Das Meer brach sich an Felsstränden, über denen sich gewaltige Klippen erhoben, die von dichten Wäldern bewachsen waren.
Es war ein grauer Tag und stetiger Nieselregen vermischte sich mit den Wellen. Dies war normalerweise eine unbewohnte Gegend, doch im Moment sprühte sie vor Leben, auch wenn man dieses erst entdeckte, wenn man den Blick von den Wäldern abwandte und sich die Bucht näher ansah, deren Eingang von spitzen und unter der Wasseroberfläche halb verborgenen Felsen gekennzeichnet war. Es war ein Labyrinth aus Felsen, Höhlen, die sich mit der Flut mit Meerwasser füllten, Felstoren und Buchten, die teilweise von außen komplett verborgen waren. Es wurde für Schiffe leicht zu einer tödlichen Falle und die Elben hatten es nicht umsonst Lèmi èrit genannt „Pfade des Todes“.
Und dennoch war es für diejenigen, die sich hier auskannten, ein wunderbares Versteck und kein anderes Volk wusste so viel über die Wege des Meeres wie die Jorohne.
Queron wusste das die Sebetjh sich nie hierhin wagen würden und hatte so diesen Ort als Sammelplatz für die – durch die Schlacht - verstreute Flotte der Jorohne ausgewählt. Es war schwierig einen Überblick über die Situation zu erlangen. Queron wusste, dass mindestens vierundzwanzig Schiffe während der Schlacht gesunken waren und dass vier weitere so beschädigt gewesen waren, dass sie wahrscheinlich später ebenfalls untergegangen waren. Bei den gekaperten Schiffen war die Anzahl schon schwerer zu erkennen, da sich die Angaben der Männer widersprachen. Er schätzte den Verlust auf mindestens fünfzig ein, auch wenn er es nur bei vierzehn relativ sicher wusste.
Insgesamt bedeutete das, dass etwa achtzig Schiffe auf jeden Fall verloren waren, wahrscheinlich belief sich die Summe sogar auf hundert. Zu Beginn der Schlacht hatte er dreihundertsechzig Schiffe gehabt, bisher waren zweiundneunzig Schiffe versammelt, was hieß, dass siebzig Schiffe irgendwo auf dem Meer herumtrieben oder im Nachhinein gesunken waren.
Das war nicht viel, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Sebetjh noch um die dreihundert Schiffe besaßen, da Queron ihre Verluste auf etwas dreißig Schiffe schätzte. Zusätzlich kamen noch die fünfzig Schiffe, die sie gekapert hatten. Queron besaß mehr als eine dreifache Übermacht gegen sich und vor allen bei Seeschlachten war es schwierig, eine fehlende Größe auszugleichen, das man seine Truppen mal nicht eben in Häusern verbergen konnte und kein vernünftiger Admiral würde seine Flotte teilen. Es waren offene Schlachten und genau das machte Queron Sorgen, weil er wusste, dass grade das unmöglich war.
Es musste einen anderen Weg geben, die Sebetjh zu schlagen. Eine Möglichkeit, sie in eine Falle zu locken und dann zu vernichten.
Queron blickte auf die Karte, die an der Kajütenwand der Königin Arzaya hing. Gab es einen Ort, wo sie einen Vorteil gegenüber den Sebetjh hatten? In einer offenen Feldschlacht waren die Sebetjh mit ihren Corvus ihnen haushoch überlegen, doch dieselben Corvus wurden auch zu einer Schwäche. Die Schiffe er Jorohne, die sowieso kleiner waren, waren durch die geringere Last wendiger und schnellerer, die Sebetjh schwerfällig und ihre Manövrierfähigkeit extrem beeinträchtigt und bei Stürmen konnten sie leichter sinken.
Die Stürme halfen ihnen nicht besonders weiter, zwar regnete es, doch es war fast windstill und es sah nicht so aus, als ob sich das in nächster Zeit ändern würde. Was wenn sie die feindliche Flotte einfach…hier hin locken würde. Die Felsen und Buchten boten ideale Bedingungen für die Jorohne mit ihren wendigen Schiffen, die diese Gewässer zudem sehr gut kannten und wussten, wo man Feinde auf Sandbänke und Felsen locken konnte. Die Frage war nur wie man die Sebetjh hierhin locken sollte. Selbst sie würden sehen, dass es gefährliches Gebiet war.
„Also gut.“, murmelte er und stand auf, um seine Ideen den Admirälen vorzulegen.
Diese waren zunächst skeptisch, doch dann konnte er sie überzeugen. Queron vermisste Arzaya, sie hätte gewusst, wie sie das Feuer in ihnen wecken und sie an sich binden konnte. Ebenfalls fehlten ihm viele weitere Admiräle, der erfahrene und älteste Admiral Andoll, der geniale, wenn auch manchmal etwas schwierige, Sivon, die treuen und charismatischen Brüder Terav und Nondill und die einzige Admiralin, Harazka, die sich wie kein anderer in der Bucht von Anthar ausgekannt hatte. Sie alle hätte er jetzt gebrauchen können, doch sie waren nun mal nicht da und er musste sich mit dem begnügen, was er hatte. Immerhin hatte Iszon überlebt, der beste Navigator, den Queron kannte, ebenfalls war er froh über Narichre, die Einzige in diesem Raum, die nicht vom Volk der Jorohne war.
„Wenn wir ihnen weismachen, dass sich Handelsschiffe nach Yarill aufmachen, werden sie es sich nicht entgehen lassen, sie zu kapern und dann können wir sie überfallen.“, meinte ein Admiral.
„An sich keine schlechte Idee, doch Handelsschiffe würden sich nicht in dieser Bucht aufhalten und außerdem wird jeder Matrose mit Augen im Kopf unsere Schiffe als Kriegsschiffe erkennen.“.
„Und wenn wir ihnen einfach die Wahrheit sagen?“, warf ein weiterer ein, dessen Namen Queron vergessen hatte. Er war ein schlechter Anführer, dachte er verbittert. Er würde niemals diese gewaltige Macht der Jorohne führen können. Arzaya hätte niemals den Namen einer ihrer Männer vergessen, sie hätte sie alleine an der Stimme erkannt. Und überhaupt hatte er festgestellt, das er kein König sein konnte. Woher sollte er denn verstehen, was es mit diesem oder jenem Vertrag auf sich hatte, wie viel Weizen eingelagert werden musste, um dem Volk bei einer Missernte zu helfen, wie viel Geld man herausgeben musste, ohne eine Entwertung zu riskieren? Er verstand sich auf das Führen eines Heeres und das Koordinieren einer Flotte, aber darauf belief es sich auch. Er verstand sich nicht darauf, Menschen zum Jubeln zu bringen. Er wusste wie man Befehle gab, aber nicht wie man einen möglichen Bündnispartner auf seine Seite zog. Arzaya hatte all dies gekonnt und niemand hatte die Kapazitäten diese Frau zu ersetzen. Und wenn sich Queron ehrlich war, wollte er dieses Land auch nicht regieren. Nein, wenn all dies vorbei war, wollte er zu seiner Frau zurück und ihr die Zeit zurückgeben, die er fern der Familie gewesen war. Er konnte seinen Söhnen nicht mehr beim Aufwachsen zu sehen, doch bei seinen Enkeln wollte er dabei sein. Aber Regieren wollte er nicht.
Queron fand in die Gegenwart zurück und musterte den Admiral, auf den die Augen aller Anwesenden gerichtet waren. Es war ein junger Kerl Anfang zwanzig, doch da er es schon in diesem Alter zum Admiral geschafft hatte, musste er etwas drauf haben.
„Die Sebetjh werden es sich bestimmt nicht entgehen lassen, die restliche Flotte ihrer Feinde zu vernichten, bevor sie zu einer Gefahr wird. Wenn wir ihnen also weismachen, dass sich unsere Flotte hier sammelt, werden sie freiwillig hierhin kommen, um uns zu vernichten. Ich würde unsere Anzahl vielleicht reduzieren, doch ich bin mir sicher, dass wir sie so kriegen.“.
Queron nickte.
„Richtig, dieser Idee kann ich nur zustimmen. Wir werden fünfzig Schiffe hier lassen, sichtbar – falls sie Boten schicken – und der Rest wird sich in der Nähe verstecken und dann den Buchteingang versiegeln. Jetzt müssen wir nur noch einen Admiral finden, der sich freiwillig gefangen nehmen lässt und ihnen unsere Geschichte auftischt.“.
„Ich übernehme das.“. Disov, einer der ältesten und erfahrenen Admiräle stand auf. Ihn zu verlieren, wäre schlimm, da er es verstand, die Admiralität geschickt durch Worte zu manipulieren und auf seine Seite zu ziehen. Doch er war in der Seeschlacht verwundet worden und es war nur noch eine Frage der Zeit bis der Tod ihn holen würde. Es war also durchaus sinnvoll, ihm diese Aufgabe zu übertragen.
„Also gut. Du bekommst zwei Schiffe und wirst so tun, also ob du die verschollenen Schiffe auftreiben sollst und wir warten hier, bis die Falle zuschnappt.“.
Es war Abend, als Botschafter meldeten, dass die Sebetjh ihren Stützpunkt verlassen hatten und in ihre Richtung zogen, um am nächsten Morgen anzugreifen.
Queron stand an Deck der Königin Arzaya und betrachtete die blutrote Sonne, die über dem Meer unterging. Führte er sein Volk in eine Falle? Sie vertrauten ihm und hatten ihn zu ihrem Anführer während der Zeit des Krieges gemacht. Doch dies war sein Volk und es war seine Heimat, die er verteidigte. Doch was war, wenn ihre Flotte restlos vernichtet würde.
„Ruhig.“. Narichre war neben ihn getreten, „Egal was geschieht, sie werden diesen Feldzug verlieren.“.
„Wieso bist du dir das so sicher?“, fragte er verbittert.
Sie deutete zum wolkenbedeckten Himmel. „Riechst du es? Es liegt Kälte und Frost in der Luft und die Wolken tragen mehr als Regen. Es wird schneien, vielleicht morgen, vielleicht übermorgen. Doch der Schnee wird Nians Feldzug ein Ende bereiten.“.
Queron sog die Luft ein. Sie war kalt und es mochte tatsächlich Schnee in ihr liegen.
„Der Winter kommt früh dieses Jahr.“, stellte er fest.
„Ja.“, sie nickte, „Ein dreiviertel Jahr ist es her, seitdem die Niamey Yarill verlassen hat. Das Jahr ging schneller herum, als ich dachte.“.
„Du hast Recht.“. Er drückte ihre Hand, als ob er etwas brauchte, an dem er sich festhalten konnte. „Doch zuvor müssen wir ihre Flotte vernichten und so Anthar von dieser Gefahr befreien.“.
Er schwieg und starrte erneut in den Sonnenuntergang, rot wie Blut.
Cesing hungerte. Tanju starrte in eingefallene Gesichter und sah magere Gestalten, die im Abfall nach etwas verwertbarem suchten. Ein Junge rannte an Tanju vorbei und stieß ihn fast um. Er verfolgte eine Katze, die noch weniger Fett besaß als er selbst. Tanju beobachtete wie der Junge sich auf das Tier warf, ungeachtet der Krallen, die ihm durch das Gesicht fuhren. Flink drehte er der Katze den Hals um und huschte davon, doch der ehemalige General hörte wie ihm die Beute wenig später wieder abgenommen wurde. Lange Schlangen bildeten sich vor den Bäckereien, die das wenige Mehl, das sie noch zur Verfügung hatten, mit Sägemehl streckten. Es waren Frauen, Alte und Kinder unter zwölf. Der Rest war im Feld, in einem Krieg für eine Kaiserin, die das Volk längst nicht mehr so bereitwillig akzeptierte. Sie wollte keine Rache für einen Krieg, von dem sie noch nie etwas gehört hatten. Die anfängliche Begeisterung war geschwunden und hatte Platz für Missmut und Aufstände gemacht. Dem Volk war es egal, wer auf dem Thron saß, so lange sie etwas zu essen hatten und die Frauen keine Söhne für den Krieg gebären mussten. Doch genau das war geschehen. Nian hatte das Volk auf ihrer Seite gehabt, doch dadurch das sie ihre Wünsche ignoriert hatte, hatte sie es auch wieder verloren.
Die Lagerhäuser, die von Kaiserin Dioargchie und Prinz Acheving gefüllt worden waren, hatten für die Versorgung der Armee herhalten müssen. Die Dürre der letzten Wochen und Monaten hatte die Großteile der Reisernte vernichtet und viele Brunnen waren ausgetrocknet. Es fehlte an Nahrung und auch die Pelze, Felle und Wolle, die normalerweise von den Gandijol kamen, fehlten. Es kam nichts mehr an. Zerlumpte Gestalten waren in Cesing normal, aber es war nicht mehr normal, wenn es nur zerlumpte Gestalten gab. Dem Land ging es schlecht und die Schuldige war Nian.
Auch hatte Tanju bemerkt, dass das Volk dem Bogen längst nicht mehr so folgte wie einst.
„Wer weiß, vielleicht ist es ein ganz gewöhnlicher Bogen, um ihren Anspruch auf den Thron zu rechtfertigen?“, hatte eine Frau am Vortag gemurmelt und sich dabei schnell zu allen Seiten umgeblickt, ob ein Soldat in der Nähe stand.
Langsam holte die Dämmerung die Stadt ein und mit ihr leerten sich die Straßen, auch Tanju trat in ein Gasthaus, um die Ausgangssperre nicht zu verletzen. In letzter Zeit patrouillierten die Soldaten häufiger und sorgfältiger durch die Straßen, auch Hausdurchsuchungen waren in dieser Gegend häufig vorgekommen. Sanju, der in der Abwesenheit der Kaiserin als ihr Stellvertreter fungierte, war nun einmal Soldat. Er konnte nicht für Brot sorgen, also sorgte er für strengere Kontrollen. Gerüchte kursierten über eine Rebellenorganisation, die die alte Herrscherdynastie wieder an die Macht bringen wollte und angesichts der Umstände sympathisierten weite Teile der Bevölkerung mit ihr. Dioargchie hatte ihr Heer wenigstens nur gegen die Nachtbarländer geführt und die Grenzen geschützt und der Wirtschaft war es einigermaßen gut ergangen, auch wenn teilweise ganze Städte durch Rebellen von dem Versorgungsnetzwerk abgeschnitten gewesen waren.
Das Gasthaus war fast leer – ehrbare Frauen betraten keine Gasthäuser und Männer gab es kaum – und nur in einer Ecke saßen einige Alten, die sich über Wasserkrüge unterhielten. Außerdem bekamen die wenigsten Gastwirte noch etwas Nahrung, um ihre Gäste zu bedienen. Dieser war keiner davon. Tanju hatte nie gefragt, woher er den Reis bekam, aber es war offensichtlich, dass er Schmuggler war. In dieser Zeit gab es viele wie ihn und es wurden viele dafür gehängt.
„Sind alle benachrichtigt?“.
Der Gastwirt sah sich um und murmelte dann.
„Alles ist bereit.“.
„Gut, dann lassen wir die Revolution beginnen.“.
Er fasste unter seinen Umhang und holte ein Stück Stoff hervor. Langsam entrollte er diesen und der rote Drache mit der goldenen Kugel in der Klaue flog durch die Lüfte. Die Männer im Hinterhof des Gasthauses sprangen auf.
„Ist es soweit?“, fragte einer.
„Aber ja.“, entgegnete Tanju, „Die Feuer haben sich erhoben, um den Drachen zurück zu holen und den Tiger zu vertreiben.“.
„Und welchen Drachen habt Ihr gefunden? Ich sah die Töchter der Kaiserin sterben und der Sohn ist ebenfalls ermordet worden. Eine von Dioargchies Schwestern? Es sind einige dem suchenden Blick des Tigers entkommen.“.
„Nein. Der Drache, Dioargchies Sohn lebt und fordert seinen Thron zurück, um ein Zeitalter des Friedens einzuleiten.“.
Ein Mann schüttelte heftig den Kopf.
„Krieg bringt keinen Frieden, sondern nur weiteren Tod.“.
„Hätte Fiarduchwie davor gezögert, den Thron ihrer älteren Schwester mit Gewalt zu entreißen, wäre unser Reich nie so groß geworden und hätte nie den Frieden gewonnen, den es für lange Zeit besaß.“, konterte der junge Rebell und sein Herz schlug gegen seine Brust, als er an seinen ermordeten Vater dachte.
Die Männer schwiegen, doch letztendlich nickten sie.
„Ein Drache erscheint mir besser als ein Tiger, der uns Hoffnung versprach, doch nur Leid brachte.“.
Tanju neigte den Kopf und trat durch die Tür, die Männer sowie der Wirt folgten ihm. Die Menschen blickten aus ihren Häusern, um nach den ungewohnten Geräuschen Ausschau zu halten. Nach und nach erhoben sich immer mehr Drachen über die Dächer. Die Menschen verließen ihre Häuser, missachteten die Ausgangssperre und folgten dem Klang des Widerstandes. Ein Wort wurde weiter und weiter getragen, von Mensch zu Mensch, bis schließlich die ganze Stadt wusste, was dies bedeutete: Revolution.
„Und wir sind uns sicher?“, fragte Sielied, König von Fjørev und Resingr und Admiral der Flotte.
„Aber ja, Sire. Wir haben eines ihrer Schiffe erobert, die Mannschaft ist in schlechter Verfassung, ohne Frage. Aber ihr Kapitän behauptet nach Schiffen zu suchen, um sie zu sammeln.“.
„Musstet ihr für diese Informationen nachhelfen?“, fragte er sein Gegenüber, einen Mann mittleren Alters, der die Abzeichen eines Flottilenadmirals trug.
„Sicherlich! Allerdings muss ich mitteilen, dass der Mann nicht überlebt hat.“.
Sielied zuckte mit den Schultern. Er bezweifelte, dass ein Kapitän viel über die Pläne der Admiralität wissen konnte. Er erfüllte seine Befehle und darauf belief es sich.
„Wo sammeln sie sich? Wie viele?“. Sielied zog eine Karte über den Tisch aus festem Eichenholz heran. Bücher und ein Kompass fielen herunter und Sielied verzog kurz das Gesicht, als er an das empfindliche Gerät dachte. Doch das war wichtiger. Er schob die Bücher, die noch auf dem Tisch lagen auf die Ecken, so dass die Karte sich nicht wieder zusammenrollte und beugte sich über sie. Es war eine genaue Karte, es waren Meeresströmungen und Sandbänke eingezeichnet. Natürlich war die Karte von den Sebetjh, kein Gandijol vermochte es, eine solche Karte zu zeichnen, geschweige denn sie zu lesen. Doch so wenig Sielied die Sebetjh auch mochte, hatte er gelernt, dass sie durchaus einige nützliche Erfindungen entwickelt hatte. Wie Seekarten und Kompasse.
„Hier, kurz bevor mit der Halbinsel die Grenze zu Nor beginnt.“.
Sielied lachte auf. Wie viele Schiffe hatte er ausgeschickt, um die verstreuten Reste der jorohnischen Flotte aufzuspüren und dann verbargen sie sich direkt vor seiner Nase. Es war nicht weit entfernt, wenn sie jetzt aufbrechen würden, würden sie noch vor dem Morgengrauen angreifen können.
„Ich habe Schiffe ausgeschickt, Sire, damit sie den Weg auskundschaften, ebenfalls Reiter zu Land.“, entgegnete der Mann nervös.
„Gut.“. Wenige Schiffe waren schneller als einzelne und es war wichtig zu erfahren, ob die Worte des Kapitäns der Wahrheit entsprachen. Doch wenn es die Wahrheit war, gab es keinen Zweifel daran, was er jetzt tun würde. Zwar hatte Nian ihm befohlen, hier zu bleiben, doch sie hatte ihm auch befohlen, jedes Zusammenschließen des Feindes zu verhindern. Und eine Flotte, die sich sammelte, auch wenn sie angeschlagen war, war ohne Zweifel eine Bedrohung.
Der Mond hatte sich schon ein ganzes Stück weiter geschoben, bis die Nachricht ankam, dass sich die Flotte der Jorohne tatsächlich am angegebenen Punkt versammelt hatte.
„Dummer alter Kapitän.“, murmelte Sielied zufrieden, denn mit seinen Worten hatte dieser die Flotte ans Messer geliefert.
Er dachte an das Gold, das er bekommen würde, wenn sie die Heimat erreicht haben würde. Er war zwar der König von zwei der einflussreichsten Hafenstädte und ein Großteil des Seehandels nach Westen lief über Resingr und Fjørev, doch er besaß keine Minen und keine anderen Rohstoffe, bis auf Holz und Kalk. Und Gold war zum Leben notwendig, es waar notwendig, wenn man als König überleben wollte, denn ohne Gold folgten einem keine Männer und ohne Männer war ein König kein König.
Und dies war eine denkbar einfache Aufgabe, denn mehr als einen heruntergekommenen Haufen von Schiffen, die anscheinend momentan notdürftig repariert worden und definitiv keine Schlacht führen konnten, war nichts zu sehen.
Sielied nickte glücklich und sah das Gold vor seinen Augen glitzern.
„Sie kommen.“, wisperten die Männer, doch Queron las keine Furcht in ihren Stimmen, sondern Vorfreude. Vorfreude, es den Männern Nians heimzuzahlen und Freude darauf, die Möglichkeit zu erhalten, ihre Königin zu rächen. Arzaya war beim Volk beliebt gewesen und ihr Tod hatte den Hass der Jorohne nur noch ins Unermessliche gesteigert.
Die Schiffe, die als Köder in der Mitte der Bucht waren, waren die am schlimmsten beschädigten, deren Verlust würde verschmerzbar sein und sie hatten sowieso nicht die Möglichkeiten, sie umfassend zu warten. Er selbst stand auf der Königin Arzaya, die sich hinter einer Felswand verbarg, die vom Buchteingang nicht einzusehen war. Dunkelheit lag über dem Schiff, der Admiral hatte seinen Männern verboten, Licht zu machen. Nur durch das Licht Adars schimmerte das Wasser dunkel. Bis auf das leise Plätschern der Wellen, die gegen das Schiff schlugen und das angespannte Atmen der Männer war kein Laut zu hören. Doch. Jetzt hörte Queron auch das, was seine Kundschafter ihm gemeldet hatten: Das leise Eintauchen von Riemen. Dann nahm er auch die Bewegung im Wasser wahr. Einzelne Schwimmer teilten das Wasser mit ihren Händen, im Mund trugen sie ohne Zweifel Messer und irgendwo hatten sie sicher auch Seile befestigt, um unbemerkt auf die Schiffe zu gelangen. Queron bewunderte den Mut der Soldaten. Angesichts der Tatsache dass der Winter hereinbrach, war das Wasser eisig kalt.
Wie etwas zu groß geratene Spinnen hangelten sich die Männer an der Bordwand entlang und standen wenig später auf dem Deck. Queron war froh, dass es kein Überraschungsmoment war, denn diese Männer arbeiteten schrecklich effektiv. Sie schwärmten über das ganze Schiff aus und durchsuchten es. Doch Queron wusste, dass das Einzige was sie finden würden, Leichen waren. Er hatte sie absichtlich präparieren lassen, damit die Gandijol glaubten Typhus oder Ruhr waren ausgebrochen.
Nun hoffte er, dass die die gesamte Flotte mit Hoffnung auf leichte Beute hineinbegeben würde. Und tatsächlich es war nicht die gesamte Flotte, aber doch der Großteil und es schien als ob die Kapitäne die Befehle ihrer Oberbefehlshaber ignorieren würden, um möglichst als erster da zu sein und die Beute nicht den Nachbarn zu überlassen. Sie waren gierig und genau das würde ihr Untergang sein.
Queron schlug zwei Feuersteine gegeneinander und das Geräusch drang für seine Ohren verräterisch laut, dann entzündete er die in Pech getränkte Fackel und die Flamme zerstörte die Finsternis. Doch in diesem Moment entluden die Skorpione und Katapulte, sowie einige Bliden ihre tödliche Fracht.
Es ging alles so leicht, fast zu leicht für Sielieds Geschmack. Doch was machte es für einen Unterschied? Die Fackelzeichen der Kundschafter sagten, dass die Schiffe leer waren und anscheinend eine Seuche ausgebrochen war. Die Schiffe ließen sich darauf nicht mehr halten, was verständlich war, denn es war leichte Beute, doch es artete in einem Chaos aus, dass selbst er nicht mehr zu überblicken vermochte. Jeder wollte einfach nur erster sein, ohne Rücksicht auf Verluste.
Der Sturm kam plötzlich und ohne Vorwarnung. Er brach einfach herein und setzte die Welt in Flammen. Zuerst war es nur eine einzige Flamme, die als ferner Lichtpunkt in der Finsternis aufleuchtete. Doch nur einen Augenblick später, trafen die schweren Kugeln der Katapulte und die Skorpione auf ihre Opfer. Brandpfeile zogen eine leuchtende Spur über den Himmel, bis sie die Segel in flammende Infernos verwandelten. Holz ächzte und Todesschreie erklangen. Backbord brach ein Schiff mit einem Krachen auseinander, nachdem Segel und Holz Feuer gefangen hatten. Männer klammerten sich verzweifelt als Holzplanken, ehe sie ermüdeten und im dunklen Wasser verschwanden. Eine Wasserwelle schwappte hoch, als der Stein eines Katapults sein Ziel verfehlte und durchnässte den wie erstarrt dastehenden Admiral. Um ihn herum versank die Welt in Feuer und Blut, der Kreis aus feindlichen Schiffen schloss sich immer enger und er hatte nicht die Kraft, sich aufzurichten und seinen Männern Befehle zu geben. Wie hatte sich diese einzige Entscheidung zu einer solchen Niederlage entwickeln können? Wo kam diese Flotte auf einmal her?
„Mein Herr?“, fragte jemand zögernd und Sielied sah auf, „Sollen wir uns zurückziehen?“.
Rückzug, das hörte sich gut an.
Er nickte und meinte mit heiserer Stimme. „Ja, das sollten wir.“.
Seine Schiffe drehten, soweit es eben möglich war und was zurückblieb war ein Feld aus Trümmern und untergehenden Schiffen. Es waren sowohl feindliche als auch ihre eigenen. Sie hatten die Schiffe, auf die Sielieds Männer anfangs zugehalten hatten, einfach mit zerstört. Doch woher die Feinde kamen, wo sie sich verbargen, hatten sie nicht offenbart. Der Tod kam von allen Seiten.
Die Fjørev, Sielieds Schiff, führte den Rückzug an. Doch dort, wo sich der Buchteingang erheben sollte, befand sich eine endlose Reihe aus Schiffen, die Namen in jorohnischer Schrift trugen. Und selbst im Licht des Mondlichtes und der Feuersäulen hinter ihm erkannte er den Hass in den Gesichtern des dunkelhäutigen Volkes. Dann entlud sich eine weitere Ladung des Todes über sie. Sielied wies den Steuermann an, sich zurückzuziehen. Vielleicht gab es noch andere Ausgänge aus der Bucht. Nun verfluchte er sich dafür, dass er im Voraus nicht nach weiteren Fluchtwegen gesucht hatte. Er war dumm, so dumm gewesen, zu glauben, dass die Jorohne sich in einer Schlacht besiegen ließen.
Und seine Flotte löste sich auf. Sie verteilten sich über die gesamte Bucht und verschwanden in der Hoffnung auf einen Ausgang. Immerhin war so die Trefferquote geringer, dachte Sielied zynisch.
Vor ihnen verengte sich die Bucht zu einer Wasserstraße und Sielied folgte ihr, es würde sowieso egal sein in welche Richtung sie flogen, die Jorohne würden jeden Ausweg besetzt halten. Und richtig zwei Schiffe standen an der Stelle, wo sich eine neue Bucht öffnete und warteten darauf das momentane Flagschiff in Gewahrsam zu nehmen.
Queron lächelte. Im Osten erhob sich die Sonne als ein glühend roter Ball und erhellte das Schlachtfeld. Der Großteil der feindlichen Flotte existierte nicht mehr. Sie hatten sich verstreut und damit ihre Stärke und ihren Vorteil aufgeben. Einzeln und in die Enge getrieben waren sie leicht zu besiegen gewesen. Er ballte die Hand zur Faust und sah zum Mast, wo die Taube am Himmel schwebte. Die Taube hatte den Tiger und seinen Verbündeten besiegt und somit ihre Ehre zurückerobert. Die Männer lachten und tanzten, während sie Reparaturarbeiten erledigten. Queron verwehrte es ihnen nicht, auch wenn er wusste, dass sie so langsamer waren. Es waren mehr Schiffe, die sie nun zu lenken hatten, zwar erreichte die Flotte nicht die Größe, die sie vor Nians Angriff gehabt hatte, doch es war trotzdem gut zu wissen, dass ihnen keine Gefahr mehr drohte. Nians Armee kämpfte im Landesinneren und war zu weit entfernt, um etwas zu unternehmen und die Schiffe, die ihnen entkommen waren, hatten nicht die Stärke gegen sie vorzugehen.
Und diese Schlacht, dessen war sich Queron gewiss, hatte die Wage zu Gunsten Anthars geneigt. Wenn Nian noch gewinnen wollte, musste sie die Heere der Sphinxe und Elben schlagen und zur bedingungslosen Kapitulation zwingen, bevor die Hersor und Zwerge eintrafen, damit sie Schiffe der Elben nutzen konnte. Die Elben und Sphinxe jedoch würden sich nie ergeben, so lange sie wussten, dass ihre Verbündeten unterwegs waren. Zwar hatte er erfahren, dass die Sphinxe in einer Schlacht geschlagen worden waren und sich zurückgezogen hatten und die Schlacht, die die Elben gewonnen hatten, ziemlich sinnlos gewesen war, doch seiner Meinung nach standen ihre Chancen durchaus gut.
Queron betrachtete den gefangenen Oberbefehlshaber der feindlichen Flotte, Sielied war sein Name. Dieser betrachtete ihn hasserfüllt und spuckte aus, doch Queron lächelte nur, denn seiner Meinung nach hatten sie längst gesiegt.