„Buenos Dias, Querida“ sagte er.
Ein Satz, der durchaus von ihrem Geliebten hätte stammen können.
Aber er war es nicht. Sie versuchte den Gedanken beiseite zu schieben, aber das konnte sie nicht. Fast schien es, als gäbe es eine innere Stimme in ihr, die sich mit aller Gewalt dagegen sperrte.
Und es war eben Diego. Der Stimme war höflich und nett aber ihr fehlte die Leidenschaft und Kraft, die typisch für Zorro war. Und war die Stimme des Helden nicht auch tiefer?
Frustriert öffnete sie die Augen. Eine blöde Idee. Sie hatte es gewusst.
„Diego, das funktioniert so nicht“.
Ihr Freund seufzte resigniert. Er wirkte immer noch seltsam kraftlos. „Hab bitte Geduld und gib nicht gleich auf. Dass es gleich klappt, war zu erwarten“.
Sie zweifelte. „Ich weiß nicht. Ich bin einfach nicht gut darin.“.
„Na ja, du könntest natürlich auch einfach immer davonlaufen, wenn Zorro kommt und damit wäre auch jedem klar, dass du mit ihm gebrochen hast. Nur…“ Er brachte ab und fuhr dann - traurig wie es ihr vorkam – fort: „Wie willst du dann deine wahren Gefühle vor der Öffentlichkeit verbergen, wenn er sich dir offenbart hat? Dass nicht jeder gleich errät, dass er Zorro ist? Das aufrechterhalten dürfte bedeutend schwerer sein als den Leuten die Trennung vorzuspielen“. Er fuhr nach kurzer Pause fort: „Sieh das doch einfach als Übung an, vor der großen Täuschung, die du dann in ein paar Monaten spielen musst“.
„Ich als große Schauspielerin“ lachte sie freudlos. „Du agierst so anders als er, daher ist es für mich nicht gerade einfach. Vielleicht liegt es auch daran, dass du nie zugegen warst, wenn er öffentlich erschienen ist, daher fällt es dir schwerer, ihn jetzt nachzuahmen“. Ein seltsamer Kloß saß plötzlich in ihrem Hals. Sie hatte einen Gedanken, der ihr aber sofort wieder entglitt, sie konnte ihn nicht festhalten. Bevor sie dem weiter nachgehen konnte, unterbrach er ihre Überlegungen.
„Dann erzähle mir noch mal von Ihm. Was du weißt, wie er ist. Damit ich euch beide besser verstehen kann“.
Vielleicht hatte er recht. Sie hatte ihm bereits öfters von Zorro erzählt, aber es würde nichts schaden, dies erneut zu tun. Es hatte ihr stets gutgetan, mit dem jungen Vega über ihre Probleme zu reden.
Es gab immer wieder Momente, da hatte sie das Gefühl, dass mehr zwischen ihnen war. Eine Vertrautheit, fast ein wenig wie früher. Meist sagte Diego nur leider in diesen Momenten oft irgendetwas Dummes, Unpassendes, und die Atmosphäre kippte. Als wolle er es nicht zulassen.
„Ich weiß eigentlich nur sehr wenig von ihm“ gab sie seufzend zu.
„Nun gut, dann helfe ich dir ein wenig. Was jeder weiß ist, dass er ein ausgezeichneter Schwertkämpfer ist. Er mag einen durchtrainierten Körper haben, aber möglicherweise hat er von seinen Kämpfen auch einzelne Narben. Vielleicht sogar mehrere. Wäre das ein Problem für dich?“
„Diego, für was hälst du mich?!“ rief sie empört. „Weshalb stellst du mir so eine Frage. Ich liebe ihn, du redest da über Äußerlichkeiten die absolut unwichtig sind“.
„Nun ja, ich wollte es eben erwähnen. Du musst auch bedenken, dass er ohne Maske vielleicht nicht ganz so heldenmütig ist wie als Zorro. Sonst hätte ihn der Alkalde schon längst gefangen genommen. Ist dir das klar?“.
„Diego, was soll das. Weshalb redest du so dummes Zeug?! “ rief sie ungehalten.
„Victoria“. Er fasste sie beruhigend am Arm. „Ich habe seit unserem letzten Gespräch nachgedacht. Diese Dinge liegen auf der Hand“.
„Dass du dir Gedanken über seine Narben machst?!!“
„Nein. Schau mal, er kann sehr gut fechten, also hat er vermutlich eine Ausbildung absolviert. Es könnte sich daher um einen Soldaten handeln. Oder sonst jemand vom Militär“. Er zögerte, dann ergänzte er: „Oder vielleicht sogar um einen Adligen, einen Caballero“.
„Ich weiß nicht. Ein Don würde sich vielleicht nicht als Bandit verkleiden“ zweifelte sie.
„Das weiß ich nicht, du kennst ihn besser“.
„Du hast recht. Ja, er kämpft für die Gerechtigkeit. Dies hat nichts mit seinem Stand zu tun“, gab sie beschämt zu. Sie überlegte kurz, dann fuhr sie fort: „Er hat ausgezeichnete Manieren und noch nie ein Verbrechen begangen. Er könnte tatsächlich so jemand wie dein Vater sein. Natürlich etwas jünger “.
Er schenkte ihr einen seltsamen Blick. „Er könnte auch vom Nachbarort sein. Vermutlich lebt er nicht allzu weit vom Pueblo entfernt, aber wir wissen es nicht“.
Sie blinkte ihn entschlossen an. „Das ist mir alles egal, Diego. Auch ob er reich ist oder arm, ich umziehen muss oder die Taverne weiter betreiben kann oder muss. Hauptsache, er ist bei mir“.
Ihr Freund nickte so als hätte er die Antwort erhalten, die er erwartet hatte. „Ich habe dir meine Gedanken gesagt, jetzt bist du dran. „Weshalb liebst du Ihn? Was macht ihn aus?“
Sie überlegte. So einfach war die Frage nicht zu erklären. Wie sollte man so ein irrationales Verhalten wie Liebe erklären?
„Es ist... Er kämpft für das Gute, Diego. Er ist ein begnadeter Fechter, unterstützt die Unterdrückten, hat nie etwas Böses getan. Er bleibt anonym, keiner weiß wer er ist. Er ist bescheiden und verzichtet auf privaten Ruhm, um uns zu schützen“.
Der junge de la Vega überlegte eine Weile, dann erwiderte er: „Das mag jetzt vielleicht etwas seltsam klingen, aber hat das nicht auch etwas mit Feigheit zu tun, wenn er dir bisher sein Gesicht nie gezeigt hat?“
„Diego! Dass ausgerechnet DU das sagst“ rief sie zornig. „Du hast kein Recht...“ Sie stockte, als sie seine Betroffenheit sah und erschrak. „Entschuldige bitte, dass war nicht richtig von mir“.
„Ist schon gut, Victoria“. Er lächelte freudlos. „Lassen wir das beiseite. Was ich meinte, was bewunderst du als Mensch an ihm? Du hast gerade sein Heldentum beschrieben, aber das hilft uns nicht weiter“. Er blickte sie nicht direkt an, sondern auf einen imaginären Punkt auf ihrer Stirn.
Sie räusperte sich unbehaglich. Das schlechte Gewissen, ihn tief verletzt zu haben, nagte an ihr. „Er ist immer für mich da, Diego“ fuhr sie schließlich leise fort. „Wie es ihm eben möglich ist. Er nimmt mich in den Arm, stützt mich, macht mir Mut, ist zärtlich. Ich fühle mich bei ihm seltsam geborgen und vertraut“.
Beide schwiegen, ehe sie fortfuhr: „Ich kann es dir selbst nicht genau sagen, was es ist. Es ist so als würde ich ihn schon lange kennen, als seien wir Seelenverwandte“.
Er antwortete nicht sofort darauf, sondern schien über ihre Worte nachzudenken. Endlich sagte er: „Also versuche ich meine Stimme etwas zärtlich und Mut machend klingen zu lassen, wäre das dann in etwa richtig?“
„Ja, ich glaube schon“.
Er räusperte sich unbehaglich: „Also, was willst du mir sagen, Querida?“
Es war immer noch Diegos Stimme, die Art wie er sprach, doch hörte sie dieses Mal, dass Fürsorge und Mitgefühl mitschwang. Er sprach ein wenig anders, als er es sonst tat. Das „Querida“ umspielte sie, erinnerte sie an ihre Liebe, verschmolz mit den Worten ihres besten Freundes. Sie schloss die Augen. Für einen kurzen Augenblick war sie sich sicher, ihm, dem geliebten Menschen, gegenüber zu stehen. Sie ließ sich näher auf dieses Gefühl ein, ließ es wachsen.
„Victoria, alles in Ordnung?“ hörte sie.
Diego. Seine Frage, sein Sprechen riß sie auf den Erdboden zurück. Der magische Moment war unwiederbringlich verloren.
„Ähm – ja, Diego. Es ist nichts. Lass uns weitermachen“.
Sie übten noch eine etwa eine Stunde, gingen verschiedene Antwortszenarien durch. Dieses starke Gefühl, Zorro zu spüren, kam jedoch nicht mehr.
Trotzdem hatte sich etwas verändert, als sie sich von Diego verabschieden wollte. Ihr war es, als seien sie sich etwas nähergekommen.
Diego wirkte auf einmal entschlossen. Sie waren immer noch in der Windmühle, als er sagte: „Warte noch bitte ich möchte überprüfen, ob dein Sattel richtig befestigt ist“. Verblüfft blickte sie ihm nach, als er schon aus dem Gebäude herausgeeilt war.
Was war mit ihm los?
Verwundert folgte sie ihm nach einer Weile draußen. Der Mann schien die untere Schnalle schon geprüft zu haben und hantierte an ihren Satteltaschen herum.
Bevor sie ihn darüber fragen konnte, meinte er: Sag mal, wann hast du das letzte Mal deine Satteltaschen überprüft?“
„Ich weiß nicht, vermutlich gestern morgen, weshalb fragst du?“
Die Taschen schienen mir nicht richtig zugeschnallt zu sein. Daher habe ich sie übergeprüft“. Er streckte ihr einen kleinen gefalteten Zettel entgegen. „Sieh selbst, das habe ich darin gefunden“.
Sie nahm das Papier entgegen. Es war etwas zerknittert und roch nach Leder. Aufgeregt öffnete sie es.
Sie überflog die Zeilen und erstarrte.
„Nun mach schon, ich bin neugierig. Was steht da drin?“ drängte er und blickte über ihre Schulter.
Vielleicht lag es an der neuen Vertrautheit, dass sie ihm schweigend die Mitteilung entgegenstreckte.
Er nahm die Nachricht und las sie langsam durch. Dann meinte er: „Das kommt gar nicht in Frage...“
„Diego…“ warnte sie.
„Keine Sorge, ich werde dich bei eurem tete-a-tete nicht stören und vorher verschwinden. Aber du wirst keinesfalls alleine dahinreiten, mitten in der Nacht, ich hole dich ab und begleite dich dahin“ sagte er entschlossen. Grinsend fügte er hinzu: „Siehst du, ich habe doch etwas mit ihm gemeinsam. Wir suchen uns die gleichen Plätze aus, wie es scheint“.
Sie zog es vor nicht zu antworten und schaute ihn grimmig an während sie die Hand ausstreckte. Diego gab ihr grinsend den Zettel zurück.
Beide schwangen sich anschließend auf ihre Sattel und ritten zum Pueblo bzw. zur Hacienda zurück.
Aber auch auf Diego wartete eine Überraschung.
Es war am Abend nach dem Essen, als Don Alejandro auf sein Zimmer kam. Er hatte etwas Längliches dabei, in Tüchern gewickelt.
Sein Sohn sah in fragend an.
„Hier, mein Sohn. Das hatte ich vor längerer Zeit besorgt, als du in Spanien warst“.
Der junge Mann starrte ihn verwirrt an. Da sein Gegenüber ihn jedoch ermunternd anschaute, schlug er die Stoffe vorsichtig zur Seite.
Vor ihm lag eine Waffe. Ein Degen. Ausgerechnet.
Er war zu verblüfft, um etwas zu sagen. Endlich hatte er sich so weit gesammelt, dass er wieder Worte fand: „Vater, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist...“
„Nun nimm ihn doch erst mal in die Hand…“
Er seufzte. Vorsichtig griff er nach der Waffe. „Ich hatte dir doch schon gesagt, dass ich nicht kämpfen möchte...“
Sein Vater nickte. „Ich weiß, mein Sohn. Darum geht es auch nicht. Ich hatte den Degen mit der Absicht gekauft ihn dir zu geben, wenn du deine Fechtausbildung abgeschlossen hast. Wie ich vor kurzem sehen konnte, ist es an der Zeit. Es ist eine gute Waffe. Sicher es mag bessere geben, meisterliche Waffen. Aber diese ist solide gebaut und auch gut ausbalanciert. Ein guter Kämpfer sollte sich gut damit verteidigen können“.
„Vater, ich weiß nicht, ob ich ein guter Kämpfer bin.“
Alejandro legte seine Hände auf Diegos Schultern. „Bitte mein Sohn. Darum geht es doch nicht. Du sollst nicht kämpfen, wenn du nicht willst. Es geht mir darum, dass du nicht unbewaffnet rumläufst, dich im Notfall verteidigen kannst. Sieh es deinem alten Vater nach. Ich könnte bedeutend besser schlafen, wenn ich wüsste, dass du ihn trägst“ bat er.
„Aber Vater. Wenn ich damit herumlaufe, was ist, wenn ich deshalb von anderen herausgefordert werde?“ versuchte er verzweifelt zu wirken.
„Das glaube ich nicht, Diego. Man kennt dich. Ich werde erzählen, dass ich dich gebeten habe, den Degen zu tragen, da du ein Caballero bist. Du selbst kannst dies ja auch so sagen“.
Er seufzte. Aber ihm fiel kein Argument dagegen ein. Sein Vater hatte ihn nun mal kämpfen gesehen, und dies schien nun doch weiterreichende Folgen zu haben, als ursprünglich gedacht. Er hatte ursprünglich angenommen, mit seiner lahmen Erklärung, die Alejandro akzeptiert hatte, sei die Sache ausgestanden – aber gerade wurde er mal wieder eines besseren belehrt.
„Willst du ihn nicht mal ausprobieren?“ fragte sein Vater mit leuchtenden Augen. „Wir könnten eine Fechtstunde abhalten, wir zwei. Nur so zum Spaß“.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Und er konnte nicht einmal vortäuschen, dass er völlig unbegabt war.
Unmotiviert probierte er ein paar einfache Schrittfolgen zusammen mit den dazugehörigen Waffenbewegungen. Ja, sein Vater hatte in der Tat eine gute Waffe erstanden. Perfekt ausbalanciert. Und wie er auf den ersten Blick sehen konnte, gut verarbeitet und aus guten Stahl.
Wenn sie natürlich nicht an Zorros Waffe herankam. Toledo Stahl war nun mal unerreicht.
Sein Vater blickte ihn ungeduldig an.
„Ach so, die Fechtstunde. Sei mir nicht böse, Vater, vielleicht ein andermal. Aber wenn du darauf bestehst, trage ich die Waffe“.
„Das freut mich, mein Sohn“. Alejandro schien zufrieden und stieß seinen Ellenbogen scherzhaft leicht in Diegos Seite. „Victoria wird es sicher auch gefallen, wenn du den Degen trägst“.
Der junge Mann rollte die Augen, während sein Vater amüsiert lachte und das Zimmer verließ, um es sich vor dem Kaminfeuer gemütlich zu machen.
Es war später Abend. Victoria war erschöpft. Endlich waren alle Dinge erledigt, so dass sie guten Gewissens schlafen gehen konnte.
Bevor sie sich jedoch in ihr Bett legte, nahm sie nochmals den Zettel in die Hand und las ihn sich wohl zum hundertsten Male durch.
Querida, ich muss mich Euch reden.
Bitte trefft mich am Donnerstag um Mitternacht in der alten Windmühle.
Te quiero.
Z.