„Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Schlafen Sie gut.“, sagt Gregor leise zu mir.
Er hat mich, ganz Gentleman, bis zu meiner Tür begleitet, nachdem er Markus die Mappe mit seinen Texten in die Hand gedrückt hatte.
„Ich danke Ihnen. Dann sehen wir uns morgen.“
Der Mann wirkt nun bedrückt. „Ich fürchte, nein.“
„Nein?“
„Ich bedauere das wirklich zutiefst. Ich hätte mich sehr gefreut, mit Ihnen zu frühstücken. Aber ich muss geschäftlich verreisen und komme erst in zwei Tagen wieder.“
„Ich könnte früh aufstehen, so dass wir uns noch mal sehen und verabschieden können.“, biete ich an.
„Nein, das wird nicht funktionieren.“
„Es würde mir wirklich nichts ausmachen“, versichere ich ihm.
Ich will einfach nicht, dass dies schon der Abschied sein soll.
Einfach so jetzt?
Das ist nicht sein Ernst.
Wie wir uns so gegenüberstehen, wird mir wieder diese eigenartige Kälte bewusst, die ich seit meiner letzten Traumreise – ich nenne das jetzt mal so, klingt jedenfalls besser als Wahnvorstellung – verspüre. Mein Unterbewusstsein glaubt fest an meine Visionen, wenn es mich diese Kühle immer noch spüren lässt.
Ein Gefühl, das ich als sehr angenehm empfinde.
Mein Gastgeber seufzt vernehmlich. „Es ist nicht so, dass ich gerne abreise. Aber ich muss schon in ein paar Stunden los und werde die Zeit bis dahin nutzen, um zu schlafen. Daher wird alles andere nichts bringen. Wir müssen uns leider jetzt schon verabschieden.“
„Das ist sehr schade, Gregor.“, sage ich ehrlich und warte auf eine Reaktion von ihm. Eine Einladung, ihn wieder zu besuchen, irgendetwas in der Art.
Der Mann schweigt einen Moment. Verdammt, kommt da jetzt nichts mehr?
„Wir können über E-Mail in Kontakt bleiben. Und es gibt ja auch noch mein Büro in Deutschland. Über eine solche Korrespondenz mit Ihnen würde ich mich sehr freuen.“
Wie jetzt?
Per Mail? Sein Büro?
Keine Telefonnummer? Oder das Angebot, zu skypen? Oder sonst irgendwas persönlicheres?
Stattdessen freut er sich auf unsere ,Korrespondenz‘?
Hier habe ich ihn. Den Beweis, dass sich dieser Mann nicht weiter für mich interessiert. Zumindest nichts, was tiefer geht.
Dabei hatte ich bisweilen wirklich gedacht, dass mehr zwischen uns sein könnte.
Unsere Unterhaltung heute Abend während ‚unseren‘ Essens. Als er mich tröstend in den Arm genommen hat, nachdem er mir einen solchen Schrecken eingejagt hatte.
All das deutete doch auf ein gewisses Interesse hin, oder? Ein mehr als nur eine Geschäftsbeziehung mit höflichem Schriftverkehr.
So kann man sich also irren.
„Schöne Träume. Und eine gute Heimfahrt morgen.“ Immer noch in seiner Vampirverkleidung, ergreift er meine rechte Hand.
Ein Handkuss.
Warme, weiche Lippen.
Keine Kälte.
Es wäre wunderschön. Wenn es nicht ein Abschied wäre.
Das vermutlich letzte Mal, dass ich ihn sehe.
Nie mehr werde ich mich mit ihm persönlich unterhalten können. Und nie mehr in diese geheimnisvollen roten Augen blicken, die mich faszinieren, auch wenn sie ein Kunstprodukt sind.
„Gute Nacht, Gregor“, wünsche ich ihm. Ganz vermeiden kann ich es nicht, dass meine Stimme zittert. Trotzdem fahre ich fort: „Leben Sie wohl. Und Ihnen eine gute Reise, morgen.“