Ich bin gerade dabei gewesen, etwas Wasser zu trinken und muss heftig husten, da ich mich vor lauter Schreck daran verschlucke.
Bevor ein Malheur passiert, stelle ich mein Glas geistesgegenwärtig zurück auf den Tisch.
Beißen?! War er verrückt?!!!
Ich glaube ihm ist die Sonne zu Kopf gestiegen.
Er kann es eigentlich nicht ernst meinen. Oder etwa doch?
Ich blicke unsicher zu ihm hinüber. Hat er sich durch seine Krankheit und Familienvergangenheit so in diese Vampirgeschichte hineingesteigert, dass er mittlerweile selbst diesen Unsinn glaubt?
Und wie soll ich jetzt darauf reagieren?
Seine Augen scheinen für eine Sekunde seltsam zu flackern und kurz meine ich, eine seltsame Kälte darin zu erkennen. Aber schon ist dieser Moment verschwunden und ich frage mich nicht zum ersten Mal, ob ich einfach zu übermüdet bin und mir deshalb viel zu viel Gedanken mache und Dinge sehe, die gar nicht da sind.
Sein Blick erscheint mir nun warum und sein Lächeln scheint fast ein wenig traurig zu sein, als er mit verlegener Stimme antwortet:
„Verzeihen Sie mir bitte, Viktoria. Ich pflege manchmal damit zu scherzen. Ich wollte Sie gewiss nicht erschrecken. Ich ahnte nicht, dass Sie meine dumme Bemerkung so ernst nehmen“.
Er scheint wirklich betroffen zu sein.
Rasch verwerfe ich mein Unbehagen. Ich sollte das hier eindeutig professioneller angehen.
Da ich nicht sofort antworte, kommt er mir zuvor: „Natürlich hat meine kleine Überraschung nichts mit Beißen oder dergleichen zu tun. Mit Vampiren allerdings schon. Ich habe ein kleines Geheimnis und wollte es mit ihnen teilen. Sind Sie bereit dazu?“
Was für eine seltsame Frage. Zögerlich nicke ich. Egal was ich davon halte, ablehnen kommt nicht in Frage.
Mit meiner wiederaufflammenden Neugierde ist auch mein Reporterinstinkt erwacht. Jetzt, da er etwas zögerlich reagiert, wäre eine gute Gelegenheit, mit meinen Fragen fortzufahren.
„Weshalb haben Sie unter dem Pseudonym einer Frau veröffentlicht? Und woher nehmen Sie Ihre Ideen, Ihre Inspirationen, Herr Graf?“ presche ich vor. Ich versuche meine leichte Unsicherheit, die ich immer noch habe, nicht anmerken zu lassen.
„Ach ja“. Er lacht leise und scheint sich zu amüsieren. „Ich habe mit diesen Fragen gerechnet“. Gregor schweigt und mustert mich intensiv. „Ich werde darauf antworten aber nur, wenn Sie ab sofort den ‚Graf‘ weglassen. Gregor genügt“.
„Ja, ich versuche es“. Weshalb mag er diesen Titel nicht? Aber es soll mir egal sein, Hauptsache, er antwortet auf meine Fragen.
„Es gefällt mir einfach besser, wenn Sie den Titel weglassen“ erklärt er. Wie es aussieht, hat er meine innere Frage erraten. „Ich finde es so wesentlich angenehmer, mich mit Ihnen zu unterhalten“. Er deutet auf das Buch und meine Hand, die wieder den Kugelschreiber umfasst hält. „Schreiben Sie ruhig mit“.
Er selbst genehmigt sich erneut einen Schluck seines ‚Vitamindrinks‘ und leert das Glas erneut. Genüsslich schließt er die Augen, während die rote Flüssigkeit seine Kehle hinunterrinnt.
„So, nun geht es mir wieder besser“. Er lächelt mich freundlich an. „Also – warum schrieb ich bisher als Frau? Das ist sicher eine der Fragen, die Ihre Leser besonders interessieren, habe ich recht?“
„Ähm… ja, das ist ein großes Thema unserer Abonnementen. Es wurde auch in der Öffentlichkeit diskutiert“.
„Weshalb ist es so wichtig, ob ein Mann oder eine Frau schreibt?“ wundert er sich und reibt sich gedankenverloren über sein Kinn.
Erst nach einigen Minuten, in denen ich nicht antworte, fährt er fort: „Wie wichtig ist das für Sie? Dass die Gräfin ein Mann ist?“
Etwas überrumpelt, antworte aber wahrheitsgemäß, ohne weiter darüber nachzudenken: „Ich war etwas überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Mann Liebesromane schreibt. Das Thema ist etwas ungewöhnlich für einen Mann, finde ich“.
„Ja, das stimmt“ bestätigt er. Weshalb habe ich immer wieder den Eindruck, dass hinter unserem Gespräch viel mehr steckt als ‚nur‘ ein Interview? „Aber waren Sie enttäuscht? Oder gar … erfreut, als es schließlich herausgekommen ist?“
Ich könnte ihm jetzt sagen, dass ich seine Bücher erst gelesen hatte, nachdem mein Chef mir eröffnet hatte, dass ich nach Italien reisen würde.
Nein, einen Teufel werde ich tun. Dass ich einen ganzen Lesemarathon hinter mir hatte, das brauchte er nun wirklich nicht zu wissen.
„Ich glaube, ich bin dadurch eher noch neugieriger geworden, den Mann hinter diesen Werken kennenzulernen“. Ja, das war eine gute Antwort.
Sein Gesichtsausdruck ist undefinierbar, als er zugibt: „Es war vielleicht ein Fehler, unter dem Namen einer Frau zu veröffentlichen. Aber meine Familie ist da leider sehr voreingenommen und hält nichts von meinem Hobby. Ich schlug es dem Verlag vor, und dem Redakteur erschien es auch als gute Idee. Hätte ich geahnt, dass die Bücher so erfolgreich sein würden und auch die Frauenbewegung dies so aufgreifen würde, so hätte ich diesen Weg nicht gewählt“.
Ich lege den ‚Kugelschreiber beiseite, greife nach der Flasche und schenke mir nach. Warum ist mir nur so heiß, wir sind doch im Schatten?
Ich muss leicht kichern, als ich laut über seine Rede nachdenke. „Ja, das hat mich auch verwundert, dass Sie – also die Gräfin – so ein Vorbild für die Emanzipation sind. Ich meine, Ihre Themen, die Frauen, die Männer, das sind doch alles klassische Liebesromane“.
„Wobei ich meistens auch über starke Frauen geschrieben habe“ kontert er mit einem Augenzwinkern. “Aber eine andere Frage – weshalb schreiben Sie eigentlich nicht mit?“
Ertappt starre ich auf meinen Stift, den ich ja gerade wieder auf die Seite gelegt habe. Kein einziges Wort habe ich seit seiner Aufforderung geschrieben, so fasziniert hatte ich seinen Ausführungen gelauscht.