Naichie öffnete die Tür von der Kapitänskajüte der Fiarduchwie und trat ein. Nian saß an einem Tisch aus hellem Zedernholz. Alles in der Kajüte war prächtig, die getäfelten Wände, ebenfalls aus Zeder. Die Gemälde, die alle Kaiserin Fiarduchwie zeigten, die Teller und Tassen aus Porzellan. Der Stuhl, auf dessen Rückenlehne sich zwei Tiger zankten.
Und inmitten von all der Pracht saß die Kaiserin. Sie trug einen Lederharnisch, eine dunkle Hose und an ihrer Hüfte war ein langer Dolch befestigt. Sie trank Tee aus einer Tasse mit feinen, blauen Zeichnungen und las einen Brief, den sie aber beiseite legte, als sie ihn erkannte.
Er setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl und legte ihr einige Briefe hin.
„Ikantjey, Ciyen, Varyny und Nor. Jetzt haben uns endgültig alle Reiche den Krieg erklärt.”.
„Es spielt keine Rolle.“, entgegnete Nian leise.
Sie zeigte auf die Karte, die neben ihr ausgebreitet lag.
„Das Heer der Hersor mag zwar gewaltig sein, doch es ist noch lange nicht bereit, um sich in Marsch zu setzen. Bei den Zwergen ist es nicht anders. Vielleicht werden einzelne Stämme bei den Elben eintreffen, aber die gesamte Streitmacht hat viel zu wenig Zeit, um sich zu sammeln.“.
„Dann müssen wir jetzt angreifen, wo uns nur Sphinxe, Elben und Jorohne entgegen kommen.“.
Nian hob die Tasse ein weiteres Mal an den Mund.
„Ich glaube nicht, dass Madruk eine allzu große Rolle in diesem Krieg spielen wird.“. Sie sah ihn an, „Deine Boten sind langsam, Naichie. Ihre Königin ist tot.“.
„Wie? Wann?“, verwundert sah er sie an. Der Tod Arzayas mochte ihre Rettung oder ihr Untergang sein.
„Beim Rückzug geriet die Zaréas Zorn unter Beschuss, Arzaya wurde tödlich getroffen.“. Ihre Augen leuchteten. „Ist das nicht großartig? Eine Feindin weniger, um die ich mich kümmern muss.“.
„Nein.“, entgegnete der alte Krieger mit müder Stimme, „Es ist eine Katastrophe. Ich schätzte nun sollten wir diesen Krieg erst recht nicht mehr verlieren, wenn ihr ihren Kopf behalten wollt.“. Er rieb sich eine alte Pfeilwunde, die wieder aufgebrochen war und goss etwas Reiswein darüber.
„Wir werden den Krieg nicht verlieren.“. Nian lächelte, als hätte er einen dummen Witz gemacht.
Sie ist zu selbstsicher geworden und sieht dadurch den Pfad vor ihren Füßen nicht, dachte Naichie mürrisch. Sie denkt nicht einmal daran, dass sie verlieren könnte.
Dies war nicht mehr die junge und freudige Feldherrin, die er kannte. Sie vermochte es immer noch brillante Strategien aufzustellen und ihre Truppen zum Sieg zu führen, aber sie hatte keine Ahnung von dem Denken ihrer Männer und von Politik. Sie sah alle als Einheiten, nicht als Personen aus Fleisch und Blut, sie war nicht bereit auf sie einzugehen und deshalb war sie auch kein Vertreter des Volkes mehr.
„Jetzt habt ihr nur das Volk gegen euch, Kaiserin. Vorher hätte es euch gemieden und ihre Vorräte versteckt, denn sie mögen die Elben nicht viel lieber als uns, aber nun habt Ihr ihre Königin ermordet. An jeden Ort, an den ihr kommt und wann immer Euch ein Jorohn begegnet, werdet Ihr damit rechnen müssen, dass sie Euch umbringen. Mit dem Adel werdet Ihr vielleicht Bündnisse schmieden können, aber das Volk wird Euch bis aufs Blut bekriegen. Und wenn Ihr den Krieg verlieren solltet, dann werden sie für einen Frieden Euren Kopf fordern, ansonsten wird das Heer bis auf den letzten Jungen ausgemetzelt.“.
„Sie war eine Königin. Wie kann das Volk sie lieben? Selbst Fiarduchwie wurde mehr gefürchtet denn geliebt.“.
Weil sie ihrem Volk nahe war und für es gekämpft hat, dachte er, sprach es jedoch nicht aus.
„Und selbst wenn, es war eine Schlacht. Regenten können genauso durch ein Schwert fallen, wie ein Bauer.“.
„Sie befanden sich auf dem Rückzug. Der Rückzug ist für die Jorohne heilig, ihr werdet keinen Feldherren unter ihnen finden, der einen tapferen Verlierer verfolgt. Wenn sie schon beim ersten Anblick die Flucht ergreifen, ist es etwas anderes. Aber wenn sie sich erst im letzten Moment abwenden, werden sie nicht verfolgt. Ein Kopf für einen Kopf. Die Jorohne befanden sich auf dem Rückzug - und selbst Ihr könnt nicht verneinen, dass sie sich wacker geschlagen haben - also habt ihr ein heiliges Recht der Jorohne verletzt. Sie haben das Recht auf Euren Kopf und werden mit allen Mitteln versuchen, es zu ergreifen.“.
„Sie werden meinen Kopf nicht bekommen.“, erklärte Nian und schenkte sich erneut Tee ein.
„Ihr spielt ebenso mit dem Euren wie mit dem Leben Eures Sohnes.“.
„Was hat mein Sohn mit all dem zu tun?“.
„Arzaya trug ein Kind.“, meinte Naichie leise.
„Woher weißt du das schon wieder? Und ich denke sie hat keinen Mann?“.
„Keinen Mann, aber Bastarde können bei den Jorohnen genauso erben, solange es keine ehelichen Kinder gibt.“. Er zuckte mit den Schultern.
Sie jedoch sah entsetzt aus. „Eine Königin mit einem Bastard.“.
„Es ist eher schlau.“, entgegnete Naichie, „Der Vater ihres Kindes kann keinen Anspruch auf die Krone erheben, ein Ehemann hätte es dagegen tun können. Sie dagegen hätte einen Erben und die Macht unumstritten in den Händen gehabt.“.
„Egal. Arzaya ist tot und ehe ihr Volk Anspruch auf seinen Kopf erhebt, wird Xeron wieder in Sahres sein.“.
„Ihr wollt ihn zurückschicken?“. Jetzt war es Naichie, der sie entsetzt musterte.
„Ein Krieg ist nichts für ein Kind. In Sahres ist er sicherer.“.
„Und wenn das Schiff sinkt? Ihr solltet Ihn lieber in Eure Entscheidungen einbinden, anstatt ihm vor allen zu beschützen. Er ist Euer Sohn und Erbe. Wenn Ihr sterben solltet, sollte er in der Lage sein, die Entscheidungen seiner Berater und Generäle wenigstens nachzuvollziehen. Er sollte verstehen, warum wir diesen Krieg führen. Verstehen, warum er Sielieds Tochter heiraten soll.“.
„Ein Mann auf dem Thron? Erzähl mir, dass Drachen noch leben. Ich werde heiraten und eine Tochter für den Thron aufziehen. Xeron wird nie auf dem Thron sitzen und er wird auch nie eine Armee anführen.“.
„Vergisst nicht, dass er es ist, der den Bogen trägt.“, warnte Naichie ruhig, doch der Zorn glühte in seinen Augen, auch wenn er sich bemühte, ihn zu verbergen. „Lieber er, als eine Zerfleischung der Adeligen und ein erneuter Bürgerkrieg.“.
„Sobald wir zurückkehren, werde ich heiraten und in einem Jahr wird es eine Thronerbin geben. Zufrieden?“.
„Und wenn Ihr den Krieg verliert?“.
Sie lachte. „Ich habe bisher jede Schlacht gewonnen und wie Fiarduchwie werde ich in Triumph in die Heimat zurückkehren.“.
Hast du vergessen wie Fiarduchwie geendet ist? Am Ende wurde sie von ihrem Sohn und ihrem engsten Ratgeber ermordet und zum ersten Mal saß ein Mann auf dem Thron.
„Wie Ihr meint, Kaiserin.“. Er verneigte sich und verließ die Kajüte.
Aber Xeron wird nur über meine Leiche nach Sahres zurückkehren, der Junge wird einer meiner Adjutanten werden und von mir lernen.
„Was willst du tun?“, fragte Kayra Arlèn, die eine Karte studierte.
Sie befanden sich südlich des Nurl, in der Stadt Cirl, wo Arlèn ihre Truppen versammelt hatte.
„Wer wird angreifen?“, entgegnete sie.
„Nian.“. erklärte Kayra ohne zu zögern.
„Woher soll ich dann wissen, was ich tun soll?“. Arlèn blickte ihre Schwiegermutter an. „Am Wichtigsten ist es, dass wir unsere Rückzugswege offen halten. Durch das Gebirge zu kommen, ist schwer genug und die Wege sind leicht zu blockieren. Wenn wir in Madruk eingeschlossen werden, wäre das unser Untergang. Deshalb wäre es logisch, dass Nian uns im Westen abgreift, um uns nach Osten zu drängen, wo ihre Hauptarmee steht. Ich habe Truppen im Westen postiert, um unsere Rückzugswege zu schützen. Mehr weiß ich nicht.“.
Sie stand abrupt auf.
„Ich treffe mich mit Ascarna, um die Strategien und Truppenstärken zu betrachten. Hältst du hier die Stellung?“.
Es war keine Frage, es war ein Befehl. Arlèn hatte keine Zeit rücksichtsvoll zu sein, es war Krieg.
Nian war froh, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Das Meer war nicht ihr Freund, sie mochte zwar eine Schlacht gewonnen haben und spürte darüber immer noch Stolz in ihr aufwallen, wo sie gesiegt hatte, obwohl ihr Volk in Seeschlachten unerfahren war.
Doch nun war sie nicht länger von Sielied, seinen Admirälen und der Zuverlässigkeit seiner Schiffe abhängig. Die Gandijol mochten gute Krieger sein, dennoch waren sie Söldner und würden kein Problem damit haben, die Seiten zu wechseln, wenn es zu ihrem Vorteil wäre. Sie vertraute den Gandijol nicht, ebenso wenig wie ihren eigenen. Selbst Naichie…
Nein, es war besser, wenn sie selbst das Schwert in die Hand nahm.
Es war immer noch der Meerwind, der ihr durch die Haare fuhr, doch sie waren an Land. Zufrieden beobachtete sie wie der Heerwurm sich ins Inland bohrte. Eine gewaltige Masse aus Eisen und Stahl. Die Männer jubelten, wenn sie an ihnen vorbei ritt. Nian saß auf ihrer weißen Stute Shua, was Schicksal bedeutete. Ihr Blick glitt von den Fuhrwerken, die Skorpione und Katapulte transportierten, zu den Reitern, die ihre Speere schulterten, zu Plänklern und der Infanterie, die den größten Teil des Heeres ausmachte. Eine gewaltige Masse, die ihr zum Thron und zum Sieg verhelfen würde. Viele von ihnen waren Rebellen, einige Gandijol und ein großer Teil bestand aus dem kaiserlichen Heer, Veteranen, die schon unter Dioargchie gedient hatten. Ihnen vertraute Nian noch weniger als den Gandijol, denn wenn Acheving es geschafft hatte, sich in die Flotte einzuschmuggeln, dann war er irgendwo hier und bereitete ihren Sturz vor und die Reste der kaiserlichen Armee würden ihm da sicherlich behilflich sein. Doch Nian brauchte die erfahrenen Krieger nun einmal.
Vielleicht hatte sich Acheving auch mit Sielied verbündet…
Sie schüttelte sich, denn sie wusste genau wie verletzlich sie momentan war. Es war niemand da, der ihre Heimat schützte und die neue Kaiserin wurde bestimmt nicht von allen geliebt. Genau deshalb hatte sie einen ihrer fähigsten Generale, Sanju, in Sahres gelassen, damit er die Lage kontrollierte. Viele der ehemaligen Generale Dioargchies waren tot, verschollen oder nicht vertrauenswürdig genug. Ihr selbst blieb Diong, der treu war, wenn auch kein guter Stratege. Weiterhin Sevos, ein treuer, reizbarer und unfassbar mutiger General. Es blieb noch Fanjong, ein alter und treuer Rebell, der das erste Korps führte. Und natürlich Naichie, dem sie in letzter Zeit aber auch nicht mehr so recht vertraute, vor allem seit er ihren Sohn als Adjutanten angenommen hatte. Der alte General war zu selbstständig, stur und zu mächtig, um ihn abzusetzen. Doch er war von ihr mehr abhängig als sie von ihm.
Nein, der beste General, den dieses Heer besaß, war sie selbst und sie würde ihr Volk zu einem triumphalen Sieg führen.
„Wir müssen sie spalten. Gemeinsam haben sie eine größere Truppenstärke als wir.“. Nian starrte ihre Generäle an. Es gab keinen Widerspruch, sie alle wussten um die Gefahr dieses Feldzuges.
„Und deshalb werden wir hier angreifen.“. Sie tippte auf die Karte. „Das Einzige, was wir tun müssen, ist es ihren Verbindungsweg zu kappen. Wenn wir diese Festung einnehmen, ist der Krieg entschieden.“.
Naichie nickte. Das war das Problem bei Nian. Ihre Pläne waren genial und es machte keinen Sinn ihr zu widersprechen, einfach, weil sie Recht hatte.
„Morgen ist die Festung eingenommen, bevor die Elben und Sphinxe etwas merken und dann ist dieses Land unser.“. Nian reckte die Faust in die Luft und die Generäle jubelten, aber Naichie schwieg.
Ascarna und Arlèn trafen sich in einem Bauernhaus zwischen den beiden Lagern. Es war ein solides, aus Stein erbautes Haus mit Blumenkästen vor den Holzfenstern. Die Bewohner waren längst geflohen und hatten ihre Heimat den Tieren des Feldes und den anrückenden Heeren überlassen.
Ascarna erwartete die elbische Heerführerin bereits. Ihre goldenen Augen leuchteten vor Zorn und Feuer und obwohl sie keine Waffen trug, war sie eine. Arlèn wusste wie schnell sich Sphinxe in ihre Löwengestalt verwandeln und wie tödlich sie zuschlagen konnten.
„Arlèn.“. Sie neigte den Kopf nicht wie es Arlèns Begleiter es taten, Sphinxe beugten sich nicht. Im Gegensatz zu Arlèn, die einen silbernen Reif trug, besaß Ascarna nichts, was ihren Rang offensichtlich machte. Aber das war nicht notwendig, jeder in ihrer Nähe musste die gewaltige Macht und Kraft spüren, die sie ausstrahlte. Selbst Arlèn verspürte den dringenden Wunsch auf die Knie zu fallen, um von dieser Macht nicht zermalmt zu werden. Die Sphinx musterte sie für einen Moment und unter ihren Augen schien die Elbe zu verbrennen. Dann winkte sie sie in das Haus.
Die beiden ließen sich an dem hölzernen Tisch nieder und Arlèn breitete mehrere Karten aus.
„Schlechte Neuigkeiten.“, meinte Ascarna, „Die Jorohne haben die Schlacht verloren und Arzaya ist gefallen. Die Nachricht kam von Queron, ihrem obersten Befehlshaber. Er hat die Truppen versammelt und schließt sich meinem Heer an. Übermorgen wird er bei mir sein.“.
Arlèn nickte nur. Sie hatte längst gelernt, keinen Schmerz zu zeigen.
„Was ist mit der Niamey? Kayras Kindern?“.
„Sie sind bei Queron, beiden geht es gut. Die Niamey ist gesunken, aber mein Bruder ist schwer verletzt.“.
„Wie hast du deine Truppen aufgestellt?“, fragte die Elbe.
Ascarna deutete auf die Karte.
„Mein zweites Korps ist bei dem Dorf Trorav versammelt. Die Flanken werden von dem dritten und ersten Korps geschützt. Das vierte Korps befindet sich noch auf dem Marsch und wird vermutlich morgen Abend eintreffen.“.
„Gut. Meine Truppen sind bei Cirl. Ich habe den Hauptteil der Truppen nach Westen ausgerichtet, damit mein Rückzugsweg bestehen bleibt.“.
„Du weißt, dass die Stärke meiner Truppen nicht bei offenen Feldschlachten liegt.“, warnte die Königin der Sphinxe sie.
„Ja.“. Arlèn seufzte, „Aber genau dazu will Nian uns zwingen. Und ich weiß nicht, wohin ich meine Truppen bewegen soll, weil ich nicht weiß, wo Nian ist.“.
Auch Ascarna wusste auf diese Frage keinen Rat. „Sie wird nach Westen marschieren. Mehr weiß ich auch nicht. Aber ich habe Aufklärungsoffiziere losgeschickt.“.
„Ich ebenfalls.“, meinte sie leise. „Aber bis die mir Nachrichten bringen, kann es dauern.“.
„Ja und mehr als warten, können wir erst einmal nicht tun.“.
Arlèn stand auf.
„Gut. Ich hoffe wir sehen uns in vereinter Stärke auf dem Schlachtfeld und wenn nicht…Viel Glück, dir.“.
„Dir ebenfalls.“. Ascarna lächelte.
Dann ritt Arlèn erneut davon, um sich auf die Schlacht vorzubereiten.
Die Hufe trommelten über den Boden. Wasser spritzte auf, als der braune Wallach einen Bach durchquerte. Über Joshua erhob sich ein wolkenbedeckter Himmel und feiner Nieselregen ließ die Welt hinter einem grauen Vorhang verschwinden.
Während des Rittes sah er sich um. Es war nichts zu sehen, außer der Wand aus grauem Nebel und einem Hasen, der vor den Hufen des Pferdes flüchtete. Obwohl er die Sonne nicht sah, wusste er, dass Cirl nicht mehr weit sein konnte. Wenn er sich nicht verirrt hatte und zu weit nach Süden abgekommen war…Nein, eigentlich musste er richtig sein.
Joshua warf einem Blick zu seinem Begleiter, der an seiner Seite ritt. Acheving war nicht gefesselt, doch Joshua wusste, dass er keinen Fluchtversuch unternehmen würde. Nur Joshuas Gegenwart gewährleistete ihm Sicherheit. Außerdem verzog er bei jeder Unebenheit vor Schmerz das Gesicht. Ein blutverkrusteter Verband war um seinen Kopf gewickelt und an seiner Schulter war er ebenfalls verletzt.
Joshua runzelte die Stirn. Er hätte Acheving gerne noch etwas Ruhe gelassen, denn er wusste gut genug, wie schmerzhaft es war, mit einer Kopfwunde zu reiten. Doch in Yarill war der Sebetjh nicht länger sicher gewesen. Queron hatte sich einen gefährlichen Hund gefangen, den er nur mit Mühe bändigen konnte und der wild und zornig um sich schnappte. Allein den elbischen Soldaten, die Acheving bewacht hatten, war es zu verdanken, das dieser nicht ebenfalls von der Mauer baumelte. Der Mob, in den sich das Volk der Jorohne verwandelt hatte, war der Wert von Geiseln egal. Es reichte, dass er ein Sebetjh war. Sie waren auf Rache aus und das konnte Joshua auch verstehen, aber Hass war ein gefährlicher Ratgeber. Jedes Mal, wenn man ihn rief, spielte man mit lodernden Flammen.
Und wohin sollte Acheving fliehen? Die Elben und Sphinxe würden ihn gefangen nehmen, die Jorohne und Sebetjh töten. In diesem Land würde er keine Zuflucht finden und in seine Heimat konnte er ebenfalls nicht zurück. Solange er bei Acheving verblieb, war er sicher von Tod und einer weiteren Gefangennahme. Und Joshua hatte festgestellt, dass der Sebetjh ein angenehmer Zeitgenosse war.
„Die Savill.“. Joshua deutete auf die Straße, die sich vor ihnen ausbreitete und sie direkt nach Ciril führen wurde.
„Du weißt nicht zufällig etwas über Nians Pläne?“.
Acheving verzog das Gesicht vor Schmerz, als er mit den Schultern zuckte.
„Ich habe mich versteckt und einen Verräter würde sie nicht in ihre Pläne einweihen. Ich kann dir nur sagen, wie sie handeln würde.“.
„Wie?“.
„Insgesamt hat sie eine kleinere Streitmacht als Elben und Sphinxe zusammen. Ihre Strategie wird deshalb sein: Teilen und dann herrschen.
Sie wird versuchen den einen Gegner abzulenken, damit sie den anderen in der Zeit schlagen kann und wenn sie ihn geschlagen hat, dann greift sie mit voller Wucht den zweiten Gegner an. Sie wird auf jeden Fall verhindern, dass sie gegen beide gleichzeitig antritt. Sie wird euch spalten und wenn sie das geschafft hat, dann gehört ihr der Sieg.“.
„Und wieso sollte ich deinen Worten glauben schenken?“, fragte er leise, obwohl er die Antwort schon kannte, bevor Acheving sie über die Lippen brachte.
„Was nützt mir mehr? Nians Sieg oder ihr Fall? Außerdem hat sie meine Schwestern getötet.“. Es war die Wahrheit. Joshua las es in seinen Augen, die vor Zorn dunkel leuchteten.
In diesem Moment schob sich der Mond zwischen den Wolken hervor und Adars rotes Licht erleuchtete ihren Weg.
Sie erreichten eine Kreuzung. Wenn sie ihr nach Süden folgen würden, dann würden sie die Stellungen der Sphinxe erreichen und aus dem Osten kamen sie, doch es war der Weg nach Norden, dem sie folgten. Es war das Lager der Elben, zu dem sie zu gelangen suchten.
Acheving sah zu einem Turm herüber, der sich wie ein krummer Finger in die Nacht streckte. In der Nähe plätscherte ein Fluss.
Abrupt zog Joshua die Zügel an, so dass sein Pferd wieherte.
„Was ist?“, hörte er Acheving fragen, aber er beachtete ihn nicht.
Auf schnellem elbisch murmelte er vor sich hin und warf immer wieder Blicke zu dem Turm und der Kreuzung.
Dann stieß er dem Wallach die Fersen in die Flanken und trieb ihn in einen rasenden Galopp. Acheving folgte ihm rasch und schwieg bald, nachdem er bemerkte, dass er auf seine Fragen keine Antwort erhielt. Auf Joshuas Gesicht dagegen war ein verbissener Ausdruck aufgetaucht. Immer wieder trieb er sein Pferd an, bis das Tier von Schweiß bedeckt war und blutiger Schaum sein Maul bedeckte.
Endlich tauchten die dunklen Zelte des elbischen Lagers vor ihm auf. Die Wachen wollten ihn anhalten, doch er trieb sein Tier noch mehr an, bis die Männer zur Seite sprangen, um nicht von den tobenden Hufen zermalmt zu werden. Männer und Frauen wichen ihm aus und beschimpften ihn, aber Joshua hielt erst an, als er das Kommadozelt erreichte. Er sprang vom Pferd und stürmte hinein, ungeachtet, dass er sein Schwert auf dem Rücken trug und mehrere Dolche.
„Wo ist Arlèn?“, keuchte er.
„Joshua?“, fragte Königin Kayra verwundert. „Und wer ist das?“. Sie deutete auf Acheving, der hinter Joshua eingetreten war.
„Mutter. Wo ist Arlèn?“.
„Sie ist zu einem Treffen mit Ascarna geritten.“, erklärte Kayra verwundert.
„Gut. Sag ihr „Savill“. Ich reite dorthin und werde die Kreuzung verteidigen, bis die Hauptstreitmacht kommt. Ich nehme mir eine Kompanie, falls sich mein Verdacht als falsch herausstellen sollte, dünnt sich das Heer nicht zu sehr aus. Und falls nicht…“. Er zuckte mit den Schultern. „Dann hoffe ich, dass ihr schnell reiten könnt.“.
Er umarmte seine Mutter und wandte sich zum Gehen.
„Das ist Acheving. Er ist mein Gefangener. Behandle ihn gut…Er ist mein Freund.“.
Acheving deutete ein Nicken an. Freunde obwohl sie Feinde waren und in zwei verschiedenen Heeren kämpften.
Dann wandte er sich um, stieg auf Kayras Stute, die schon gesattelt war und zwischen der von Fußabdrücken zerschlammten Erde nach Grashalmen suchte.
Dann befahl er eine der bereitstehenden Kompanien, die etwa zweihundert Männer umfasste, ihm zu folgen. Die Nacht verschluckte sie.
Als Arlèn das Lager erreichte, kam Kayra ihr entgegen.
„Joshua war hier. Er meinte irgendwas von Savill und einer Kreuzung. Er ist mit einer Kompanie los geritten, um sie zu verteidigen.“.
„Savill?“, fragte Arlèn scharf.
„Eine Karte.“, wies sie ihren Adjutanten an, der eilig davon lief und wenig später eine Karte vor ihr ausbreitete.
Arlèns Finger strichen über das Papier und folgten der Straße von Savill.
„Verflucht! Ich Närrin!“, schrie sie auf „Sie hat mich in hereingelegt! Eine verfluchte Falle.“.
Ihr Atem wurde ruhiger, als sie sich mit dem Befehl des sofortigen Abbruchs des Lagers an ihren Adjutanten wandte.
Dieser lief fort und Kayra beugte sich neben sie über die Karte. Dies erinnerte sie so sehr an eine ähnliche Situation fünfunddreißig Jahre vorher. Dort hatte sie auch in einem Lager gestanden und der Regen hatte die Welt in grau getaucht. Nur, dass damals Alrion das elbische Heer geführt hatte und Arlèn diejenige gewesen war, die die Falle von Rohjin, Josias Bruder, verhindert hatte. Damals hatte Alrion über einer Karte aufgeschrieen, jetzt war es Arlèn.
„Sie will diese Kreuzung.“, erklärte die Elbe, „Denn damit würde sie den direkten Verbindungsweg zwischen unserem Heer und dem von Ascarna zerstören. Es blieben Feldwege und Felder, über die zwar die Kavallerie und Infanterie marschieren können, wo es aber problematisch für die Fuhrwerke wird, die unseren Nachschub und die Katapulte und Skorpione transportieren.“.
„Aber dann würde sie doch von zwei Seiten eingekesselt werden.“. Kayra runzelte die Stirn.
„Theoretisch schon, aber dieses Risiko wird Nian nie und nimmer eingegangen sein. Ich wette…“. Sie brach ab, als ein Löwe vor ihnen anhielt. Noch während der Botschafter sich in seine menschliche Gestalt verwandelte, erklärte er: „Wir wurden vor circa drei Stunden angegriffen. Es sind keine Vorposten, sondern ein Teil der Hauptarmee. Ascarna bittet um Verstärkung. Ihr sollt ihnen in die Flanke fallen, während wir sie beschäftigen.“.
„Wir müssen die Kreuzung halten. Solange wir unsere Feinde nicht zurückgetrieben haben, kann und werde ich keinen Mann entbehren.“.
Sie lächelte bitter.
+ih