er mir fast leid. Andererseits ist mir Markus viel zu steif, als dass ich wirklich mit ihm mitfühlen kann.
Wir müssen nicht lange warten und der Angestellte kommt mit einer ganzen Reihe Schreibbücher zurück. Edel sehen sie aus, in verschiedenen Farben und Ausführungen. Besonders gefällt mir die schwarze Lederausführung, aber auch das rote Samt sieht klasse aus.
Etwas unbehaglich betrachte ich das Wappen, welches auf all diesen Büchern eingedruckt wurde. Ich kenne dieses Wappen – es ist das gleiche, welches mir draußen neben der Türe schon aufgefallen ist. Allerdings diesmal in der farbigen Ausführung.
Stark beunruhigt blicke ich auf die Gravur. Die Tropfen, die ich für Wasser gehalten hatte, sind rot. Soll das etwa Blut darstellen?
Gregor beugt sich zu mir herüber. Seine Augen scheinen mich zu verschlingen.
„Oben über dem Wappen eine Art Fledermaus, links Kreuze von einem Friedhof, und rechts das Blut“ sagt er mit einer eigenartig rauen Stimme. „Fällt es Ihnen auf? Das Wappen meiner Familie ist voll von Symbolen für Vampire, Viktoria“.