-Er konnte mich kaum gehen lassen. Wärme umhüllte mich. Ein Spiel aus Farben und unendlicher Stille drang hauchdünn in die tiefsten Tiefen meiner selbst. Schwebend verließ mich der Schmerz. Etwas riss mich aus der Zeit und ein unscharfes Spektrum füllte den verbleibenden Aufenthalt.-
Es war ruhig. Ich nahm ein paar gedämpfte Stimmen wahr. Matt öffnete ich meine Augen und blickte auf eine weiße Wand. Sofort merkte ich, dass ich mit zahlreichen Bandagen, Verbänden und Pflastern (in denen es übrigens bullenheiß war) in einem weißbezogenen Bett lag- vermutlich in einem Krankenhaus. Ich versuchte, mich aufzusetzen, doch mein Körper war wie betäubt und verweigerte mir jegliche Befehle. Stumm lag ich noch eine Weile nutzlos herum und schlug mit Erinnerungen die Zeit tot. Es war ein schlurfender Fußschritt, von draußen kommend, der mich zurück in die Gegenwart brachte. Jemand betrat das bisher halbdunkle Zimmer und schaltete das Licht an. "Jacque!" Eine weiche Stimme, scheinbar sehr getroffen, drang aus seinem Mund, als Claude mich entdeckte und sofort gebückt in die Arme schloss.
Mittlerweile hatte ich es zustande gebracht, annähernd meinen Kopf zu heben, um meinen guten Freund wenigstens zu sehen. Tiefe Augenringe verzierten sein ohnehin schon genug entstelltes Gesicht. Offenbar hatte er sich Sorgen um mich gemacht, denn nach der kurzen Umarmung lief er, sich den Kopf reibend, im Raum auf und ab. "Du, ich... nunja...", stammelte Claude. Er lächelte verlegen und blickte mich an, doch sein Blick war nicht stechend oder glotzend. Er wirkte leicht bewundernd. Vielleicht, wie ich es wohl in solch einer Position in 1000 Verbände gewickelt aushielt... Claude selbst trug seine Uniform. Warte. Das war also alles real gewesen, der Krieg, der Schuss und... etwas sagte mir, dass es da noch was gab. Ein fehlendes Detail. Glücksgefühle kamen in mir hoch und auf einmal wusste ich ganz genau, was es gewesen war. Ich lächelte. Er war mir wirklich treu gewesen, selbst, als ich kurz davor gewesen war, abzukratzen. Und wie viel er für mich gebetet, wie oft er an meinem Krankenbett gestanden, und geweint haben musste. So oft hatte ich ihn damals nicht verstanden, doch jetzt konnte ich ja alles wieder gutmachen, oder?
"Wie lange war ich eigentlich...?", bekam ich schwer hustend heraus und schaute auf meine dürre, zerbrechliche und völlig eingefallene Gestalt. Claude lies ein Seufzen verlauten und meinte:"Fast zwei Monate." Bei dem Gedanken wurde mir übel. Was ich alles verpasst haben musste! Doch bevor ich Claude auch nur fragen konnte, meinte er lächelnd:"Ich sag den anderen mal bescheid, dass du wohl auf bist." Und damit verließ er das Zimmer. Ich konnte es kaum erwarten, ihn, wenn es mir erstmal besser ging, wieder umarmen zu dürfen, diesen beinahe perfekten Menschen im Pokern zu Schlagen oder mit ihm was trinken zu gehen und einfach mal zu reden. Wie vermisste ich nur die Zeit mit ihm. Bevor der Krieg angefangen hatte, waren wir zusammen im Militär gewesen, um uns auf eben diesen vorzubereiten und schon da waren wir wie Brüder gewesen. Er hatte mir seine intimsten Geheimnisse anvertraut und auch das, was man sonst nie bei ihm wahrnahm: seine großen Fehler. Aber im Krieg hatten wir beide kaum Zeit für einander gehabt und es schien alles so fern. Und jetzt wartete ich sehr lange. Aber Claude wollte und wollte einfach nicht kommen.
Ich lag. Immer noch. Natürlich. Meine Augen waren geschlossen und ein nasser Lappen in Stirnrichtung verhüllte auch jede Sicht. Und bewegen konnte ich mich immer noch kaum. Natürlich. Jemand, Claude denke ich mal, setze sich an mein Bett und nahm meine Hand. Seine Hände fühlten sich so unglaublich warm an, wie immer. "Man, man...", sagte eindeutig Claude und dann nahm er mir den Waschlappen von den Augen. Aber ich wollte diesen Moment nicht zerstören und gab weiter vor zu schlafen. Und plötzlich passierte es. Meine Gefühle explodierten förmlich, als er seinen Oberkörper auf meine Brust legte. Meine Wangen glühten, meine Lunge lief Marathon und mein Herz pochte wie wild. Und wahrscheinlich hatte mich genau das verraten. "Oh, Jacque", murmelte Claude grinsend. Ich öffnete die Augen und lachte - zwar vollkommen heiser und eher wie Donald Duck, aber Hauptsache, dass Claude deshalb wenigstens noch mehr Gründe fand, ebenfalls lauthals loszugrölen.
Als wir aufgehört hatten zu lachen, lag Claude noch immer mit dem Kopf und dem Oberkörper auf meiner Brust und hörte meinem Herzen zu, wie es für ihn schlug. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, und das war wirklich nicht viel, hob ich die Arme und ließ sie in einer Umarmung liegen. Er lächelte und schmiegte sich weiter an mich. Es tat sehr gut, wieder bei meinem Bruder zu sein, den ich nie hatte.
Wir hätten so noch ewig liegen können und deshalb bemühte ich mich wirklich, nicht wieder einzunicken, aber wenn man krank ist, sollte man viel schlafen und wie es das Schicksal so wollte wachte ich ohne ihn auf. Irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit besuchte mich ein Arzt und machte mit mir Bettsport, damit meine Muskeln sich wieder aufbauten und so schnell auch nicht wieder versagten. Claude saß amüsiert daneben und schaute mir zu, wie ich das "Luftfahrrad" machte, wie der Arzt es nannte. Und gerade, als es um die Rückenmuskulatur ging, knackste es irgendwo in meinem Fußgelenk, welches nachträglich auch noch eine Bandage bekam. Das mit dem Laufen sollte sich also noch etwas hinziehen. Mittlerweile, ich hab es doch fast vergessen, war ich in ein anderes Krankenzimmer verlegt worden. Claude hatte mir gesagt, dass ich während meines Komas oft umgezogen war, weil immer mehr Verletzte aus den Trümmern des Krieges geborgen worden waren und natürlich auch verarztet werden mussten.
Als mein Körper wieder einigermaßen Proportion erhalten hatte, durfte ich sogar mit Krücken etwas laufen. Mühsam zählte ich meine Schritte, wo jeder mindestens 3 Sekunden in Anspruch nahm. Claude half mir, wo es ging und lenkte mich auf den nächstbesten Stuhl. Er setzte sich gegenüber von mir und grinste. "Das wird doch wieder, und bald bist du ganz aus der Behandlung raus!" Zustimmend nickte ich, wobei einige Nackengelenke knacksten und ich schmerzerfüllt den Mund verzog. Claude kicherte und schenkte mir etwas vom herumstehenden Orangensaft ein. Wie immer wurde nicht viel geredet. Wir blickten uns nur an, was schon Konversation genug war. Immer wieder erinnerte er mich daran, doch meinen Orangensaft zu trinken und als ich das Glas dann mal ausgetrunken hatte, füllte er es erneut mit dem orangenen, super sauren Zeugs von Saft.
Irgendwann vergaß auch er endlich mal den Saft und wirkte verträumt. "Hab ich dir eigentlich jemals gesagt, wie schöne Augen du hast?" Verblüfft rang ich nach Worten. "Nun ja, nein, aber... was ist an grau so besonders?" "Sie sind einfach wunderschön. So schön groß, tief und erkundenswert." Wortlos stellte ich das Orangensaftglas ab. Ich wusste nicht, was ich auf diese Aussage erwidern sollte, doch schon gleich nahm er mir diese Entscheidung ab. Unsere Nasenspitzen berührten sich beinahe. Entschlossen machte ich die Augen zu. Es fühlte sich genauso wie letztes Mal an, als ich fast gestorben wäre und er mit Tränen in den Augen seine Liebe voll zum Ausdruck gebracht hatte. Und wieder pochte mein Herz rasent und ich vergaß für den Moment den Rest der Welt.