Nein, es ist nicht Gregor, der sich leise wie ein Geist neben mich geschlichen hat. Unhörbar, wie es ein Mensch eigentlich nicht kann.
Die Gestalt hat das Aussehen des Schriftstellers, und ist es doch nicht.
Auch wenn sie nur wenig an seiner Kleidung geändert hat.
Der Mann trägt ein weißes Rüschenhemd, darüber eine Art Weste. Um seine Schultern trägt er einen Mantel, der mit einer verzierten silbernen Schnalle zusammengehalten wird. Im warmen Licht sehe ich das rote Innenfutter. Auffallend ist der hohe Stehkragen, der seinen Kopf wie ein Ausrufezeichen umrahmt.
Seine Haare sind immer noch zusammengebunden, allerdings wesentlich strenger und hinten zu einem Zopf geflochten. Aufgetragenes Haargel verstärkt den Eindruck noch.
Ansonsten hat er sich nicht weiter umgezogen.
Aber seine Augen. Sie sind blutrot und mustern mich unheimlich.
Er sagt nichts weiter, aber das ist auch nicht nötig. Die Bedrohung ist greifbar und liegt schwer in der Luft. Auch ohne spitze Eckzähne.
Ich weiß, wer oder was er ist.
„Vampir“, flüstere ich.
Er sieht anders aus als in meinen Visionen. Und doch ist es ein Untoter, der vor mir steht. Auch wenn er keine weiße Gesichtsfarbe hat.
Ich möchte zurückweichen, fliehen, aber ich kann nicht. Verzweifelt drücke ich meinen Rücken in die Lehne meines Stuhls. Als ob das etwas helfen würde und ich so seiner Gegenwart ausweichen könnte.
Nein, das ändert gar nichts daran, dass er nun näher kommt. Wie ein Raubtier – nein, das ist eins! – schleicht er um mich herum und steht nun hinter mir und meinem Möbelstück.
Nun ist es natürlich keine gute Idee mehr, meinen Körper nach hinten zu drücken und ich möchte nach vorne ausweichen. Gregor – oder wer auch immer – hindert mich jedoch daran. Es reicht, dass er seine Hand auf meine rechte Schulter legt. Ich erstarre und schreie kurz auf.
„Nicht doch, ganz ruhig“, säuselt er, während er sein Leder dort ruhen lässt.
Seine Rede hilft mir nicht, ganz im Gegenteil. Vielleicht möchte er mir tatsächlich die Angst nehmen, vielleicht auch nur in falsche Sicherheit wiegen. Durch seine Berührung erreicht er jedoch eher das Gegenteil.
Meine Furcht wird immer stärker und ich möchte den Mund öffnen, um zu schreien.
Dazu kommt es jedoch nicht. Mein Körper scheint mir mit einem Male nicht mehr zu gehorchen.
Statt zu reagieren, mich in Sicherheit zu bringen oder mich zu wehren, sitze ich bewegungslos da, wie eine leblose Puppe.
„So ist es besser“, höre ich seine befremdlich tiefe Stimme sage. „Wer wird denn gleich in Panik geraten und schreien? Wir haben ja noch gar nicht angefangen.“
Angefangen?! Oh mein Gott. Was hat er vor?
Werden ihm jetzt gleich Zähne wachsen, er mich beißen und leersaugen?
Man kennt das ja, aus den ganzen Filmen.
Nie hätte ich gedacht, dass es Vampire tatsächlich gibt.
Viktoria, was warst du für eine Idiotin. All diese Hinweise. Der Name seines W-LANS, sein Familienwappen, sein angeblicher Vitamindrink…
Während sich meine Gedanken überschlagen und ich verzweifelt über einen Ausweg nachsinne, löst der Graf seine Hand wieder und geht um den Stuhl herum, so dass er wieder in mein Gesichtsfeld kommt und vor mir steht.
Ich kann nicht anders als in diese unnatürlich roten Augen zu starren, die meinen Blick erwidern.
Was wird er jetzt tun?
Und warum, zur Hölle, habe ich noch kein Testament gemacht?
A/N:
Sorry, aber das mit dem Testament am Ende, das konnte ich mir nicht verkneifen. Ich habe da manchmal eine ganz spezielle Art von Humor, ich hoffe, es stört nicht.