Ich bin ein neugieriger Mensch. Darum möchte ich das jetzt schon wissen“, erkläre ich ihm nach kurzem Zögern.
„Das habe ich mir fast gedacht. Auch wenn wir uns kaum kennen, so scheine ich Sie doch schon recht gut einschätzen zu können“. Zufrieden greift er nach seinem Glas, welches immer noch auf den Tisch steht und schenkt sich ein, ehe er nach der Ledertasche greift. „Hier drin ist das, was ich meinte.“ Langsam öffnet den Verschluss. „Ich habe etwas, was ich Ihnen vorlesen möchte.“
Vorlesen?
Ehe ich mir weiter Gedanken machen kann, hat er auch schon ein Blatt Papier herausgekramt.
„Ich habe mich entschlossen, eine neue Romanreihe zu eröffnen. Geschichten über Vampire. Also genau mein Thema. Was halten Sie davon?“
„Horrorgeschichten?“, frage ich vorsichtig.
„Nein. Ich bleibe schon bei meinem Metier. Vielleicht mit düsteren Elementen, aber schon romantische Liebesgeschichten.“
Ich mustere ihn nachdenklich, wie er mir so in Vampirmontur gegenübersitzt. „Da Sie sich so für diese Untoten interessieren, ist die Idee vielleicht nicht schlecht.“
„Es ist auf jeden Fall ein Versuch wert. Ich habe schon angefangen, einige Kapitel zu schreiben.“ Er deutet auf das Papier. „Natürlich ist das nicht die endgültige Fassung. Es ist sogar wahrscheinlich, dass sich noch einiges ändert. Aber ich würde Ihnen gerne etwas daraus vorlegen. Eine exklusive Premiere, sozusagen. Nur für Sie.“
Überrascht blicke ich ihn an.
„Als kleine Entschädigung für den ganzen Ungemach, den ich Ihnen bereitet habe.“ Eine kurze Pause, dann fährt er fort: „Sofern Sie mir denn nicht böse sind und überhaupt noch Erzählungen über dieses Thema hören möchten.“
Sein Bedauern klingt aufrichtig und er wartet geduldig auf meine Reaktion.
Und ich hätte sicher einen anderen Beruf gewählt, wenn ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen würde. Natürlich bin ich neugierig. Die Chance, vom berühmten Meister der Literatur persönlich sein unveröffentlichtes Werk vorgelesen zu bekommen, lasse ich mir nicht nehmen.
Natürlich darf ich mir meine Neugierde jetzt nicht zu sehr anmerken lassen.
Ich habe schließlich schon genug Fehler bei diesem Besuch gemacht. Also sollte ich mich darauf besinnen, worin meine Stärken liegen und meine Freude über dieses exklusive Angebot nicht zu offensichtlich zeigen.
So weiche ich seinem Blick aus und täusche Unentschlossenheit vor; zumindest versuche ich es.
Mein Gastgeber gibt mir Zeit und drängt mich nicht. Stattdessen genehmigt er sich noch einen Schluck.
Schließlich „komme“ ich zu einem Entschluss.
„Trotz allem würde ich Ihre Geschichte gerne hören“, teile ich ihm nach einigen weiteren Minuten mit.
„Das freut mich zu hören. Stört es Sie, wenn ich meine Maskerade anlasse? Ich finde, dann wirkt es authentischer beim Vorlesen. Aber es muss natürlich nicht sein.“
„Ich habe nichts dagegen“, erkläre ich. Vor allem, weil er darin einfach heiß aussieht. Am meisten beeindrucken mich diese Augen. Ich gewöhne mich immer mehr an diese Farbe. Sie hat einfach etwas.
Ich ertappe mich bei dem Wunsch, sie seien echt. Er sieht so einfach leicht gefährlich aus, und das hat zugegeben einem gewissen Reiz für mich.
„Dann lassen Sie uns anfangen. Man sagt mir übrigens nach, ich könne gut vorlesen. Sie können auch Ihre Augen schließen, wenn Sie möchten. Dann können Sie sich besser in meine Welt hineinversetzen.“