„Eine kleine Überraschung?“
Als Kind habe ich Überraschungen geliebt. Das kam gleich nach den Geschenken.
Leider hatten diese „Geschenke“ mit der Zeit ein wenig von ihrem Reiz verloren. Das lag unter anderem auch an Tante „Franzi“.
Sie hieß natürlich nicht nur „Franzi“, sondern eigentlich „Franziska“. Aber keiner nannte sie so, auch sie selbst nicht. Sie fühle sich nicht so alt, wenn wir sie mit ihrem Spitznamen rufen würden. Sie öffnete dabei jedes Mal ihre braun geschminkten Lippen und lachte uns Kindern laut ins Gesicht. Und sie hatte uns ALLE in Griff, nicht nur den jungen Nachwuchs. So traute sich keiner, dieser „Order“ zu widersprechen.
Ich bin in einem kleinen Ort aufgewachsen. Natürlich gab es dort auch eine kleine Bäckerei. Der Laden befand sich in einem Erdgeschoss eines zweistöckigen Hauses. In einem der Wohnungen oberhalb lebte ein kleiner, dicker, rotzfrecher Lümmel. Ich mochte ihn nicht, da er mich immer ärgerte. Meine Mutter schickte mich samstags immer zum Brot holen und oft stand dieser Kerl da oben und rief „Spargel- Jane“ zu mir runter. Manchmal spuckte er auch noch aus dem Fenster.
Aber er hat mich nie getroffen – ha!
Ja, ich hasste ihn, DIESEN FRANZI.
Ja, so nannten ihn alle. Das war „der“ Franzi. Genau wie meine Tante.
Ich konnte einfach nicht verstehen, weshalb sie ausgerechnet so heißen wollte wie dieser kleine blöde Rollmops. Und ich musste immer an ihn und all seine „lieben“ Bezeichnungen für mich denken, wenn wir bei ihr zu Besuch waren.
Das war aber nicht das einzige, was für mich an meiner Tante schwierig war. Berühmtberüchtigt waren ihre Geschenke. Neben ihrer gefühlten Jugend war es ihr nämlich wichtig, dass wir wenigstens von einer Person „pädagogisch wertvolle“ Geschenke erhielten. Sie war auf einer Mission, und die zu „Beglückenden“ waren wir.
So hieß es für uns, brav danke für Spiele zu sagen, von denen wir vorher wussten, dass sie totlangweilig waren und uns unsere Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Es mag auch sein, dass einige Geschenke gar nicht so übel waren, aber unsere Meinung stand schon im Voraus fest und sie landeten alle unbenutzt auf den Dachboden.
Als ich etwas älter war, sorgte sie für eine gute „Erstausstattung“. Gläser, Besteck, Tischdeckchen und ähnliches gehörten nun zu den „guten Gaben“ von meiner Franzi. Schließlich sei eine hochwertige Grundausstattung Voraussetzung für einen guten Haushalt. Aus heutiger Sicht war davon gar nicht alles so schlecht, aber als Teenager wären mir gewisse, bedruckte Scheine lieber gewesen.
Auf jeden Fall habe ich durch meine Tante mit den Jahren ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu Geschenken entwickelt.
Nun hatte Gregor aber nicht von einem Geschenk, sondern einer kleinen Überraschung gesprochen.
Ich war als Kind, wie alle in diesem Alter, furchtbar neugierig.
„Vik, musst, du denn deine Nase in alles reinstecken“ pflegte meine Mutter zu sagen.
Sie sagte das vermutlich das erste Mal, als ich als Baby nach dem Sandkasten- Sand (oder wie sagt man dazu?) griff und ihn fein säuberlich in beide Nasenlöcher stopfte, schön weit nach oben. Kurz habe ich gelacht, dann aber ging die große Sirene los. Nun ja, so toll fand ich das dann wohl doch nicht.
Natürlich weiß ich diese Episode nicht mehr, aber meine Mutter hat mir diese Begebenheit immer wieder erzählt.
Und ich persönlich vermute deshalb, dass zu diesem Zeitpunkt die Geburtsstunde dieses legendären Satzes war.
Denn ich höre ihn heute immer noch. Zwar nicht mehr ganz so oft wie früher, aber es ist schon ein geflügeltes Wort zwischen uns.
Und sie hat recht, ich bin ein kleiner Wunderfitz.
Deshalb gebe ich diesen Überraschungen immer noch eine Chance. Trotz der vielen Enttäuschungen. Denn oft war eine „Überraschung“ nur ein anderer Begriff für ein weiteres Geschenk von Franzi. Oder etwas Unangenehmes, von dem man wusste, dass ich es nicht mögen würde. Dann versuchte man, durch Benutzen dieses magischen Wortes Begeisterung in mir hervorzurufen.
Was übrigens nicht funktioniert hat. Kinder sind ja nicht doof, und ich habe mir eine gewisse Vorsicht gegenüber dieser Ankündigung bis heute vorbehalten.
Was also hat der Graf im Sinne?
Wie von selbst fällt mein Blick auf das zweite, unbenutzte Notizbuch, welches noch verschlossen vor mir liegt. Gedankenverloren fahre ich, fast wie unter einem Zwang, mit meinem Zeigefinger das „Vampir“- Wappen nach.
„Keine Sorge“ höre ich Gregors Stimme aus der Ferne. „Ich werde Sie schon nicht beißen. Zumindest nicht gleich“.
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Löst sich damit endlich das Rätsel (im nächsten Kapitel)? Ist er nun also doch ein Vampir? Und was wird nun passieren?
Dieses Kapitel ist etwas kürzer, aber ja, ich musste da jetzt aufhören, so ein schöner Cliffhanger.
Bei einem Kommentar zum letzten Kapitel wurde von Rongard die Abkürzung „Vik“ verwendet, ich hoffe es ist ok, Rongard, wenn ich dies hier aufgegriffen habe.
Der Graf würde unsere Protagonistin natürlich nie so nennen.