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„Er ist genial“, mümmelte Adam hinter seinem Brötchen, dessen letztes Stück er sich gerade in den Mund gestopft hatte. „Fand ich schon gestern Morgen.“
„Ha! Das war absolut krass, wie er Skyler vorgeführt hat ... genau das hat die mal gebraucht!“, meinte Jacky und warf einen verächtlichen Blick zu Skyler und ihrer Clique hinüber.
„Genau das mein ich“, mümmelte Adam bestätigend.
Amy musste lachen. „Adam!“
Adam hob entschuldigend die Schultern und grinste.
„Ja, er ist schon cool ...“, meinte Faith nachdenklich, „vor allem scheint er ganz anders zu sein, als er sich gestern morgen präsentiert hat. So streng und unnahbar - so ist er gar nicht. Gestern Nachmittag war er ganz anders - und abends dann erst!“
„Ja, das stimmt“, bestätigte Ben. „Trotzdem fänd ich das etwas zu krass, wenn er mein Nachbar wär. Mein Englischlehrer als Nachbar? Nee, brauch ich nicht!“
„Was soll sie machen?“, meinte Jacky. „Sie hat es sich nicht ausgesucht.“
„Genau. Aber dass er Pizza springen lassen hat gestern Abend - das war schon geil“, meinte Adam und hob den Daumen.
Amy musste wieder lachen. „Spätestens mit Essen kriegt man dich, stimmt’s?“
Freundschaftlich boxte sie ihm gegen die Schulter. Adam grinste.
„Na das mit der Pizza war ja wohl auch das mindeste, nach der Schufterei“, meinte Ben.
„Hey, komm, stell dich nicht so an. Ganz ehrlich - ich find das schon krass. Da ziehen die hier hin, in ein ganzes Haus - und seine A... seine Frau schwirrt einfach ab auf eine Modemesse oder was auch immer. Und er steht alleine da.“
„Ja das stimmt allerdings“, meinte Ben. „Die hat er nicht im Griff.“ Er grinste und fuhr sich mit der Hand durch die weißblonden Haare.
Juudai, der Japaner und Nerd der Klasse, der bis jetzt in seinem Comic geblättert hatte, schob sich seine Brille zurecht und schloss seufzend das Heft. „Da hab ich ja was verpasst, gestern Nachmittag.“
„Ach, kein Ding. Wir waren im Grunde genommen auch genug. Sind uns zum Teil schon auf die Füße getreten“, meinte Jacky grinsend.
„Ja und außerdem war es gefährlich. Amy hat mit Kochtöpfen um sich geschmissen!“, lachte Adam und duckte sich weg, um seinen immer etwas verwuschelten dunklen Schopf in Sicherheit zu bringen. Überraschenderweise ging Amy aber nicht lachend darauf ein, sondern ihr zartes Gesicht färbte sich rot und sie wurde verlegen. Faith sah es und wechselte schnell das Thema.
„Wie auch immer, er scheint jedenfalls in Ordnung zu sein. Und jetzt sollten wir reingehen.“
Sie nahm Amy am Arm und wollte sie in Richtung Klassenraum ziehen.
Doch Juudai sagte: „Wisst ihr was, ich glaube er kann so oder so sein. Ich glaube schon, dass er auch unnahbar und kühl sein kann, wie gestern Vormittag ...“
„Kann sein“, wollte Faith ihn abwimmeln. „Komm jetzt, Amy!"
Aber Juudai hatte seine Analyse noch nicht beendet. „Was ist eigentlich mit dir, Amy?“
Amy schaute ihn mit ihren großen, grüngrauen Augen an. „Was soll mit mir sein?“, fragte sie argwöhnisch nach.
„Du scheinst ihn nicht zu mögen, oder? Jedenfalls hast du als einzige die ganze Zeit nichts über ihn zu sagen gehabt“, sinnierte Juudai. Das hatte er trotz Comic Lesen mitbekommen.
Für einen Moment sagte keiner etwas, dann richteten sich alle Augenpaare auf Amy. Juudai schlug mit aufrichtig arglosem Gesicht seinen Comic wieder auf. Amy sah erschrocken aus. Krampfhaft suchte sie nach einer unverfänglichen Antwort. Aber wenn es um Steve Collins ging, war bei ihr zur Zeit alles blockiert. Langsam begann ihr das Angst zu machen.
Faith sah, wie Amy sich wand.
„Quatsch“, meinte sie hastig. „Ich weiß ja nicht, was ihr macht, Leute, aber wir gehen jedenfalls jetzt rein. Keine Lust auf nen schiefen Blick von Mr. Perry, wenn der eher da ist als wir.“ Damit zog sie Amy hinter sich her Richtung Klassenzimmer. Jacky zuckte die Schultern und ging hinterher. Die anderen folgten mehr oder weniger motiviert in den nun folgenden Mathematik Kurs.
In den nächsten Tagen fand Amy weitestgehend zur Normalität zurück - sofern sie nicht gerade bei Mr. Collins im Unterricht saß oder ihm auf dem Schulgelände über den Weg lief. Dann allerdings begann ihr Herz wieder zu rasen und sie brachte kaum ein schüchternes ‚Hallo’ heraus - von mündlicher Mitarbeit im Unterricht ganz zu schweigen.
Es stellte sich heraus, dass Mr. Collins ein sehr aufgeschlossener und sympathischer Lehrer war. Er bewies, dass er Humor besaß und war bei den meisten Schülerinnen und Schülern beliebt. Jedoch hatte Juudai auch Recht - er konnte auch ein anderes Gesicht zeigen. Verhaltensweisen, die ihm gegen den Strich gingen, hatten in seinem Unterricht nicht die geringste Chance und er hatte eine solche Präsenz, dass er jederzeit und zu 100% seine Klasse und seinen Unterricht im Griff hatte.
Besonders schwer hatten es Mädchen wie Skyler, Valentine und Deborah, die eine boshafte Ader und eine scharfe Zunge besaßen. Sehr schnell hatte Steve Collins seine Schülerinnen und Schüler eingeschätzt. Wenn er auch im Unterricht absolut korrekt und gerecht war, so ließ er doch keine Zweifel aufkommen, wenn ihm bestimmte Verhaltensweisen missfielen.
Außerhalb des Unterrichts war er immer freundlich, aufgeschlossen, hilfsbereit und jederzeit für seine Schüler und Kollegen ansprechbar. Zu der kleinen Gruppe seiner jugendlichen Helfer vom Einzugstag hatte er ein besonders freundschaftliches Verhältnis, ohne sie jedoch im Unterricht auch nur ansatzweise anders zu behandeln oder zu bewerten als die anderen Schüler und Schülerinnen seiner Kurse. Im Gegenteil, Adam musste sich durchaus des öfteren von ihm in die Schranken weisen lassen. Das tat der Sympathie für seinen Lehrer allerdings nicht den geringsten Abbruch. Auch im Lehrerkollegium war der neue Kollege nach wenigen Tagen durchaus beliebt.
Skyler überraschte eines Tages die gesamte Klasse, als sie, obwohl - oder gerade weil - sie bereits am ersten Tag eine harte Abfuhr von Steve Collins hatte einstecken müssen, anfing, ganz unverhohlen mit ihm zu flirten. Sie tat es nicht, weil sie sich wirklich etwas aus ihm machte - obwohl sein ihm ganz eigener Charme mittlerweile sämtlichen Schülerinnen und auch Kolleginnen nicht unbemerkt geblieben war. Sie tat es, weil sie sich erhoffte, Vorteile oder sogar bessere Noten rausschlagen zu können. Und ... sie machte es gar nicht mal so ungeschickt.
Amy verfolgte dieses Verhalten mit ängstlichen Augen, es war ihr einfach unerträglich. Faith hingegen lachte nur höhnisch darüber und sie behielt Recht. Steve Collins zeigte absolut keine Reaktion auf Skylers Bemühungen und hatte auch die Intention dahinter sofort durchschaut. Als Skyler ihr Verhalten jedoch trotz seiner ausbleibenden Reaktion weiter verfolgte, begann er langsam damit, ihr unmissverständlich klarzumachen, dass ihre Bemühungen nicht die geringste Aussicht auf Erfolg hatten. Er setzte dazu sein schon gut bekanntes eisiges Lächeln ein und begegnete ihr mit sarkastischem Humor. Mehr als einmal schaffte er es, sie mit ihrem eigenen Verhalten lächerlich zu machen, bis Skyler schließlich voll innerlicher Wut ihr Vorhaben aufgab. Steve Collins behandelte sie von dem Moment an wieder genauso gerecht, höflich und auch - wenn auch etwas verhalten - freundlich im Unterricht wie seine anderen Schüler und Schülerinnen auch. Außerhalb des Unterrichts hatte er jedoch nicht mehr als einen höflichen, aber knappen Gruß für sie übrig.
Steve konnte nicht ahnen, dass er sich Skyler von nun an zur Feindin gemacht hatte.
„Ihr glaubt nicht, was ich gerade angeleiert hab“, sagte Adam ein paar Tage später und grinste von einem Ohr bis zum anderen. Amy und Faith hatten es sich auf einer Decke auf einer der Rasenflächen des Schulkampus gemütlich gemacht und genossen die Mittagspause in der warmen Sonne. Auch Jacky, Ben und Juudai saßen auf dem Rasen und sogar Cole und Evan waren vom nahe gelegenen College für die Mittagspause zu ihrer ehemaligen Schule herüber gekommen und zu der Gruppe gestoßen. Es war Freitag, und die Aussicht auf das nun folgende Wochenende sorgte allgemein für gute Laune.
„Was hast du wieder angestellt?“, schmunzelte Jacky. Adam grinste noch breiter.
„Hey, Cole, Ben, hört mal. Wisst ihr wer zu unserer nächsten Probe erscheinen wird?“
Er wartete eine mögliche Antwort gar nicht ab. „Live! And in person: Misteeeeer ... Steve Collins!!!“
Faith und Amy sahen sich an.
„Wie hast du denn das hingekriegt?“, meinte Cole überrascht.
„Ganz einfach. Ich hab ihn gefragt, ob er sich schon gut eingelebt hat und dass das ja wirklich ne ganz schöne Maloche war an seinem Umzugstag... und dann hab ich geschickt das Thema gewechselt, dass wir immer noch dringend nach einen Frontmann suchen ... und so...“
„Adam!“, rief Faith entsetzt, musste aber dennoch lachen.
„Das gibt es doch wohl nicht! Das ist Nötigung!“
Sie schüttelte lachend den Kopf.
Adam grinste weiterhin. „Ja, das hat er auch so ähnlich gesagt... aber er hat gelacht dabei. Auf jeden Fall kommt er vorbei, erst mal gucken und so.“
„Du bist unmöglich!“, meinte Faith und schüttelte wieder lachend den Kopf.
„Nein, er ist genial!“, grinste Cole und gab Adam einen anerkennenden Rippenstoß.
„Ich weiß ja nicht, inwieweit ihr das mitbekommen habt, an dem Abend, aber ... Collins hat’s echt drauf! Mit ein bisschen Glück - könnte das was werden!“
„Jetzt müssen wir nur noch Mr. Garcia informieren ... na ja und hoffentlich kurz über lang noch eine neue weibliche Stimme irgendwo her bekommen“, meinte Ben.
„Aber vielleicht spielt da auch mal einfach irgendwann der Zufall mit.“
„Wann ist denn eure nächste Probe?“, fragte Amy.
„Wir haben sie jetzt für morgen angesetzt“, erklärte Adam. „Erstens haben Cole und Ben heute sowieso Training und er muss heute Abend zum Flughafen, hat er mir erzählt. Seine Frau abholen. Jetzt wo das Nest gemacht ist, kommt sie freundlicherweise wieder nach Hause.“
Faith sah zu Amy hinüber. Sie war blass geworden und packte ihre Brotdose weg, so als hätte sie plötzlich keinen Hunger mehr und als versuche sie sich ganz natürlich und unbefangen zu verhalten. Doch Faith wusste, dass Adams letzte Worte ihr einen schmerzhaften Stich versetzt haben mussten. Mitleidsvoll sah sie ihre Freundin an. Als sie wieder zu den anderen blickte, stutzte sie überrascht. Die anderen unterhielten sich miteinander, doch einer von ihnen warf Amy einen ähnlichen, mitfühlenden Blick zu.
Ihr Bruder Cole.
Amy kam es so vor, als habe sich ein Schleier vor die Sonne geschoben.
Er holte also heute seine Frau ab. Seine Frau, die dann auch in dem schönen Haus direkt neben Faith wohnen würde. Zusammen mit Steve. I H R E M Mann.
Verzweifelt versuchte Amy sich selber zur Vernunft zu bringen. Sie hatte doch von Anfang an gewusst, dass er verheiratet war. Was im Grunde genommen eigentlich total nebensächlich war. Total unbedeutend. Denn Steve Collins war ja sowieso in jeder Hinsicht unerreichbar.
Aber auch dieses Mal ließen ihre Vernunft und ihr Verstand sie wieder völlig im Stich und ihr ganzes Denken und Fühlen wurde ausschließlich von ihrem Herzen gesteuert.
Viele Stunden hatte sie schon darüber nachgegrübelt, was eigentlich mit ihr passiert war, nachdem Steve Collins in ihr Leben getreten war. Natürlich hatte sie mittlerweile auch schon lange und offen mit Faith darüber gesprochen, was ihr zwar gut getan, aber nicht wirklich weiter geholfen hatte.
Hals über Kopf verliebt? Unsterblich verliebt? Gefunkt? Alle Begriffe und Umschreibungen erschienen ihr zu abgedroschen für das, was sie fühlte. Das hatte sie auch versucht, Faith zu erklären. Amy war so verwirrt, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Der Mann war ihr Lehrer und obendrein könnte er vom Alter her gut und gerne ihr Vater sein. Also, was war es bloß, was da mit ihr passierte?
Bei Faith war es so einfach - sie war verliebt in Evan und da musste sie nicht viel hinterfragen und versuchen sich etwas zu erklären. Es war absolut OK und die Bezeichnung passte.
Aber was sie für Mr. Collins empfand ...
Bisher hatte sie sich mit der Tatsache, dass er obendrein auch noch verheiratet war, noch gar nicht auseinandersetzen müssen ... er war ja bisher immer allein gewesen, wenn sie ihm begegnet war. Aber auch das würde sich ja nun ab heute Abend ändern.
Aber wie umgehen mit diesen ganzen Gefühlen, Träumereien und Ängsten?
Sie befürchtete, mit einem Blick von ihr, den er bewusst wahrnahm, alle ihre Gefühle für ihn zu verraten ... und dann?
Oder hatte sie es schon längst getan? Direkt am ersten Tag, bei ihrem ersten Blickkontakt? Oder später bei den unvergessenen Momenten bei ihm im Haus?
Und hatte er nicht auch irgendwie auf sie reagiert? Er hatte doch einen Moment lang ihre Hand gestreichelt - oder doch nicht? Mittlerweile traute Amy ihrer eigenen Erinnerung nicht mehr. Denn nach diesem ersten Tag, an dem direkt so viel passiert war, hatte sie nichts mehr wahrnehmen können, was ihr das Gefühl hätte geben können, von seiner Seite wäre mehr da als ... Freundlichkeit.
Sie sehnte sich so sehr danach, dass er ihr allein noch einmal dieses besondere Lächeln schenkte ...
Und nun musste sie sich mit der Tatsache auseinandersetzen, ihn in Zukunft mit seiner Frau zu sehen und zu wissen dass ... dass er nachts das Bett mit ihr teilte.
Amy wusste nicht, ob sie sich wünschen sollte, dass ihr Steves Frau sympathisch oder unsympathisch sein sollte.
Genauso wenig wusste sie, ob sie sich wünschen sollte, dass dieser unheimliche Bann, in den sie da geraten war und der ihre ganzen Gedanken und Gefühle bestimmte, sich wieder löste - oder ob sie sich wünschen sollte, dass die zärtlichen und warmen Gefühle, die sie unbegreiflicherweise für diesen Mann empfand, noch lange bestehen bleiben sollten.
Sie fühlte eine Hand auf ihrer Schulter und schreckte auf. Es war Faith. Amy sah sie an. „Komm Süße. Wir haben jetzt Training.“ Faith war aufgestanden und streckte ihr auffordernd die Hände entgegen. Die anderen waren bereits gegangen, ohne dass Amy es gemerkt hatte.
„Faith, ich weiß nicht ...“, sagte Amy kläglich. „Ich fühl mich nicht so gut heute ... ich glaube, ich ...“ Faith unterbrach sie. Sie machte ein strenges Gesicht. „Amy... nö! Das glaub ich jetzt nicht. Du hast nur Schiss vor Skyler!“
„Quatsch! Aber du hast doch letztes Mal gesehen ...“
„Amy ... ich hab mich so dafür eingesetzt, dass du ins Team kommst. Das kannst du jetzt echt nicht machen. Du brauchst nur etwas mehr Selbstvertrauen! Außerdem trainieren wir heute mit den Jungs zusammen, das weißt du doch!“
„Auch das noch", murmelte Amy. Resigniert stand sie auf und schüttelte die Decke aus. Schweigend faltete sie sie zusammen. Faith beobachtete sie und plötzlich tat es ihr leid, dass sie Amy so zugesetzt hatte. Sie ging auf sie zu und nahm sie in den Arm.
„Sorry, Süße ... war nicht böse gemeint!“
„Ich weiß“, sagte Amy und erwiderte die Umarmung. „Ich komm ja auch schon.“
In dem Moment gingen Skyler und Valentine mit ihren Sporttaschen an ihnen vorbei.
„Ach, wie niedlich... da muss wohl jemandem Mut zugesprochen werden“, meinte Valentine höhnisch. „Talent könnte sie besser gebrauchen!“, zischte Skyler. Faith ließ Amy los und ging einen Schritt auf die beiden zu. „Geht’s noch?“, fauchte sie.
Amy sah sich um. „Du brauchst gar nicht zu gucken, dein großer Beschützer ist nicht in der Nähe“, rief Skyler spöttisch. Amy wurde knallrot und ließ ihre Tasche sinken.
„Komm, Amy“, sagte Faith voll unterdrückter Wut. „Und ihr seht zu, dass ihr in die Umkleide kommt!“
Faith zog Amy hinter sich her. „Faith...“, versuchte Amy noch einmal anzusetzen.
„Jetzt erst recht“, knurrte Faith.
Eine halbe Stunde später befanden sich alle Mädchen in ihren Trainingssachen auf dem an das Footballfeld angrenzenden Sportplatz und machten ihre Aufwärmübungen. Auch die Jungen des Footballteams machten sich bereits warm.
Selbstverständlich flogen Zurufe und Neckereien hin und her, bis Evan, der Quaterback der Mannschaft, die Jungen zusammenrief.
Auch Faith, die Anführerin des Cheerleader Teams war, sammelte die Mädchen um sich.
„Ok. Als erstes wollen wir noch einmal ein paar Jumps einüben. Die gleichen, die wir letzte Woche ausprobiert haben. Stellt euch bitte so auf wie letzte Woche ... ja, Amy, du bitte noch hier rüber. Ok ...“
Das Training begann. Amy bemühte sich, sich zu konzentrieren und die Reihenfolge und Ausführung der Sprünge korrekt auszuführen. Doch sie konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken abschweiften. Demzufolge unterlief ihr natürlich ab und zu ein Fehler und Skyler und Valentine sparten nicht mit abfälligen Kommentaren.
Faith spürte, wie die Wut in ihr aufstieg, aber sie unterdrückte sie. Auch Beherrschung gehörte zu den Voraussetzungen einer Teamleaderin.
„Gut. So weit erst mal. Lasst uns mit ein paar Pyramiden weitermachen. Einteilung so wie letztes Mal. Catherine, Jamie, - ihr seid die Base ... Amy ist Flyer...“
Faith ging zu den verschiedenen Gruppen und gab Tipps und Hilfestellungen.
Die Mädchen waren konzentriert bei der Sache. Doch dann passierte es. Amy stand auf den Schultern von Catherine und Jamie. Sie hatte eigentlich ein sehr gutes und ausgeprägtes Gleichgewichtsgefühl, Faith hatte die Fähigkeiten und Stärken ihrer Mädchen genau abgewogen. Aber plötzlich verlor Amy den Halt und rutschte ab. So etwas passierte immer mal wieder und normalerweise lernten die Mädchen, sich in einem solchen Fall abzurollen. Aber heute hatte Amy Pech. Sie kam zwar auf den Füßen auf, knickte dann jedoch seitlich um und spürte einen stechenden Schmerz.
„AU!!“, schrie sie auf und hielt sich den Knöchel. Der Schmerz hielt an. „Au…“, stöhnte sie erneut und versuchte aufzustehen, schrie jedoch leise vor Schmerz auf. „Amy“, rief Faith erschrocken und rannte zu ihrer Freundin. „He, was machst du denn?“
Faith versuchte ihrer Freundin aufzuhelfen, doch Amy stöhnte auf, sobald sie den Fuß belastete. „Oh wie niedlich, unser Flyer hat nen Abflug gemacht“, höhnte Valentine.
„War das nicht klar?“, meinte Skyler mit süßlichem Lächeln. „Aber sie ist ja sooo talentiert, laut unserer Anführerin!“
„Halt dein dummes Maul!“, fauchte Faith zu den beiden hinüber. Mittlerweile waren die Jungen aufmerksam geworden und hatten ihr Training unterbrochen. In großen Sätzen kam Cole rüber gelaufen.
„Was ist passiert?“, fragte er besorgt und kniete sich neben Amy auf den Boden.
„Den Sittich hat sie gemacht“, höhnte Skyler hinüber. „Zusammen mit ihrem Talent abgestürzt!“, ergänzte Valentine. Faith bekam am Rande mit, wie die anderen Mädchen versuchten, Skyler und Valentine zu bremsen.
Inzwischen hatte Cole es geschafft, Amy auf die Beine zu stellen und stütze sie. Besorgt schaute er sie an. „Ich bring dich erstmal rüber zur Bank, OK?“, sagte er leise.
Unter Schmerzen lächelte sie ihm zu. „Danke, Cole.“
Zitternd stand Faith auf dem Feld und blickte Cole und Amy nach. Cole hatte seinen Arm und Amy gelegt und sie humpelte an seiner Seite langsam zur Bank.
Skyler und Valentine machten immer noch abfällige Bemerkungen, allerdings tuschelten sie jetzt mehr miteinander.
Faith fühlte, wie wieder eine Welle Zorn in ihr hochstieg und ihr die Tränen in die Augen stiegen. Die Jungen hatten natürlich auch ihr Training unterbrochen, da Cole sich um Amy kümmerte. In kleinen Gruppen standen sie beieinander und unterhielten sich miteinander.
Evan warf einen Blick zu der Cheerleader Gruppe hinüber und sah Faith etwas abseits stehen, die Hände in den Hüften - und Tränen in den Augen.
Langsam und eher wie zufällig löste er sich aus der Gruppe und ging zu Faith hinüber. Aus den Augenwinkeln sah sie ihn kommen - und ihr Herz begann zu klopfen.
Er sah so guuut aus. Sein T - Shirt war verschwitzt und man sah deutlich seine Muskeln unter dem Shirt. Seine schwarzen Haare waren feucht und aufgrund dessen lockig geworden - einzelne Locken hingen ihm in die Stirn. Als er vor ihr stand, musterte er sie aufmerksam.
Faith versuchte zu lächeln, doch sie war zu aufgewühlt. Evan kam noch einen Schritt näher. Oh Gott. So nah...
„Hey“, sagte er leise. „Das mit Amy wird schon wieder. Sicher nur eine Verstauchung.“
Nun brachte Faith doch ein zaghaftes Lächeln zustande. „Ach weißt du“, sagte sie und spürte wieder den Kloß im Hals. „Es ist gar nicht mal die Verletzung. Es ist die Reaktion von Skyler und Valentine. Ich kann es einfach nicht glauben, wie sie sich aufgeführt haben. Das macht mich rasend - Und gerade das kann Amy jetzt als letztes gebrauchen...“ Sie biss sich auf die Lippen.
Evans schwarze Augen blickten zärtlich auf Faith. Diese hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und rang um Fassung. Erst der Unfall, dann der Shitstorm von Skyler und Valentine - und jetzt Evan, der so nah bei ihr stand.
Evan fühlte wie aufgewühlt Faith war. Sanft ergriff er ihre Hände und zog sie von ihrem Gesicht weg, so dass er ihr in die Augen blicken konnte.
„Du hast Recht, das war mehr als mies. Aber lass das nicht so an dich ran. Von denen ist nichts anderes zu erwarten...“ Ein verächtlicher Blick traf die beiden Mädchen.
„Hey. Schau mich an. Amy hat dich. Und Cole. Die packt das weg. OK? OK??“
Mit klopfenden Herzen schaute Faith zu ihm auf... er war so nah.
Evan lächelte und streifte ganz leicht mit seinen Lippen Faith Stirn. Dann ging er langsam zu der Gruppe der Jungen zurück.
Amy saß mit angewinkelten Beinen auf der Bank und schaute dem Cheerleader Team zu, das das Training wieder aufgenommen hatte. Faith gab den Mädchen Anweisungen, wie sie ohne Amy weitertrainieren sollten. Zwischendurch blickte sie immer mal wieder fragend zu Amy herüber, aber sie gab ihr mit erhobenen Daumen zu verstehen, dass alles in Ordnung war.
So ganz stimmte das natürlich nicht. Ihr Knöchel schmerzte ziemlich und er schien auch anzuschwellen. Amy massierte ihn immer wieder kräftig mit den Fingern, um durch den Druck den Schmerz etwas zu betäuben.
Vielleicht hätte sie zum Arzt gehen sollen, aber alleine konnte sie nicht, und Faith hatte nun mal dieses wichtige Cheerleader Training. Cole wäre wahrscheinlich auch mit ihr gefahren, aber die Jungen hatten ihr genauso wichtiges Footballtraining. Und jemand von zu Hause ... sie lachte kurz auf.
Also hatte sie sich zusammengerissen und die Angelegenheit etwas heruntergespielt.
Einen Moment lang hatte sie überlegt, ob sie wirklich weiter zuschauen sollte, nach Skylers und Valentines höhnischen Kommentaren, die sie trotz ihrer Schmerzen sehr wohl mitbekommen hatte. Aber das lief letztendlich auf das gleiche Problem hinaus. Alleine konnte sie nirgendwo hin - und wo hätte sie auch schon hin sollen?
Plötzlich fiel ein Schatten über sie. Amy blickte auf - und vergaß kurzzeitig ihren Schmerz, da ihr Herz anfing zu galoppieren. Vor ihr stand Steve Collins und lächelte auf sie herunter. „Hallo.“
„Hallo“, brachte Amy mühsam heraus und überlegte krampfhaft, wohin sie schauen sollte. „Darf ich?“, fragte er, wartete die Antwort allerdings gar nicht ab und setzte sich neben sie auf die Bank. Er blickte zum Cheerleader Team hinüber und beobachte eine Weile ihr Training. Amy versuchte die Zeit zu nutzen, um sich wieder zu fangen. Da wandte er sich ihr auch schon zu.
„Was ist mit dir?“, fragte er freundlich und machte eine Kopfbewegung zu den trainierenden Mädchen hinüber. „Umgeknickt“, sagte sie und lächelte unsicher. „Oh…“ Sein Blick wurde besorgt. „Wo denn? Darf ich mal sehen?“
Stumm deutete sie auf ihren rechten Knöchel. „Darf ich?“, fragte er noch einmal und begann behutsam, ihren geschwollenen Knöchel abzutasten. Amy hielt den Atem an.
Mit großen Augen schaute sie zu, wie er ihren Knöchel untersuchte. Am liebsten hätte sie ihre Augen geschlossen, als sie seine vorsichtigen Finger auf ihrer nackten Haut fühlte. Irgendwie brachte sie es fertig, weiterzuleben. Schließlich blickte er auf und lächelte.
Oh Gott, da war es wieder, dieses Lächeln, nach dem die sich so gesehnt hatte, und es galt nun ausschließlich ihr. Und doch konnte sie dieses Lächeln kaum ertragen. Sie senkte den Blick. „Ich glaube, es ist nur eine Verstauchung. Aber du solltest kühlen“, sagte er.
Amy nickte mit leichtem Lächeln. „Ja, das mache ich später ...“
„Aber wirklich, ja?“ Wieder dieses Lächeln. „Wie kommst du denn gleich nach Hause - Soll ich dich fahren?“
„NEIN!“, entfuhr es ihr heftig. Alles bloß das nicht!!! Im Augenblick war es zuhause zwar erträglich, aber das konnte sich stündlich ändern. Außerdem sollte er nicht sehen, wo sie wohnte. „Nein, ich will nicht nach ... ist schon gut. Ich warte noch auf Faith und Cole...“
Prüfend sah Steve Collins sie an. Sie wirkte ziemlich nervös, wie meistens in seiner Gegenwart. Doch er sagte nichts mehr. Stattdessen stand er auf. „So, dann werde ich jetzt auch weiter. Ich muss heute noch zum Flughafen. Meine Frau abholen.“
„Ja“, sagte sie so leise, dass er sie kaum verstand. „Ich weiß.“ Er wollte sich zum Gehen wenden, zögerte dann jedoch und beugte sich zu ihr vor.
„Amy ...“, begann er. Sie blickte zu ihm auf. Irgendetwas in ihrem Blick hinderte ihn daran, weiter zu sprechen, dabei hatte er sie fragen wollen, ob wirklich alles in Ordnung war. So schaute er sie nur stumm an.
„Gute Besserung“, sagte er schließlich nur und richtete sich wieder auf.
„Danke...“, brachte sie schüchtern heraus. Er nickte ihr noch einmal mit einem leichten Lächeln zu, wandte sich dann um und ging, nicht ohne eine gewisse Verwirrung.