Markus steht vor der großen Limousine, als wir uns nähern. Sofern er sich über die Aufmachung des Grafen – seine Kostümierung – wundert, lässt er sich zumindest nichts anmerken.
Klar, natürlich. Herr von Wattenstein hatte sich ja zurückgezogen, um sich umzuziehen. Seine Verkleidung hatte er bestimmt im Wagen deponiert. Ich hatte beide ja reden hören.
Daher war der Angestellte ja zugegen, während Gregor sich umgezogen hatte.
Widerwillig bewundere ich Markus. Ich mag zwar seine Art nicht, diese höfliche Distanziertheit – zumindest mir gegenüber. Aber diese Maske zu tragen und die Gefühle nicht so offen zur Schau zu tragen, hat sicher Vorteile, wenn man das kann.
Ich bin da leider ziemlich schlecht in solchen Dingen und trage mein Herz oft offen mit mir rum.
Vielleicht sollte ich das einfach mal üben, dieses Pokerface?
Allerdings wäre das dann auch nicht mehr ich. Zu einem Butler mag dieses emotionslose Gesicht ja noch passen – vielleicht eine Voraussetzung, einen Job im adligen Haus zu bekommen – aber zu einer Reporterin ganz und gar nicht. Ich will ja auch sympathisch rüberkommen. Genauer gesagt – ich möchte, dass mich die Menschen mich nett und authentisch finden.
Nur schade, dass Markus keinen Frack trägt, sonst könnte ich ihn in Gedanken wenigstens Pinguin nennen.
Stattdessen steige ich kommentarlos wieder hinten im Wagen ein, dessen Türe der Angestellte freundlicherweise aufhält.
Was heißt freundlicherweise – dafür ist er ja schließlich da.
Kaum sitze ich, rücke ich wieder etwas zur Seite und mache für Gregor Platz. Dieser fackelt auch nicht lange. Offensichtlich möchte er bald wieder zu Hause ankommen.
Geräuschlos schließt der Diener die Türe wieder und verschwindet zum Fahrersitz.
Schon beeindruckend, ein solches Fahrzeug. Das ist schon ein ganz anderer Klang wie bei meinem Auto – das Zuschlagen der Wagentüre, da klappert nichts. Und auch das dezente Schnurren des Motors, welchen man kaum hört. Einfach verführerisch, man möchte sich einfach zurücklehnen und einschlafen.
Ich habe mir jedoch fest vorgenommen, genau dies nicht zu tun. Stur starre ich deshalb aus dem Fenster, wenn ich auch dank des Innenlichts und der getönten Scheiben nun gar nichts sehen kann. Naja, dazu ist es ja auch noch dunkel.
Das Ganze wirkt vermutlich auch etwas lächerlich; trotzdem bleibe ich bei meinem Tun.
Was mein Nebenmann davon hält, erfahre ich nicht. Seine Ledertasche auf dem Schoß – ausgerechnet – wirkt er in sich gekehrt, so als würde er über einige Dinge nachdenken.
Das weiß ich, da ich ab und zu einen heimlichen Seitenblick auf ihn werfe. Im matten Licht – die Deckenbeleuchtung scheint dunkler als auf der Hinfahrt, vermutlich kann man sie abdimmen – scheinen seine roten Augen leicht zu leuchten.
Schon verrückt, welche Illusionen so ein Halbdunkel einem vorgaukeln kann.
Er wirkt zwar abwesend, aber nicht abweisend. Ich bin sicher, er würde sich auch auf eine Unterhaltung einlassen und mir Fragen beantworten, wenn ich welche stellen würde.
Aber mir ist im Moment nicht nach Konversation. Also setze ich dieses offensichtlich sinnlose Tun fort und betrachte weiterhin hoch interessiert die Autoscheibe auf meiner Seite.
Alles, nur nicht wieder einschlafen.
Während ich also in das schwarze Nichts starre mit der festen Absicht, wach zu bleiben, kehren meine Gedanken zum heutigen Tag zurück. Das muss ich wirklich erst mal alles verarbeiten. Den Grafen, das anstrengende Interview, diese Visionen – oder was auch immer.
Mein Gastgeber rührt sich immer noch nicht. Kaum vorstellbar, dass ich vorhin in meiner Vorstellung zusammen mit ihm auf einem Stuhl gesessen habe.
Es kann sich nur um eine Fantasie halten.
So verstellen kann sich kein Mensch.
Wobei Mensch ja dann auch nicht ganz korrekt wäre, bei einem Untoten.
Verdammte Gedanken!
Ich nehme mir fest vor, nach meiner Rückkehr einen Psychologen aufzusuchen.
Die Vorstellung, dieser Wirrwarr einem Seelenklemptner zu erzählen, behagt mir nicht, aber es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben.
Hoffentlich kann der mir helfen.
Und ich muss vorher unbedingt noch mit meiner Mutter reden. Sie hat nie davon erzählt, aber ich meine, mich an ein Tuscheln meiner Verwandtschaft erinnern zu können. Irgendetwas stimmte nämlich mit meiner Großmutter nicht.
Ich selbst kann mich nicht mehr an sie erinnern – ich war noch ein Baby, als sie starb.
Aber ich meine mich zu erinnern, dass sie psychisch krank gewesen sein soll.
War nicht sogar von Wahnvorstellungen die Rede gewesen? Was, wenn ich das geerbt haben sollte?
Mir läuft es eiskalt über den Rücken.
Verliere ich den Verstand?
Aber da kann man doch sicher etwas mit Medikamenten machen, wenn dies so wäre, oder?
Während meine Überlegungen immer düsterer werden, wird unser Gefährt langsamer, bis es schließlich ganz zum Stehen kommt.
Gregor regt sich wieder. „Wir sind da.“, erklärt er überflüssigerweise.
Es dauert nicht lange, und der Chauffeur öffnet uns die Wagentüre.