Es gibt viele gute Festungen in Anthar – die Besten sind die Bergfestungen in Servina – doch die Königin der Festungen ist Astjiras. Unbesiegt und ungebrochen ist sie die Hoffnung der Tjaroler.
Aus „Über die Völker Tjarols“ von Itchrev.
Es war ein mühsamer Anstieg und er war langwierig, denn die Straße war schmal und an den Seiten erhob sich entweder eine undurchdringbare Felswand oder ein Abgrund. Heled hatte seinem Schwadron befohlen abzusteigen und die Pferde zu führen. Zu leicht könnte eines der Tiere auf einem Stein ausrutschen und Pferde waren kostbar. Er fragte sich generell, warum sein Schwadron mitkämpfen sollte, bei gegnerischen Ausfällen war eine leichte Kavallerie zwar durchaus von Nutzen, doch warum sollten die Tjaroler so dumm sein und einen Ausfall zu wagen? Sie kamen an den zwei Onagern vorbei, die auf den ersten Blick nicht sonderlich gefährlich wirkten, doch hatte Heled in genug Schlachten gekämpft, um ihre Tödlichkeit zu kennen. Das Heer sammelte sich vor den Mauern der Festung, auf der Tjaroler wie Spielzeugpuppen nebeneinander standen und darauf warteten, dass jemand das Zeichen zum Angriff gab. Das Eraliy-Regiment sammelte sich an einer Seite und Heled erkannte, dass sie das einzige Kavallerie-Regiment bildeten, von denen es in Artherg ohnehin nicht viele gab. Es gab zwei Dinge, weshalb das Eraliy-Regiment bei der Infanterie unbeliebt war. Der Erste war, dass sie Streifscharen waren, von denen es hieß, dass sie nur faul in der Gegend rumlagen und sich an den erbeuteten Weinfässern gültig taten. Der Zweite war, dass sie Kavallerie waren. Zwischen der Infanterie und der Kavallerie Arthergs herrschte ein tiefes Misstrauen und Konkurrenzdenken, von der eigentlich keiner mehr wusste, warum es denn so war.
Doch nun ging es einfach nur darum, zu überleben.
Die Trommeln schlugen schneller und die Spannung war förmlich zu hören. Über ihnen zischte es und etwas prallte gegen die Mauer. Staub senkte sich auf die wartenden Infanteristen, die ihre Schilde gehoben hatten, um sich so vor einem möglichen Bogenschützenangriff zu schützen. Pfeile senkten sich über die Mauer und Heled erkannte, dass die Tjaroler auf die Männer zielten, die die Onager bedienten. Zwei Männer wurden getroffen, doch rückten sogleich neue Soldaten an ihren Platz. Ein zweites und ein drittes Mal erbebte die Mauer, Steine fielen herab und ein Stück Mauer brach ab, ohne weiteren Schaden anzurichten. Ein viertes Mal. Es donnerte und feine Risse zogen sich durch den Stein von Jahrhunderten, doch noch hielt sie stand.
Dann begann die Schlacht, als hätten die Verteidiger beschlossen, dass wenn ihre Mauer schon zusammenbrach, sie wenigstens viele Feinde mit in den Tod nehmen sollten. Pfeile zischten über ihnen hinweg und fanden ihr Ziel in menschlichem Fleisch. Ein Reiter hinter Heled sank getroffen zusammen und bat mit seinem letzten Atemzug um Verzeihung. Blut färbte den Boden und rann in Bächen den Hang hinab, um dort einen Strom zu bilden. Männer wanden sich vor Schmerzen am Boden umher und die Glücklichen wurden von ihren Freunden erlöst. Doch es gab keinen Feind, niemanden gegen den man angehen konnte, um diesen Schmerzen ein Ende zu bereiten – zumindest nicht für die gewöhnliche Infanterie und die Kavallerie. Doch es gab komplette Bogenschützen-Regimenter, die sich in diesem Moment dafür entschieden, das Blut aus den eigenen Reihen mit Feindlichem zu mischen. Einzelne Schützen sanken zusammen und einige fielen über die Mauer, um kurz darauf von der tosenden Masse der Soldaten zerfleischt zu werden.
Dann brach die Mauer in einem gewaltigen Krachen zusammen, der wie der Schrei einer sterbenden Kreatur anmutete. Staub senkte sich auf die wartende Infanterie und Soldaten lagen in Pfützen aus Blut unter Mauerbrocken. Mit zwei Onagern hatte Prinz Jasreel eine Festung zerstört, die Jahrhunderte überdauert hatte. Mit zwei Onagern hatte er die Hoffnung der Tjaroler zerstört.
„Speere nach vorne.“, schrie Jair und dreihundertfünfzig Speere senkten sich nach vorne, bereit Kettenhemden zu zersprengen und Fleisch zu durchbohren. Heleds Stute schnaubte nervös und tänzelte auf der Stelle. Sie erfüllte dieselbe kaum auszuhaltende Erwartung und Anspannung, die auch ihren Reiter und die Paare hinter ihr erfüllte. Die Infanterie trat zur Seite und schuf einen Gang für das einzige Kavallerie-Regiment des Heeres. In einer von großen Steinen relativ freien Stelle tauchten die ersten Verteidiger auf. Ihre Gesichter fassungslos, doch die erhobenen Waffen zeugten von dem ungebrochenen Stolz der Tjaroler und Heled zollte ihnen in Gedanken Respekt für ihre Unnachgiebigkeit.
„Zum Angriff.“. Die Pferde setzten sich in Bewegung und die Hufe trommelten in einer wilden Musik über die Erde.
Heleds Schwadron führte den Angriff und so war es auch sein Speer, der zuerst Blut kostete. Der Krieger, der in schon so vielen Schlachten gekämpft hatte, war nun völlig ruhig. Seine Sinne waren angespannt und vollständig konzentriert, doch er benutzte nun dieselben Handgriffe wie immer. Er tauchte wieder in die Routine des Kämpfens ein, er ritt auf seiner perfekt ausgebildeten Stute Tjaroler nieder und durchbohrte Kettenhemden mit gut geführten Speerstößen. Dann war der Weg von Feinden frei. Es gab keine wartende Infanterie, wie der Generalstab es vermutet hatte. Doch als er erkannte, was ihn erwartete, war es fast zu spät.
Seine Stute rutschte auf den glatten Kieselsteinen aus und ihr schrilles Wiehern mischte sich mit denen der anderen Tiere. Pferde stürzten den Abhang hinab und verschwanden im Nebel, der sich über das Tal gelegt hatte. Heleds Stute fand wieder festem Boden unter den Füßen und sprang das Stück, das sie hinabgerutscht war, wieder hinauf. Er sammelte seine Männer um sich und jetzt erkannte er auch, dass die Festung noch viel herausragender war, als der Generalstab geahnt hatte. Der Fall der Mauer war ein Tropfen auf den heißen Stein, der Horror kam erst noch.
Unter ihnen erhob sich eine Schlucht, die den äußeren vom inneren Mauerring trennte. Und Heled wusste mit dem unfehlbaren Wissen des Kriegers, das ihnen verlustreiche Kämpfe bevorstehen würden, denn es war unmöglich Belagerungswaffen hier herunter zu schaffen.
Heled sah Jair an, der seinen Hengst neben Heleds Stute lenkte und dessen Verwunderung offensichtlich war.
„Man sagt, dass die Hautstadt den alten Zwergenkönigreiches Nor ebenfalls eine solche, jedoch viel tiefere Schlucht hatte, sie wurde nie eingenommen.“, meinte er nachdenklich.
„Ja, Sir.“.
„Schickt Patrouillen aus und wenn der Weg frei ist, stellt euch im Tal auf.“.
„Ja, Sir.“.
Jair wendete seinen Rappen und ritt zur Mauer zurück, vor der grade die überlebenden Tjaroler hingerichtet worden.
„Ihr habt es gehört, Männer.“, rief Heled. „Togorma und Hul führen jeweils eine Gruppe in das Tal, Togorma nah Westen und Hul nach Süden, Assur reitet die Mauer entlang.“. Die Männer nickten und die Angesprochenen spalteten sich auf.
Dann kontrollierte er die Verluste, zu seinem Erstaunen hatte er nur zwei Männer durch den Sturz ins Tal verloren und einer war gefallen, drei weitere in den Kämpfen verwundet worden. Er hielt sie zusammen und wartete bis die Patrouillen zurückkehrten. Sie berichteten schließlich, dass das Tal verlassen war, jedoch großflächig Krähenfüße ausgestreut worden waren, die sie eingesammelt hatten. Die Tjaroler hatten wohl nicht damit gerechnet, dass sich das arthergische Heer so vorsichtig verhalten würde, eher das sie in Hoffnung auf einen leichten Sieg, schnell nach vorne preschen würden und durch die Eisenspitzen der Krähenfüße aufgehalten werden würden.
Eilig führte er sein Schwadron nach unten, gefolgt von den drei anderen. Sie suchten sich einen Platz an einem kleinen Bachlauf, tränkten und fütterten die Pferde, sattelten sie jedoch nicht ab. Dann sanken auch die Männer zusammen, holten Proviant und Wasserschläuche hervor und versorgten ihre Verletzungen.
Heled säuberte seine Speerspitze und ließ den Blick zu dem inneren Festungsring schweifen, der sich dunkel gegen den Nebel abhob. Er konnte die Soldaten nicht sehen, doch er wusste, dass sie dort patrouillierten, ihre Lampen schwenkten und sich fragten, welcher Feind dort wohl über sie herein brechen würde. So weit er es erkennen konnte, war das Tal bis auf kleinere Felsen und die Gräser leer. Jeglicher früher hier gewachsener Wald war zur freien Sicht abgeholzt worden und Heled bedauerte jetzt schon die Männer, die als erste den steilen Hang hinaufkraxeln mussten. Sie würden alle sterben. Es gab keine Deckung und die tjarolischen Bogen schossen weiter und genauer als die arthergischen. Die Kavallerie würde nicht kämpfen müssen, es gab keine Infanterie, die nieder zu reiten war. Es war die Infanterie, die die Festung würde einnehmen müssen, wenn Artherg nicht unvollendeter Dinge wieder würde abziehen müssen.
Später marschierten auch die restlichen Regimenter auf, schlugen ihre Lager auf, während weitere Patrouillen ausgeschickt wurden und der Generalstab sich beriet.
Nach einigen Minuten wurde der Befehl zum Angriff gegeben und Heleds Schwadron beobachtete wie Regimenter tapferer Männer, die dennoch ihre Gesichter in Todesangst verzerrt hatten, an ihnen vorbei marschierten.
Aus dem Tal konnten sie es hören. Die Schreie der Verwundeten, das Klirren der Kettenhemden und Waffen. Es war schrecklich, den Schmerz wahrzunehmen und zugleich nichts dagegen tun zu können. Heled konnte nur warten.
Dann herrschte Stille und der Krieger wusste, dass es vorbei war. Dort oben lebte kein Angreifer mehr. Dennoch ergoss sich eine weitere Welle vor die Festung und dieses Mal führten sie Sturmleitern bei sich, was Heled mit einem anerkennenden Nicken belohnte. Doch kehrten auch dieses Mal nur die Schreie der Sterbenden zu ihnen zurück, dann war die Stille erneut da.
Zwei weitere Angriffe gab es seitens der Artherger, beide nicht erfolgreicher als die ersten und dann wurden aufgrund der einbrechenden Dunkelheit die Angriffe eingestellt.
„So geht es nicht weiter.“. Heled schüttelte den Kopf. „Es muss einen anderen Weg geben.“.
Jehiel zuckte mit den Schultern. „Die Heeresleitung wird schon wissen, was sie tut.“.
Heled ignorierte ihn. „Diese Festung wurde von Menschen gebaut und Menschen machen Fehler.“.
„Zwerge.“, unterbrach sein Nebenmann ihn und wurde mit einem verwirrten Blick belohnt. „Die Festung wurde von Zwergen errichtet.“.
Heled winkte ab. „Es läuft auf das Gleiche hinaus.“.
Er stand auf. „Ich muss mich umsehen.“.
Jehiel umfasste seinen Arm. „Willst du vors Kriegsgericht kommen wegen unerlaubtem Entfernens vom Lager? Verdammt, Heled. Ich werde dich nicht in alle Ewigkeit vor deinem Dickkopf schützen können.“.
Heled sackte zusammen. Ein einziger Einfall war es tatsächlich nicht wert, alles zu riskieren, was er sich in sechs Jahren erarbeitet hatte.
„Ich könnte helfen, Sir.“, meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund zu Wort. Heleds jüngster Soldat namens Maharai trat hervor und erklärte: „Mein älterer Bruder war den Patrouillen zugeteilt.“.
„Worauf wartest du dann noch?“, fragte Heled und scheuchte ihn fort.
„Verdammter Jungsporn.“, knurrte er und tat so, als ob er das Grinsen seiner Männer nicht bemerken und nicht verstehen würde, dass sie denselben verzweifelten Wunsch verspürten, ihren sterbenden Brüdern zu helfen und nun einen leisen und flackernden Hoffnungsschimmer wahrgenommen hatten.
Maharais Bruder erwies sich als ernsthafter junger Mann, der sich ebenfalls als Maharai vorstellte.
„Ich muss Ihnen zu ihrem Überfall vor zwei Monaten gratulieren. Großartig.“. Er grinste das gleiche, verwegene Lächeln wie es auch sein Bruder manchmal zur Schau stellte.
Heled nickte nur und Maharai schien zu merken, dass es der Floskeln genug war. Er setzte sich neben Heled auf den Boden und erklärte. „Im Osten grenzt die innere Festungsmauer direkt an das Gebirge. Wenn ihr zur äußeren Festungsmauer zurückgeht, werdet ihr einen schmalen Pfad finden. Folgt ihm bis ihr auf ein schmales Sims trefft, diesen müsst ihr euch hinab hangeln, bis ihr über der Mauer seid. Folgt dem Pfad nicht bis zum Ende, sonst werdet ihr in unmittelbare Sichtweise zu den Wachen geraten. Dies ist der einzige Weg, der mir bei meinen Erkundungen aufgefallen ist.“.
„Hast du ihn dem Generalstab vorgestellt?“, mischte Jehiel sich ein.
„Ich bin ein einfacher Soldat und sie haben nicht genug Zeit, um sich mit jeder Beobachtung zu befassen.“. In seiner Stimme schwang ein kaum wahrnehmbarer Vorwurf mit, den Heled zufrieden registrierte. Bei Maharai würde er ansetzen können und ihm zu seinem Mann anstatt dem des Königs zu machen.
„Ich danke dir, Maharai.“.
„Und ich danke Euch, dass ihr auf unser Seite kämpft. Ihr müsst ein gefährlicher Gegner sein.“.
Sie tauschten einen letzten Blick aus und trafen ein stilles Abkommen miteinander. Dann verschwand Maharai in der Dunkelheit und sein gleichnamiger Bruder, Heled, Jehiel und drei Dutzend Soldaten blieben zurück. Die Männer grinsten erneut, sie hatten genug von dem Gespräch mitbekommen, um zu wissen, dass sie kämpfen würden. Doch wagten sie es nicht, ihren Befehlshaber zu stören.
„Du solltest zur obersten Heerleitung gehen.“, drängte Jehiel seinen Freund.
„Hast du nicht zugehört? Niemand würde einem einfachen Rittmeister Gehör schenken.“, gab Heled ungerührt zurück.
Er drehte sich zu seinen Männern um und erklärte: „Sobald der Befehl zum Angriff kommt, marschieren wir los.“. Die Soldaten rieben sich freudig die Hände und umfassten die Waffen. Sie legten sich daraufhin nieder, um vor dem entscheidenden Moment noch ein wenig zu schlafen.
Als Heled erwachte, fluchte er. Der Boden war von einer dünnen Schneeschicht bedeckt und sein Atem gefror in der Luft. In wenigen Tagen würde die Temperatur so weit fallen, dass es unmöglich sein würde, hier zu bleiben. Der Winter war früh dieses Jahr, doch kam er nicht unerwartet. Sie würden sich einfach nur beeilen müssen.
Der Rittmeister trieb seine Männer an aufzustehen, um sich warm zu laufen. Weitere entzündeten Feuer und verwendeten den kostbarsten Schatz eines Soldaten, um sich aufzuwärmen: Teeblätter. Die Pferde wurden gefüttert und bewegt, die Sachen verstaut und dann warteten alle nur darauf, dass der Befehl zum Angriff kam.
Bis es soweit war, dauerte es noch, wahrscheinlich weil der Generalstab der Meinung war, ausschlafen zu müssen.
Doch als die Trommler ihre Instrumente anstimmten, war Heleds Schwadron bereit. Sie stellten sich auf und als der Rittmeister des zweiten Schwadrons sie fragte, was sie taten, entgegnete Heled, dass sie einen Spezialauftrag hätten. Es kam keine Widerrede.
Sie ließen die Pferde zurück und führten nur Waffen und ein wenig Proviant mit sich. Heled trieb seine Männer unnachgiebig durch den Nebel und zwang sie die Schmerzensschreie zu unterdrücken, wenn sie sich wieder an Felsen stießen und auf dem glatten Eis ausrutschten. Dann erreichten sie die Mauer und glitten unbemerkt von den Wachen in ihrem Schatten dahin.
„Jehiel geh voraus.“, befahl er leise, denn sein Stellvertreter war der beste Pfadfinder und Fährtenleser, den Heled je kennen gelernt hatte.
Kurz darauf kehrte dieser zurück und teilte mit einem Nicken mit, dass er das Gesuchte gefunden hatte.
„Ich gehe voran, Assur folgt und Jehiel macht den Abschluss.“. Assur war ein kleiner, muskelbepackter Krieger, gewannt und schnell, den Heled als er das Kommando über die Truppe übernommen hatte, mit seinen Fäusten hatte überzeugen müssen. Nun war er einer seiner treusten Männer und besten Kämpfer. Er war Oleoner und kämpfte für Artherg, weil seine Heimat durch die jahrelangen Kriege zerstört und geplündert war und nun einer Hungersnot gegenüber stand – und er nur vor die Wahl des Todes oder des Eintritts in das Heer gestellt worden war.
Der Pfad war nicht mehr als ein ausgetretener Ziegenpfad, der in einem ausgetrockneten Bachlauf begann und sich dann in die Felsen schlug. Die Berge waren kahl, jegliche Bäume abgeholzt, so dass Heled die Männer kriechen ließ, um zu verhindern, dass man sie sah. Teilweise führte der Pfad von der Schlucht weg, um Felsen auszuweichen und kehrte dann wieder zurück. Es roch nach Schnee und kalter Luft. Einzelne Raben kreischten über ihnen und abseits von ihnen begannen Hasenspuren.
Dann erreichten sie das Sims. Es war nur ein schmaler Felsvorsprung, auf dem nicht einmal ein ganzer Fuß Platz fand. Teilweise wurde er unterbrochen, um später wieder aufzutauchen.
„Maharai, Amiel und Asaph bleiben unter Huls Befehl hier und bewachen den Pfad.“.
Hul blitzte ihn zornig an, doch er war zu gehorsam, um Widerworte zu wagen. Er war ein guter Mann und Krieger, doch war er verletzt und Heled wollte das Risiko nicht eingehen, ihn zu verlieren. Die Übrigen drei waren zu unerfahren und konnten das ganze Unternehmen gefährden.
Heled fing an und trat auf das schmale Sims. Seine Finger krallten sich mit Erfahrung in den Stein. Geschickt und unauffällig bewegte er sich vorsichtig. Als Hiskijar hatte er viele Jahre im Gebirge gelebt und diese Erfahrung hatte sich auf Heled übertragen. Hinter ihm kam Assur, der einen gewaltigen Beidhänder an der Hüfte trug, den selbst Heled nicht heben konnte. Siebenundsechzig Mann hangelten sich am Gebirge entlang, unbemerkt von eigenen und fremden Wachen. Der Nebel umhüllte sie und schützte sie noch. Kleine Felsbrocken stürzten ab und klangen laut durch die Stille. In der Ferne rauschte ein Wasserfall und nun klang auch die Schlacht zu ihnen herüber.
Der Nebel lichtete sich und sie erblickten Berge von Leichen, Blutpfützen und verzweifelte arthergische Krieger, die immer wieder gegen das gewaltige Tor anstürmten. Erst jetzt erblickte Heled auch die innere Festungsmauer. Sie waren noch größer als die äußeren Mauern und von drei Seiten vom Schattengebirge eingerahmt. Die einzige freie Seite wurde von der Schlucht begrenzt, aus der das arthergische Heer in immer wieder nachrollenden Wellen heranrollte. Zu seiner Erleichterung erkannte Heled, dass Jasreel wenigstens Sturmleitern angebracht hatte. Einzelne Männer überwanden die Mauern im Gefühl des Siegesrausches, um gleich darauf niedergemäht zu werden. Gewaltige Bogenschützenregimenter standen abseits und schickten Brandpfeile sowohl normale Pfeile über die Mauern. Der Kronprinz mobilisierte alle möglichen Kräfte, doch reichen würde es nicht.
Das Sims führte über die Mauer und brach kurz darauf ab. Heled wandte sich zu seinen Männern um und nickte kurz. Sein Säbel glitt lautlos aus der Scheide und die Klinge glänzte in den Sonnenstrahlen, die nun den Nebel durchdrangen. Heled war ursprünglich Infanterist und war es in seinem Herzen auch immer geblieben, doch bot ihm sein Schwadron die Unabhängigkeit, die ihm die Infanterie nie bieten konnte. So zog er es auch vor mit zwei leichten Einhändern zu kämpfen, doch bot der Säbel seinen Vorteil im Kampf zu Pferd. An seiner anderen Seite hing ein zweiter Säbel, doch passte dieser nicht zu dem Anderen und lag unbalanciert in der Hand.
Heled konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Aufgabe und seine Finger und Füße fanden Ritzen und Absprünge in dem porösen Gestein des Schattengebirges. Stück für Stück kletterte er hinab und sprang das letzte Stück hinab, wobei seine Stiefel keinen Laut auslösten. Blitzschnell fuhr seine Klinge durch die Luft und der erste Mann sackte zusammen, bevor er überhaupt wusste was ihm geschah. Zuerst schienen die Tjaroler zu denken, dass es sich um Einzelne handelte, die mithilfe von Leitern die Mauerkrone überwunden hatten und Heled lenkte sie davon ab, nach oben zu sehen. Der Nebel hatte sich aufgelöst, so dass seine restlichen Männer ein fantastisches Ziel für die feindlichen Bogenschützen abgaben. Dann war Assur neben ihm und seine gewaltige Klinge schlug eine Bresche in die Linien der Verteidiger. Zu zweit wirbelten sie herum und töteten ihre Feinde, doch während Heled eher auf Gewandtheit und Schnelligkeit setzte, schlug Assur mit seiner gesamten Körperkraft zu. Dann waren die Übrigen heran und ein Teil des arthergischen Heeres hatte die Mauern überwunden. Heled lief die Treppe, die von Blut rutschig geworden war, in den Innenhof hinab, wobei er von Assur gedeckt wurde. Auf dem Vorplatz wurden Verwundete versorgt, Wasserträger rannten hin und her und Soldaten kamen zur Verstärkung heran. Keiner von ihnen schenkte den Arthergern sonderliche Aufmerksamkeit, da sie keine Abzeichen trugen, hielten sie sie für ihre eigenen Männer. Sie würden früh genug erkennen, dass der Tod unter sie gekommen war, dachte Heled, während er in Gedanken die Aufstellung seiner Männer plante.
Es gab ein hölzernes Tor aus dicken Eichenbohlen, das von einem Eisengitter geschützt wurde. „Assur übernimmt das linke Torhaus, Togorma das Rechte. Jehiel mit mir.“. Die Männer teilten sich selbstständig auf, die Meisten kämpften lange genug unter Heleds Kommando um seine Befehle zu kennen, bevor er sie zu Ende sprach.
Jehiels Blick begegnete dem Seinem und die beiden Freunde mussten keine Worte austauschen, um zu wissen, was ihre Aufgabe war. Die Fahne auf dem höchsten Turm der Verteidigungsanlagen war zu verlockend, um sie zu ignorieren. Und unter Heleds Wams war eine Fahne versteckt, die sich danach sehnte, frische Luft zu atmen.
Einige Männer waren besorgt, andere grinsten, doch sie alle wünschten ihnen beiden Glück bei ihrem Vorhaben. Dann wandten sie sich von ihren Kriegern ab und rannten auf den Bergfried zu, der sich hinter dem Tor befand und die Wolken küsste. Ein Sonnenstrahl brach durch die Wolkendecke und ließ die Waffen glänzen. Heled zog den zweiten Säbel aus der Scheide und nahm ihn in die rechte Hand, während er den ersten in der Linken führte. Die zwei Wachen wollten in Warnschreie ausbrechen, doch mit einigen schnellen Schritten überwand Heled die Distanz und ließ den Tjaroler verstummen. Gurgelnd sank er zusammen und mit Zufriedenheit bemerkte Heled die schlechte Bewaffnung. Die Tjaroler waren anscheinend nicht darauf vorbereiten gewesen, den Nahkampf zu wählen. Sie hatten auf ihre Bögen und ihre Mauern vertraut und hatten dabei vergessen, dass die Artherger durchaus kämpfen konnten. Auf einmal überschwemmte der Stolz auf seine Männer Heleds Sinne, sie hatten das Unmögliche möglich gemacht und Fantastisches geleistet. Nun lag allein die Aufgabe vor ihm, diesen Sieg auch zu sichern. Sie traten ein und ihre Schritte hallten durch den gewaltigen Steinturm. An ihnen vorbei führte eine Wendeltreppe in die Tiefe und eine in die Höhe. In einer Ecke standen große Säcke, die vermutlich Lebensmittel erhielten. Die Treppe nach unten würde zum Kerker führen und vermutlich würden sie dort auch die gefangen genommenen Artherger finden.
Sie rannten die Treppe hinauf und fanden einen Raum vor, der mit verletzten Männern angefüllt war, die zwar – wie es bei den Tjarolern Sitte war - keine Abzeichen trugen, jedoch das Selbstbewusstsein von Generälen besaßen. Sie töteten sie alle. Es war Gnade. Auch das Mädchen, das von oben herab kam, fiel ihren Klingen zum Opfer. Mit einem von Jehiels Hand erstickten Laut sank sie nieder und der Krug Wasser zerschellte auf dem Boden.
Sie liefen weiter und an der Kälte, die ihnen entgegenwehte, merkte Heled, dass es nicht mehr weit war. Von oben hallten ihnen Stimmen entgegen, so dass Heled instinktiv den Säbel umklammerte. Ihre Schritte wurden leiser, vorsichtiger, dann nickte er und sie brachen um die Ecke.
Diese Männer reagierten schnell. Ein Stuhl kippte um, als ein Mann in Rüstung aufsprang und seinen Säbel hob. Heled und Jehiel fuhren unter sie und töteten zwei bevor sie begriffen, dass sie nur zu zweit kämpften. Heled hatte siebenundzwanzig Jahre Kampferfahrung und das bekamen die Tjaroler nun zu spüren. Er duckte sich unter einer Klinge hinweg und stieß seinem Gegenüber mit Wucht sein Knie in den Bauch, so dass dieser zusammensackte und Heled die Möglichkeit gab, ihm die Kehle durchzuschneiden. Eine Klinge fuhr von oben herab und Heled schüttelte in Gedanken den Kopf über diesen unerfahrenen Mann, während er parierte. Viele unerfahrene Krieger wollten die Gegner so überraschen, doch bei Schlägen von oben konnte einem das Gewicht eines Schwertes leicht zum Verhängnis werden. So auch dieses Mal. Heled musste nur seinen zweiten Säbel heran führen und die Gedärme spritzten heraus.
Keuchend wandte er sich um und bemerkte, dass ihre Gegner alle tot oder sterbend am Boden lagen. Jehiel und er hatten gute Arbeit geleistet. Sie beendeten dann das Leiden der Sterbenden und lauschten nach oben. Rufe hallten herab. Es schien, als ob der Kampf nicht unbemerkt geblieben wäre. Heled und Jehiel stürmten die Treppe hinauf und warfen sich gegen die Tür, die zur Brüstung führte. Ein Mann wurde nach hinten geschmissen und flog über das schmale Geländer. Es waren viele Männer, die sich hier versammelt hatten. Heled nahm Fernrohre und Karten in den Augenwinkeln war, doch interessierten ihn momentan mehr die Waffen der Verteidiger.
Der Turm ging noch ein wenig höher und die Brüstung wand sich um ihn wie eine gierige Schlange. Zu der Erhebung und der darauf stehenden Flagge führte eine Leiter.
Schwerter klirrten, als Heled den ersten Schlag parierte. Er ging zum Angriff über und vollführte einen einfachen Schlag nach den Beinen seines Gegners, doch dieser ließ sein Schwert in einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk nach unten kippen und wehrte den Schlag ab. Es war ein älterer Tjaroler, dessen Gesicht halb von einem Spangenhelm verborgen war und er hielt sein Schwert sicher in der Hand. Er versuchte sich nun seinerseits an einem Angriff, doch Heled wich ihm ebenfalls mühelos aus. Ein Pfeil zischte urplötzlich an ihm vorbei und er fluchte leise. Sie waren bemerkt worden, was bedeutete, dass er nun in Bewegung kommen musste. Er drückte das Schwert seines Gegners zur Seite und warf sich gegen ihn. Der Mann taumelte und riss einen weiteren Krieger um, der auf dem geringen zur Verfügung bereitstehenden Platz immer wieder versucht hatte, in den Kampf einzugreifen. Irgendwie gelang es seinem Gegner, sein Schwert wieder richtig zu umfassen und Heled spürte wie das Schwert seine Rüstung kratzte. Während er das Schwert erneut beiseite schlug, trat er dem Mann auf sein Bein und wurde dafür mit einem Schmerzensschrei belohnt. Das Schwert rutschte außer Reichweite und Heled schnitt dem Mann die Kehle durch. In demselben Moment hieb ein weiterer Krieger nach ihm und Heled parierte ihn mit seinem anderen Säbel.
Dann ging alles in die fließenden Bewegungen über, die Heled schon so häufig ausgeführt hatte und alles wurde zu einem Traum. Einem Traum aus Blut und Tod. Er wirbelte auf dem engen Platz herum, so weit es ihm möglich war, stieß Krieger hinab und spürte seine Arme taub werden.
In der hintersten Ecke seines Bewusstseins nahm er einen Hilfeschrei war und tauchte auf. Er warf sich gegen den Mann, der Jehiel gefährlich nahe gekommen war und bewahrte seinen Freund davor, ein Schwert im Bauch zu spüren. So bohrte es sich nur in Jehiels Seite. Der Angreifer stolperte gegen Jehiel und beide fielen über die schmale Mauer. Jehiel konnte sich nur festhalten und Heled zog ihn mit der einen Hand hoch, während er mit der anderen die Gegner abwehrte. Als Jehiel in Sicherheit war, fuhr er wie ein Dämon unter sie. Zornig darüber, dass sie es gewagt hatten, seinen Freund zu verletzen . Die restlichen Verteidiger des Bergfriedes fielen einer nach dem Anderen.
Als er bemerkte, dass es vorbei war, entglitt der eine Säbel seiner Hand, während er den anderen umso fester ergriff. Der Krieger und Mörder erkletterte die Leiter, riss die Standarte hinab und befestigte die Flagge seines Schwadrons daran. Stolz erhob sich der Bär anstatt des dreiköpfigen Hundes über dem Bergfried und die Zahl 1 und der Name Eraliy-Regiment leuchteten als Lichter der Hoffnung zu dem Heer, das vor den Mauern kämpfte. Die Männer wandten sich ab, die ersten rieben sich ungläubig die Augen und als sie bemerkten, dass die Hoffnung sich als wahr erwiesen hatte, lachten und weinten sie. Oberst Jair dagegen, ließ sein Fernrohr sinken, schüttelte den Kopf, doch am Ende ließ selbst er ein kleines Grinsen verlauten.
Dann öffnete sich das Tor und das Heer strömte in die Festung.
Es war ein Tag der Wunder, ein Wunder, das den Namen von Heleds Schwadron trug.