In der Nacht war Cesing so anders als am Tag. In der Nacht besaß die Stadt so viel mehr Gesichter als das eine strahlende und bunte, das sie am Tag besaß. Die Nacht war viel bunter. Es war die Zeit, wo Diebe ihr Werk verrichten, am Tag ehrenhafte Menschen in Schlägereinen gerieten, eine Zeit des Risikos und der Gefahr. Die vernünftigen Menschen verschlossen ihre Türen und Fenster und sperrten die Finsternis und das was darin lauerte, aus. Aber war sie jemals vernünftig gewesen? Nian trug mehrere Messer bei sich, ihr Schwert wäre ihr zwar lieber, aber es trug nun einmal das Zeichen der kaiserlichen Armee und das würde ihre Vertrauenswürdigkeit noch mehr verringern. Und sie wollte ja grade das Vertrauen der Rebellen gewinnen.
Sie sah sich um. Auf der anderen Straßenseite torkelten zwei Männer, die schon zu tief ins Glas geschaut hatten. Sie ging an einer Teestube vorbei, die jetzt noch geöffnet hatte. Aber es waren keine Teestuben, die sie suchte. Hier waren die Straßen noch zu sauber, hier waren keine Geheimnisse, die es sich zu entschlüsseln lohnte. Nian ließ die reicheren Viertel hinter sich und trat in die verschlungenen Gassen. Ratten huschten umher und es waren schon deutlich mehr Betrunkene zu sehen. Es stank nach Verdorbenen und Exkrementen und Nian achtete genau darauf, wohin sie trat. Unter einer Brücke fand sie eine Taverne. Dicker Tabakrauch schlug ihr entgegen, als sie die Tür öffnete. Mit tränenden Augen sah sie sich um. Hier war sie richtig. In solchen Tavernen wurden Rachepläne geschmiedet. Sie drängte sich an Männern mit Tonpfeifen vorbei und trat an die Theke. Einige Männer, die sich ein Glas nach dem anderen Reichen ließen, saßen dort.
"Einer von deinem billigen und was hast du zu essen?". Nian war niemand der sich allzu gerne betrank, aber hier her kam niemand, der Wasser trinken wollte. Abgesehen davon, dass der Wein wahrscheinlich gesünder und sauberer war als das Wasser.
Der Wirt wischte sich die Hände an der blutigen Schürze ab.
"Reis mit Gebratenem Fisch oder Nudeln.".
"Ich nehme den Reis mit Fisch.". Nian warf ihm drei Kupfermünzen zu. Der Wirt biss zur Prüfung hinauf und nickte.
Die Sebetjh ließ sich an einen leeren Tisch gleiten. Mit einem Tuch wischte sie angewidert eine Pfütze von Erbrochenem weg. Überall stank es nach Pfeifenrauch, Erbrochenem, Schweiß und verbranntem Essen. Der Raum war klein, eng, verwinkelt und wurde von dicken Holzpfeilern gestützt, wobei auch einer an ihrem Tisch stand. Nian Strich über das raue Holz, die vielen Kerben zeigten davon, dass es auch hier nicht immer friedlich zuging. Nian musterte die Menschen, sie war die einzige Frau hier. Oh ja, sie war sich sicher, dass sich hier Rebellen trafen. Soldaten, Bauern, alte Veteranen und ein paar Beamten. Nian sah in die Ecken. Dort. In einer saßen mehrere Männer. Ihre Gesichter waren von dunklen Kapuzen bedeckt, die Kerzen waren ausgedrückt wurden und vor ihnen standen einige halb volle Gläser.
Der Wirt stellte das Essen ab und Nian betrachtete den verbrannten Fisch und den klumpigen Reis. Sie nahm einen Schluck von dem billigen Reiswein - und bereute es sofort. Sie versuchte das Würgen zu unterdrücken und das Getränk nicht auszuspucken. "Gut, was?". Der Wirt klopfte ihr auf den Rücken und grinste sie mit seinen schwarzen Zähnen an. Du hast auch noch nie den Wein für die oberste Heerleitung gekostet, würde sie am liebsten erwidern, schwieg dann aber. Sie griff nach den Stäbchen und probierte von dem Reis. So schlecht war es noch nicht einmal. Es war nicht der feine Reis, den sie normalerweise vorgesetzt bekam, aber es war durchaus annehmbar. Besser als der Fraß, den der gewöhnliche Soldat vorgesetzt bekam, war es allemal.
Sie merkte, das sie beobachtet wurde und starrte die Männer, die sie als Rebellen vermutete, nur an. Einer von ihnen setzte sich ihr gegenüber.
"Versuche weniger fein zu essen und halte dich nicht so grade.", erklärte der Mann ihr, "Man sieht dir an, dass du nicht von hier bist.".
Er musterte sie, die feinen Narben, die ihr Gesicht kennzeichneten, das dunkle Haar.
"Und man sieht dir an, dass du es gewohnt bist, zu kämpfen.", stellte er fest, "Außerdem magst du den Wein nicht, den hier jeder trinkt.".
Von ihm konnte sie nichts erkennen, außer die hellen Augen, die sie aus den Schatten heraus beobachteten.
"Und wenn das so sein sollte?", entgegnete sie kühl.
"Es ist so.". Seine Stimme war dunkel und und klang so als ob er es gewohnt war Befehle zu geben und dafür Gehorsam zu erhalten.
"Normalerweise stellen sich meine Gesprächspartner vor, um nicht unhöflich zu erscheinen. Und du bist vom Heer oder Adel.".
Er lachte, ein dunkles kehliges Lachen, von dem sie sich nicht sicher war, ob es ernst gemeint war.
"Ich bin Diong Suyechan und ja ich bin ehemaliger Offizier.".
"Entlassen oder desertiert? Ich bin Wu ."
"In Ehren entlassen, aufgrund einer Kriegsverletzung.". Seine Stimme tropfte von Sarkasmus. "Ist die Bezahlung immer noch so mies wie vor vier Jahren?".
"Schlimmer.", Nian versuchte ihre ganze Verachtung in ihre Stimme zu legen, "Und die Disziplin ist auf dem untersten Niveau. Ich würde mich wundern, wenn Frauen überhaupt noch dem Heer beitreten würden. Die Befehle sind sinnlos und blutvergießend und diese Kaiserin, ich habe sie noch nie gesehen. Ich würde mich nicht wundern, wenn es sie gar nicht gäbe.". Sie endete und starrte möglichst missmutig ihr Glas an.
"Ich weiß, wo du besser aufgehoben wärest.".
Er griff nach ihrem Glas und nahm einen Schluck. Er sah sie an.
Das Rauschen des Flusses drang schon bald zu ihnen. Der Dzengin war ohne Zweifel ein mächtiger Fluss. Die Geräusche des Waldes wurden neben der gewaltigen Geräuschkulisse des Flusses unwichtig.
Hjorgcai sah sich um.
"Wir haben jetzt das Gebiet der Beychin erreicht und das des Khans hinter und gelassen.", erklärte sie.
"Sind sie unsere Feinde oder unsere Freunde?", fragte Sjavkonhkar, der als Löwe neben ihren Pferden herlief.
"Die Sippe der Beychin sind Grenzgänger.", meinte Hjorgcai über den Fluss hinweg, "Grenzgänger zwischen dem Volk der Sebetjh und dem Volk der Aweynche. Sie schwenken ihre Fahnen nach dem Wind, sie dienen dem, der besser bezahlt.". Sie grinste. "Im Moment dienen sie aber dem Khan, soweit sich das in der Zwischenzeit nicht geändert hat. Aufpassen würde ich trotzdem, wir verdoppeln heute Abend am Besten die Wachen. Ich glaube trotzdem, dass sie uns ungehindert ihr Gebiet durchreisen lassen, obwohl ich verbannt bin, ihr jetziger Anführer ist der Sohn der Schwester meines Vaters.". Sie sah in den Himmel und zog die Brauen hoch. "Es dürfte bald Regen geben.". Regen war im Land der Aweynche selten, im Sommer trockneten nicht wenige Flüsse aus, im Winter und Herbst war Regen häufiger. Im Winter schneite es sogar in den höheren Regionen.
Drei Tage waren vergangen, seitdem sie das Lager des Khans verlassen hatte. Drei Tage, in denen sie die Steppen hinter sich gelassen hatte und erneut in die Norekjer-Wälder geritten waren. Und in dieser Zeit waren sie tatsächlich eine Gemeinschaft geworden und ihr Volk und ihre Niederlage war in die Ferne gerückt. Jetzt richteten sich ihre Gedanken erst einmal auf Cesing. Cesing und das Volk der Sebetjh. Sie hatte viel über dieses Volk und ihre Stadt gehört, viele Geschichten, die meisten sprachen von Grausamkeit und der Merkwürdigkeit dieses Volkes, einige wenige erzählten voller Bewunderung. Nun würde sie die Wahrheit kennen lernen.
Der Wald tat sich vor ihnen auf und offenbarte die tosende Schönheit des Dzengin. Wassermassen rauschten vor ihnen über eine Kante und bildeten einen Wasserfall. Ihre Stute drängte an das Wasser und Hjorgcai ließ sie gewähren. Steine knirschten unter den Hufen ihrer Stute und Wasser spritzte auf. Neben ihr stieg Joshua ab und tränkte seinen Hengst ebenfalls. Auf einmal klatschte eine Ladung voller Wasser ihr ins Gesicht und kühl rann es ihren Nacken herab. Mit offenen Mund sah sie ihn an. Das hatte niemand mehr gewagt, seitdem sie mit ihren Brüdern herum getollt war. Niemand. Aber er, er grinste über das ganze Gesicht. Das würde sie ihm schon austreiben. Hjorgcai griff über ihre Schulter und holte einen Pfeil aus ihrem Köcher, den sie blitzschnell in ihren Bogen einlegte. Sie zielte auf Joshua, dann ließ sie den Pfeil über seinen Kopf in das Dickicht sausen.
"Ich muss schon sagen, Hjorgcai, deine Schießkünste haben sich nicht verschlechtert.".
Ein Mann war hinter Tabita aufgetaucht, die auf einem Stein saß. Auch über seine Schulter hing ein Bogen und an seiner Hüfte ein Khelm, aber er machte keine Anstalten die Waffen zu ziehen.
"Und du bist noch lauter beim Anschleichen geworden.", entgegnete sie. Lachend sprang sie vom Pferd und ging ihrem Cousin entgegen.
Er lauschte in den Wald.
"Pscht. Ich war nicht hier, ja. Wir spielen Fuchsjagd zur Feier meiner Hochzeit und meine Frau führt die Jagd an.". Er trieb sein Pferd in den Fluss, der an dieser Stelle recht seicht war und verschwand in den Wäldern am anderen Ufer. Hjorgcai sah die anderen warnend an und meinte damit in etwa: wenn ihr etwas verratet, dann räche ich mich dafür
Wenig später ritten sechs Reiter an den Fluss, angeführt wurden sie von einer Frau, die nicht älter als sie selbst war. Die Frau trug Jagdkleidung und kein Kleid, sie ritt auf einem Schimmel. Einer der Männer aus ihrer Gruppe erkannte sie und rief ihren Namen.
"Hjorgcai?", die Braut ihres Cousins betrachte sie prüfend.
"Ist er hier vorbeigeritten?", fragte sie und zeigte damit, dass sie nichts gegen sie tun würde.
"Nein.", entgegnete sie.
Die Frau musterte sie.
"Doch, ist er.", erkannte sie.
"Ich bin Neke Kaburta. Ihr könnt euch meiner Gruppe anschließen, wenn ihr schnell reitet.", erklärte sie.
Hjorgcai lief zu ihrer Stute und sprang in den Sattel.
"Kommt.", rief sie den anderen zu, "Eine aweynchische Hochzeit erlebt man nicht alle Tage.".
Sie folgten der Gruppe um die Braut, die den Fluss durchquerte. Lachend ritt Hjorgcai durch den Dzengin. Wasser spritzte hoch und durchnässte ihre Stiefel. Sie wusste jetzt schon, dass sie sich später darüber ärgern würde. Ihre Stute fing an zu galoppieren und bald hatte sie die Truppe um die Braut eingeholt. Diese war abgesessen und betrachtete den Boden.
"Er ist da lang geritten.", rief sie und sprang auf ihr Pferd, um gleich darauf wieder loszupreschen. Ihr dunkles Haar flatterte hinter ihr im Wind.
Hjorgcai fühlte sich so wunderbar, es tat gut unter Menschen ihres Volkes zu sein, die sich nicht an ihr störten und sie akzeptierten. Langsam fing auch an die Jagd Spaß zu machen, längst stand sie auf der Seite von Neke Kaburta, ihr Cousin hatte ruhig eine Lektion verdient.
"Dort.", rief Schattenklinge und zeigte auf eine Gestalt, die im Schatten der Tannen verschwand.
"Hört zu, wir umstellen ihn. Er will zum Bach, weil er denkt, dass er dort seine Fährte verwischen kann. Ihr drei reitet darum, ihr da nach Osten, Hjorgcai und du da, ihr kommt mit mir.". Sie zeigte auf Sjavkonhkar, der sich in seiner menschlichen Gestalt gegen einen Baumstamm lehnte.
Die Gruppen teilten sich auf und ritten in den Wald. Hjorgcai und Sjavkonhkar folgten Neke Kaburta in den Wald, sie würden zu diesem Bach reiten und dem Bräutigam so den Weg abschneiden. Zweige schlugen ihr ins Gesicht und ihr Pferd sprang über einen umgestürzten Baumstamm. Die Pferde preschten im rasenden Galopp über Gestrüpp und Felsen. Sie ritten eine Steigung hinauf und unter ihnen floss ein kleiner Bach. Die Braut trieb ihre Stute den Abhang hinunter und blieb dort stehen. Ein Reiter wendete im letzten Moment sein Pferd, um nicht mit Neke Kaburta zusammen zu stoßen, die nicht die geringsten Anzeichen gemacht hatte, zur Seite auszuweichen. Ihr Cousin, der den Fuchs spielte, wollte sein Pferd über den Bach treiben, aber Neke Kaburta längte ihr Pferd erneut dem Seinen in den Weg.
"So nicht mein Lieber.". Er wendete seinen Hengst erneut, um zurück in den Wald zu reiten, aber das Gefolge der Braut machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Von allen Seiten war er umkesselt, jeglicher Fluchtweg von Pferdeleibern versperrt. Neke Kaburta stieg in ihrem Schimmel und nahm Hjorgcais Cousin die Felskappe ab, die ihn als Fuchs kennzeichneten. Sie setzte sie sich selbst auf.
"Hjorgcai. Willkommen, Cousine.", meinte ihr Cousin freundlich, seine Niederlage schien ihm überhaupt nichts auszumachen. "Stellst du mir deine Begleiter vor?".
Joshua trat vor: "ich bin Joshua Kijoskay.".
"Ich bin Tabita Ikjoskay.", stellte sich seine Schwester vor.
"Narichre Nerilne.".
"Darl Schatzenklinge.".
"Sjavkonhkar Rahinnak.".
"Willkommen in meinem Gebiet", begrüßte Er sie, "ich bin Reyncher.".
In diesem Moment öffnete der Himmel seine Schleusen, dicke Regentropfen tränkten den Boden und schenkten den Bäumen Wasser. Schon nach wenigen Sekunden waren sie komplett durchnässt.
Neke Kaburta trieb ihr Pferd an und wies sie an ihnen zum Lager zu folgen. Doch Hjorgcai schüttelte den Kopf.
"Wir kommen nicht mit euch. Wenn wir zu lange warten, wird der Fluss anschwellen, der die Grenze zu Sahres bildet und wir werden ihn nicht mehr überqueren können.", erklärte sie.
"Dann ein gutes Pferd und eine weite Ebene. Auch wenn sich mir der Sinn eures Ziels verschließt.", meinte Reyncher.
"Ein gutes Pferd und eine weite Ebene.", wünschte auch Hjorgcai, "Eines Tages werden wir uns Wiedersehen und ich hoffe, dass wir uns dann immer noch Freunde nennen.".
Dann wandte sie sich von der Hochzeitsgesellschaft ab und ritten wieder in den Wald.
Regentropfen und Nässe kennzeichneten ihren Weg. Die Nässe drang selbst durch die dicken Pelze von Hjorgcai und verursachten ihr eine Gänsehaut.
Nach mehreren Stunden Ritt traf der Dzengin, dem sie bisher gefolgt waren, auf einen anderen Fluss.
"Das ist der Sijatschan .", erklärte Hjorgcai, "Der Grenzfluss zwischen Sahres und Sehjoldon.".
Tabita betrachtete das tosende Wasser, sie tastete nach dem Bogen, den Hjorgcai ihr erneut gegeben hatte. Nun würde er in seine Heimat zurück kehren. Sie schüttelte sich die Regentropfen aus dem Gesicht und seufzte, was ihr jetzt am meisten fehlte, war ein weiches Bett.
Sie sah zu Hjorgcai, die ihre Stute in das tobende Wasser trieb. Ihr folgte Darl Schattenklinge, das Lächeln immer noch auf dem Gesicht. Danach kam Joshua wie immer grinsend, auch wenn die Müdigkeit auch ihm sicher in den Knochen saß. Zögernd folgte Tabita Sjavkonhkar, der sich als Löwe gegen die Strömung stemmte. Unter sich sah sie Steine, in leuchtenden Gelbtönen, Fische, einer herrlicher als der Nächste, die dahin glitten. Ob es hier wohl auch Nixen gab, wie in den Gewässern ihrer Heimat? Doch bisher hatte sie keine einzige ihrer Schuppen erblicken können. Ihr Blick richtete sich nun auf das Ufer, das auch von Wäldern gekennzeichnet war. Ihr Pferd kämpfte sicher gegen die Strömung an und sicher geleitete es sie an das Ufer. Erschöpft ritt sie zu den Anderen, die sich am Ufer schon versammelt hatten.
"Jetzt haben wir eine uralte Grenze überschritten und sind nun im feindlichen Gebiet.". Hjorgcai sah nicht so aus, als ob sie das sonderlich sorgen würde. Selbst de Regentropfen hatten das Lächeln nicht von ihrem Gesicht wischen können.
"Willkommen in Sahres", erklärte auch ihr Bruder. Sahres, Tabita sah sich um. Wälder füllten Ihr Sichtfeld aus. Nun hatte sie sich grade an Sehjoldon und die Kultur der Aweynche gewöhnt und nun waren sie in einem völlig anderen Land. Einem Land namens Sahres.
"Wenn du aktiv gegen das Regime handeln willst und bereit bist Opfer zu erbringen, dann bist du bei uns richtig.". Diong sah sie schweigend an und Nian erkannte, dass er eine Antwort erwartete.
Sie stürzte den Kopf auf die Hände, als ob sie nachdenken müsste. Dann blickte sie ihn an.
"Ich bin dabei. Wann trefft ihr euch?".
"Langsam!", Diong lachte auf. "Ich muss das mit den anderen besprechen. Morgen gleicher Ort gleiche Uhrzeit.".
Nian nickte, sie hatte nichts anderes erwartet. Der Rebell stand auf und winkte ihr noch einmal zu.
Nian stand ebenfalls auf und würdigte ihr Essen mit keinem Blick. Sie trat über einem an Boden liegenden Betrunkenen und öffnete die Tür, um dem Pfeifenrauch zu entkommen. Aber das Spiel war noch lange nicht zuende, es hatte grade erst begonnen. Natürlich würden Diongs Männer oder sogar er selbst sie verfolgen, um sie und ihre Geschichte zu überprüfen und genau deshalb durfte sie sich auch keinen Fehler erlauben und musste aufmerksam sein. Ihre eine Hand lag am Messergriff, bereit dieses zu ziehen, sobald sie eine Bewegung in den Augenwinkeln wahrnehmen würde. Ebenfalls schlug sie den Weg zu den Kasernen ein und nicht den zum Palast.
Die Finsternis hielt die Stadt noch umklammert, aber der erste Schimmer von Rot kündete den Tag an. Mit dem Rot erwachte die Stadt, aber die Gefahr war deswegen noch lange nicht gebannt. Sie wich erneut ein paar Betrunkenen aus, die über die Straße torkelten. Ihnen folgte ein Schwein, das im Straßendreck nach Nahrung suchte. Nian trat über einen Haufen von welken Salat hinweg, der schon verdächtig stank, was das Schwein aber nicht zu stören schien. In diesem Moment hörte sie ein Geräusch, zog ihr Messer und fuhr herum. Vier Männer mit verhüllten Gesichtern und dunklen Umhängen kamen auf sie zu. Sie schnaubte verächtlich, Diong war leicht zu durchschauen, so leicht. Er musste überprüfen, dass er sich in ihr nicht täuschte und sie in seinem Team zu gebrauchen war.
"Ich habe kein Geld.", rief sie den Kapuzengestalten zu, diese liefen unbeirrt weiter und bestätigten sie damit in ihrem Wissen. Nian beschleunigte ihre Schritte und stellte sich an der Ecke auf. Sie hielt ihr Messer bereit und als der erste Mann um die Ecke kam, stach sie zu. Ein Schmerzensschrei ertönte, aber Nian hatte absichtlich in eine weniger gefährliche Region gezielt, was nicht verhindere, dass der Mann zu Boden sank. Bevor die anderen sich von dem Schreck erholten, sprang sie unter sie. Nian hatte sechzehn Jahre Erfahrung im Heer und konnte dementsprechend gut kämpfen und die Schwächen und Stärken ihrer Gegner abschätzen. Bevor die Männer reagieren konnten, schlug sie zweien die Waffen aus der Hand und drückte dem anderen ihre Klinge an den Hals.
"Geht und sagt eurem Herrn, dass ich nicht mit mir spielen lasse.", wisperte sie dem Mann ins Ohr. Sie stieß ihn gegen seine waffenlosen Gefährten, die ihn auffangen mussten und so keine Gelegenheit hatten von weiteren Waffen Gebrauch zu machen.
"Und wagt es nicht, mich von hinten anzugreifen.", warnte sie die Vermummten und sprach kurz darauf aus, was sich schon viele Soldaten über sie erzählten, "Ich kann auch vom Hinterkopf aus sehen.".
Zufrieden wandte Nian sich um, sie dürfte die Prüfung bestanden haben.
Doch da fuhr eine Klinge von oben herab. Nian konnte ihr erst im letzten Moment durch einen Rückwertssalto ausweichen. Beinahe rutschte sie aus und konnte sich erst im letzten Moment an einer Hauswand abstützen. Dies nutzte ihr Gegner aus und sein Schwert fuhr von oben herab. Sie duckte sich unter der Schwertklinge hinweg, rannte auf ihn zu und boxte ihm in die Magengrube. Er krümmte sich zusammen, erhob aber dennoch sein Schwert zur Verteidigung und Nian wich zurück. Er besaß ein Schwert, sie mehrere Messer. Eine Messerklinge gegen ein Schwert zu stemmem, wäre nur sinnlose Kraftverschwendung. Er hatte ohne Zweifel die besseren Waffen und das bedeutete, dass sie andere Wege gehen musste. Sie fing an um ihn herum zu tänzeln. Sein Schwert peitschte wild durch die Luft und traf jedes Mal nur nichts. Dieser Kampf musste ihn ermüden und schon nach einer Weile bemerkte Nian, dass seine Bewegungen schleppender würde und seine Deckung nicht mehr so gut wie vorher war. Sie sah ihren Moment gekommen, tauchte unter der Schwertklinge hinweg und hielt ihm ihr Messer an die Kehle.
"War der Kampf zu deiner Zufriedenheit? Diong.", flüsterte sie spöttisch.
Er erwiderte nichts und Nian stieß ihn gegen die Hauswand. Sie sprang auf und lief zurück in die Straßen von Cesing, einer Stadt, die das Gesicht der Nacht nun abgelegt hatte und die Grausamkeit hinter einer Maske von Glück und Freude verborgen hatte.