Hinter der Hecke
Es war Herbst, die bunten Blätter flogen lustig im Wind und stoben über die Hauptstraße, als wäre es schon immer ihre Bestimmung gewesen. Wie jeden Morgen fuhr sie die Dorfstraße entlang, vorbei an den großen Bäumen, die jetzt mit Gewalt ihr Blattkleid los werden wollten, entlang der hohen Hecke, hinter der sich das alte, rote Backsteinhaus verbarg. Es stand seit Jahren leer, ein Käufer hatte sich nie gefunden. Wer wollte auch schon in einem Dorf leben. Sie wollte in einem Dorf leben, sie tat es schon seit Jahren, in ihrem kleinen Hexenhaus, wie sie es selbst nannte, sie tat es gern. Hier gab es keine Hektik, hier war Ruhe, hier war das Leben, wie es sein sollte. Wie jeden Morgen, es war wie ein innerer Zwang, sah sie durch die Hecke hin zum alten Backsteinhaus.
Fast erschrak sie, sie war darauf nicht vorbereitet, ein großes, weißes Auto stand davor. Ab heute, dachte sie, wird alles anders. Warum sie das dachte, wusste sie nicht.
So vergingen die Tage, wieder fuhr sie die Straße entlang, wieder sah sie durch die Hecke. Tag täglich gab es etwas Neues zu sehen. Einmal ein Bagger, mal ein LKW. Es war klar, dass umfangreiche Umbauarbeiten im Gange waren. Ein wenig fürchtete sie man würde die durchlässige Hecke gegen eine Mauer tauschen. Und immer wieder stand das schöne, weiße Auto davor.
Zum ersten Mal sah sie ihn im Bäckerladen, er stand neben ihr, ruhig, zurückhaltend fast schüchtern. Ihre Blicke trafen sich kurz, als sie den Laden wieder verlassen wollte.
Seit diesem Tag sah sie mit anderen Augen durch die Hecke.
Es flogen keine Blätter mehr, der Regen hatte sie abgelöst. Morgens war es dunkel, oft fiel Nebel auf die Wege und Straßen. Dennoch, wie jeden Morgen, sah sie durch die Hecke.
Hinter einem Fenster, vielleicht war es die Küche, sie wusste es nicht, machte sie einen schwachen Lichtschein aus. Der wärmte ihr Herz.
Der Schnee ersetzte den Regen. Auf den Fensterbänken lag er, wie dicke, weiße Kissen. Eisblumen wuchsen auf den Scheiben. Der Lichtschein, im Fenster des großen Hauses, glitzerte auf den Schneekissen. Fast schien er zu sagen: „Komm doch herein.“
Doch sie fuhr weiter, wie sie es jeden Morgen tat.
Weihnachten kam, Neujahr ging vorbei. Es war still in den Straßen, der Schnee hüllte das Dorf in Schweigen.
So verging der Januar. Der Februar kam, die Kissen auf den Fensterbänken wurden dünner, leise tropften sie zu Boden. Die Eisblumen welkten unter den ersten wärmenden Strahlen der Sonne. Schneeglöckchen bahnten sich ihren Weg an das Licht gefolgt vom Märzbecher. Das Klima wurde wieder angenehmer, der raue, kalte Winter war überwunden. Als die Narzissen das Licht der Welt erblickt, es war an einem schönen Frühlingsmorgen fast schon zu warm für diese Jahreszeit, sie fuhr wieder an der hohen Hecke entlang, da sah sie ihn wieder. Er saß vor dem Haus, als würde er auf etwas warten, er wirkte verloren. Schnell sah sie weg, es war ihr peinlich, er hätte ja denken können das sie ihn beobachtet und er hätte recht gehabt. So fuhr sie wieder jeden Morgen. Es tat ihr fast weh, wenn sie ihn dort so traurig und verloren sitzen sah. Sie war nicht mutig. Sie dachte nach, war aber unschlüssig. Im Geiste spielte sie verschiedene Situationen durch, was ihr nicht half. Sie stellte fest
dass sie sich immer beeilte, bis sie zu der Hecke kam, danach wurde sie jedoch bedeutend langsamer.
An einem Tag, die Luft war erfüllt vom Duft des Lavendels, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. Sie zog ihr schönstes Kleid an, nahm einen Korb und füllte diesen mit einem Baguette, mit Käse sowie einer guten Flasche Wein. Damit machte sie sich zu Fuß auf den Weg zum großen Backsteinhaus. Ihr Gang wurde mit jedem Schritt langsamer, aber sie zwang sich, mit klopfenden Herzen weiter zu gehen. Sie blieb kurz stehen, bevor sie um die Hecke ging, um tief Luft zu holen. Sie war froh, als sie bemerkte, dass er nicht vor der Tür saß. Mit pochendem Herzen klopfte sie an seine Tür. Schneller als gedacht wurde sie geöffnet. Er stand da im Türrahmen, musterte sie von oben bis unten und betrachtete ihren Korb. Er lächelte. Er drehte sich herum, griff nach etwas, dann hielt ihr einen Korb entgegen, der bestückt war mit Käse, Wein und einem Baguette. Er sagte: „Herzlich willkommen, genau das hatte ich auch gerade vor.“ Er nahm sie bei der Hand, um mit ihr in den neu angelegten Garten zu gehen. Sie setzten sich auf den Rasen, nahe dem Lavendel und picknickten. Als die Sonne unterging, küssten sie sich das erste Mal.
Von diesem Tag an gingen sie jedes Jahr, wenn der Lavendel zu blühen begann, zusammen in den Garten.