All das Blut war aus dem Thronsaal gewischt worden, der Boden wieder so rein, dass sie sich in dem Parkettboden spiegelte. Aber die Erinnerung blieb, das Blut blieb da, das Blut das diesen Thron beschmutzte, ihren Thron. Nian betrachtete diesen. Alles war vergoldet. Es wirkte wie ein Stuhl, der vor einem Wandschirm stand, nur dass diese verbunden waren. Überall war der Drache zu sehen, der die Armlehnen bildete, die Kopfstütze verzierte und neben der Rückenlehne am Stuhl angebracht war. Der Wandschirm zeigte kleine Szenen, Szenen von Drachen, tapferen Kämpfern und starken Kaiserinnen. Geziert wurde der goldene Thron von einem roten Sitzkissen. Konnte sie auf einem Thron sitzen, sie an deren Händen Blut klebte? Aber hatte sie nicht genau dafür gekämpft?
„Nian?". Sie wandte sich von dem Bild des Thrones ab und sah zu Diong, der wartend am anderen Ende des gewaltigen Saales stand.
Sie nickte ihm zu.
„Die Adeligen kommen, alle Familien des Hochadels haben zugesagt. Aber sag mir, warum sollen die Könige der Gandijol kommen?“.
„Wozu ist eine Krönung besser geeignet, als nach Verbündeten zu suchen und den Adel von meiner Macht zu überzeugen?", entgegnete sie. „Noch etwas?".
„Der neue Zeremonienmeister trug mir auf, dir zu sagen, dass du einen Herrschaftsnamen brauchst.".
„Ich habe mich entschieden, bringe ihn her.".
Diong verneigte sich und zog sich zurück. Wenn sie genau darüber nachdachte wusste sie nicht einmal, wer der neue Zeremonienmeister war. Irgendein Mann vom Hochadel, Familie der Aving? Egal. Nian seufzte. Sie war immer noch wie in Trance, keinen klaren Gedanke vermochte sie zu fassen.
Endlich ertönten Schritte und lenkten sie ab. Diong, der Zeremonienmeister und weitere Hofbeamte schritten herein.
„Touargchie wird mein Name sein.", erklärte Nian fest und sicher.
„Touargchie?", fragte der Zeremonienmeister unsicher, „Haltet Ihr es für klug, an den Namen von Dioargchie anzuschließen?".
„Was gibt es Schlechtes an dem Namen. Ich beginne etwas Neues und habe das Alte besiegt, da ist es doch möglich, einen Namen zu tragen, der an das Alte erinnert aber zugleich an das Neue?".
„Eure Weisheit in Ehren, jedoch bezweifle ich, dass das Volk es so auffasst. Es wird sie an Dioargchie erinnern und ihnen zeigen, dass die gleiche Grausamkeit unter Eurer Herrschaft sein kann.".
Die Wut sammelte sich in Nians Augen. „Mein Name wird Touargchie sein, denn ich bin die „Strahlende Gerechtigkeit", die dieses Land benötigt.".
„Wie Ihr wünscht, Herrin.". Der Zeremonienmeister warf sich zu Boden, mit seinem dicken Bauch, den er in blaue Seide gehüllt hatte.
„Ich bin deine Kaiserin nicht deine Herrin.", wandte sie mit lauter Stimme ein und bemerkte mit Zufriedenheit wie mächtig sie klang.
„Zu Befehl meine...Kaiserin.". Der Zeremonienmeister schien offenbar nicht gewillt, seinen Posten wieder zu verlieren.
Er zog sich dennoch nicht zurück.
„Was gibt es?", fragte Nian. Sie war schon jetzt von der Hofetikette gelangweilt und von den Menschen um sie herum.
„Ihr müsst einen neuen Oberbefehlshaber bestimmen, sofern Ihr Laos nicht beibehalten wollt.".
Nian runzelte die Stirn.
„Ich habe nicht vor, einen Oberbefehlshaber zu ernennen, ich werde das Heer selbst anführen.".
„Kaiserin!". Der Ausruf des dicklichen Mannes war empört, „Der Oberbefehl geht seit jeher an einen Mann aus dem Hochadel.".
„Und wenn ich die bessere Anführerin bin?", erwiderte sie.
„Nian. Hier geht es nicht um Fähigkeiten, sondern um Rechte und Traditionen.". Sanft sah Diong sie an, „Wenn Ihr dem Adel das Recht des Oberbefehlshaber nehmt, werden sie sich von Euch bedroht sehen und sich offen gegen Euch stellen. Und ohne den Adel könnt Ihr nicht handeln. Das Volk mag auf Eurer Seite stehen, aber der Adel besitzt das Geld und die Soldaten, nicht die Bauern. Wie wollt Ihr jemals einen Krieg führen, wenn die Adeligen sich sobald Ihr verschwunden seid, den Thron nehmen? Es bringt nur Streit und Ärger.".
Nian nickte. „Ich brauche den Adel, dann wird Diong die Heerführung übernehmen.".
Diong kniete nieder. „Ich bin mir der Ehre durchaus bewusst, aber ich bin nicht von Adel sondern aus dem Volk.".
Nian nahm es schweigend zur Kenntnis. „Dann wird Naichie Kariong Su den Oberbefehl übernehmen.".
„Naichie ist nicht vom Hochadel.", wandte der Zeremonienmeister ein.
„Nein.", stimmte Nian zu. „Sein Vater ist nur ein Datchu, einer der verliehenen Adelstitel in der vierten Generation, aber seine Mutter stammt aus der Familie der Dazeorei, eine Tochter von Herzog Faijong. Sie kann ihr Blut bis auf Kaiserin Fiarduchwie zurückführen. Damit dürfte Naichie das Recht haben, einen Adelstitel zu tragen.".
Der Zeremonienmeister schwieg und damit erkannte Nian, dass sie Recht hatte.
Zwei Tage später hatten sich der Adel Sahres und die Heerführer versammelt. Mächtige Fürsten und Fürstinnen waren zusammen gekommen, um eine Kaiserin zu krönen. Keiner sprach über die andere Kaiserin, deren Leiche verbrannt werden würde und deren drei Kinder im Gefängnis festgehalten wurden. Die Damen in den herrlichen Kleidern, die wie ein Regenbogen strahlten. Neben ihnen die Männer, die ehrfürchtig und hoheitsvoll reinblickten. Doch alle wichen zurück, als sie die Frau erblickten, die ein Kleid aus blasser gelber Seide trug, das mit Tigerstickereien verziert war. Hinter ihr gingen zwei Bannerträger, die ein Wappen zur Schau zeigten, dass den Adeligen nur teilweise neu war. Der Königstiger auf grünem Grund, er wurde eingerahmt von einem Bogen. Die Klugen und Weisen erkannten in diesem Wappen, dass die neue Kaiserin an Fiarduchwie anknüpfen wollte, denn der Königstiger war auch das Wappentier der größten Herrscherin gewesen, die Sahres je gesehen hatte. Und die Farbe Gelb war von jeher die Farbe des Kaiserhauses gewesen, niemandem sonst war es gestattet, sich in den Farben der Sonne zu kleiden.
Neben Nian ging ihr Sohn Xeron, der wie sie gelb trug und sich staunend umsah.
„Adel von Sahres. Werdet Ihr meine Herrschaft anerkennen und mir folgen?", fragte Nian, als sie vor dem Thron stand. Sie nickte einem der Wachen zu, der ihr einen Bogen reichte, der den Adel zum Staunen brachte. Kostbare Schnitzereien schmückten dieses Schmuckstück.
„Dies ist der Bogen unser Vorväter, der Bogen der Kaiserin und ihres Sohnes und unter seinem Zeichen werden wir Rache nehmen, an dem Volk, das uns eins beraubte", rief sie und ihre Stimme hallte durch den Saal.
Sie neigte den Kopf vor Xeron und reichte ihm den Bogen. Lächelnd nahm dieser den Bogen hoch und hob ihn in die Höhe.
Der Adel fing an zu rufen: „Kaiserin Nian, Prinz Xeron.". Nur wenige verwehrten sich diesem Ruf und zeigten offen ihren Missfallen.
Nian setzte sich auf ihren Thron und ließ sich von ihrem Zeremonienmeister die Krone aufsetzen und das Zepter geben.
Dann traten die Adeligen vor, um den Treueschwur zu leisten, wobei dies nur der Hochadel tat. Alle traten vor und verneigten sich vor der Kaiserin, erhoben die rechte Hand und sprachen dann den Schwur. Ihnen folgten die Heerführer und mit Argusaugen beobachteten die Adeligen, wie sich auch diejenigen unterwarfen, die bis zum Schluss zum Kaiserhaus gehalten hatten, insbesondere ein junger General namens Tanju. Nur Nian hörte die Worte die Naichie Kariong Su sprach: „Ich bleibe bei meinem Schwur. Ich folge einer gerechten Kaiserin.".
Danach ernannte Nian ihn zum obersten Heerführer, was den anwesenden Offizieren Jubelrufe entlockten und bei dem Adel Missfallen, hieß es doch, dass sein Vater die edle Herzogstochter gegen ihren Widerwillen geschwängert hatte und nur um die Ehre der Familie zu wahren, die Herzogstochter den armen Datchu geheiratet hatte. Aber was sollte man tun? Es war die Kaiserin und wenn würde ein Messer in der Dunkelheit zu ihr finden aber keine offene Missachtung sie blamieren.
Danach öffneten Diener die Türen und die gekrönte Nian trat vor das Volk. Dieses jubelte, stand dort doch eine der ihren. Sie erhofften sich Frieden unter der neuen Kaiserin, Frieden um gute Ernten einzubringen und Kinder aufzuziehen, die nicht auf einem Schlachtfeld für ihre Kaiserin sterben mussten.
Dann wurde der Adel in einen gewaltigen Tanzsaal geführt, um die Krönung zu feiern und die ein oder andere Tochter zu versprechen.
„Ich gewähre Naichie die Ehre des ersten Tanzes.", erklärte Nian und der General musste wohl oder übel zustimmen.
„Das vergesse ich Euch nie.", knurrte er, als er der Kaiserin das erste Mal auf die Schuhe trat. „Ich bin nicht für die Bühnen des Adels gemacht.".
„Nein.", murmelte sie leise. „Aber ich brauche dich auch hier.".
„Immer an Eurer Seite, Majestät.".
„Ich weiß.". Sie lächelte, während sie sich auf dem Parkettboden drehten. „Aber andere sind das nicht und deshalb brauche ich jemandem, dem ich vertrauen kann.".
Naichie nickte. Er sah seltsam aus in der Uniform, die nicht zu ihm passen wollte und es war ersichtlich, dass er sich nicht darin wohl fühlte.
„Ich bin froh, wenn ich wieder Schwerter klirren höre anstatt dieser Banhu-Klänge.", murrte Naichie und deutete auf einen der Spieler, der dem Streichinstrument Töne entlockte.
„Nicht nur du.", murmelte Nian leise.
„Dürfte ich Euch unterbrechen.", fragte eine laute Stimme, die nicht in diesen Saal von Tänzern und grazilen Damen passen wollte. Naichie trat zur Seite und machte Platz für einen blonden Hünen, einen der Könige der Gandijol.
„Ihr wollt Krieg führen.", stellte dieser umgehend fest und Nian war froh, dass er mit leiser Stimme sprach. „Und dafür benötigt Ihr die Hilfe meines Volkes.".
„Allerdings.", entgegnete sie leise. Kurz überlegte sie, wie ironisch es war, dass sie in einem Tanzsaal voller Lachen und Freude über Krieg sprach, doch dann verdrängte sie es. Sie war die Kaiserin und musste den Adel hinter sich stehen haben, wenn sie dieses Land einen wollte.
„Ich will gegen Ciyen ziehen.".
„Ciyen?". Der Gandijol runzelte die Stirn und schüttelte seinen Bart. „Da habt Ihr Euch was vorgenommen. Nur wenige Schiffe meines Volkes gelangten bisher durch die Straße von Alnon, die Bucht ist schwer bewacht. Elbenvolk lauert an den Küsten und lassen niemanden hindurch. Ciyen hat kaum Schiffe, dafür aber eine starke Kavallerie und Infanterie, ihre Bogenschützen sind legendär. Zusätzlich sind sie mit den Ländern Ikantjey, Madruk, Nor und Varyny verbündet.".
„Ich weiß, gegen wen ich vorhabe zu kämpfen.", erklärte Nian ungehalten. „Aber es gilt sie schließlich, an ihren schwachen Punkten zu treffen. Helft Ihr mir jetzt, ich besitze viel Gold.".
„Gold ist gut.", erklärte der Mann und ein hungriges Funkeln war in seinen Augen aufgetaucht. „Was braucht Ihr?".
„Ich benötige die Schiffkunst Eures Volkes und Schiffe, sowie mindestens tausend Söldner.".
„Ihr bekommt es und ich bekomme das Gold, zusätzlich heiratet Euer Sohn meine Tochter.".
Nian sah ihn überrascht an. Dieser König wollte hoch hinaus und Heiratsbündnisse waren ungewöhnlich für die Gandijol, abgesehen davon, dass sie sowieso selten lange hielten. Kein Gandijol hielt sich lange an einen Schwur, sondern nur so wie es ihm nutzte, etwas was für einen Sebetjh eine Frage der Ehre war. Was konnte es schaden? Ein Bündnis mit den Gandijol würde ihr zumindest die Unterstützung dieses Königs sichern, der immerhin die größten Städte Fjørev und Resingr sein Eigen nannte und somit einen großen Teil der westlichen Küste kontrollierte. Und ein Prinz konnte mehrere Frauen haben und alte Frauen verstoßen. Wieso nicht?
„Abgemacht!".
„Ich sorge für Eure Männer und Schiffe. In einer Woche landen die Schiffe an Euer Küste.".
Der Mann verneigte sich und ging dann fort. Der Handel war abgeschlossen.
Tanju war bei dem Tanz nicht dabei. Er hatte besseres zu tun, als sich mit betrunkenen Adeligen abzugeben, die ihn sowieso mieden. Nein, er ging zu den Kasernen. Er hatte noch lange nicht aufgegeben und einen Vorteil besaß er: Die Soldaten hatten noch nicht den Treueschwur abgegeben. Die meisten fühlten sich an diesen gebunden, nur er selbst nicht. Wieso sollte er sich an einen Schwur gebunden fühlen, wenn sein Vater ermordet worden war? Immerhin hatte Nian auch die Aufgabe, ihre Untertanen zu schützen und eine Ermordung war sicherlich nicht schützen.
Jeder Soldat hatte die Möglichkeit sich zwischen einer ehrenvollen Kapitulation und dem Tod durch den Strang zu entscheiden. Sein Vater hatte dazu keine Möglichkeit gehabt, Wan war durch Gift gestorben und hatte keine Möglichkeit gehabt, sich auf den Tod vorzubereiten.
Was mit ihm selbst geschah, wusste er nicht. Der Tod würde es wohl nicht sein, treue Soldaten wurden vom Volk verehrt und kein Adeliger würde den Zorn des Volkes auf sich ziehen wollen. Wahrscheinlicher war, dass er aus der Armee ausgestoßen würde oder als Ausbilder eingesetzt werden würde. Beides waren keine angenehmen Vorstellungen, aber Tanju hatte nicht vor, auf sein Urteil zu warten.
Vor ihm tauchten die Kasernen auf. Der Kies knirschte unter seinen Füßen, als er auf die lang gestreckten Gebäude zulief. Eine Mauer trennte die Kasernen vom Rest der Stadt ab, aber die Wachen ließen ihn problemlos eintreten.
Die Gebäude waren als Viereck errichtet, in deren Mitte sich Übungsplätze befanden.
„Will sich jemand ein paar Münzen verdienen?", fragte er, als er einige Männer entdeckte, die seinen Plänen entsprachen.
Acheving hatte aufgegeben. Dutzende von Wachen standen vor seinem Gefängnis und beobachteten jede seiner Bewegungen. Selbst wenn er Wasser und Brot bekam, gab es keine Möglichkeit zu entkommen. Jegliche Waffe war ihm abgenommen worden und es gab keinen einzigen spitzen Gegenstand in der Zelle, abgesehen davon, dass er gefesselt war. Nian ging kein Risiko ein. Sein Körper fühlte sich von den Kämpfen zerschunden an, jede Bewegung schmerzte. Es erklangen Schritte und er sah auf, mehrere Soldaten kamen auf ihn zu. Seine Zellentür öffnete sich und die Soldaten traten ein und sofort richteten sich ein halbes Dutzend Schwertspitzen gegen seine Brust. Sie nahmen ihn in die Mitte und eskortierten ihn hinaus. Fast ein Dutzend begleitete ihn durch die langen Gänge und führten ihn in die Helligkeit zurück. Gleißendes Licht blendete ihn und er kniff die Augen zu. Er wurde aber gezwungen, weiter zu laufen und öffnete sie dadurch. Menschenschreie begrüßten ihn und trafen seine Ohren. Rechts und Links von ihm schien sich die Bevölkerung Cesings versammelt zu haben, die seine Hinrichtung bestaunen wollte. Eine wogende Masse aus Gesichtern, die keine Individuen bilden wollte. Ob Diong sich an sein Versprechen halten würde? Acheving hoffte es, er hoffte für seine Schwestern, dass es schnell gehen würde. Ob Len geschrieen hatte, als die Soldaten ihn geholt hatten? Acheving wollte stark bleiben, aber er spürte wie die Tränen aus seinen Augen hervortraten. Die Sebetjh glaubten zwar nicht wie die Aweynche, dass Tränen Unglück brachten, aber es war dennoch ein Zeichen von Schwäche. Konnte er nicht wenigstens auf seinem letzten Gang stark bleiben? Aber vielleicht war er ja tatsächlich schwach, vielleicht war das sein wahres Inneres.
Lens Gesicht: Bleib stark, sagte sie, ich liebe dich
Für andere mochte sie verrückt gewesen sein. Sie war ja auch anders und doch war sie auf ihre Art weiser als sie alle gewesen.
„Für dich Len.“, flüsterte er leise.
Sein Atem wurde ruhiger, seine Brust senkte sich nicht mehr so hastig und die Sicht vor seinen Augen klärte sich. Er sah Männer, Frauen, kleine Kinder, die ihn erwartungsvoll ansahen. Da. Er kniff die Augen zusammen. War da nicht ein bekanntes Gesicht? Tanju. Für einen Moment trafen sich ihre Augen und Tanju deutete ein Nicken an. Dann verschwand sein Gesicht wieder in der Menge. Doch die Hoffnung erflammte erneut. Acheving richtete sich auf. Er schritt aufrecht und wachsam.
Dann tauchte vor seinen Augen der Galgen auf und bei ihm stand Nian. Die Angst wollte wieder an ihm hoch kriechen, aber Acheving schüttelte sie ab wie einen lästigen Verehrer. In seinen Gedanken war nur Platz für Wachsamkeit und Hoffnung.
Dann nahm er das Erzittern des Bodens war, kein wirkliches Erzittern, aber das Gefühl, das sich etwas bewegte, etwas geschah. Ein Pfeil surrte über die Köpfe der Menge hinweg und bohrte sich in die Brust von einem seiner Bewacher, wenige Augenblicke später fielen der zweite und der dritte.
„Da!“. Einer der übrigen Wachen zeigte zu den Dächern, gegen die Sonne erkannte Acheving tatsächlich eine Gestalt, die schnell wie ein Schatten dahin lief. Einer der Männer hob seine Armbrust und fluchte als er verfehlte. In ihrer Wachsamkeit ließen die Soldaten dennoch nicht nach, zumindest nicht was ihn betraf, die Menge aber hatten sie nicht im Blick. Ein Teil der vorderen Menschen, vermutlich waren sie von Tanju absichtlich dort postiert worden, drängten nach vorne, gegen den Wall aus Soldaten. Verwirrung brach aus und Schreie gellten durch die Luft. Neben Acheving brach ein Soldat zusammen, ein Soldat packte ihn am Arm und zog ihn in den Schutz der Menge. Sein bärtiges Gesicht kam Acheving nicht bekannt vor, aber er folgte ihm trotzdem.
„Beeilt Euch.“, zischte der Soldat, schnitt ihm die Fesseln los und reichte ihm ein Messer und einen Kapuzenumhang. Acheving verbarg sein Gesicht unter der Kapuze, so dass sie nur wie zwei Männer wirkten, die von der Aufregung verschwanden, um nicht Opfer des Kampfes zu werden. Die Menge war sowieso zu verwirrt, um auf sie zu achten. Überall liefen Menschen hin und her, Kinder weinten und riefen nach ihren Eltern. Doch niemand hielt sie auf. Acheving konnte sein Glück nicht fassen. Er hatte tatsächlich eine Chance zu überleben.
„Noch sind wir nicht in Sicherheit.“, knurrte sein unbenannter Retter und zog ihn in eine Seitengasse, als einige Soldaten an ihnen vorbei, in Richtung des Tumults liefen. Acheving wurde weiter gezogen, in eine ihm unbekannte Welt von schmutzigen Gassen, verfallenen Hütten und Abfällen, die zu Bergen türmten. Dann erreichten sie das Stadttor. Es gab keinen anderen Weg hinaus, die eingestürzten Mauerteile wurden noch stärker bewacht.
„Irgendeine Idee?“, fragte er, während sie die vier Männer betrachteten, die gelangweilt Löcher in die Luft starrten und sich wahrscheinlich darüber ärgerten, nicht bei der Hinrichtung dabei sein zu können.
„Ja.“, entgegnete dieser. „Immer drauf losgehen.“.
Mit diesen Worten ging er mit schnellen Schritten auf das Tor zu, so dass Acheving nichts Übrig blieb, als ihm zu folgen.
„Ihr sollt das Tor schließen.“, rief der Fremde den Soldaten wie außer Atem zu, „Es gab einen Tumult, Prinz Acheving ist dabei entkommen. Die sofortige Anweisung lautet, das Tor zu schließen.“.
Die Soldaten nahmen die Anweisung ohne Kommentar an, streckten ihnen aber die Waffen entgegen, als sie durch das Tor treten wollten.
„Wo wollt Ihr hin?“, fragte ein Mann.
„Den Geheimgang kontrollieren, der am Fluss endet, damit Acheving von dort nicht entkommt.“.
„Geheimgang? Warum seid Ihr nicht durch das nördliche Tor gegangen und warum kontrolliert Ihr nicht den Gang zuerst auf dieser Seite?“.
Achevings Retter rollte in gespielter Genervtheit die Augen und klopfte dem Fragenden daraufhin gutmütig auf die Schulter. „Der Alkohol hat wohl Eure Sinne ein wenig benebelt zurückgelassen. Aber ich will Eure Fragen beantworten, obwohl sich Acheving wahrscheinlich in diesem Moment durch den Gang rettet. Um zum Nordtor zu gelangen, hätten wir uns durch die aufgebrachte Menschenmenge quälen müssen und Acheving wird ja auf der Seite der Stadt den Gang betreten haben, wie sollen wir ihn aufhalten, wenn wir ihm nur nachrennen können.“. Der Mann kratzte sich am Kopf und nickte dann.
„Ihr habt Recht, mein Herr. Ihr dürft passieren.“.
In diesem Moment war Acheving froh, dass Nian ihre Reformen noch nicht durchgesetzt hatte und dumme Menschen gar nicht erst in die Armee zu lassen. Sie ließen die Stadt hinter sich. Freiheit.
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