Es herrschte Aufregung in den beiden gegenüberliegenden Lagern. Truppen wurden aufgestellt, die letzten Klingen geschliffen, die letzten Gebete gesprochen. Boten überbrachten Nachrichten und Männer rannten hin und her.
Es war später Vormittag, doch das Heer der Sebetjh war erschöpft von dem Marsch und die letzten Truppen waren noch längst nicht eingetroffen.
Arlèn wusste das und sie hatte somit mehrere Bataillone, bestehend aus leichter Kavallerie, ausgeschickt, die unabhängig vom Hauptkommando waren und deren einzige Aufgabe es war, die feindliche Versorgung zu stören. Sie griffen aus dem Hinterhalt an, vernichteten Brücken und versperrten Straßen.
Der Marsch ihres Heeres war bis auf einige vereinzelte Gefechte mit Aufklärungsposten ungestört verlaufen – ein Wunder oder eine Dummheit Nians. Arlèn fragte sich zum wiederholtesten Mal – und mit ihr der ganze Generalstab – was drüben im feindlichen Lager vor sich ging. Etwas stimmte ganz und gar nicht, denn wie Spione und Aufklärungsoffiziere berichteten, waren sowohl der oberste Generalstabschef Naichie verschwunden, sowie einige weitere Generäle und einige Soldaten waren hingerichtet worden. An sich war es nicht merkwürdig, wenn Soldaten hingerichtet wurden, Deserteure und Aufständische gab es immer – aber wenn gleichzeitig hochrangige Generäle verschwanden, war es definitiv seltsam.
Arlèn blickte erneut auf die Karte, auf die sich ihr Generalstab grade fokussierte und lauschte den Ideen über Truppenverschiebungen und Aufstellungen.
„Ihre Schwäche ist die Kavallerie.“, erklärte ein General mit dem Namen Myroh grade. „Sie haben kaum Kavallerie, weshalb ich unsere Truppen in Linien aufstellen würde. Sie selbst wissen aber wie gut unsere Kavallerie ist und werden Karrees bilden, um gegen die Kavallerie geschützt zu sein, damit werden sie aber auch anfälliger gegen Bliden und Skorpione sein. Wenn unsere Truppen dagegen in Linien stehen, sind die Geschütze längst nicht so effektiv wie bei Karrees.“.
„Richtig.“, bestätigte Arlèn ihre Gedanken, „Die Truppen auf den Hügelgruppen sollen Linien bilden. Dennoch würde ich bei der rechten Flanke Karrees einsetzen. Die Division bei der Turmhügelburg und die zwischen Turmhügelburg und Gutshof werden den Kavallerieangriff erleiden müssen.“.
„Nian wird die Turmhügelburg auf jeden Fall einnehmen wollen.“, erklärte Joshua grade, der den Befehl über den Gutshof übernommen hatte. „Ich vermute, dass sie alle Reserven dorthin werfen wird, um unsere rechte Flanke zu zerschmettern und dann ihre Truppen hinter unsere linke Flanke führen wird.“.
„Entweder das oder es wird eine weitere Ablenkung sein.“, murmelte ein weiterer General
„Und Ihr seid Euch sicher, Hoheit?“.
„Ich bin mir sicher.“, erwiderte Joshua kühl. Er war sich nicht sicher, er hoffte nur, dass er durch Achevings Erzählungen Nian richtig einschätzen konnte. Dieser war immer noch nicht zurück und langsam begann Joshua sich um seinen Freund Sorgen zu machen.
„Kronprinzessin?“. Ein Adjutant trat in das Zelt und Joshua lächelte unwillkürlich. Dieser Adjutant schien ihr noch nicht lange zu dienen, denn Arlèn hasste es mit ihrem Titel angesprochen zu werden und keiner sprach ihn in ihrer Gegenwart aus. Doch jetzt hatte seine Schwägerin keine Geduld sich über solche Nichtigkeiten aufzuregen, denn alles wurde unwichtig im Angesicht des Todes.
„Sie marschieren auf.“.
Es war ein beeindruckender Anblick, wenn man es so aus der Ferne betrachtete, dachte Joshua. In der Ferne glänzten die grünen Uniformen der Sebetjh, die hervorragende Ziele abgaben. In gewaltigen Reihen marschierten sie im Gleichschritt näher, die Speere vor sich gestreckt.
Und über ihnen stand ein Tiger auf grünem Grund, der seine Pranken zum Angriff erhob und seinen Spott herausbrüllte.
Ihm gegenüber stand die mächtige Eiche mit dem Majon und dem im Boden steckenden Schwert auf blauem Grund.
Joshua griff nach den Zügeln seines Hengstes und saß auf. Er schloss seinen Spangenhelm und legte sein Schwertgehänge um. Dann nickte er Arlèn ein letztes Mal zu und verließ die Hügel auf einen Weg, der, wenn man ihm bis zum anderen Ende des Tals folgte, gradewegs ins Lager der Sebetjh führte. An diesem Weg stand der Gutshof, dessen Verteidigung Joshuas Aufgabe war.
Elben standen vor den Toren und hatten sich notdürftige Bänke gezimmert, damit sie über die Mauer sehen und Armbrüste abfeuern konnten. Es war nicht genug Zeit gewesen, um Schießscharten anzulegen und deshalb mussten sie sich so behelfen.
Der Gutshof lag auf einem Hügel und hatte einen quadratischen Aufbau mit zwei großen Toren. Im Osten erhob sich das Herrenhaus, aber der jorohnische Ritter, der hier einst gelebt hatte, war längst geflohen – die meisten Adeligen waren nicht ganz so mutig wie das Volk.
Weiterhin gab es im Norden die Stallungen und im Westen eine große Scheune, neben der sich ein Brunnen befand. Neben dem Herrenhaus befand sich noch ein Haus für das Gesinde, das ebenfalls verlassen war.
Joshua inspirierte alles und stellte sogleich fest, dass das eine Tor morsch war und wies sogleich seine insgesamt vierhundert Männer an es zu verstärken. Überall waren Wassereimer aufgestellt, um Brände zu löschen und die Männer prüften ihre Waffen, legten Bolzen in die Armbrüste ein und starrten gebannt auf das Heer, das ihnen entgegen kam.
Nian trieb Shua an und ritt an ihren Männern vorbei und es begleitete sie der Jubel auf jedem Galoppsprung ihrer Stute.
Siehst du, Naichie, spottete sie still und genoss es, dass er ihr nicht mehr widersprechen konnte. Sie folgen mir überall hin, bis in den Tod. Sie bringen alle Kraft auf, die sie besitzen – für mich.
Ihr Name hallte durch die Reihen und die Männer streckten ihr ihre Waffen entgegen.
„Soldaten. Meine Brüder und Schwestern.“, rief sie und ihre Stimme hallte über das Schlachtfeld. „Dies ist ein Tag, dem kein anderer gleicht. Dies ist der Tag der Rache. Rache für die Opfer, die unsere Vorfahren erleiden mussten. Ihr werdet die Ehre in Triumph in unsere geschundene Heimat zurückbringen. Und noch in Generationen wird man sich eurer erinnern, als die, die ihr Volk heilten und ihre beschmutzte Ehre wieder herstellten. Wann immer euch jemand begegnen wird und ihr werdet sagen, ich kämpfte bei Faszon gegen die Elben werden sie von euch sagen: Das ist ein tapferer Mann! Ein Verteidiger und Held seines Landes!
Dies ist ein Mann, dem Ehre und Ruhm gebührt, denn er brachte Ehre und Ruhm seinem Land!
Ihre berühmte Kavallerie wird unter euren Angriffen zerbrechen und sie werden vor euch fliehen und man wird von euch reden, als die, welche die Unbesiegten besiegten!
Und ich verspreche euch, dass wir keinen Frieden mit ihnen schließen werden, bis sie nicht vor uns auf dem Boden kriechen. Und man wird von euch sprechen als die, welche Anthar zu Boden gerungen haben. Man wird von euch als Helden reden und noch in tausenden von Jahren wird es niemand wagen, unser Land anzugreifen, weil sie sich vor dem Bezwinger Anthars fürchten. Sagt mir, ist es das, was ihr wollt?!“.
Gewaltige Jubel der Zustimmung ließen den Boden unter ihren Füßen erzittern und Nian genoss diesen Moment. War es nicht das, wofür sie Kaiserin geworden war? Um ihr Volk zum Sieg zu führen?
„Dann reitet mit mir in den Sieg.“.
Und das Heer setzte sich in Marsch.
„Sie beginnen tatsächlich mit einem Angriff auf die Turmhügelburg.“, erkannte Arlèn.
„Und es wird ein harter Kampf.“, entgegnete Mryroh leise.
Nian nickte. Die Turmhügelburg war sehr gut befestigt und würde nur mit sehr vielen Opfern einzunehmen sein – wenn überhaupt.
Im Moment schienen alle Augen auf die Befestigungsanlage im Nordwesten des Tals gerichtet zu sein. Doch die Sebetjh führten keinen Parallelangriff, was Arlèn in den Theorie bestärkte, dass das Ganze nur eine Ablenkung war. Sie sollte in die Versuchung geraten, Männer aus der Mitte zur Verstärkung heran zu führen und dann würden die Sebetjh die geschwächte Mitte angreifen.
Sie Sonne schob sich in den Zenit, während Arlèn die Verteidigungsanlagen entlang ritt und sich von Adjutanten von dem Kampf bei der Turmhügelburg berichten ließ. Die Elben verloren die Hügel, doch die Verteidiger erwehrten sich den Angreifern nur noch härter.
„Die Verteidigung hält.“, berichtete ein General ihr, „Sie bitten um Verstärkung.“.
Arlèn nickte. „Schickt das zweite Bataillon von General Eliohs Infanterieregiment zur Verstärkung.“, befahl sie.
Der General nickte und eilte davon.
Die Elbe beugte sich über die Karte und suchte ihre Stellungen nach Lücken ab.
„Ein paralleler Angriff.“, keuchte ein weiterer Gesandter, „Der Gutshof wird angegriffen.“.
Arlèn nickte. Das hatte sie erwartet.
„Jetzt, Joshua, liegt es an dir.“, murmelte sie leise und starrte erneut auf die Karte.
Joshua sah die Feinde auf sich zurücken und konnte die Uniformen und Waffen schimmern sehen.
Er hob die Hand und eine Welle von Pfeilen erhob sich aus dem Gutshof und über die marschierenden Männer. Schreie ertönten und als sich das Heer weiterbewegte, blieb eine Spur aus Leichen und Verwundeten zurück. Dann kam der Schlag zurück und auch neben Joshua fiel ein Mann zu Boden, ein Pfeil war in sein Kettenhemd gedrungen.
„Brandpfeile.“, rief jemand und der Prinz richtete den Blick gen Himmel. Helle Streifen hoben sich gegen das von Wolken verdeckte Himmelszelt ab und mit einem Zischen trafen sie auf die Gebäude des Gutshofes. Ein Teil des Gesindehauses fing Feuer und helle Flammen schlugen hoch, doch es war schnell wieder gelöscht.
Beide Seiten tauschten weiterhin Pfeilregen aus und hier und da sackte ein Mann zusammen. Dann waren sie heran.
Joshua blickte in die grimmigen Gesichter, die teilweise von Helmen verdeckt wurden. Er bemerkte die Waffen, die sie trugen, um sie zu vernichten. Lange Stöcke (warum trugen sie Stöcke?), Speere, Schwerter und eine Art Hellebarde kamen ihnen in einer gewaltigen Masse entgegen. Die ersten Leitern wurden an die Mauern gelegt und das Tor bog sich und ächzte unter der Last der heranstürmenden Männer.
Er ließ die Armbrust fallen und zog seinen Anderthalbhänder aus der Scheide. Das Metall glänzte, bereit zu töten.
Nun gut, dachte Joshua und hob die gewaltige Klinge. Sein Schwert peitschte durch die Luft, drang durch Fleisch und Sehnen und der Mann, der grade die Mauern hatte erklettern wollen, fiel kopflos zurück.
Doch sie waren wie Fliegen, je öfter man nach ihnen schlug, desto beharrlicher waren sie. Sein Schwert peitschte erneut durch die Luft, hierhin und dorthin und schon bald vergaß er die Gesichter seiner Feinde, die Augen, die im Tod vor Angst und Panik aufgerissen waren. Erneut sackte neben ihm einer seiner Männer zusammen, doch sogleich nahm ein weiterer seinen Platz ein. Joshua trat zurück, wischte sein blutiges Schwert an seinem Waffenrock ab und sah sich um.
Kleine Brände schlugen aus der Scheune und dem Wohnhaus, doch sie waren unter Kontrolle. Zwei Sebetjh hatten es geschafft die Mauer zu erklimmen und hatten eine Bresche in die Reihen der Verteidiger geschlagen. Doch nur wenige Sekunden später, bohrte sich ein Pfeil in das Gesicht des einen und das verbissene Lächeln des jungen Mannes verwandelte sich in Schmerz. Der andere wurde wenig später von einem gezielten Schlag eines Livorlé enthauptet. Der Kopf rollte vor Joshuas Füße und starrte ihn mit blassen Augen an.
Er ging weiter zum Tor und ließ sich von einem seiner Männer berichten, dass das Tor momentan hielt und sicher war.
„Sie versuchen uns zu umgehen.“, lautete kurz darauf der Ruf eines verblüfften Elben.
„Was?“. Joshua trat an die Mauer und blickte hinüber. Tatsächlich beobachtete Joshua wie die Sebetjh versuchten sich im Osten an den Mauern vorbeizudrücken. Sie hoben die Schilde, um sich vor dem beständigen Pfeilbeschuss zu erwehren, den Joshuas Männer anschossen.
„Das schaffen sie nie.“, erklärte ein Mann zuversichtlich, „Hinter uns steht eine Kavallerie-Brigade. Die machen sie platt.“.
„Und vergiss die Infanterie-Brigaden von Lavioèn und Lèm nicht.“, stimmte ein weiterer ihm zu.
„Vergisst nicht, dass dies die Infanterie eines ganzes Korps ist.“, herrschte ein alter Veteran sie an.
Langsam kroch die Schlange aus Männern weiter und jetzt begann ebenfalls die Brigade unter Lavioèn mit dem Beschuss und die Toten türmten sich schon bald zu Hügeln, hinter denen andere Schutz suchten. Blut tränkte die feuchte Erde, während sich die verbliebenen Männer den Hügel herauf quälten.
Joshua lud seine Armbrust und der Bolzen warf einen Mann von den Füßen.
„Sind sie wahnsinnig? Sie müssen doch wissen, dass sie das nicht schaffen.“, murmelte ein Soldat.
„Manchmal wollen Befehlshaber ihre Fehler nicht zugeben.“.
Joshua nutzte die Ruhepause und ließ sich über die Verluste berichten, die sich erfreulicherweise bei vierunddreißig Toten und fünfundvierzig verletzten beliefen. Was Joshua dagegen Sorgen machte, war der Vorrat an Pfeilen und Bolzen, der erstaunlich schnell zu Neige ging und ohne Bogenschützen war es so gut wie unmöglich eine Festung zu halten.
„Da kommt die Infanterie.“, schrie ein Mann.
„Lavioèn oder Lèm.“, rief ein weiterer.
Die beiden Heere prallten aufeinander, doch Joshua war dazu verdonnert, zu zusehen, denn seine oberste Priorität war es, diesen Gutshof zu halten. Die Verteidigung der Hügel war die Aufgabe eines Anderen und nicht die seine.
„Wo bleibt die Verstärkung.“, rief einer.
„Sie werden niedergemacht.“, ein anderer.
Joshua hörte die Rufe nur aus der Ferne, doch aus dem erleichterten Raunen nahm er wahr, dass die Verstärkung wohl eingetroffen war.
„Schickt Nachricht zu Arlèn und fragt sie, warum unser Nachschub ausbleibt. Wir haben kaum noch Pfeile und Bolzen und wenn wir es denn könnten, hätten wir gerne etwas zu essen.“. Der Bote nickte, führte seinen Wallach durch ein kleines Seitentor und jagte davon.
„Reißt Balken aus der Scheune und verstärkt damit das Tor.“, befahl er einigen Männern, die sich an die Arbeit machten, denn es würde definitiv nicht der letzte Angriff sein.
Mehr konnte er nun nicht tun. Er lehnte sich erschöpft an die Wand der Scheune, als bemerkte er es jetzt, wie anstrengend es war, ein Kommando zu führen.
„Alles in Ordnung, Hoheit?“, fragte ein Soldat besorgt, „Seid Ihr verwundet?“.
Joshua öffnete die Augen und sah den Elben an.
„Nein. Ihr habt tapfer gekämpft, mein Freund.“.
Der Soldat verneigte sich und ging davon.
Joshua richtete sich auf und ging zu der Mauer zurück und seinen Männern, die immer noch angespannt den Kampf der Sebetjh und der zwei Brigaden beobachteten.
„Da kommt die Kavallerie.“, meinte ein Mann plötzlich und tatsächlich sah Joshua die gewaltigen Pferde heranstürmen. Die elbischen Brigaden wichen zurück und machten Platz für die Kavallerie. Die Reiter hielten ihre Speere vor sich und die Sebetjh waren zu langsam gewesen, so dass nur zwei Bataillone es schafften, Karrees zu bilden und sich so der Angriffe der Reiter zu erwehren. Die Pferde schreckten vor den Speeren zurück oder wurden von ihnen aufgeschlitzt. Es war ein wilder und unberechenbarer Kampf und sowohl die Linien der Kavallerie, als auch die der elbischen Brigaden, die wieder am Kampf teilnahmen, als auch die Sebetjh befanden sich in Auflösung und vermischten sich. Wer wusste bei dieser Hölle schon, wo sein Befehlshaber war und welchen Befehlen er folgen sollte, außer auf jeden in einer feindlichen Uniform einzuschlagen?
Es erschien ihm wie Ewigkeiten, bis sich der wirre Nebel des Kampfes lichtete und der Großteil der Waffen schwieg. Die Soldaten fielen sich in die Arme und jubelten. Die Infanterie des ersten Korps existierte nicht mehr, die Überlebenden waren verstreut oder in Gefangenschaft geraten.
Joshua atmete auf, die erste Welle war überstanden.
„Die Sebetjh bei dem Gutshof wurden besiegt.“, berichtete ein Bote, „Etwa die Hälfte von Dierans Kavallerie und die Hälfte von jeder Infanteriebrigade wurden vernichtet. Lèm ist gefallen.“.
„Gefangene?“.
„Etwa zweitausend. Ihr Befehlshaber hat allerdings den Tod durch das Schwert der Gefangenschaft vorgezogen.“.
Arlèn nickte.
„Lasst die Gefangenen nach Süden zum Dorf Ravil bringen und die beiden Brigaden sollen sich unter dem Befehl von Lavioèn zusammenfassen.“.
Der Bote eilte wieder davon.
Die elbische Befehlshaberin griff erschöpft nach ihrem Wasserschlauch und ließ das kühle Nass durch ihren Körper rinnen. Der Hügel, auf dem das Wappen des Hauses Kéros wehte und auf dem sich ihr Generalstab versammelt hatte, bot einen guten Überblick über die Geschehnisse.
„Ein erneuter Angriff zwischen der Turmhügelburg und dem Gutshof.“.
Arlèn stand auf und ging zu ihrem Generalstab herüber.
„Sie greifen mit Kavallerie an.“, erklärte ein Elb besorgt.
„Dann werden wir ihnen unsere entgegen schicken.“. Sie schreckten auf und beobachteten ihre Oberbefehlshaberin.
„Die Infanterie ist bereit und sie werden nicht damit rechnen, dass die Infanterie sich in Karrees aufgestellt hat. Dann wird die Kavallerie kommen und sie sind erledigt.“, erklärte sie müde.
Ein weiterer Bote erschien und berichtete ihr, dass in der Turmhügelburg ein Feuer ausgebrochen war, das nicht unter Kontrolle gehalten werden konnte und schon etliche Männer getötet hatte.
„Wir dürfen die Turmhügelburg auf keinen Fall aufgegeben. Sie sollen weiter kämpfen.“, erwiderte sie dem Boten leise, während ihre Generäle weiter diskutierten.
Arlèn währenddessen gab die Befehle und starrte auf den Flecken des Schlachtfeldes, wo sich die Turmhügelburg erhob. Selbst von hier sah sie den Rauch und die hellen Flammen, die in den Himmel schlugen. Doch egal was geschah, die Burg durften sie nicht aufgeben.
Dort war die Kavallerie der Sebetjh. Die gewaltigen Pferde, die vorwärts jagten, bereit alles zu zermalmen, was vor ihre Hufe kam.
Und dort waren die Karrees, Soldaten, die sich in Vierecken aufgestellt hatte, in der Mitte Bogenschützen und Armbrustschützen, die aufrecht über die Schultern ihrer Vordermänner zielten. Die vorderen Reihen bestanden aus Elben mit Speeren und Partisanen, die somit eine gewaltige und undurchdringbare Wand aus Eisen schufen, die die Pferde nicht überwinden konnten und wollten.
„Warum haben sie keine Infanterie zur Unterstützung geschickt.“, murmelte ein General und schüttelte immer wieder seinen Kopf.
Arlèn war froh über die Dummheit der Sebetjh, das machte den Sieg nur einfacher. Sie hatten weniger Männer als die Sebetjh, das war ihr bewusst, doch ein offensiver Kampf, wie ihn die Sebetjh führten, kostete deutlich mehr als ein defensiv geführter. Und Kaiserin Nian machte ziemlich viele Fehler wie Kavallerie ohne Infanterie zu schicken. Es war dumm, einfach nur dumm.
„Sie weichen zurück.“, erklärte ein General nach einem gewissen Zeitraum, der Arlèn wie Ewigkeiten vorkam.
„Tatsächlich.“, murmelte ein weiterer.
Langsam zogen sich die Sebetjh zurück – und ließen ein Feld des Todes zurück. Es war leicht, sich das Ganze aus der Ferne anzusehen, doch Arlèn wusste, wie es den Sterbenden und Verwundeten dort unten erging. Sie wusste es und wünschte sich, dass sie es verhindern könnte, aber so war der Krieg.
„Sie greifen erneut an.“.
Arlèn schüttelte den Kopf, hatte Nian denn nichts gelernt? Es war sinnlos und brachte nur unnütze Opfer.
Es waren insgesamt zwei Angriffe, die die Kavallerie der Sebetjh auf die Ebene zwischen der Turmhügelburg und dem Gutshof durchführten und jeder einzelne führte in eine Katastrophe. Es waren einzelne Reiter, die aus der Hölle von Angst und Blut entkamen, aber nicht viele. Die Kavallerie der Sebetjh existierte nicht mehr, allerdings hatte auch die elbische gelitten und besaß längst nicht mehr die Größe wie zu Beginn der Schlacht. Ihre Reihen dünnten sich langsam aber allmählich aus.
Langsam aber sicher ermüdete Joshua. Er wusste nicht zum wievielten Mal er sein Schwert hob und einen erneuten Angriff abwehrte. Da den Verteidigern letztendlich die Pfeile ausgegangen waren und Steine sich als keine allzu wirkungsvolle Alternative erwiesen hatten, waren die Sebetjh über die Mauer gelangt. Und es waren so viele, die ihre Leitern an den Stein lehnten und herüber kletterten, während für sie kein Nachschub eintraf – weder an Männern noch an Material.
Um ihn herum starben seine Männer und das erfüllte ihn mit Verzweiflung. Joshua rannte auf einen Sebetjh zu, der mit dem langen Stock, um sich herum wirbelte und die Verteidiger auf Abstand hielt. Joshua sprang vor, rollte sich unter dem Stab hinweg, sprang auf die Füße und schlug dem Gegner den Stock aus der Hand, bevor er erneut bei ihm angelangte. Doch bevor er das Leben seines Gegenüber beenden konnte, hatte dieser schon mir bewundernswerter Schnelligkeit ein Schwert gezogen und erwiderte Joshuas Schlag gekonnt. Schwerter? Wieso hatten sie so viele Schwerter, bei seinem Schwert war ein Schwert viel zu teuer, als dass ein einfacher Soldat es sich leisten könnte. Die Sebetjh mussten reiche Minen besitzen.
Er drehte sein Schwert ein wenig und Joshua versuchte sich an das zu erinnern, was ihm Acheving über Schwertkampf der Sebetjh erzählt hatte. Grade noch rechzeitig wirbelte er zur Seite und die Klinge traf nur Luft. Doch der Sebetjh geriet nicht im Geringsten aus dem Gleichgewicht, sondern drehte sich erneut in Joshuas Richtung. Dieses Mal parierte der Elb den Schlag und spürte die Anstrengung durch seine Knochen rinnen. Noch mehr Schweiß tränkte seinen Waffenrock und machte das ganze noch unbequemer.
In der nächsten Zeit kam Joshua nur noch zum Ausweichen und Parieren, einmal schaffte er es die Deckung zu durchdringen, aber seine Klinge glitt am Kettenhemd ab und grade noch rechzeitig, fand er sein Gleichgewicht zurück, um den nächsten Schlag zu erwidern. Eine schnelle Folge von Schlägen hagelte auf ihn herab und das Schwert in seiner Hand wurde immer schwerer.
Er knurrte vor Erschöpfung und Wut und hieb nach den Beinen des Sebetjh, doch dieser sprang hoch und seine Klinge fuhr von oben herab und traf Joshuas Helm, glitt aber daran ab.
Am Ende kam ihm ein Pfeil zur Hilfe, der durch das Kettenhemd des Gegners drang, das Joshua nicht hatte zerstören können.
Einer seiner Soldaten klopfte ihm auf die Schulter und murmelte etwas von „Das war mein letzter Pfeil.“.
Joshua richtete sich auf und sah zu viel Blut und zu viele Tote, die sich besonders an den Mauern türmten. Und die Sebetjh waren überall und drängten seine Männer immer weiter zum zweiten Tor zurück.
Er ignorierte diesen Gedanken vorerst und stürzte sich erneut ins Getümmel. Er tötete zwei Sebetjh von hinten, bis ein wahrer Riese von einem Mann mit solcher Kraft seinen Angriff erwiderte, dass sein Schwert zersplitterte. Wütend ließ Joshua die Bruchstücke fallen, rollte sich unter der Klinge hinweg und griff nach dem Schwert eines toten Sebetjh, das sich ungewohnt in seiner Hand anfühlte. Der Schwerpunkt war weiter nach vorne verlagert, als er es bei seinem Schwert gewöhnt war und es war insgesamt leichter.
Dennoch schlug er hart genug auf den Sebetjh ein, dass dieser nach einer Weile zusammensackte, während Joshua wütend brummte: „Das war das beste Schwert, das ich je hatte, mit einer schön federnden Klinge, das findet man so schnell nicht wieder. Ein Geschenk von meinem Vater, zerstört man nicht ungestraft.“.
Joshua spuckte Blut aus, irgendwann im Kampf hatte er sich auf die Zunge gebissen, doch schwer verletzt war er nicht, auch wenn er fürchtete, dass die alte Wunde am Arm wieder aufgebrochen war. Egal. Jetzt galt es seine Männer aus dieser Hölle heraus zu führen. Er wollte nach dem Horn greifen, das normalerweise an seinem Gürtel hing, doch es war verschwunden. Verdammt. Dann musste er sich eben so behelfen…
Er wich einer Klinge aus und wand sich aus der wogenden Masse aus Körpern heraus. Gut drei Dutzend seiner Männer hatten sich zu einer Reihe aufgestellt und verhinderten, dass die Sebetjh weiter vordrangen. Unter ihnen entdeckte Joshua auch seinen Stellvertreter Arim’Sor. „Gebt den Befehl zum Rückzug.“, befahl er, der Elb blies in sein Horn und ein dunkler, klagender Ton entwich in die Luft. Das hintere Tor wurde geöffnet und die Männer, die sich aus dem Getümmel lösen konnten, verließen den Gutshof eilig. In diesem Moment knarrten die Balken der Scheune und Joshua wich vor der Hitze zurück.
„Jetzt“, schrie er. Die Männer lösten die Reihe auf und Joshua folgte ihnen heraus in die Nachtluft, die Freiheit verhieß, während über ihnen die Pfeile flogen und hinter ihnen die Scheune zusammen brach.
„Wir haben den Gutshof eingenommen, verehrte Kaiserin.“.
Nians Augen glänzten. Nie war sie dem Sieg näher gewesen als jetzt. Arlèns Verteidigungslinien hatten auf der Turmhügelburg und dem Gutshof aufgebaut und da es ihren Truppen so gut wie unmöglich gewesen war, sie zu umgehen, hatten sie auch nicht gegen den schwächsten Punkt in der elbischen Verteidigung angehen können: Ihre Mitte. Jetzt aber…
„Jetzt greifen wir an. Alle Truppen, bis auf die, die bei der Turmhügelburg kämpfen, sollen ihre Mitte zerschmettern.“.
Nian blickte auf und betrachtete die Heerteile, die sich hin und her bewegten. Die brennende Turmhügelburg und der Gutshof und die Truppen der Elben, die angespannt auf den Angriff warteten, von denen sie wussten, dass es der Höhepunkt der Schlacht war. Der Höhepunkt, der sie zu ihrem Sieg bringen würde und mit dem ihre Macht unanfechtbar sein würde.
Nian lächelte, aber es war ein kaltes Lächeln.