Unwillkürlich versteife ich mich; erwarte, dass er mich gleich in den Hals beißt.
Eigentlich sollte ich Angst haben, große Angst. Aber seltsamerweise habe ich diese nicht.
Ich verstehe mich selbst nicht. Woher kommen diese Fantasien? Und warum fühlen sie sich so real an?
Seine Lippen berühren mich an der Seite des Halses. Ganz sanft presst er sie auf meine Haut.
„Deine Haut ist weich“ murmelt er entzückt, ehe er wieder von mir ablässt.
Es war tatsächlich ein ganz normaler Kuss. Seine scharfen Zähne habe ich in keinster Weise gespürt, wenn ich sie auch weiterhin mehr als deutlich sehe.
Überrascht blicke ich auf. „Kein Biss?“ möchte ich wissen.
„Nein“ bestätigt er mit einem Lachen. „Enttäuscht?“
„Eher verwirrt“ erwidere ich. „Ich dachte, Vampire brauchen täglich Blut?“. Gleichzeitig wundere ich mich, wie unbefangen ich über all das reden kann. Ich bin in diesem Traum nicht ganz ich selbst. „Und vorhin, im Gästezimmer, wolltest du mir ja auch an die Halsschlagader, oder?“
„Wir brauchen es nicht zwingend, aber damit es uns gut geht, sollten wir täglich Blut zu uns nehmen“, erklärt er. „Mir ging es vorhin ziemlich schlecht und ich dachte, wir sind eine Weile ungestört. Daher verzeih bitte. Und keine Sorge. Erstens habe ich vorhin schon getrunken, zweitens werden wir nicht so lange fahren. Dazu bist du mir zu wichtig, als dass ich einfach so schnell zwischendurch von dir Blut nehme. Wobei es zugegeben schon sehr verlockend ist.“
Muss er so frech grinsen?
Ich schlucke. „Aber warum…?“ Ich spreche meinen Satz nicht zu Ende, sondern starre ihn nur verunsichert an.
„Warum ich dann hier neben dir so sitze, mit meinen Vampirzähnen?“ spricht er meinen Gedanken laut aus, während er mit seiner Hand zärtlich und langsam über meinen Oberschenkel fährt.
Ich nicke zur Antwort.
„Nun ja…“, er unterbricht sein Tun nicht. „Ich wollte einfach wissen, wie du auf mich reagierst. Also, wenn du mein wirkliches Ich siehst.“
Ich schüttle ungläubig den Kopf und mustere ihn. „Das ist alles?“
„Nicht ganz“, gibt er zu. „Hier, in meiner Zwischenwelt, sind wir so, wie wir wirklich sind. Keine Barrieren aufgrund meines Standes, meine Liebe. Gib zu, dass dir das durch den Kopf gegangen ist? Dass du deshalb misstrauisch bist? Du fühlst dich unsicher, da ich ein Adliger bin?“
Ich blicke ihm immer noch an. Seine Zähne sehen vermutlich nicht nur scharf aus, sondern sind es auch. Es ist das Gebiss eines Raubieres, welches nicht nur in meinen Hals beißen, sondern ihn vermutlich auch problemlos zerreißen könnte. Ein wenig mulmig ist mir dabei schon.
Trotzdem, und dieses Gefühl überwiegt, er ist unwahrscheinlich anziehend und attraktiv, wie er so neben mir sitzt. Gefährlich macht sexy, ist es nicht so?
Und er hat mich auch ziemlich gut durchschaut. Dass ich es hier mit einem Wesen zu tun habe, welches – glaubt man den Geschichten, die erzählt werden – untot ist und sich vom Blut der Menschen ernährt, stört mich weit weniger als es sollte. Unsere unterschiedliche Stellung in der Gesellschaft macht mir viel mehr zu schaffen.
Das ist doch verrückt, oder?
Ich antworte nicht auf seine Frage, aber offensichtlich erwartet er es auch nicht. „Ich kann dir versichern, ein Titel ist nicht das, auf was es ankommt. Und ich habe diesbezüglich eine beachtliche Lebenserfahrung, wenn ich das Wort mal so gebrauchen darf.“
„Wie alt bist du, Gregor?“ frage ich leise.
„Ich fürchte, einiges älter als du.“, verrät er mir. „Aber du musst zugeben, ich habe mich gut gehalten, oder?“