„Dann ist die Zeit jetzt also gekommen“, erklärt Gregor feierlich.
Alle anderen sind gegangen und ich starre ihn nur verblüfft an.
„Sollen wir hier draußen bleiben oder möchten Sie lieber hineingehen?“, erkundigt er sich, ohne weiter auf meine Reaktion einzugehen.
„Wir können gerne hier draußen bleiben“, antworte ich mit heiserer Stimme. Sein geheimnisvolles Gebaren macht mich leicht nervös. Was ist das, was er mir zeigen möchte?
„Nun denn“, räuspert er sich. „Dann genießen Sie kurz allein die frische Luft, ich muss kurz zu meinem Auto und die Unterlagen holen. Und mich noch umziehen“
„Umziehen?“, wiederhole ich verständnislos.
„Nun ja, Klischees müssen bedient werden“. Er zwinkert mir verschwörend zu. „Ich bin gleich wieder da.“
Ein letzter intensiver Blick, und schon ist er aufgestanden. Langsam entfernt er sich, schreitet zurück in den Innenraum des Hauses. Sein Abgang hat etwas Theatralisches an sich. Ein geplantes und inszeniertes Verschwinden, nicht ein überhastetes Fliehen wie heute Nachmittag.
So sitze ich nun am Tisch und harre gespannt der Dinge, die da kommen werden.
Vorsichtig nippe ich an meinem Kaffee.
Er ist wirklich ausgezeichnet. Ich hätte auch gerne eine solche Kaffeemaschine wie die in der Küche hier. Natürlich handelt es sich um eine Profimaschine, so wie man sie beispielsweise in Cafe- Bars findet.
Ich nehme mir noch genüsslich einen Schluck und blicke geradeaus in die Ferne.
Zugegeben, nicht wirklich, es ist ja schon dunkel. Und aufgrund der fehlenden Lichtquellen außerhalb der Terrasse – wir sind hier wirklich abseits und ich kann keine Straßenlampen oder dergleichen entdecken – kann ich nur das sehen, was vom Licht hier noch erfasst wird.
Von weiter weg meine ich, die Stimmen von Gregor und seinem Butler zu hören, ohne jedoch etwas verstehen zu können.
Ich kichere belustigt. Geschieht dem steifen Kerl ganz recht, dass er nun auf uns warten muss. Anfangs hatte Markus sich ja noch in der Küche aufgehalten, war aber schon nach kurzer Zeit vom Koch daraus vertrieben worden.
Ich bin sonst kein Mensch, der Schadensfreude gut findet, aber seine Situation befriedigt mich ungemein.
Allerdings weiß ich nicht wirklich, wo er sich die ganze Zeit aufgehalten hat, ob er tatsächlich nur im Auto ausharrte. Eigentlich kaum vorstellbar.
Aber der Gedanke, dass er möglicherweise die ganzen Stunden gelangweilt im Fahrzeug gewartet hat, gefällt mir, so dass ich immer noch kichern muss. Das Vielleicht reicht mir dafür.
Gut gelaunt greife ich nach dem Wasser und genehmige mir einen Schluck.
Es ist schon ein seltsames Gefühl, hier zu sitzen und auf den Grafen zu warten. Ich fühle mich nicht einsam und draußen ist es ruhig. Aber ich bin so eine Situation einfach nicht gewohnt. Wenn ich für mich bin, dann normalerweise in meiner Wohnung mit den üblichen Ablenkungsmöglichkeiten wie Fernsehen, Computer und Internet.
Eine friedliche Stille liegt in der Luft, zumindest kann ich keine Geräusche hören. Ich sollte einfach entspannen; mein Gastgeber wird jeden Moment zurückkehren.
Trotzdem kippt meine Stimmung langsam.
Ist es eigentlich normal, dass es so ruhig ist? Keine Zikaden, kein Rascheln? Keine nächtlichen Tiere, die auf der Pirsch sind?
Müsste man nicht zumindest IRGENDETWAS hören?
Diese geräuschlose Umgebung – noch vor wenigen Minuten war sie mir friedlich vorgekommen. Jetzt empfinde ich sie beängstigend und ein Unbehagen breitet sich in mir aus.
Mein Magen drückt, und das kommt nicht vom vielen Essen.
Verdammt, wo bleibt Gregor nur? Sollte er nicht schon längst zurück sein? Was ist, wenn ihm und Markus etwas passiert ist? Ich kann sie auf jeden Fall nicht mehr hören.
Vielleicht waren das auch gar nicht nur ihre Stimmen?
Was, wenn etwas Furchtbares geschehen ist?
Unbehaglich rutsche ich auf dem Stuhl hin und her und bin unschlüssig, was ich nun tun soll.
Ich sollte aufpassen, dass ich mich nicht in grundlose Ängste hineinsteigere – andererseits ist der Mann nun wirklich schon eine ganze Weile fort.
Zu lange. Er sagte doch, er sei nur kurz weg.
Verdammt!
Plötzlich spüre ich etwas an meinem linken Arm. Reflexartig schlage ich mit der rechten Hand danach und spüre etwas Kleines und Feuchtes an mir kleben.
Elende Steckmücken.
„Kleine Blutsauger“, höre ich plötzlich eine unheilvolle Stimme dicht neben mir. „Aber ich kann sie verstehen. Wer würde nicht von Ihnen kosten wollen, in einer solch perfekten Nacht? An diesem abgelegenen Ort, weitab jeglicher Zivilisation?“