Der Vaquero sah, wie der junge Vega auf ihn zustürzte. „Keine Sorge, Don Diego. Er ist nur ohnmächtig“ rief er beruhigend.
Dieser hatte inzwischen beide erreicht und kniete neben seinem Vater nieder. Alejandro atmete ruhig und gleichmäßig.
Erleichtert atmete Diego auf und wandte sich an den Jungen. „Felipe, kannst du mir bitte den Alkohol und das Verbandszeug holen?“ Zu dem Vaquero gewandt: „Die Banditen, sind sie nochmals aufgetaucht?“
Der Angesprochene schüttelte, etwas überraschend über Diegos ungewöhnlich entschlossene Art, den Kopf. „No, Señor. Bisher nicht“.
„Gut.“ Dann werde ich mir die Verletzung anschauen und sie versorgen, bis Pablo mit Dr. Hernandez kommt“. Der junge Vega blickte auf das Bein. Manuel hatte den Stoff des Hosenbeins vorsichtig mit einem Messer geöffnet und die Wunde notdürftig versorgt. Felipe stand bereits mit den notwendigen Utensilien parat. „Danke Manuel“ sagte er leise und entfernte vorsichtig den provisorischen Verband, der bereits voller Blut war.
In diesem Moment regte sich Don Alejandro. Mühsam öffnete er die Augen. „Diego?“ flüsterte er.
„Ja, Vater, ich bin hier. Mach dir keine Sorgen“.
„Du bist hier“ flüsterte der alte Don. „Dann wird es gut“.
„Bitte nicht reden, Vater, schone deine Kräfte. Die Kugel ist noch drin. Ich werde deine Wunde notdürftig versorgen. Ich muss deine Wunde desinfizieren, dass dürfte wehtun und ziemlich brennen“.
Alejandro stöhnte, als Diego vorsichtig begann, den Alkohol aufzutragen.
‚Ich hoffe, der Doktor kommt bald.‘ dachte sich Diego. Er sah, wie Alejandro die Zähne zusammenbiss vor lauter Schmerzen und das gefiel ihm gar nicht . Routiniert fuhr er mit seinem Werk fort.
Sein Vater hielt weiter tapfer durch. Er atmete dann aber doch erleichtert auf, als sein Sohn sein Werk beendet hatte.
Dieser nickte zufrieden. „Nun müssen wir warten und hoffen, dass die Kerle nicht zurück kommen“.
„Diego…“ flüsterte sein Vater.
„Ja?“
„Ich danke dir, dass Du gekommen bist“. Der Don pausierte, dann ergänzte er: „Ich meinte, dass du so schnell gekommen bist“.
Der junge Mann schüttelte den Kopf. Er verstand nicht. Offensichtlich war sein Vater durch die Schmerzen nicht ganz bei sich. „Natürlich. Ich bin dein Sohn“. Weshalb erwähnte er das? Es gab ihm einen Stich.
„Ja, das bist du“. Alejandro schwieg, dann fuhr er fort: „Bitte verzeih Diego, ich wollte dich nicht verletzen. Meinst du, die Banditen kommen wieder?“
„Ich denke, nicht, sonst hätten wir sie schon gesehen“. Wieder überlegte er, ob sein Vater sein Geheimnis kannte. Er würde deshalb mit ihm reden müssen. Jedoch nicht hier und jetzt, das musste warten. Und er würde vorsichtig vorgehen müssen.
Sie schwiegen.
Es war jedoch kein unangenehmes Schweigen, obwohl alle vier aufmerksam die Umgebung beobachteten. Diego saß neben seinem Vater und passte auf, dass der alte Mann liegenblieb und sich nicht bewegte. Ihm war bewusst, dass er die anderen – genauer gesagt zwei – durch sein ruhiges und energisches Verhalten irritierte, aber es ging hier um das Leben seines Vaters.
Er machte sich Sorgen, auch wenn er hoffte, dass alles gut ausgehen würde. Die Wunde war nicht lebensbedrohlich und wenn sie Glück hatten, würden nach der Operation des Doktors – die Kugel war ja nach wie vor im Bein – keine bleibenden Schäden zurückbleiben. Er hatte das Bein diesbezüglich nicht genauer untersucht, schließlich war er kein Arzt und wollte seinem Vater auch keine unnötigen Schmerzen verursachen. Aber so wie er das ganze einschätze, hatte sein Vater großes Glück gehabt. Wichtig war vor allem, dass der Blutfluss gestoppt war.
So warteten die vier also auf Hernandez. Und so verrückt es war, trotz seiner Sorgen fühlte sich Diego nicht nur schlecht. Es war einer der wenigen Momente, in denen er sich nicht verstellte, Diego er selbst war. Kein Taxieren, keine Lügen, keine Vorwürfe. Er saß neben seinem Vater und fühlte sich ihm nahe. Und er hatte den Eindruck, dass es Alejandro ähnlich ging.
Sie konnten später nicht mehr sagen, wie lange sie gewartet hatten – Diego kam es eine Ewigkeit vor - als sie endlich das Geräusch von quietschenden Rädern hörten. Hernandez mit seinem Wagen und Pablo näherten sich.
Endlich. Die Männer sprangen auf. Felipe und Manuel liefen dem Doktor entgegen, während der junge Vega bei seinem Vater blieb.
„Buenos dias, Señores“ grüßte Hernandez und blickte besorgt auf seinen Patienten.
Diego wich nur zögernd von der Seite seines Vaters.
„Habt Ihr ihm den Verband angelegt?“ wollte der Doktor von ihm wissen.
„Ja. Ich habe die Wunde desinfiziert und den Verband von Manuel erneuert. Die Kugel ist leider noch drin“.
„Noch bin ich nicht tot, also hört bitte auf, in der dritten Person über mich zu reden“ murrte Alejandro.
Der Doktor lachte. „Ihr habt Euren Humor nicht verloren, das ist sehr gut. Ihr könnt stolz auf Euren Sohn sein, er hat Euch sehr gut verarztet“.
„Ja, das bin ich, Doktor“.
„Ach Doktor, eine so große Kunst ist es nicht, einen Verband anzulegen“. Es kostete Diego alle Selbstbeherrschung, ruhig zu bleiben. Ein weiterer Hinweis, dass Alejandro Bescheid wusste? Wenn er ‚stolz‘ auf ihn war?
Möglichst unauffällig blickte er zu Felipe. Auch dieser suchte den Blickkontakt - also war auch dem Jungen die seltsame Reaktion aufgefallen.
„Auf jeden Fall habt Ihr Euren Vater gut versorgt. Ihr hättet einen guten Arzt abgegeben“. Der Doktor zögerte. „Es wird am besten sein, Euch mit meinem Karren zu Eurer Hacienda zu transportieren, Señor de la Vega. Da kann ich Euch in Ruhe behandeln. Euer Bein ist fürs erste gut verbunden. – ich sehe gerade erstaunt, dass Ihr einen Degen trägt, Don Diego?“
„Das war meine Idee“ wandte der alte Mann sofort ein. „Mein Sohn ist schließlich ein Caballero, da wird es Zeit, einen Degen zu tragen.“
„Das habt Ihr sicher recht. Señores, würdet Ihr mir zur Hand geben?“
„Señorita Escalante?“
Die Angesprochene drehte sich um. Ein Fremder stand ihr gegenüber.
„Si, Señor?“
Der Mann war recht groß, ca. 1:80 m. Dunkler Teint, kurze schwarze Haare, braune Augen. Weiter trug er einen schmalen Unterlippenbart, welcher ordentlich in Form gelegt war. Seine Kleidung wirkte gepflegt und von guter Qualität, wenn auch nicht so teuer, dass sie sich nur Caballeros leisten konnten.
Ein freundliches Lächeln umgab seine Lippen. „Ich bin hier gerade angekommen und benötige eine Unterkunft. Ich habe gehört, Ihr könntet mir in dieser Sache vielleicht helfen?“
Victoria lächelte ihn freundlich an. Der Fremde machte einen angenehmen Eindruck. „Da sind Sie bei mir richtig. Für wie viele Nächte?“
„Das ist noch ungewiss. Sagen wir fürs erste vier Nächte mit der Option auf Verlängerung?“
„Ja, gerne. Sie können das Zimmer oben nehmen, gegenüber von meinem. Ich zeige es ihnen gleich“ schlug sie vor.
„Einverstanden. Was würde es kosten?“
Sie nannte ihn den Preis und fragte nach seinem Gepäck.
„Oh nicht viel ich habe nur einen Koffer“. Er deutete auf das Gepäckstück, welches neben ihn stand.
Die Frau erwiderte sein freundliches Lächeln.
„Und auf welchen Namen darf ich es eintragen?“
„Ich bin Carlos Vicente, Senorita“.
Es war am Abend, als Diego erleichtert aufseufzte. Alles war gut ausgegangen. Sie hatten Don Alejandro auf dem Karren des Arztes vorsichtig zurück zur Hacienda gebracht und er und Felipe hatten Dr. Hernandez bei der Operation assistiert.
Sein Vater schlief jetzt. Felipe wachte über ihn und würde ihn informieren, wenn sich etwas änderte. Der junge Vega zwang sich, wenigstens ein paar Bissen zu essen.
Nun, da er endlich ein wenig zur Ruhe kam begann er, über alles nachzudenken.
Er war unendlich erleichtert, dass sein Vater – und damit alle – unendlich Glück gehabt hatte. Aber Glück war auch zerbrechlich und Alejandro hätte genauso gut tot sein können. Der Wunsch, seinen Vater zu schützen hatte ihm gezwungen, ein Sohn zu werden, der weltfremd und meist feige war, damit Zorro unter diesem Schutz kämpfen konnte. Aber dieses falsche Spiel gegenüber allen (außer Felipe) hatte einen zu hohen Preis. Denn er hatte dadurch keine ehrliche Beziehung zu seinem Vater. Er war überzeugt, könne man Alejandro fragen, würde er einen ehrlichen Sohn vorziehen, auch wenn dies für ihn eine Gefahr bedeutete.
Von dem allen abgesehen - es sah so aus, dass sein Vater sein Geheimnis kannte. Ganz sicher war er sich dessen nicht, es konnte immer noch alles ein blöder Zufall sein. Was aber letztlich keine Rolle spielte. Sobald es seinem Vater gut genug ging, würde er ihm alles erzählen.
Gut möglich, dass dies bereits heute noch der Fall war.