Hüte dich vor dem Wintergebirge, denn dort werden Mythen zu Fleisch und Blut, Tod zu Leben. Allein, wer das Abenteuer sucht, sollte diesen Ort wählen, doch entscheidet er sich damit auch für den Schrecken.
Volksweisheit der Zwillingsreiche.
Die Ilos-Sümpfe hießen Hadassa mit dem Geruch von Moder und erkalteter Asche Willkommen. Es war ein windiger und regnerischer Tag, doch in den Sümpfen war es still und trocken. Dennoch war es kalt und die Löwin fröstelte. Wie konnte das Wetter innerhalb von wenigen Tagesmärschen sich derart ändern? Schon jetzt war sie froh, wenn sie diese unwirtliche und verlassene Gegend wieder hinter sich lassen konnte.
Sie folgte einem kaum sichtbaren Pfad, während sich zu beiden Seiten die Sümpfe ausbreiteten, die die Füße des unvorsichtigen Wanderers verschlungen. Die Wohnstätte von Kilchre und Alechos erhob sich inmitten der Sümpfe auf einer kleinen Wiese – hatte sich erhoben.
Überrascht starrte Hadassa auf die Überreste des einstigen Blockhauses. Verkohlte Balken lagen auf dem Grund und Asche bedeckte die ganze Wiese. Der Geruch des Todes hang in der Luft und die Löwin überkam dasselbe Gefühl, das sie bei dem toten Jungen wahrgenommen hatte. Angst, die sie erbeben ließ und ihre tiefsten Ängste empor hob und die Hoffnung verdecken ließ. Ihre Pfoten fanden wie von selbst den Weg in die Asche und das zerstörte Gebäude. Die Asche war kalt und nirgends war Glut. Das Feuer hatte schon vor mehreren Tagen gewütet, doch hatte es nichts übrig gelassen außer wenigen verkohlten Holzbalken.
In diesem Moment nahm die Löwin eine weitere Person war, die die Lichtung betreten hatte. Sie wandte sich um und erblickte Alechos, der in diesem Moment Feuerholz zu Boden fallen ließ und seinen Speer umfasste, sein sonst so ruhiges Gesicht war vor Zorn und Wut verzerrt.
Er stürzte auf sie zu, den Speer erhoben, doch wich die Löwin ihm mühelos aus. Sie rannte auf ihn zu und warf sich mit ihrer gesamten Kraft gegen ihn. Ihre Tatze setzte sich auf den Speer, eine weitere hielt ihn zu Boden.
„Was ist hier geschehen?“, fragte sie.
„Das müsstest du doch am Besten wissen, immerhin brachtest du den Tod an diesen Ort.“, spie er aus. Wie hatte aus einem so lebensfrohen Mann innerhalb so kurzer Zeit eine so verbitterte Gestalt werden können?
„Kilchre? Sie ist tot?“.
Sein Schweigen sagte mehr aus als Worte und Hadassa schwieg ebenfalls entsetzt. Auf der Hersora hatten ihre Hoffnungen geruht und es gab niemanden, der sie ersetzen konnte. Ob dieser Herzog Havinon ihr wohl vertrauen würde, wenn sie ihm sagen würde, dass sie von Kilchre kam?
„Es ist deine Schuld. Du brachtest sie dazu, sich mit den falschen Leuten anzulegen.“.
„Die falschen Leute? Das hat sie von ganz alleine begonnen und das weißt du ganz genau.“.
Doch wenn es tatsächlich ein Mord gewesen war, wie Alechos es vermutete? Unfälle geschahen, doch hatte Kilchre tatsächlich über die Jahre ein außerordentliches Wissen angesammelt und für einige Personen mochte dies durchaus gefährlich geworden sein. Und dann war noch diese Angst, die sich hier ansammelte und die damit drohte, die sonst so tapfere Sphinx in die Knie zu zwingen. Bedeutete das also, dass Kilchre denselben Leuten zum Opfer gefallen war wie dieser kleine Junge?
Hadassa lockerte den Druck auf Alechos’ Brust, entwand ihm jedoch den Speer.
Sie verwandelte sich in ihre menschliche Gestalt, um so ihre guten Absichten zu zeigen und bot Kilchres Mann ihre Hand an, die dieser jedoch ausschlug. Er rappelte sich auf und starrte Hadassa zornig an.
Als sie ihn bei der Frage nach seinem Lager den Rücken zuwandte, versuchte er sie mit einem Stein niederzuschlagen, doch drückte sie ihn erneut zu Boden.
„Es wäre einfacher“, seufzte sie, „Wenn wir vernünftig miteinander reden könnten, davon haltet ihr Hersor doch so viel.“.
„Mit zivilisierten Menschen, ja, aber nicht mit Mördern.“.
„Den Tod deiner Frau bedauere ich ebenso viel wie du, aber war nicht ich es, die das Feuer legte.“.
„Und wo ist deine Trauer?“, fragte er zornig.
„Du bist ein Hersor, also solltest du wissen, dass Sphinxe auf eine andere Weise trauern als dein Volk. Wir ehren die Verstorbenen, in dem wir ihre Wege zu Ende gehen und die Aufgaben vollbringen, die sie nicht mehr vermocht haben, zu tun.“. Sie sah ihn an, den Zorn und die Trauer, die in seinen Augen lagen. „Also, wo ist dein Lager?“.
„Warum sollte ich es dir zeigen, Mörderin?“.
Wie konnten Hersor so schlau sein und zugleich so dumm und stur?
„Weil wir planen müssen, wie wir vorangehen müssen.“, antwortete sie.
„Wir?“. Entsetzen lag in seinen Augen, aber immerhin wurde die Wut schwächer.
„Wer denn sonst?“. Sie verdrehte die Augen. „Du musst ihren Platz einnehmen und mich nach Elam und danach nach Telach führen.“.
„Das werde ich ganz bestimmt nicht.“, schrie er so laut, dass zwei Krähen aus den Sümpfen sich in die Luft erhoben.
„Und was dann?“, fragte sie spöttisch, „Deine Frau ist tot und deine Trauer holt sie nicht zurück. Willst du hier in den Wäldern hocken und der Vergangenheit auf ewig nachtrauern?“.
Genau das hatte er vorgehabt, erkannte sie an seinem Trotz.
Doch seine Sturheit brachte jetzt auch in ihr die Wut zum kochen.
„Alechos! Es geht hier nicht nur um deine Frau, sondern um das Schicksal von Nationen. Etwas bewegt sich in den Tiefen der Wüsten und sein Arm reichte bis hierhin. Deine Frau wusste das und deshalb musste sie sterben. Meinst du, dass diese Wesen dich einfach weiter existieren lassen und die Gefahr riskieren, dass du von Kilchre etwas weißt? Sie werden dich ebenfalls töten wie sie, ebenso wie mich, und bis dahin müssen wir fort von hier sein.“.
Etwas erwachte in ihm. Der Wille zu überleben. Sie verstand nicht wieso er nicht sterben wollte, wo er doch so viel Trauer zeigte, aber gefiel es ihr.
„Selbst wenn du Recht haben solltest, Sphinx, kann ich immer noch alleine fliehen.“.
„Und dein ganzes Leben auf der Flucht sein? Ist es das, was du willst? Würdest du nicht lieber etwas ändern und dein Schicksal selbst in die Hand nehmen?“.
Sie hatte ihn gewonnen. Er war immer noch unwillig und hasste sie immer noch, doch hatten ihre Worte ihn überzeugt. Erneut ein Wunder, eine Sphinx hatte einen Hersor mit Argumenten besiegt. Es war ein ungewöhnlicher Sieg, auf den Hadassa aus irgendeinem Grund stolzer war als auf jeden gewonnenen Zweikampf.
Auch dieses Mal verweigerte er ihre angebotene Hand, doch versuchte er nicht mehr sie anzugreifen.
Alechos war immer noch zornig, führte sie jedoch durch die Sümpfe zu einer anderen Lichtung. Einzelne Grasbüschel bedeckten den Grund und knorrige, große Bäume schützen das Rund vor fremden Blicken.
„Mendechos.“, rief Alechos leise. „Ich bin da.“.
Kilchres Sohn. Ihn hatte Hadassa ganz vergessen. Was sollten sie auf ihrer Reise nur mit dem Jungen anfangen? Er war noch ein Kind und am liebsten hätte die Sphinx ihn zurückgelassen, doch war ihr bewusst, dass Alechos dem nie zustimmen würde.
Mendechos saß neben einem notdürftig errichteten Unterschlupf aus Holz und Decken an einem Lagerfeuer. Er stand auf, als er seinen Vater und die fremde Person neben ihm erkannte.
In seinen Augen las Hadassa keinen Hass, nur tiefe Trauer.
„Hadassa.“, er nickte ihr zu und sie war erstaunt, dass er sich ihren Namen gemerkt hatte, doch besaßen Hersor ein erstaunlich gutes Gedächtnis.
„Der Tod deiner Mutter tut mir leid, Mendechos.“, entgegnete sie sanft, obwohl sie innerlich vor Ungeduld erbebte.
Alechos schnaubte, während sein Sohn nur nickte.
„Hast du eine Karte?“, fragte Hadassa, woraufhin sie der Hersor überrascht anstarrte.
„Was?“. Sie zog die Schultern hoch. „Ihr Hersor seid doch immer so verrückt nach Karten und ich habe kaum Ahnung von der Geographie Arthergs.“.
Und tatsächlich zog Alechos mit einem mürrischen Gesichtsausdruck eine Karte zwischen seiner Kleidung hervor.
Der Sphinx sagten die feinen Linien und Zeichen kaum etwas. Sie sprach weder Lernai, noch konnte sie die Schrift lesen, selbst ihre eigene Sprache konnte sie nur mühsam auf Papier bringen.
Alechos hockte sich hin und breitete die Karte vor sich aus.
Er sah ihr in die Augen, bevor er meinte. „Ich helfe dir allein ihretwegen, um diejenigen leiden zu lassen, die ihr Leben auf dem Gewissen haben.“.
Erstaunlich wie blutrünstig er auf einmal war. Es war ungewöhnlich für einen Hersor, er musste seine Frau sehr geliebt haben. Sein Sohn hockte sich ebenfalls neben sie und beugte sich über die Karte.
„Wir sind hier.“, meinte er im flüssigen Tazkingh, während er an einem Apfel kaute.
Hersor sind verrückt, dachte Hadassa kopfschüttelnd, Im Kleinkindalter lernen sie fremde Sprachen und das Lesen von Karten, doch verschmähen sie Kampf und Spiel.
Hadassa sagte dieser Punkt überhaupt nichts, außer dass er an eine rote Linie grenzte, die wahrscheinlich eine Grenze anzeigte und an einem blauen Band entlang führte.
„Der Weststrom.“, erklärte Alechos, „Die Grenze zu den Zwillingsreichen. Sie werden wir durchqueren müssen. Wir werden der Route folgen, die schon meine Frau wählen wollte. Morgen brechen wir zunächst nach Selies auf, um dort ein Schiff über den See von Tscheh über den Oststrom und damit zur Grenze nach Artherg zu nehmen.“.
Hadassa stöhnte auf. Sie hasste Wasser und vertrug die Nähe zu ihm nicht wie alle ihres Volkes, doch wollte sie ihrem neuen Begleiter keinen Grund geben, die Reise abzubrechen, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
„Gut.“, meinte sie, während sie in den Wald starrte, ungeduldig das Ziel der Reise erwartend.
Es war Heleds Männern hoch anzurechnen, dass sie nicht in Panik verfielen, sondern sich zu einem Rechteck zusammenschlossen, die Speere nach außen gerichtet, die Schilder über die Köpfe erhoben. Eisen glänzte und Kettenhemden klirrten.
Doch es waren so viele. Mindestens zweihundert Mann waren es, die mit gespannten Bögen in den Bäumen hockten oder auf Pferden auf sie zu rasten. Sie ritten überwiegend Runtzide, doch wer auch immer diese Männer aufgestellt hatte, war gut betucht, denn neben den schnellen und gewöhnlicheren Runtziden, entdeckte Heled auch einige Renner, für die Schlacht oder Turniere gezüchtet und extrem teuer.
„Maharai.“, rief er und der junge Soldat ritt heran.
„Ja, Rittmeister?“. Sein Gesicht war vor Angst verzerrt und Heled fragte sich kurz, ob er sich vor seiner ersten Schlacht ebenfalls gefürchtet hatte. Nein, stellte er fest, er war nur zornig gewesen.
„Du reitest nach Zwillingsstadt zurück, schlage dich zu dem Königspaar und Prinz Elieser durch und berichte ihnen alles was du gesehen hast, alles. Hast du mich verstanden?“.
„Ja.“. Maharai nickte und trieb seinen Wallach an. Er löste sich aus der Formation und trieb sein Pferd in den Wald. Einige Pfeile verfolgten ihn, doch waren sie zu schlecht geführt und trafen nur Erde und Rinde, anstatt von Fleisch.
Etwas an diesen Bogenschützen war seltsam und es war nicht nur, dass sie ihre Gesichter unter langen, dunklen Kapuzenmänteln verborgen waren, sondern es waren auch die Waffen, die sie verwendeten.
Doch um darüber nachzudenken, blieb ihm keine Zeit. Sie waren umzingelt. Warum hatten seine Kundschafter und Vorposten nichts bemerkt? Sie waren zurückgekommen und hatten nichts gesehen außer Schäfern und ihren Tieren.
Verdammt! Das hätte ihm nicht passieren können.
„Krähenfüße.“, schrie Heled und zwei Reiter lösten sich eilig aus dem Schwadron, um die spitzen Eisenwaffen auf dem Boden auszustreuen. Sie ritten in einen Bogen zurück und reihten sich wieder in die Formation ein.
Die Pferde rannten auf sie zu, Schweiß glänzte an ihren Flanken und ihre Hufe trommelten über den Boden. Das Schwadron hatte sich in ihre Richtung aufgestellt, die Speere nach vorne gerichtet, die Gesichter der Männer waren vor Aufregung verzerrt. Ihr Rittmeister stand in der Mitte der ersten Reihe, nahe bei ihnen, während Pfeile auf sie niederprasselten. Anfangs waren sie schlecht gezielt gewesen, doch nachdem der Abstand abgeschätzt worden war, trafen sie besser und Männer fielen zu Boden und Pferde stiegen schreiend, während Pfeile aus Bauch oder Flanken ragten.
Die vorderen, angreifenden Tiere stiegen und schrieen schrill. Blut rann von ihren Hufen, dort, wo sich die spitzen Eisendornen in die empfindlichen Hufe gebohrt hatten. Reiter stürzten zu Boden, während ihre Pferde vor Schmerz irrsinnig den Tanz des Todes tanzten. Es war grausam die Tiere so zu sehen, doch wusste Heled, dass dies die einzige Möglichkeit gewesen war.
Ein Pfeil bohrte sich in den Hals eines Mannes neben Heled und der Mann sackte gurgelnd zusammen. Sein Rittmeister suchte Huls Blick und der Artherger blies in sein Horn, während auf der anderen Seite das von Togorma ertönte.
Die vorderen Reihen lösten sich aus der Formation und die Reiter schwärmten zu beiden Seiten der feindlichen Reiter aus. Die Übrigen schlossen sich wieder zusammen, während Hul einen schnellen Sturmangriff führte. Säbel klirrten und Speere erfassten ihre Beute. Die Rufe, der von den Krähenfüßen verletzten Tieren, verstummten und bald versuchte kein pferdeloser Mann mehr zu seinen Trupp zurück zu kehren.
Ein Pferd inmitten von Heleds Schwadron schrie schrill auf und trat wild vor Schmerz um sich. Das Schwadron öffnete sich kurz und das Pferd rannte heraus, um von einem Pfeil niedergemacht zu werden.
Dann begann der nächste Sturmangriff der Feinde, doch dieses Mal kamen sie von zwei Seiten.
Wo kamen die ganzen Reiter her? Über ihnen flatterte die Zwillingsthrone, doch bezweifelte Heled nach wie vor, dass die Zwillingsreiche irgendetwas mit diesem Angriff zu tun hatten.
Die Reihen hielten dem ersten Sturmangriff stand, doch unter dem zweiten Angriff zerbrachen sie. Heled hatte nichts Anderes erwartet, seine Männer waren für leichte Überfälle geschaffen, schnelles Angreifen und ebenso schnelles Verschwinden, nicht für Gefechte wie dieses eines war. Sie waren nicht dafür gemacht gegen die schwere Kavallerie zu kämpfen, mit den langen Speeren, Rüstungen und Morgensternen.
Die ersten Zweikämpfe brachen aus. Togorma focht gegen einen Mann, doch suchte Heled seinen anderen Hauptmann.
Hul ritt neben ihn und Heled rief ihm über den Kampfeslärm zu: „Bring den Herzog hier weg.“.
Der erfahrene und verbannte Adelige nickte und versammelte eine Gruppe von etwa zwanzig Männern um den Herzog. Inmitten des Getümmels würden sie hoffentlich entkommen können. Doch hatten Heleds Männer nicht die Kraft sich der gewaltigen Übermacht auf Dauer zu widersetzen und sie konnten die Sicherheit des Herzogs nicht mehr gewährleisten.
Ein Pfeil traf Togorma im Rücken und Heled schrie wutentbrannt auf, als der Krieger fiel. Zwei Reiter tauchten vor dem Rittmeister auf und nur dem Steigen von Malèhlti war es zu verdanken, dass die Stute ihre Beine noch besaß. Nun musste auch Heled seinen Speer erheben und der eine Mann fiel vom Pferd, als Heled dieses mit einem gut gezielten Stoß in die Flanke schwer verwundete. Der Zweite schaffte es immerhin noch, sein Schwert als Waffe zu ziehen. Zwar war er besser gepanzert als Heled, doch waren Rüstungen nicht dazu da, sie zu durchdringen?
Ein Stich in die Achselhöhle und ein Schlag trafen ihn nach den Verlust des Helmes ins Gesicht, um ihm eine hübsche Narbe einzubringen. Er war jung, doch focht er für den falschen Herrn und so fiel er.
Es waren zu viele. Zu viele Tote und zu viel Blut, das geflossen war.
Heled blies in sein Horn und versammelte die meisten Überlebenden um sich. Togorma war gefallen und so rückte Asaph an seine Stelle.
„Zeit für einen Durchbruch?“, rief der vernarbte Soldat und verzog seine gespaltene Lippe zu einem Lächeln.
Heled blickte in die Gesichter, seiner stolzen und müden Recken.
„Speere nach vorne!“, schrie er. Pfeile regneten auf sie herab und immer wieder sackte ein Mann in sich zusammen, doch vollführten die Männer seinen Befehl.
„Ihr habt gut gekämpft und ihr werdet auch in Zukunft glorreiche Schlachten schlagen.“. Dass Schlachten niemals glorreich sondern allein blutig und grausam waren, verschwieg er ihnen. Vor allem die Rekruten brauchten diese Lügen, um nicht zu verzweifeln.
Über ihnen erhob sich das Felsgestein und vor und hinter ihnen verlief die breite Straße, doch war es der Weg nach unten, den er suchte. Der Abhang ging steil hinab und einige Pferde würden stürzen, doch hatte Heled nicht vor zu warten, bis diese verfluchten Pfeile keinen Mann mehr überließen.
„Und jetzt reitet, reitet in den Sturm!“.
Die Pferde rannten hinab, wieherten, während sie im schnellen Galopp über Wurzeln und Erdboden rannten, Bäumen auswichen und über Felsbrocken sprangen.
Er hörte, dass die Angreifer ihnen ebenfalls folgten und die Bogen dieser seltsamen Menschen schossen weit. Jetzt fiel ihm auch auf, was ihn an ihnen gestört hatte: Sie hatten spitze Ohren und ihre Pfeile waren mit den strahlend weißen Federn des Majons befiedert.
Vor ihnen tauchte graue Schatten auf, weitere Reiter, nur dass es dieses Mal Armbrustbolzen waren, die über sie hinweg schossen und dieses Mal war es Asaph, der fiel.
Nun waren sie endgültig eingekesselt und der Kreis schloss sich enger und enger. Überall waren Pferde, die sie umgaben und diese weißen Pfeile, die sich in Fleisch bohrten und seine tapferen Männer aus dem Sattel holten.
Heled kreuzte die Klinge mit Dutzenden von Männern, sein Kettenhemd und das Fell seiner Stute war bald mit Blut verschmiert und die Gesichter verschwammen vor seinen Augen. Sein Säbel war in Blut getränkt, das Metall und das Rot glänzten im Licht der untergehenden Sonne. Er sah Amiel fallen, das junge Gesicht von Entsetzen und der Wunde, die die Knochen freilegte, entstellt. Tykiloi fiel ebenfalls, zwei dieser verfluchten Pfeile in Brust und Bauch. Es fielen so viele.
Ein entsetzlicher Schmerz breitete sich in Heleds Schulter aus, brennend und tötend. Er war getroffen. Malèhlti stieg, ihre Hufe wirbelten durch die Luft und stießen einen Krieger zu Boden, der Heled hatte angreifen wollen. Wie die Stute den Kreis durchbrach, wusste er nicht, doch hatte sein Säbel seinen Teil dazu beigetragen. Alles war rot und verschwommen, doch verschwand der Kampfeslärm hinter ihm. Über ihm war der blaue Himmel, doch konnte er nicht zu diesem entfliehen, solange seine Männer weiter starben.
Er zerrte an den Zügeln der Stute, wollte sie zum Umkehren bewegen, doch trug Malèhlti ihn fort. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass die Stute ihn zwar fort von den Kämpfen trug, zugleich aber auch darauf zu lief.
Heled zog seinen Säbel mit der linken Hand, der Pfeil hatte das Kettenhemd durchdrungen und steckte in seinem rechten Schulterblatt, sodass seine Schwerthand zum Glück nicht beeinträchtigt war. Den Speer hatte er verloren, doch würde der Säbel seinen Zweck erfüllen.
Schreie hallten durch den Wald und der metallische Geruch des Blutes hing schwer in der Luft und vertrieb all die Gerüche, die der Frühling mit sich brachte.
Dann erreichte Heled die Kämpfenden, es war Huls Gruppe, die Herzog Havinon hatte in Sicherheit bringen sollen.
Hul war tot. Er lag auf dem Boden, halb unter einem Pferd verborgen und zwei Pfeile steckten in seinem Rücken. Viele Männer waren ihm gefolgt, feindliche und eigene. Zum ersten Mal sah Heled auch einen der Bogenschützen aus nächster Nähe. Schwarzes Haar unter dem spitze Ohren hervorschauten und strahlend blaue Augen. Dazu der Kompositbogen…
Aber warum Elben? Was für einen Grund hatten sie, sich in diesen Kampf einzumischen?
Doch hatte diese Frage zu warten.
Eine kleine Gruppe von Heleds Männern hatten sich zusammengeschlossen und ihn ihrer Mitte befand sich auch der Herzog.
Heled duckte sich unter einem Säbel hinweg und spürte den stechenden Schmerz in seiner Schulter, dort, wo der Pfeil sich in seine Muskeln grub und seinen rechten Arm damit nutzlos machte. Er entgegnete den Schlag und nach einigen Zusammentreffen der Klingen besiegte der Rittmeister seinen Gegner. Sein Arm war ermüdet und sein Pferd umrundete einen Kadaver, um zu der schützenden Gruppe von Männern zu kommen.
Die Männer machten ihrem Rittmeister Platz und schlossen die Reihen schnell wieder. Heled sprang vom Pferd und stöhnte auf, als der Pfeil sich tiefer in seine Schulter bohrte. Er beugte sich zu dem Herzog, der auf dem Boden lag und schwer atmete. Blutiger Schaum bedeckte seinen Mund und verklebte seinen Bart.
„Meintet Ihr das mit Beschützen?“, fragte Havinon, doch lag kein Vorwurf in seiner Stimme.
„Wenn Ihr mir erklären würdet, wen Ihr Euch zum Feind gemacht habt? Das ist kein einfacher Fürst, der sich um sein Recht betrogen sieht.“. Es war ohne Zweifel provokativ, doch hatten sie keine Zeit für Höflichkeiten.
Havinon nickte schwach und Heled hockte sich neben ihm nieder.
„Beschützt meine Tochter. Versprecht mir das.“. Der Herzog nahm seine Hand und mit erstaunlicher Kraft hielt er sie fest.
„Das werdet Ihr selber können.“, meinte er leise, doch wussten sie beide, dass es eine Lüge war. Doch würde er selbst diesen Kampf überleben? Und diesen verfluchten Pfeil? Wenn sich die Wunde entzündete, war er des Todes, immerhin war die Lunge nicht getroffen.
„Sucht eine Kilchre in Varyny auf. Sie lebt in den Ilos-Sümpfen.“.
Er schrie leise auf und sein Leib erbebte.
„Hoheit. Ihr werdet mir hier nicht sterben.“. Er fragte sich selbst, woher er die Kraft und die Zuversicht nahm, doch mit Hilfe eines anderen Soldaten hob er den Herzog auf Malèhlti. Die Stute hielt still, als ob sie spüren würde, welche bedeutende Aufgabe ihr da zukam.
Als Heled schon aufsetzen wollte, winkte Havinon ihn ein weiteres Mal zu ihm Ein Wort war es nur, dass er in das Ohr des Rittmeisters flüsterte. Es war ihm unbekannt und doch war da etwas in ihm, das diesen Begriff wieder erkannte und ihn mit Jubelrufen willkommen hieß. Etwas lang Vergessenes, das grade eben außer Reichweite war und das er nicht erreichte, so oft er sich auch danach streckte.
Doch die Hand des Herzogs war kalt, als er sie losließ und frustriert erkannte Heled, dass es zu spät war. Havinon, Herzog von Scheeru und Herrscher über die Provinz Servina, sowie Kurfürst des Reiches Arthergs, war tot.
Sie banden die Leiche wieder los. Zwar würde Havinon sicher in seiner Heimat begraben werden, doch würde ihm die Erfüllung seines Auftrages wichtiger sein. Und Malèhlti musste schnell rennen, sehr schnell.
Die Gruppe seiner Männer hatten sich in den letzten Minuten erschreckend verringert, nur noch sechs waren kampffähig.
Heled kannte alle, die hier lagen oder noch kämpften beim Namen, einige von ihnen würden trauernde Witwen hinterlassen und weitere Kinder, die sich bald nicht mehr an ihren Vater erinnern würden.
Doch zählte allein das Versprechen, das Heled gegeben hatte und wenn er es brach würde es in Artherg bald tausende Witwen mehr geben.
Er wusste nicht mehr genau, wie er entkam. Für ihn existierte nur noch das Versprechen, das ihn wie einem Lichtstrahl leitete, während hinter ihm die Flammen loderten, die die Schmerzen in seiner Schulter auslösten. Es war allein Malèhlti zu verdanken. Sie sprang über umgestürzte Bäume, die ihre Äste schwarzen Finger gleich in die Luft streckten, weil ihr halb ohnmächtiger Reiter nicht mehr in der Lage war, sie zu lenken. Sie wich Pfeilen aus, die ihnen auf den ersten Metern folgten und die wenigen, die sie dennoch verfolgten, vermochten es dieses Mal nicht, das Kettenhemd zu durchdringen. Es war allein der eine Pfeil, der ihm düstere Träume schenkte und dessen Flammen drohten, ihn zu verzehren.
Nach einer Weile vermochte er es nicht mehr, die Realität von Träumen zu unterscheiden und Vergangenheit und Gegenwart wurden eins. Er sah die Soldaten vor sich, die er in seinem Leben getötet hatte, sah die Wappen, für die er gekämpft hatte und gegen die er gefochten hatte. Der Fuchs, der über die Wiese lief, die Pfoten nass vom Tau. Doch dann traf ein Pfeil ihn aus dem Hinterhalt und der Fuchs sank zusammen und winselte leise. Heled wollte zu ihm laufen, doch banden eiserne Ketten ihn fest. „Eines Tages.“, rief er, „Ich komme und werde deine Ketten lösen, dort, wo ich einst scheiterte.“.
Doch verschwand der Fuchs und es blieb allein die Dämmerung.
Dann – nichts mehr.