Unsere Augen treffen sich. Seine Pupillen scheinen sich zu vergrößern, bis sie schließlich die ganze Iris bedecken. Ich meine eine Art Sog zu spüren, der mich mitreißt und aus dem es kein Entkommen gibt. Immer mehr beginne ich mich in dieser Schwärze zu verlieren, werde in etwas hinabgerissen, das ich mir selbst nicht erklären kann. Es gibt nur noch seine Pupillen, die sich seltsam spiegeln, gleich geschliffenen Diamanten in der Sonne. Etwas anderes sehr ich nicht mehr.
Eine eigentümliche Kälte geht mit einem Mal von seinen Händen aus, wandert durch das Leder zu mir hinüber und kriecht langsam in mich hinein. Seltsamerweise empfinde ich das nicht als unangenehm, sondern eine eigentümliche Ruhe bemächtigt sich meiner. Es ist, als berühre mich irgendetwas vorsichtig und behutsam mit dem festen Versprechen, mir nicht wehzutun. Sanft fühle ich mich auf fremde Art gestreichelt, als die unbekannte Macht sich vorsichtig vortastet, um mich zu erforschen.
Irgendwann - ich habe jegliches Zeitgefühl verloren – zieht sich dieses Gefühl wieder langsam aus mir zurück. Ich blicke wieder in normale Augen, die mich besorgt mustern: „Alles in Ordnung bei Ihnen? Sie schienen etwas in Gedanken. Ich hoffe, ich habe Sie mit meinem wirklich ehrlich gemeinten Kompliment nicht in Verlegenheit gebracht?“
Was hatte er den vorhin gesagt? Oder gerade?
Ich bin völlig durcheinander, muss aber irgendetwas antworten.
„Nein, nein“ entgegnete ich daher etwas hastig und zwinge mich, mit etwas ruhiger Stimme fortzufahren: „Ich bin scheinbar doch etwas müde von der Anreise“.
„Ja, durchaus möglich. Und die ungewohnte Hitze mag auch dazu beitragen“ vermutet er sanft. „Erzählen Sie mir etwas von sich. Wie lange arbeiten Sie schon für das Magazin?“
Was ist heute los, dass ich mir solche seltsamen Dinge einbilde? Und was mag der Mann nun von mir denken?
Um von meinem seltsamen Verhalten abzulenken, erzähle ich bereitwillig: „Seit zwei Jahren. Ich hatte mich beworben und mein Chef hat schnell Gefallen an meinen Arbeiten gefunden, so dass ich bald in das Stammteam aufgenommen wurde“.
„Dann sind wir also quasi beides Schriftsteller“ schmunzelt er und greift nach seinem Glas.
Wann hat er eigentlich meine Hände losgelassen?
„Das ist zu viel der Ehre“ versuche ich zu widersprechen. „Mein Ding sind eher Artikel als Romane. Das hat schon in der Schule angefangen“.
„Schule? Klären Sie mich bitte auf. Ich bin ganz Ohr“.
„Ich habe für die Schülerzeitung geschrieben. Kleinere Artikel. Nichts besonderes“. Mir ist das ein wenig peinlich. Schließlich ist er ein berühmter Schriftsteller und ich spreche hier über einige unbedeutende Texte einer 12-jährigen.
„So oder so, ein Anfang“ meint er und zwinkert mir zu. „Und es freut mich, dass wir diese Gemeinsamkeit haben“.
Er ist wirklich ein Süßholzrasper. Dieser Gedanke kommt mir erneut. Weshalb betont er dies, schließlich wusste er ja, dass ich komme?
Nein, korrigiere ich mich. Dass jemand kommt, der ihn interviewt.
Vermutlich findet er mich einfach interessant, er bekommt ja laut seiner eigenen Aussage selten Besuch. Und da bin ich eine willkommene Abwechslung. Ich bin nur eine kleine Artikelschreiberin und dass er ernsthaft mehr von mir möchte, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Schließlich sitze ich hier einem Adligen gegenüber, dessen Welt mit der meinen nichts gemeinsam hat. Wir sind zwei kreisende Satelliten, deren Umlaufbahnen sich gerade zufällig kreuzen.
„Sie haben doch sicher noch weitere Hobbies?“ möchte er nun wissen.
Seine Hände hat er nun ineinander verschränkt, wie ich beobachte. Ist das mit Handschuhen nicht sehr unbequem?
„Ich lese gerne, gehe mit Freunden aus und verreise. Aber sollte nicht ich Sie interviewen?“ entgegne ich nach kurzem Zögern in dem Versuch, das Heft wieder zu übernehmen.
„Reisen ja, es gab Zeiten, da war auch ich viel und gerne in der Ferne unterwegs“ verrät er mir lachend und ignoriert meine Frage einfach. „Ich sagte Ihnen ja, dass ich mehrere Feriendomizile habe und im Moment hier lebe. Und hier bin ich einfach sehr oft, so dass ich die Toskana mittlerweile irgendwie als meine Heimat ansehe und es auch meist so ausdrücke. Und das dürfen Sie auch gerne aufschreiben, meine Liebe“.
Wie? Ach so, ja.
Er liefert mir Dinge, die ich in meinem Artikel verwenden kann. Insofern hat er mich nicht vollständig ignoriert. Aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich wollte doch Fragen stellen und sie beantwortet bekommen, nicht nur Dinge erfahren, die er von sich aus preisgibt.
Er hat sich auf seine Art besser auf unser Treffen vorbereitet als ich.
Während ich mir also meine Notizen mache, fährt er schon fort: „Wie ist das mit Ihnen?“
Ich schreibe noch das letzte Stichwort auf, ehe ich darauf eingehe: „Was meinen Sie damit, Gregor?“
„Könnten Sie sich vorstellen, hier zu leben? In Italien? Da Sie gerne reisen? Oder hängt Ihr Herz zu sehr an Deutschland?“
Ich lausche den Zikaden, die gerade wieder besonders laut zirpen. Wenn ich mich recht erinnere, dient das nicht dazu, das Revier zu markieren. Stattdessen versuchen so die männlichen Grillen, weibliche Sexualpartner anzulocken. Oder bleiben die ein Leben lang zusammen? Von der Anzahl der zirpenden Tiere wohl eher nicht.
Ich mag dieses Geräusch, es erinnert mich an Urlaub. Ich mag Italien sowieso, diese Lebensart, die hüglige Toskana, die vielen Weinberge, das Dolce Vita.
Aber hier leben? Könnte ich das? Bin ich dazu vielleicht doch zu sehr deutsch?
„Ich weiß es nicht“ verrate ich deshalb ehrlich. „In Deutschland ist das Wetter ja leider oft bescheiden, aber ich mag meine Freunde und Arbeitskollegen. Ich würde sie vermissen“.
„Verständlich. Solche Dinge sind leider nicht immer zu vermeiden, aber man kann das Negative etwas abfedern. Und durch das Internet kann man ja auch Kontakt halten“ erwidert er. Sein Blick wirkt fast ein wenig mitleidig. „Ich frage mal anders – was fasziniert Sie am Reisen? Die kurze Flucht aus der Heimat, oder steckt etwas anderes dahinter?“
Er wirkt so freundlich und ernsthaft interessiert, dass ich einfach antworten muss. „Ich denke, der Wunsch nach Ablenkung. Und die Neugierde. Andere Kulturen, Sitten und Bräuche kennenzulernen. Natürlich auch wegen Sonne, Strand und Meer, aber diese anderen Welten sind der Hauptgrund“.
„Soso“. Sein Blick wird dunkler, fast lauernd. „Man könnte also auch sagen, Sie lieben das Fremde, Unerforschte, Unbekannte? Dinge oder Wesen, die Sie noch nicht kennen und neu entdecken möchten?“