Ascarna betrachtete nachdenklich den schäumenden Fluss. Die Regenfälle der letzten Tage hatten ihn anschwellen hatten, was das Überqueren nicht unbedingt einfacher machte, vor allem für ein Volk wie die Sphinxe, das Wasser verabscheute. Und Flüsse waren generell in Feldzügen gefährlich, sie waren leicht zu verteidigen und man konnte schnell und effektiv Feinde erledigen, ohne das diese die Möglichkeit hatten, sich zu wehren.
Ihre Augen suchten den dunklen Wald nach Bewegung ab, die die Anwesenheit von Feinden offenbarte, doch bis auf einen Hirsch, war nichts zu entdecken.
Prüfend trat sie ans Ufer. Der Fluss war an dieser Stelle zwar breit, aber flach genug um ihn zu durchqueren. Der jorohnische Bauer hatte Recht, hier war eine Furt. Und ihre Kundschafter hatten keine feindlichen Truppen entdecken können, obwohl grade diese Gegend eine äußerst gute Stelle war, um eine feindliche Armee stundenlang aufzuhalten. Nach dem Fluss folgten auf die Wälder eine Hügelkette mit Schluchten und engen Pfaden, woraufhin sich da Land öffnete und sie nach nur wenigen Pferdelängen auf das Tal treffen würden, wo die Armeen der Sebetjh und Elben kämpften.
Sie wandte sich zu ihren Männern um. „Vorwärts.“, befahl sie und beobachtete wie die Sphinxe mit sichtlich angewiderten Mienen in das Wasser traten, das ihnen bis zur Brust reichte. Die ersten Männer, die das Ufer erreichten, spannten ein Seil quer über den Fluss, an dem sich die Folgenden festhielten, um nicht mit der Strömung davon getrieben zu werden. Als der Großteil der Männer sicher am Ufer war und sich in Kolonnen aufstellten, trat auch Ascarna in das kalte Wasser. Sie kannte den Namen des Flusses nicht, doch sie verfluchte ihn, denn sie spürte Schmerzen wie kaltes Eis durch ihren Körper rinnen und sie erzitterte vor der Kälte. Was waren das bloß für Länder, in denen die Flüsse so kalt waren?
Es kamen ihr wie Ewigkeiten vor, doch endlich ließ sie das Wasser hinter sich zurück.
„Wir konnten keine Feinde ausmachen, doch es scheint so, als ob die elbischen Reihen zusammen brechen. Die nächste Stellung der Sebetjh ist im Dorf Marnov.“.
Keine Feinde? Auf der gesamten Strecke? Ascarna schüttelte ungläubig den Kopf. Die Pässe hier waren einfach ideal, mit einer kleinen Gruppe von Bogenschützen wäre ihr Vormarsch gestoppt.
Doch die Hügelkette war verlassen und nur der ferne Kampfeslärm und die marschierende Armee vernichteten das Idyll von Frieden und Ruhe. Die Hügelketten boten einen fantastischen Ausblick und Ascarna erkannte – wie auf einem Spielbrett – die Verschiebungen von Armeen und die verschiedenen Stellungen. Der einzige Unterschied war, dass es Wirklichkeit und ein Töten und Morden war.
„Soldaten.“, rief sie den Vorbeiziehenden zu, „Löwen und Löwinnen. Wir sind hier, um die Invasion der Sebetjh zu stoppen und unseren derzeitigen Verbündeten, den Elben, zur Hilfe zu kommen. Heute wird viel Blut fließen, doch es wird nicht das unsere sein. Unser Zorn zerbricht Schwer und Schild, unsere Wut zerstört die feindlichen Festungen. Und bei allem, was ihr tut, vergesst nicht, wer wir sind. Wir sind die Jäger der Wüsten, die Verteidiger des Süden, die Streiter der Gerechtigkeit und der Macht. Wir sind die Löwen von Ikantjey! Und jetzt lauft, meine Brüder und Schwestern. Lauft und lass all den Zorn entfliehen. Lauft, Löwen, lauft.“.
Und mit einem gewaltigen Brüllen setzten sich die Sphinxe in Bewegung. Ein gewaltiges Rudel, das die Abhänge wie eine Feuerwand herab sprang und sich auf das Tal zu bewegte, um ihre Schlacht zu kämpfen.
Die Sebetjh jubelten, als die Feinde zurückwichen. Nian stand auf ihrem Beobachtungsplatz und betrachtete die Situation schweigend und teilnahmslos, doch innerhalb triumphierte sie.
„Kaiserin.“. Ein Bote warf sich vor ihr nieder, das Gesicht und die Kleidung verschwitzt, der Haarknoten, den die Männer normalerweise trugen, sowie seine Kopfbedeckung, hatte sich gelöst. Was für eine Aufmachung, dachte sie empört, dennoch erteilte sie ihm mit einem Nicken die Erlaubnis zu sprechen.
„Verehrte Kaiserin. Die Sphinxe haben die Hügelkette hinter uns gelassen. Ihre Hauptarmee wird uns in spätestens zwei Stunden erreicht haben.
Lügen, wollte sie rufen, Lügen. Hatte Naichie etwa auch die Gedanken des Boten vergiftet? Musste er sie denn auch noch nach seinem Tod verfolgen?
„Kaiserin. Ihr könnt sie von hieraus sehen.“, erklärte der Junge eifrig und nickte dabei mit dem Kopf.
Nian wollte ihn zuerst für seine Unverschämtheit, ohne Erlaubnis erneut zu sprechen, schlagen. Doch dann viel ihr ein, dass er einer Berührung von ihr nicht würdig war und sie überließ ihn lieber ihren Wachen.
Doch seine Worte hatten eine Unruhe in ihr ausgelöst und sie wandte sich um, um all die Zweifel auszumerzen. Unter ihr brauste der Fluss Aliros und dahinter erhob sich das Dorf Marnov. Es folgte eine offene Landschaft und in der Ferne erkannte sie die Hügelketten. Doch was war das? Eine gewaltige Staubwolke schien sich auf sie zuzuwälzen. Sie erkannte nicht, wer es war. Doch es würde wohl die Verstärkung sein, die Truppen, die sie mit der Verfolgung der Sphinxe beauftragt hatte. Endlich. Sie lächelte. Der Bote hatte schlechte Augen, doch sie sah die Pferde und ihre Reiter deutlich. Welche Truppen sollten das denn sonst sein? Die Sphinxe hatten sie vernichtend geschlagen, sie würden sich nie so schnell erholt haben, als dass sie jetzt hier sein konnten.
Die elbischen Linien brachen zusammen und ihre Verstärkung rückte an. Was sollte jetzt noch schief gehen?
Die elbischen Linien hielten, noch. Arlèns gesamte Reserven waren aufgebraucht, um die Linien zu verstärken. Sie hielten zwar immer noch die Turmhügelburg, doch diese war unwichtig geworden, weil die Sebetjh mit dem Fall des Gutshofes jetzt die Möglichkeit bekommen hatten, sie zu umgehen. Es war ein Kampf der Infanterie geworden. Mann gegen Mann. Es gab keine Festungen mehr, hinter denen sich man verbergen konnte. Reihe für Reihe stürmten die Sebetjh die Hänge hinauf und trieben ihre Truppen Stück für Stück zurück.
Königin Kayra stand neben Arlèn, um ihren Mund lag ein harter und ihren Augen ein wehmütiger und trauriger Ausdruck. Das Sterben um sie herum ließ sie ebenso wenig unberührt wie ihre Befehlshaberin.
Arlèn fröstelte. Es war kalt in den letzten Tagen geworden.
„Haben wir noch eine Chance?“, fragte Kayra direkt.
„Wenn die Sphinxe rechzeitig kommen, dann ja. Wenn sie nicht kommen, dürfen wir uns einen guten Tod aussuchen.“.
„Was ist mit einem Rückzug?“.
„Die Wälder hinter uns sind zu dicht. Ich fürchte, es wird schwierig.“.
In diesem Moment klang zwischen den Schreien der Toten und Verwundeten ein neuer Klang hervor. Verblüfft sah Arlèn ihre Schwiegermutter an. Sie lauschte erneut und endlich erkannte sie, was es war. Es war Jubel. Freudenschreie drangen zwischen den Tränen hervor und übertönten sie. Auch Arlèn spürte die Hoffnung, die ihre Kräfte erneut mobilisierte. Der Jubel wurde lauter und dann sah sie auch die Ursache. Es waren zwei Sphinxe, Löwen, deren Pfoten über den Boden trommelten.
Sie neigten ihre Köpfe kurz und ihre schweren Mähnen schimmerten.
„Wir melden, dass Ascarna das Dorf Marnov hinter den Truppen der Sebetjh erreicht hat und ihnen in die Flanke fallen wird. Ein Korps wird hier eintreffen, um eure Linien zu verstärken.“.
„Sagt, Ascarna. Sagt ihr.“. Sie brach ab und Tränen schimmerten auf ihren Wangen. „Richtet ihr meinen Dank aus.“.
Die Sphinxe jagten davon und Arlèn klopfte Kayra auf die Schulter, nur um ihr kurz darauf in die Arme zu fallen. Erleichterung stand auf ihren Gesichtern und es waren Tränen der Freude, die sie vergossen.
„Meine Kaiserin.“. Erneut fiel ein Bote vor ihr auf die Füße, noch schlimmer gekleidet als der Erste. „Die Sphinxe sie sind in Marnov. Sie überrennen unsere Stellungen.“, keuchte er.
Nian sah auf.
„Es ist unsere Verstärkung.“, entgegnete sie gleichmütig und betrachtete ihr Schwert, das auf ihren Knien ruhte. Ärgerlich wischte sie einen Blutfleck fort, den ihr Adjutant vergessen hatte. „Die Sphinxe sind viel zu weit südlich und können unmöglich in anderthalb Tagen hierhin gezogen sein.“.
„Bitte, Herrin, seht es Euch an. Sie sind es wirklich.“, beschwörend sah er sie an. Fürchtete er sich etwa vor Feinden, die nicht existierten?
Dennoch stand sie von ihrem Tisch auf und wandte sich um. Unter ihr strömte der Fluss und da hinter erhob sich das Dorf Marnov. Dort. Sie erkannte das Aufblitzen von Schwertern und in weiter Ferne Männer, die die Uniformen der Sebetjh trugen. Doch über sie ergoss sich eine immer währende Welle von…Löwen. Es waren Sphinxe ohne Zweifel.
Nian schüttelte ungläubig den Kopf. Wieso hatte man ihr nicht gemeldet, dass ein Heer auf sie zu marschiert war? Und wo war die Verstärkung? Was war mit den Aufklärungsoffizieren? Wieso war nichts geschehen, wieso hatte sie niemand auf diesen Anblick vorbereitet?
Was hatte sie nur für einen schlechten Generalstab?! Sie musste unbedingt deshalb etwas unternehmen, doch zuerst musste sie diese verfluchten Sphinxe besiegen und es wurde Zeit eine weitere Karte auszuspielen.
Dieses Dorf erinnerte Ascarna an ein ähnliches, aber komplett anderes Dorf. Denn damals hatten sie die Schlacht verloren und heute würden sie sie gewinnen.
Die Sebetjh waren überrascht gewesen und so hatten die Sphinxe die ersten Häuser innerhalb weniger Minuten eingenommen. Die Sebetjh flohen wie aufgescheuchte Kaninchen und Ascarna musste bei dem Anblick lachen.
Dann rannten zwei Sphinxe auf sie zu, die einen Sebetjh eskortierten. Dieser verneigte sich vor Ascarna und reichte ihr einen versiegelten Brief, auf dem ihr der Tiger entgegen brüllte.
Ascarna trat in ein Haus, das nun verlassen war und riss den Brief auf. Hungrig fuhren ihre Augen über die Zeilen, doch die Zeichen waren ihr unbekannt, wahrscheinlich waren sie in der Sprache der Sebetjh.
„Djavolishno!“, rief sie und einer ihrer Wachen rannte herbei.
„Suche mir jemanden, der die Sprache der Sebetjh spricht.“, befahl sie.
„Jemanden, der die Sprache der Sebetjh spricht?“, fragte er verwundert.
Ascarna schnaubte auf. Niemand ihrer Männer würde diese Zeilen entziffern können, sie konnten es ja noch nicht mal bei ihrer eigenen Sprache.
„Bringe mir…Tabita.“.
„Tabita. Zu Befehl.“. Er salutierte und verschwand in die Welt aus Staub und dem Geruch des Todes.
Endlich erschien Tabita und Ascarna reichte ihr wortlos die Nachricht.
„Lass mich rufen, wenn du fertig bist.“, erklärte sie und verschwand dann, um eine Schlacht zu führen.
Ihr Volk rückte immer weiter vor und es waren die Sebetjh, die liegen blieben und nicht die Sphinxe. Ascarna stieg über Leichen, ließ ihre menschliche Gestalt hinter sich und stürzte sich brüllend in das Getümmel. Knochen zerbarsten und Muskeln zerrissen unter ihrem Angriff, Blut verklebte ihr Fell und ihre Muskeln schmerzten, doch sie bemerkte es nicht. Es war nur der Geschmack des Kampfes, den sie schmeckte. Dieses wunderbare Gefühl, die Zähne in Fleisch zu schlagen und mit ihren Krallen Leben zu zerstören. Nichts um sich herum nahm sie länger war, nur die Schwerter, die versuchten, sie zu erreichen und die Schilder, die versuchten, ihre Besitzer vor ihrem Zorn zu beschützen.
Und als sie endlich aufschaute, war es nur deswegen, weil sie keiner mehr angriff und keiner mehr versuchte, sich vor ihr zu verteidigen. Ascarna richtete sich auf und betrachtete die Geier, die über ihnen kreisten und darauf warteten, dass die Lebenden diesen Platz verließen, damit sie sich den Toten annehmen konnten.
Um sie herum war ein Leichenfeld. Das Dorf Marnov war ein Grab für Tausende geworden und würde sie nie wieder hergeben.
Verletzte Sphinxe wurden davon getragen, um in den Lazaretten versorgt zu werden, während weitere herumgingen, um das Leiden der verwundeten Sebetjh zu beenden. Dann begannen sie die Leichen zu plündern, doch Ascarna war längst weiter gegangen, um zu Tabita zu gehen, da sie während ihres Blutrausches nicht ansprechbar gewesen war.
„Da bist du ja.“, begrüßte die Halbelbe sie und reichte ihr ihre Übersetzung.
Doch Ascarna wehrte ab. „Lies du mir sie vor. Ich wäre zu langsam.“.
„Am Fluss Aliros, der vierzehnte des Monats Niau
Hiermit biete ich Ihnen, Königin Ascarna, an, ihre Armee zu verschonen und gewährleiste einen sicheren Rückzug nach Ikantjey. Ebenfalls erhalten sie nach den erfüllten Bedingungen ihren Sohn zurück.
Voraussetzungen dafür sind:
- Ein sofortiger Rückzug nach Ikantjey
- Die Gewährleistung, dass es in den nächsten fünfzig Jahren zu keinem weiteren Krieg ihrerseits gegen das Kaiserreich Sahres kommen wird.
- Die Herausgabe von Prinz Acheving
- Die Herausgabe des Bogens
Nian, die rechtmäßige Kaiserin des Reiches Sahres.“.
Ihren Sohn. Ascarna hatte in letzter Zeit häufig an ihn und die beiden anderen gedacht. Konnte es wirklich so einfach sein? Nein, Krieg war niemals leicht und ein Erpresser gab sich niemals mit einem einzigen Mal zufrieden. Wenn sie diesen Krieg gewann, würde sie ihren Sohn zurückerhalten, wenn sie auf diese Bedingungen einging, war es wahrscheinlicher dass er als Geisel mit nach Sahres gehen würde.
Sie schloss kurz die Augen, dann lächelte sie Tabita an
„Schreibe ihr, dass wir keine Verfügung über den Prinzen Acheving haben, da er ein Gefangener unserer Verbündeten ist und dass wir nichts über den Verbleib des Bogens wissen. Schreibe ihr weiter, dass wir nicht bereit sind, uns zurückzuziehen und dass ich nicht über die Handlungen meines Volkes in fünfzig Jahren die Verantwortung tragen kann und werde.“.
Tabita machte sich eifrig Notizen und nickte dann. Ascarna setzte ihre Unterschrift in ungelenken Buchstaben an den unteren Rand und verließ dann erneut das Haus, um die Stellungen der Sebetjh am anderen Flussufer anzugreifen.
Bei dem Anblick der Sphinxe schöpften die elbischen Truppen neue Kraft und die Sebetjh sahen sich einer auf einmal sehr entschlossenen Verteidigung entgegen. Joshua spürte die Hoffnung bei seinen Männern förmlich wachsen. Er hatte den Platz eines gefallenen elbischen Offiziers in der Mitte der Hügelketten eingenommen.
„Linien bilden.“, schrie er und die auseinander gezogenen Truppen begannen sich wieder zu formatieren. Vor den Reihen wälzten sich die Verwundeten und nur die Toten blieben starr und still liegen. Es waren viele, viel zu viele.
„Partisanen nach vorne!“. Die bevorzugte Stangenwaffe der Elben wurde nach vorne gestreckt und die Angreifer wichen vor den tödlichen Klingen zurück.
„Bogenschützen!“.
Pfeile regneten auf die Gegner hinab und hier und da sackte einer zusammen.
„Vorwärts!“.
Die Männer setzen sich in Marsch und Joshua beobachtete aus den Augenwinkeln, dass die benachbarten Regimenter dasselbe taten.
In diesem Moment erklang ein Horn und irgendwo trommelten Pferdehufe durch den grauen Tag. Der Rest der elbischen Kavallerie erschien und da die Sebetjh bis eben noch in Linien gegen Infanterie gekämpft hatten, besaßen sie nicht mehr die Zeit, sich gegen die Pferde in Karrees zu schützen. Die Offiziere versuchten noch ihre Männer an Ort und Stelle zu halten, doch Panik brach aus und am Ende galt nur noch das Gesetz, wer nicht schnell genug laufen konnte, wurde niedergemacht.
In heilloser Flucht stolperten die Männer, gegen die Joshua noch eben gekämpft hatte, den Hang hinab. Seine Männer jubelten und Joshua gab das Zeichen zum Angriff. Die Waffen erhoben jagten sie den Sebetjh hinterher. Joshua lachte, er lachte, während er lief und die Pfeile um ihn herum pfiffen. Er lachte, weil er wusste, dass der Sieg ihrer war.
Ascarnas Heer hatte den Fluss schnell durchquert. Die Sphinxe mochten keine guten Schwimmer sein, aber sie waren gute Kletterer und hangelten sich an den Klippen hoch und erstaunlicherweise kam kein Feind auf die Idee, seine Bogenschützen gegen sie einzusetzen. Dann griffen sie mit voller Wucht an. Ihre Feinde kämpften mit dem Mut der Verzweiflung und Männer kämpften dann am Besten, wenn sie verzweifelt waren und wussten, dass dies ihre letzte Chance war. Doch zum Glück der Sphinxe gehorchte der einfache Soldat immer noch seinem Offizier und Nian gab einige unglaublich dumme Befehle, mit denen es Ascarna möglich war, das feindliche Heer zu spalten und die einzelnen Regimenter einzeln besiegen. Es waren vielleicht drei Stunden, seit Ascarnas Angriff auf dem Schlachtfeld vergangen, als die Kaiserin Nian das erste Mal von ihrem Beobachtungsplatz herunter kam. Sie ritt auf ihrer weißen Stute. Sie war ohne Zweifel eine eindrucksvolle Person, wie sie dort in starrer Haltung saß, den Blick erhoben, die Krone, die auf ihrem dunklen, hochgesteckten Haar ruhte. Mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck musterte sie das Geschehen und dann – gab sie dem Befehl zum Kampf bis zum Ende wie ein elbischer Übersetzer, den Tabita ihr beschafft hatte, zuflüsterte. Und die Sebetjh griffen mit neuer Wucht an, so dass die Elben und Sphinxe einen Moment zurückweichen mussten.
Verdammt. Ascarna fluchte als ihr ein Sandsturm das Fell verklebte. So viele tote Sphinxe. Sie schluckte und warum kämpfte ihr Volk hier noch mal? Ascarna hatte diesen Krieg nicht gewollt, die Sphinxe hatten sich noch lange nicht von dem Krieg gegen die Jorohne erholt, zwar waren seitdem fünfunddreißig Jahre vergangen – eine menschliche Generation – doch Sphinxe vermehrten sich nicht schnell. Sie hatte ein Land aufzubauen und keinen neuen Krieg zu führen! Es behagte ihr ebenfalls nicht, dass der größte Teil ihres Heeres Söldner aus Jazrev und Serequeor waren.
Sie erinnerte sich an die Worte die die Dienerin des Hüters damals an sie gerichtet hatte, doch es war nicht ihr Volk gewesen, oder?
Und dann war er neben ihr, als wäre er schon immer dort gewesen und das war er auch, sie hatte ihn nur nicht bemerkt. Ériyor und sie spürte seine beruhigende Kraft, die ihr Frieden inmitten des Leides schenkte.
„Glaube mir, eines Tages wirst du dir wünschen, dass ihr nie nach anderen Ländern gegriffen hättet. Denn noch zu deinen Lebzeiten werdet ihr Kriege mit fremden Völkern führen.
Das waren ihre Worte, damals, in den Isirdis-Sümpfen.“.
Ascarna sah Ériyor an.
„Warum, nur? Warum kämpfe ich hier? Hätten wir es verhindern können, wenn wir auf dich gehört hätten?“.
Sie deutete auf das Schlachtfeld, die Berge von Leichen, das feindliche Heer, das den Himmel zu füllen schien.
„Ascarna, sehe nicht länger auf die Vergangenheit, denn du lebst in der Gegenwart. Du wirst nie erfahren, was geschehen wäre, also denke nicht länger darüber nach.“.
„Ich will nicht hier kämpfen, Ériyor. Es ist nicht mein Volk gewesen, das sie gegen sich aufgehetzt hat. Es ist nicht mein Kampf.“.
„Ascarna.“. Sie sah ihn an, seine Augen, die von Liebe strömten, „Dies ist ein Kampf aller Völker und dieser Kampf ist wichtig.“.
„Wieso? Ich sehe nur den Tod. Ich habe nichts gegen Kriege, aber ich habe etwas gegen sinnlos vergossenes Blut und dies ist ein Strom.“.
„Du hast Recht, dieser Krieg ist auf die Entscheidung eines einzelnen Menschen zurückzuführen, doch in diesem Kampf geht es um viel mehr, als um den Kampf zwischen Sebetjh und Elben. Es geht vielmehr darum diese Welt für die kommenden Generationen zu bewahren und einen Plan des Feindes zu vereiteln, die Macht über ein Volk zu bekommen.“.
„Die Sebetjh?“, fragte Ascarna erstaunt.
„Nein. Menschen sind leicht zu beeinflussen, doch sie sind keine mächtige Rasse. Es geht um das Volk der Nalinow, Ascarna. Eines der mächtigsten Völker dieser Welt und dies ist der Hauptgrund dieses Krieges und nur das.“.
„Wie soll man Unsterbliche aufhalten?“. Die Königin der Sphinxe hatte von dem Volk gehört, doch diese Legenden nie für wahr gehalten.
„Der Schlüssel wurde an jemanden gereicht und das genügt.“.
Ascarna nickte.
„Was ist mit meinem Volk? Es heißt, das auch sie zu den mächtigsten Völkern gehören, kann dasselbe bei ihnen geschehen.“.
„Die Bedrohung geschah schon einmal.“.
„Narinwjey und Untejtje, die Söhne von Vantestjej, dem Begründer unser Sippe.“, entgegnete sie zögernd, „Der Feind kam in Gestalt einer Sphinx und sie zerstritten sich. Narinwjey verfiel dem Bösen, doch er konnte aufgehalten werden und seitdem geschah nie wieder so etwas. Aber kann es wieder geschehen.“.
„Es kann und es wird, Ascarna.“. Er seufzte tief und schwer und rein. „Doch dies ist eine andere Zeit und sie wird die deine nicht berühren.“.
Ascarna sorgte sich. Sie sorgte sich, weil sie nicht da sein würde, um ihr Volk vor Unheil zu bewahren.
Ériyor legte seine Hand auf ihre Stirn und Ascarna sah das Bild einer Löwin, die aufmerksam in die Ferne sah und entschlossen zu sein schien, ein älterer Mann, der zwei Schwerter in der Hand hielt und dessen Augen strahlten, um ihn herum eine Menschenmasse, eine lachende Elbe, ein Hersor, der sich über Bücher beugte und mit jemandem zu diskutieren schien, ein weiterer Mann, seiner Aufmachung nach ein Adeliger, ein Mann und eine Frau, die nebeneinander standen, bewaffnet waren und etwas beobachten zu schienen. Der Mann hatte die Statur eines Jorohns und besaß einen spöttischen Gesichtsausdruck, während die Frau Ascarna mit ihrem roten Haar und ihrer Statur an Kayra erinnerte. Und Ascarna erkannte, dass es dieses Tal war, das die beiden betrachteten. Das Tal, in dem sie jetzt stand und es war dieses Tal das sie wieder zurück in die Gegenwart brachte.
Jetzt war sie beruhigt, denn sie hatte dieselbe Hoffnung und Liebe in den Augen dieser Personen gesehen, die sie auch in Ériyors sah.
„Wenn es diese Menschen sind, die das Schicksal ihrer Welt in der Hand halten werden, dann bin ich beruhigt.“, erklärte sie. „Und jetzt habe ich einen Krieg zu schlagen.“.
Ériyor küsste sie kurz auf die Stirn und sie spürte neue Kraft und Mut durch ihre Adern rinnen und sie konnte sehen wie ihre Wunden verheilten.
„Ja, Löwin Ikantjeys, du bist bereit.“.
Mit diesen Worten trat er bei Seite, doch Ascarna wusste, dass er da war und dass er für immer sein würde und so war es gut.
Tabita sah sich um. Sie sah über das Schlachtfeld, Sebetjh, Elben, Sphinxe und die Menschen Anthars. Sie trat über Leichen, Blut bedeckte ihre Kleidung.
Dort führte ihre Mutter ein Schwadron Kavallerie in die Schlacht und Joshua wirbelte vor seinem Regiment herum, parierte und tanzte wie ein wildes Tier. Weiter südlich kämpften die Sphinxe und unter ihren Krallen spritze das Blut und Fleisch zerfiel. Doch sie wollte nicht mehr kämpfen…Nicht, wenn man diesen Krieg auch durch Diplomatie beenden konnte. Tränen liefen ihr über das Gesicht, Tränen der Anstrengung und Tränen der Trauer, ihre Kehle und ihre Muskeln brannten. Sie duckte sich unter einer Klinge hinweg und bedauerte es ihre eigenen erheben zu müssen. Es war Frieden nach dem sie sich sehnte, Frieden, süß und kostbar.
„Wofür kämpft ihr? Wofür?“. Ihre Stimme hallte über das Schlachtfeld und schien jede Ecke dieses Tals zu erreichen, zugleich schienen die Sebetjh sie zu verstehen, obwohl sie in ihrer eigenen Sprache gerufen hatte, denn sie hielten inne.
Tabita erklomm einen Hügel. „Ich sage es euch. Ihr kämpft wegen Dingen, die ihr nicht getan habt, wegen Leuten, die ihr nicht gekannt habt und ihr sterbt, weil einige Leute meinen, Rache nehmen zu müssen. Doch wollt ihr es? Wollt ihr kämpfen? Wir haben euch nicht angegriffen und wollten eure Familien nicht bedrohen. Das Einzige, was wir wollen, ist Frieden und das ist es, was ihr auch wollt. Ich frage euch jetzt, wo waren eure Befehlshaber, als eure Gefährten starben, wann haben sie versucht, den Frieden zu wahren? Wir wollen Frieden, ihr wollt es auch, warum also kämpfen wir noch? Warum legen wir nicht einfach die Schwerter nieder und gehen als Brüder und in Frieden auseinander.“.
Die Sebetjh schwiegen, die Heere Anthars schwiegen und das Einzige, was man hörte, waren die Geier, die über ihnen kreisten. Es war seltsam, diese Stille wahrzunehmen, doch dann fielen die Waffen. Schwerter und Speere bohrten sich in die dunkle Erde anstatt von Fleisch. Es waren nur die Offiziere der Sebetjh, die ihre Waffen fest umklammert hielten, sie sahen zu ihrer Kaiserin.
„Kämpft. Kämpft und verteidigt euer Land.“, schrie diese und die ersten Männer nahmen ihre Waffen wieder auf, doch dann trat jemand aus den Reihen der Soldaten heraus. Es waren zwei Männer, der eine Mann hatte sein Gesicht verhüllt und der andere war derjenige, der sie im Lager der Rebellen vor ihrer Hinrichtung bewahrt hatte.
„Ich glaube, du vergisst etwas, Nian.“, entgegnete dieser und Tabita bewunderte seine Ruhe. „Der Oberbefehl über dieses Heer obliegt mir und ich sage, es ist genug.“.
Die Sebetjh starrten abwartend hin und her, nicht sicher, was sie tun sollten.
„Du, Naichie, müsstest tot sein.“, erklärte die Kaiserin verwirrt.
„Es haben schon viel bessere Menschen als du versucht, mich zu töten und keinem ist es gelungen, wie du siehst.“. Naichie stand aufrecht, doch Tabita erkannte die Art, wie er stand und wie er sprach, es war die Art eines Menschen, große Schmerzen zu verbergen, sich innerlich aber zusammen zu krümmen.
Jetzt trat der zweite Mann hervor und strich seine Kapuze zurück. Es war Acheving und er sah aus wie ein Prinz. Er trug die drei Kopfbedeckungen der Adeligen, die grade seinen Haarknoten verbargen. Seine Kleidung war vornehm und an seiner Schwertscheide ringelten sich die Drachen.
„Du.“, starrte Nian ihn an.
Acheving beachtete sie nicht und drehte sich zum Heer um.
„Ich bin Acheving, Sohn von Kaiserin Dioargchie und ich sehe ein von Leiden geplagtes Volk. Ich frage euch ebenfalls wie Erendi, wo eure Kaiserin war, als ihr gekämpft habt. Ich kann euch nicht viel bieten, doch ich stand damals auf den Mauern und habe Seite an Seite mit einfachen Männern gekämpft. Ich kann euch ebenso wie Nian nur Versprechungen machen, dass die Situation besser wird, doch seht euch das an, was eure Kaiserin geschafft hat: Sie hat euch Frieden gebracht, doch darauf hat sie einen Krieg begonnen, von dem ihr noch nicht mal wusstet, dass Rache nötig war. Und ich frage euch, was Nian noch erreichen kann.“.
„Sie hat euch nicht die Wahrheit erzählt.“, begann Naichie, „Hat sie euch davon berichtet, dass die Hersor und die Zwerge in wenigen Tagen hier sein werden. Hat sie euch erzählt, dass die Jorohne gegen eure Flotte gekämpft und sie vernichtet haben? Egal wie lang ihr kämpft, es gibt keine Hoffnung mehr auf einen Sieg eurerseits, doch wenn ihr aufhört, bleibt euch eine schlimme Niederlage erspart. Und ich spreche jetzt jeden einzelnen von euch an, dies ist keine Entscheidung, die eure Offiziere für euch treffen können. Was bringt es euch weiter zu kämpfen, wenn ihr jetzt Frieden haben könnt.“.
Es war diese nüchterne Wahrheit, die die Sebetjh zu überzeugen schien und es war wichtig, dass es dieser Mann war, dem sie vertrauten, der jetzt vor ihnen stand.
Tabita lächelte. Es war geschafft, Frieden kam in einer unaufhaltbaren Welle, der alles überstrahlen wollte. Und sie wusste, dass dies ohne Ihn niemals möglich gewesen wäre. Es war er gewesen, der Vollmacht in ihre, Achevings und Naichies Stimme gelegt hatte, der es möglich gemacht hatte, dass alle ihre Worte verstanden hatten, obwohl sie nicht in ihrer Sprache gesprochen hatte.
Dennoch hatte sie nicht damit gerechnet, dass es etwas so Kleines war, das diesen Moment wieder zerstörte. Es war nur ein Augenblick, doch es war ein zerstörender Augenblick. Es war der Augenblick, in dem sich ein Pfeil in Nians Brust bohrte und in dem sie, die Kaiserin der Sebetjh, fiel. Tabita hatte den Schützen nicht gesehen, doch sie wusste, von welchem Bogen der Pfeil stammte und sie wusste, wer ihn abgeschossen hatte und sie verstand, dass dies nicht gut war, denn die Waffen wurden wieder ergriffen und der Frieden mit Geschrei zerbrochen.
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