Shanora stapfte gereizt durch den langen Gang, der die Halle von Illutia von Finns neuem Büro trennte. Der lustige Haarreifen, welcher ein Renntiergeweih darstellte passte nicht mehr zu ihrer Stimmung. Finn war nach dem Essen einfach mit Merlin in seinem Büro verschwunden um schnell "etwas Wichtiges zu besprechen".
Wütend, weil sie schon wieder ein Weihnachten beinahe komplett auf ihren großen Bruder und einzigen Verwandten verzichten musste, und enttäuscht, dass er sie wieder aus den wichtigen Entscheidungen rauszuhalten schien. Das war ihre zuvor weihnachtliche Stimmung jetzt.
Sie riss einfach die Türe auf und fand zu ihrer Verwunderung Finn alleine an seinem Schreibtisch vor. Er schien auf diesem eingedöst zu sein und ein scharfer Geruch stieg ihr entgegen.
Shanora trat vor den Schreibtisch und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf: "Wach auf!"
Finn schreckte hoch und wäre beinahe mitsamt seines Sessels nach hinten gekippt: "Schwester!"
Shanora musterte nun das Dokument, auf dem ihr Bruder geschlafen hatte, fassungslos nahm sie es in die Hände. Eine Träne bahnte sich ihren weg über ihre Wange bis in die Halsbeuge, sie machte sich nicht die Mühe diese zu beseitigen.
"Bevor du jetzt sooooo kukscht..", begann Finn zu lallen.
„Bist du etwa betrunken?“, Shanora wurde von Finn kurz gemustert, seine Augen waren trüb und ihre Enttäuschung groß. Sie blieb stehen und starrte ihn finster an.
„Ich hatte nur ein Glas Essen zu meinem Wodka!“, murrte dieser und legte seinen Kopf einfach wieder auf den Schreibtisch.
Shanora wusste das in diesem Zustand kein sinnvolles Gespräch mehr mit ihm möglich war, also knüllte sie das Dokument zusammen und ließ es fallen.
"Wie du nur schlafen kannst, bei allem was du gerade tust!", murmelte sie bevor sie traurig und niedergeschlagen den Raum verließ.
Finn war für den Moment einfach nur froh seine Ruhe zu haben, der ganze Raum schien sich um ihn zu drehen.
Er wusste das Shanora mit seinen und Merlins Plänen nicht einverstanden war, er wusste aber auch das er keine Wahl hatte.
Plötzlich schien seine Taschenuhr einen Gong loszulassen, wie eine alte Wanduhr. Verwundert raffte er sich auf und öffnete sie. Mitternacht, es war Mitternacht.
"Guten Abend, Teufelsjunge!", eine altbekannte, verrückte Stimme ließ ihn nun ganz aus dem Schlaf fahren.
"Treplew?", erstaunt musterte er die blonde gehörnte Gestalt, die zu allem Überfluss noch in einem Clownskostüm steckte.
Der verkleidete Treplew, dessen Gesicht weiß geschminkt war, mit roten Backen und einem aufgemalten Lächeln, verneigte sich.
"Gut, Teufelsjunge, lass uns beginnen!", Treplew schnippte mit den Fingern und Finn wurde von seinem Sessel geschleudert und prallte an die Wand, "Gut festhalten, das ist erst der Anfang des ganzen spaßigen Programms!"
Finn rieb sich schmerzverzerrt den Hinterkopf und warf den seltsamen Treplew, der lauthals lachte und dabei wie ein verrückter tanzte, einen genervten Blick zu.
"Ich habe keine Zeit für lästige Besuche aus der Vergangenheit!", stellte Finn klar und verschränkte die Arme.
"Und ob du das hast, Teufelsbrut!", Treplew schnippte breit grinsend mit den Fingern und ihre Umgebung verschwamm und veränderte sich.
"Das ist Ladiras Hütte im Wald, hell erleuchtet!", Finn folgte dem Weg durch den Garten den er als Kind so oft gegangen war.
"Natürlich ist sie hell erleuchtet, Dummerchen!", Treplew nahm einen Ast und pieckste Finn kichernd an damit er sich schneller zur Hütte bewegte, "Schließlich ist Weihnachten!"
Finn schüttelte verunsichert und genervt durch Treplews Stock den Kopf: "Aber dieses Jahr feiern wir in Illutia, niemand dürfte hier sein!"
Treplew lachte wieder schallend auf: "Du begreifst es immer noch nicht, Teufelsbursche!"
Plötzlich ging die Türe zur Hütte auf und ein kleines Mädchen mit zerzausten schwarzen Haaren trat hinaus, barfuß trotz der kalten Jahreszeit.
Sie setzte sich auf die Stufen vor dem Haus und starrte erwartungsvoll in die Dunkelheit.
"Shanora!", Finn erkannte die deutlich jüngere Version seiner Schwester und eilte auf sie zu, doch sie schien durch ihn hindurch zu starren. Als er sie berühren wollte, musste er erkennen, dass es nichts gab was er anfassen hätte können. Seine Hand glitt durch sie hindurch wie durch einen Geist.
"Shan komm wieder rein!", hörte er Celles genervte Stimme, "Er kommt doch sowieso nicht, willst du beim Warten erfrieren?"
Shanora verschränkte beleidigt die Arme: "Er hat es mir versprochen! Er hat mir versprochen das er mich an Weihnachten besucht!"
Finn stiegen die Tränen in die Augen, als ihm bewusst wurde, was er hier sah. Ein vergangenes Weihnachten.
"Armes kleines Mädchen!", gespielt mitleidig ging Treplew vor Shanora in die Hocke als dem kleinen Mädchen eine dicke Träne über die Wange kullerte.
Treplew erhob sich wieder und tanzte um Finn herum: "Jingle Bells, Jingle Bells, jedes Jahr aufs neue, enttäuscht vom Teufelsjungen der lieber gearbeitet hat!"
Finn konnte diesen Anblick nicht länger ertragen: "Das reicht, hör auf!"
Treplew lachte wieder laut und schallend: "Wir haben noch garnicht angefangen! Erwarte den zweiten Geist!"
In dem Moment verhallte Treplews Stimme und Finn schreckte hoch, er saß wieder auf seinem Schreibtisch.
"Na endlich, ich dachte schon der gestörte Trottel wird nie fertig!", erschrocken sah Finn sich um und entdeckte Delina in einem billigen Hexenkostüm.
Sie verbeugte sich kurz und grinste ihn schief an: "Können wir los oder brauchst du erst ein Taschentuch für deine Krokodilstränchen kleiner in widerlichem Selbstmitleid badender Teufelsjunge?"
Finn sprang auf: "Raus hier, verschwinde Delina! Ich weiß nicht was für ein Spiel ihr hier treibt, aber..."
"SPIEL?", Delina erschien blitzschnell vor ihm und ihr Gesicht veränderte sich, wurde zu den toten Gesichtern von Vincent und Janina, "Du denkst das hier ist ein Spiel, Teufelsjunge?"
Dann war ihr Gesicht wieder normal. bis auf die graue Plastikperücke und die ins Gesicht gemalten Spinnweben. Und dem spitzen Hut.
"Naja, wenn du dich nicht freiwillig bewegst...", Delina grinste verrückt und zückte ihren aus Alufolie gebastelten Zauberstab, "Hex Hex!"
Finns Körper schien zu schrumpfen, bis er sich in ein kleines blondes Meerschweinchen verwandelt hatte. Er wollte seine Empörung zum Ausdruck bringen, aber es kam nur ein Quieken aus seinem Mund.
"Ich dachte das passt zu dir!", Delina kicherte und schnappte sich das Meerschweinchen, "Du bist noch mehr Schweinchen. Ein Wortwitz, verstehst du?"
Es schien sie nicht zu stören, dass er nicht antworten konnte, sie plapperte munter weiter bis er sich selbst und Merlin durch den Gang kommen sah. Das war heute Abend gewesen. Nun würde er erfahren was passiert war, nachdem er nach drei Löffel der Vorspeisensuppe das Weihnachtsfest verlassen hatte.
"Frohe Weihnachten Freunde, wo auch immer ihr gerade seit!", Shanora saß vor dem Tempel und Tränen zierten ihre Augen, als sie in den Himmel blickte.
"Bitte passt auf euch auf, Sassy... Delina... Deseis... Auch Claude, obwohl er ein nervender Stinker ist!", Shanora schmunzelte bei ihren eigenen Worten und die Tränen rannen ihr über die Wange.
Finns Herz begann zu Schmerzen, so wollte er seine kleine Schwester nicht sehen. Er liebte sie doch, über alles. Wie konnte es sein das er sie unglücklich machte? Immer wieder?
"Arme kleine Shanora!", Delina schüttelte gespielt entrüstet den Kopf, "Ihr Bruder ist so ein ungezogener kleiner Teufelsjunge!"
Mit diesen Worten warf sie Finn in die Luft, zog den Zauberstab und sprach wieder: "Hex Hex! Dieses war der zweite Streich, doch der Dritte folgt zugleich."
Finn wurde wieder in seine normale Gestalt verwandelt, flog aber hoch in die Luft und fiel dann. Mitten im Fall riss es ihn aus dem Schlaf, er saß wieder an seinem Schreibtisch.
Sich seine blonden Haare raufend stand er auf und sichtete seinen Anzug. Gerade wollte er die Türe seines Büros öffnen, als sie ihm schon schnell entgegenflog und ihn am Kopf traf.
"Na wen haben wir den da, der Teufelsbubi!", eine viel zu gut gelaunte Arya trat ein und verneigte sich übertrieben vor ihm.
Finn rieb sich den Kopf und betrachtete die blonde Elfe, die sich als Fledermaus verkleidet hatte. Auch dieses Kostüm war billig und wirkte falsch.
"Was willst du? Ich habe genug von euch, was auch immer ihr seid!", Finn wich zurück und deutete ihr zu verschwinden.
"Was wir sind?", Arya lachte schallend los, "Ich bin der Geist der kommenden Weihnacht, Dummtorte!"
Finn begann zu begreifen: "Die drei Geister, es ist nur ein Traum!"
Arya schüttelte grinsend den Kopf: "Obwohl die Aussichten Traumhaft sind!"
Sie schnippte mit den Fingern und Finn sah den schwarzen Thron, davor ein Grab, das immer näher zu kommen schien.
"Frohe Weihnachten Teufelsbrut, ich hoffe die Zukunft gefällt dir!", Arya kicherte und tanzte um das Grab.
Finn starrte auf die Inschrift auch dem Grabstein und brach daraufhin zusammen.
"Nein, das darf nicht sein! Ich würde das nie zulassen!", er sah Arya verzweifelt an, "Es muss einen anderen Weg geben!"
Arya tanzte weiter um das Grab und sang: "Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Bruder mit seiner toten Schwester hahahaha!"
Daraufhin schien die Welt vor ihm zu bröckeln und er hörte Treplews, Delinas und Aryas Stimmen singen: "Jingle Bells, Jingle Bells, die weiße Königin wird sterben, wenn sich ihr Bruder nicht verändert.... Wenn die Finsternis sein Herz erreicht gehen wir unter..."
Finn schreckte hoch und diesmal krachte er mitsamt seines Schreibtischstuhls zu Boden. Er war verschwitzt, sein Hemd klebte förmlich an seinem Körper. Er warf das Sakko auf den Tisch und knöpfte das Hemd auf, atmete tief durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Er entdeckte das, wo seine Taschenuhr liegen sollte eine Art Traumfänger lag, aus Knochen und Sehnen. Angewidert packte er das Ding und warf es aus seiner Reichweite.
Auch wenn er glaubte zu verbrennen, so wagte er es nicht seine Ärmel hochzukrempeln. Zu groß war die Gefahr, das jemand sah was sich darunter verbarg.
„Wie du siehst kann ich deine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehen!“, eine liebliche weiblich Stimme ließ ihn herumfahren.
Eine Frau, zarte Statur und in einen schwarzen Umhang gehüllt musterte ihn mit ihren haselnussfarbenen Augen.
„Was bist du?“, Finn strich sich eine Strähne seines feuchten blonden Haars von der Stirn.
„Ich kann dich von diesem Fluch befreien!“, die Frau strich über seinen linken Unterarm.
„Wie?“, Finn starrte sie an, bemerkte die vereinzelten Sommersprossen auf ihren Wangen.
„Rette mich und ich zeige dir den Weg!“, flüsterte sie, „Aber du musst dich beeilen! Wenn es dein Herz erreicht sind wir alle verloren!“
Dann lächelte sie kurz und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, bevor sie sich auflöste.
Finn strich sich über die Lippen, verwirrt starrte er auf die Stelle an der die Frau gestanden war. Schnell eilte er durch die Türe, den Gang um seine Schwester zu sehen.
„Shanora?“, brüllte er durch die Halle, die sich schon geleert hatte. Er hatte wieder ein Weihnachtsfest verpasst und Shanora enttäuscht.
„Sie ist fort!“, Kyra kam ihm entgegen, „Wir können sie nicht finden!“
Finn sank verzweifelt auf die Knie, ihm war bewusst, dass sie ihre Drohung wahr gemacht hatte und sich alleine aufgemacht hatte um ihre Freunde zu retten. Nicht etwa vor dem Dunklen, oder doch? Er konnte nicht mehr sagen was er eigentlich war.