Die Welt schien die Luft anzuhalten. Alle sahen auf den Bogen. Die Kaiserin, ihre Wachen, Acheving, Schattenklinge, Joshua und die anderen, sie alle. Dieser Bogen, der nicht der wahre war. Wo war der echte? Wo war er? Am liebsten würde Tabita diese Frage in den Raum schreien. Aber sie tat es nicht, denn sie fürchtete sich vor der Antwort. Fassungslos starrte sie den Bogen an, alles war umsonst gewesen, alles. Es war, als sah sie alles durch einen Schleier hindurch. Die Kaiserin, die aufstand. Sjavkonhkar, der seine Wut in einem Schrei ausdrückte. Sie sah alles und bekam doch nichts mit. Tränen rannen ihr über das Gesicht, denn es würde keine baldige Heimkehr geben und wenn dann würde es eine Flucht sein. Die Hoffnung auf den Frieden zwischen den Völkern Anthars und dem Volk der Sebetjh war verschwunden und vergessen - es würde keinen Frieden geben. Dioargchie schrie Befehle und Tabita verstand nur Bruchstücke von Tod und Gefangenschaft. Befehle, die sie nicht verstehen wollte.
„Mutter. Nian war bei ihnen. Wusste sie von dem Bogen? Hat sie ihn gesehen? Dann kann sie als Zeugin aussagen und vielleicht weiß sie, wo der Bogen hin ist.". Acheving schien noch Hoffnung zu sehen, genug Hoffnung um zu handeln.
„Nian. Sucht sie, bringt sie her.", befahl die Kaiserin, „Und nehmt diese...Gesandtschaft gefangen.". Aus ihren Worten klang der Hohn – und Tabita ergriff die Wut. Sie hatte sich nicht auf diese Reise gemacht, um in einem Kerker dieser Stadt zu enden. Sie wollte den Wind spüren und wieder mit Ketylèn spielen. Sie ergriff ihre Partisane und sah, dass die anderen ebenfalls handelten. Die Palastwachen rannten auf sie zu und Hjorgcai schickte ihnen sogleich Pfeile entgegen. Schattenklinge und Sjavkonhkar machten sich in der Zwischenzeit daran die Hallentore zu öffnen. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis die Tore sich öffneten und einen Weg in die Freiheit zeigten. Tabita folgte den anderen, während Hjorgcai sie von hinten mit ihren Pfeilen deckte und die Palastwachen aufhielt. Dann rannten sie durch die Gänge. Wo entlang hatte Acheving sie geführt? Wo war der richtige Weg? Panisch sah Tabita sich um und erkannte, dass Dutzende von Wachen ihnen folgten. Hjorgcai schickte ihnen im Laufen zwar immer noch Pfeile entgegen, aber auch ihr Köcher würde früher oder später nichts mehr hergeben. Tabita hatte keinen Blick für die prächtigen Wandgemälde übrig, die den Gang schmückten und sie ignorierte auch die Dienerinnen, die ängstlich zurück in die Räume rannten, aus denen sie gekommen waren. Wo war ein Ausgang? Sie jappte nach Luft, warum war sie nur nicht so trainiert wie ihr Bruder? Ihr Bruder? Wo war Joshua? Da, er lief hinter ihr und half Hjorgcai sie von hinten zu decken. Sie atmete erleichtert auf. Sjavkonhkar hatte ein Tor aufgeschlagen und vor ihnen führte ein Weg in die Gärten. Sie hatte keinen Blick für die Kirschbäume und Seerosenteiche mit den Pavillons über. Sie interessierte sich nur für die Mauer, die die Gärten abgrenzte und ihnen den Weg in die Freiheit ermöglichen konnte. Tabita rannte quer über Blumenbeete. Etwas zischte über ihrem Kopf hinweg und bohrte sich in einen Baumstamm. Ein Pfeil, der nicht Hjorgcais war...Keuchend rannte sie weiter und warf einen Blick zurück. Waren die Wachen noch mehr geworden oder täuschte sie sich? Es waren mehr geworden, zu viele, als das die Pfeile der Aweynche etwas dagegen ausrichten könnten. Da tauchte die Steinmauer vor ihnen auf – und die Wachen umringten sie. Tabita wusste nicht, woher Hjorgcai das Seil hernahm, das über die Mauer flog. Sie war nur froh, dass Narichre die Mauer hinauf klettern konnte und in Sicherheit war. Ihr Adler Tcharon flog über ihnen und kratze den Soldaten die Augen aus. Tabita zog ihre Waffe und parierte den Schlag einer Wache. Ihr Vorteil war, dass die Wachen sie nicht töten wollten.
„Tabita komm.“, rief Narichre. Tabita sah das Seil an. Sie wich einer Klinge aus und ergriff es. Ein Schmerz Durchfuhr ihr Bein, als ein Soldat mit seiner Waffe nach ihr zielte. Sie zog sich hoch und erreichte die rettende Mauer. Narichre half ihr herunter und Tabita ließ sich auf die andere Seite fallen. Sicherheit.
„Verletzt?“, fragte Narichre besorgt.
„Nicht schlimm.“, erwiderte sie. Die Hersora nickte und half Schattenklinge hinunter, während Hjorgcai auf der Mauer stehen blieb und weiterhin Pfeile auf die Soldaten schoss. Endlich erschien auch Sjavkonhkar auf der Mauer, er blutete aus mehreren Wunden, schien aber nicht schlimm verletzt zu sein. Danach folgte Joshuas Kopf auf der Mauer und Tabita atmete erleichtert auf. Doch auf einmal verschwand er wieder. Sie hörte Hjorgcais Wutschrei.
„Das Seil ist gerissen. Narichre, führe sie nach Fjørev. Ich hole ihn da raus.“. Pfeile flogen über die Mauer und Schattenklinge zog sie weg. Sie wehrte sich und schlug um sich. Sie konnte ihren Bruder doch nicht zurücklassen.
„Verdammt, Tabita. Wenn wir hier bleiben, sind wir bald alle in Gefangenschaft.“. Und mit diesen Worten zog er sie fort, fort von ihrem Bruder, der sich gegen dutzende Feinde wehren musste und Hjorgcai, die ihn aus der sicheren Gefangenschaft befreien wollte.
Joshua wusste, dass die anderen in Sicherheit waren und das machte ihn glücklich. Er hob sein Schwert einem Angreifer entgegen und parierte einen Schlag mit einem von diesen komischen Schwertern. Es waren Dutzende und er stand wortwörtlich mit dem Rücken zur Wand, nur das diese ihm kein Ausweg sein würde wie seinen Begleitern. Das Seil war gerissen - es blieb nur der Weg nach vorne. Schweiß rann ihm über das Gesicht, als er sich erneut unter einer Schwertklinge hinweg duckte. Joshua fluchte leise, ihm blieb kaum Platz zum Erwidern der Schläge. Er durchbrach die Deckung von einer der Wachen und bohrte ihm sein Schwert in die Brust. Rasch zog er die Waffe aus Fleisch und Stoff und erwiderte einen Angriff von unten. Dann sprang er hoch, nicht so hoch wie ein richtiger Elb, aber es floss genug elbisches Blut in seinen Adern, um ihm wenigstens ein wenig Feyan-Si zu ermöglichen. Er trat einem Mann gegen die Brust und bemerkte mit Zufriedenheit wie dieser zwei weitere Männer umwarf. Dadurch war eine Schneise in die Reihen der Wachen getrieben, die Joshua rasch ausnutzte. Er trat in den entstandenen Freiraum und hieb mit seinem Schwert nach allen Seiten. Für einen Betrachter mochte es wie ein wilder Tanz aussehen. Metall glänzte und Schreie von Mensch und Schwert erfüllten die Luft. Blut und Schweiß tränkten den Boden. Joshua spürte die Erschöpfung wie einen zweiten Schatten hoch kriechen und versuchte diesen abzuschütteln, was ihm aber nicht gelang. Dann ermöglichte ein weiterer Schlag ihm den Weg aus der Masse der Angreifer heraus und er ließ sie hinter sich. Seine Lunge und sein verletztes Bein brannten. Wohin? Links von ihm befand sich eine Allee aus riesigen Bäumen und rechts ein Felsengarten. Doch diese Entscheidung wurde ihm abgenommen, als er einen stechenden Schmerz in seiner Schläfe verspürte und die Schwärze sein Sichtfeld eroberte.
„Bis auf einen sind alle aus dem Palastgebiet entkommen, sie könnten allerdings noch in der Stadt sein.“, berichtete eine Wache der Kaiserin.
„Dann lasst die Tore sofort schließen.“, befahl die Kaiserin. „Wer ist der Gefangene?“.
„Ein Rothaariger, eure Majestät. Er führt einen Anderthalbhänder.“.
„Der Elb, also. Der Sohn des Königs.“.
Acheving erinnerte sich, dies war derjenige, gegen den er auf den Wällen gekämpft hatte.
„Weder Nian noch ihr Sohn wurden gefunden.“, fügte die Wache zu und diese Worte beachten Acheving zum Erbeben. Was hatte das zu bedeuten? Dioargchie wartete bis die Wache verschwunden war, dann beantwortete sie seine lautlose Frage, die doch wie sichtbar im Raum hing.
„Es bedeutet, dass Nian uns verraten hat.“.
„Nian würde nie…“, protestierte Acheving sofort und vergaß den Respekt, der seiner Mutter als Kaiserin zustand.
„Sie hat den Bogen, Acheving.“, entgegnete sie sanft. Es war diese Sanftmut, die Acheving zur Weißglut trieb. Insgeheim aber wollte er sich nur nicht eingestehen, dass sie Recht hatte.
Nian huschte durch die Stadt, sie hielt ihren Sohn an der Hand und versuchte nicht aufzufallen. Es schien ihr, als würde jeder ihre Gedanken sprechen hören. Ihre Gedanken, die sie verraten würden und das, was sie unter ihrem Umhang verbarg. Nian hätte nie behauptet, dass sie leicht nervös wurde, aber jetzt war sie es. Sie spürte die Angst in ihrem Nacken sitzen und die Schauer, die ihr über den Rücken jagten, kalt wie Eis. Jetzt, wo sie die Einigkeit ihres Volkes in der Hand hielt, in Form eines Bogens. Ihr Sohn musste ihre Angst ebenfalls spüren, aber er schwieg, als ob er die Bedeutsamkeit hinter diesem Moment kennen würde.
Die Nacht hatte sich lautlos über die Stadt gesenkt und ermöglichte es Nian rasch in Gassen und Ecken zu verschwinden, sobald sie Stimmen und Schritte wahrnahm. Endlich erreichte sie das verfallene Haus, das den Rebellen im Moment als Treffpunkt diente. Sie sah sich um, doch entweder verschluckten die Schatten alle Verfolger oder es waren keine vorhanden. Wer konnte auch ahnen, dass ein seit Jahrtausenden verschollenes Wahrzeichen ausgerechnet in ihren Händen ruhte? Nian öffnete die Tür und trat ein.
„Wo…“, fragte Xeron, doch sie legte ihm einen Finger auf die Lippen und schob ihn weiter in den Raum. Sie sah sich um. In einer Ecke lagen Holzbretter, eine erloschene Feuerstelle und ein zusammengebrochenes Bett. Eine Gestalt trat auf sie zu und Nian erkannte Diong.
„Du bist früh. Wer ist das?“, fragte er.
„Mein Sohn Xeron. Ich musste ihn mitbringen. Sind wir alleine?“.
Diong nickte, auch er nahm die Dringlichkeit in ihrer Stimme wahr.
Sie schlug ihren Umhang zurück und offenbarte den für ihr Volk kostbarsten Schatz. Ein Bogen mit Schriftzeichen und Bildern verziert, deren Sprache sie nicht verstand. Diong trat auf sie zu und betrachtete den Bogen staunend.
„Ich habe ihn der Gesandtschaft aus Anthar gestohlen, die heute gekommen ist. Er gehört den Rebellen, ich übergebe ihn euch.“. Sie hielt ihm den Bogen hin, aber er schob ihre Hände zurück.
„Nein, Nian.“. Erschrocken sah sie ihn an. „Woher…?“.
„Schon als ich dich in der Taverne gesehen habe, wusste ich, wer du warst. Ich diente einst unter dir, nicht in deinem Stab, ein einfacher Soldat, aber du warst mein Vorbild. Ich habe deine Entscheidungen bewundert, die stets einen Sieg mit nur wenig Verlusten ermöglichten und das du dich für die Schonung der Zivilbevölkerung eingesetzt hast und die Bestrafung der Soldaten vermieden hast.“.
Sprachlos starrte Nian ihn an. Sie hatte gedacht, ihn zu belügen und nun stellte sich heraus, dass er sich ihrer Identität die ganze Zeit bewusst gewesen war.
„Dieser Bogen ist deiner.“. Er schloss ihre Hände um das Holz, „Mit diesem Bogen bist du die rechtmäßige Kaiserin und ich weiß, dass du mit Gerechtigkeit herrschen wirst.“.
„Nian ist gefährlicher als jeder anderer.“, erklärte Dioargchie grade, aber Acheving hörte ihr kaum zu. Er konnte immer noch nicht begreifen, dass Nian ihn hintergangen hatte. Ihn getäuscht hatte. Am liebsten würde er schreien, die Wut und die Enttäuschung der Welt mitteilen. Ob er etwas hätte ändern können, wenn er ihr gesagt hatte, dass er sie liebte? Jetzt gestand er es sich auch selber ein, er hatte diese Frau geliebt und er tat es auch immer noch. Wie hatte es dazu kommen können, dass sie auf verschiedenen Seiten standen? Wie war es möglich, dass sie nun Gegner waren.
Auf einmal durchfuhr ein stechender Schmerz seine Wange. Acheving sah auf. Seine Mutter stand vor ihm, die Hand erhoben und in ihren Augen glomm der Zorn.
„Hör mir zu! Dieser Kampf wird nicht mit dem Herzen entschieden, sondern mit dem Kopf. Nian ist gefährlicher, als jeder andere, denn das Volk respektiert sie. Sie hat sich für die Schonung der Zivilbevölkerung eingesetzt und das Heer verehrt sie ebenfalls. Was meinst du wie viele Soldaten ihr folgen würden? Sie ist eine Gefahr für uns, meinen Thron und unsere Dynastie. Eine Gefahr, die es zu vernichten gilt, bevor sie sich in ein Inferno entwickelt.“.
„Ich werde das Nötige veranlassen.“, antwortete Acheving mit tönerner Stimme und einem gebrochenen Herzen.
Tabita wusste nicht mehr, was geschehen war. Die ganze Welt war verschwommen hinter einer Wand aus Schatten und einem Wirbel auf Farben. Es war nur noch ein Name, der für sie von Bedeutung war: Joshua. Immer wieder wisperte sie seinen Namen, während sie durch die Stadt Cesing hasteten, ohne Joshua. Er war nicht bei ihnen, sondern verloren im Palast der Kaiserin. Sie bemerkte selbst die Schmerzen nicht, die ihr Bein einnahmen und den metallenen Geruch des Blutes, der in ihrer Kleidung hang. Denn die Schmerzen wurden übertüncht von dem Schmerzen über Joshuas Verlust. Sie verließen die Stadt und hasteten durch die Nacht ohne, dass Tabita etwas bemerkte. Es gab auch nichts, was sie von dieser Stadt vermisste, außer ihren Bruder. Wie betäubt ließ sie sich von Schattenklinge mitziehen, der sie am Arm mit sich schleifte. Nichts war länger von Bedeutung, außer dem Verlust ihres Bruders. Es gab so viel, dass sie ihm nicht gesagt hatte, so viel, dass sie noch hätte tun sollen. Alles war unwichtig geworden.
Hjorgcai drückte sich an einen Baumstamm und wartete bis die Wache weiterging. Die Allee führte zum Palast war aber bis auf die gelegentlichen Gänge der Wachen verlassen. Hjorgcai hielt ihr Khelm griffbereit, immer mit einem Kampf rechnend. Aber sie würde Joshua nicht zurück lassen, es wurde kein Gefährte zurückgelassen und alles versucht, ihn zu befreien, das war für die Aweynche ungeschriebenes Gesetz. Selbst Khesyaran hatte seine Gefährtin aus dem Lager eines Stammesfürsten zurückgeholt und damit einen Sippenkrieg in Kauf genommen.
Sie rannte ein Stück weiter und starrte den Palast an, der sich vor ihr gegen den Himmel erhob. Wie sollte sie hinein gelangen? Die Bewachung war in den letzten Stunden nur noch angestiegen. Da legte sich eine Hand auf ihren Mund und unterdrückte ihre Gedanken.
Stöhnend richtete Joshua sich auf. Was war geschehen? Er fasste an seinen Hinterkopf und ertastete eine Beule und getrocknetes Blut, das sein Haar verklebte. Eine große aber nicht tiefe Wunde kennzeichnete sein Bein und bald würde sich wohl eine neue Narbe zu den übrigen gesellen. Was ihm Sorgen machte, war das dumpfe Pochen in seinem Unterarm. Der Stoff klebte am Arm fest und Joshua unterließ es diesen zu entfernen, er wusste so, dass die Wunde schlimm war und er eine Behandlung benötigte. Jetzt könnte er seine Schwester und ihre Kräuter wahrlich gebrauchen. Joshua seufzte leise und sah sich um. Es war eindeutig, dass er sich in einem Gefängnis befand. Die Zelle war klein und außer einer Pritsche und ein wenig Stroh leer. Bis auf die Zellentür bestand der ganze Raum aus Stein und auch diese war aus einer dicken Holztür, in die ein kleines Gitter eingelassen war. Natürlich war sie verschlossen, hätte er nicht auch einmal Glück haben können? Und er besaß keine Waffen, selbst das Messer, das er in seinem Stiefel verborgen hatte, war verschwunden. Und natürlich befanden sich in der gesamten Zelle auch keine scharfen Gegenstände, die als Messer-Ersatz hätten dienen können. An einen gewaltsamen Ausbruch war also nicht zu denken, blieben Verhandlungen oder eine List. Joshua stütze den Kopf auf die Hände und seufzte.
Hjorgcai hob ihr Khelm und hieb nach ihrem Gegner. Dieser parierte ihren Schlag mit einer Messerklinge. Eine Messerklinge, die die Sebetjh nicht nutzen. Sie hielt inne.
„Felsenfaust?“, fragte sie vorsichtig.
„Du musst mich nicht gleich in zwei schneiden, nur weil ich mich nicht vorher anmelde.“, entgegnete eine ihr allzu gut bekannte Stimme in einem fremden Gesicht.
„Und jetzt komm, wolltest du nicht einen deiner Begleiter befreien?“.
Schließlich führte ein weiterer Wächter eine Gefangene in den Palast. Felsenfaust hatte die Fesseln nicht fest geschnürt und doch schmerzten sie.
„Ich habe sie bei den Teichen gefunden. Sie soll zu dem anderen Gefangenen, Befehl des Prinzen.“, erklärte er der Soldaten, die am Eingang des Palastes Wache stand. Diese nickte nur und starrte weiter in die Finsternis. Felsenfaust trieb sie sicher durch die Gänge, so dass Hjorgcai sich sicher war, dass er nicht das erste Mal durch diesen Palast ging. Die wenigen Wachen und Diener, die ihnen entgegen kamen, beachteten sie zwar mit ein paar neugierigen Blicken, ignorierten sie aber ansonsten. Eine weitere Spionin oder Rebellin, nicht mehr. Felsenfaust führte sie eine Treppe hinunter, die sich in die Tiefe schlängelte und Hjorgcai merkte, dass sie sich den Gefängnissen näherten. Die Luft wurde stickiger und es stank nach Exkrementen, ebenfalls waren nur noch wenige Wachen zu sehen und keine Diener. Endlich tauchten die Gänge auf, in denen sich die Gefängnisse befanden. Hier waren die Wände nicht mit Wandteppichen oder Gemälden geschmückt, sondern einfache, unverputzte Wände. Eine Wache kam ihnen entgegen, betrachtete sie aber nicht sonderlich, was ihr aber nicht gut bekam. Mit einer schnellen Bewegung schlug Felsenfaust den jungen Mann nieder und entnahm ihm mit einem leisen Dank die Zellenschlüssel, nur um ihn gleich in eine leere einzusperren.
Es kam ihr vor, als würde er in jede einzelne öffnen müssen. Jede Einzelne Tür in diesen ewig langen Gängen, die nicht enden wollten und sich wie eine gefräßige Schlange immer tiefer in die Finsternis wand. Auch hier wurden die Opfer nicht so einfach wieder freigelassen, sondern verblieben in Vergessenheit und Einsamkeit. Endlich nickte er und Hjorgcai spürte die Erleichterung, die ihre Adern wie Feuer durchdrang. Die dicke Holztür knarrte, aber dahinter stand Joshua.
„Komm.“, wisperte die Aweynche, immer noch in Fesseln.
Joshua gehorchte, ohne die Anweisung zu hinterfragen und ließ sich von Felsenfaust ebenfalls die Hände binden. Er führte sie zurück auf ihrem ewig langen Weg, bis sie schließlich wieder in das Licht des oberen Palastes traten. Hier waren die Wände wieder geschmückt und Dienerinnen rannten wie Vögel umher. Aber sie gelangten in Freiheit. Felsenfaust hatte eine gute Gestalt gewählt, eine Gestalt hinter die niemand genauer sah. Sicher führte er sie heraus aus der Finsternis und dem Licht des Palastes der Kaiserin, die ohne Bogen keine Kaiserin sein konnte.
In den Gärten löste Felsenfaust ihnen die Fesseln und sie verbargen sich erneut in den Schatten.
„Und jetzt müssen wir uns beeilen.“, erklärte Felsenfaust. „Denn der Weg euer Freunde ist ein Weg, der in die Finsternis des Hasses führt. Eine Rache, die ausgeübt werden wird. Die Rache von dem Mann, den ihr als Schattenklinge kennt.“.