„Wirst du es ihm sagen, Arya?“, Delina musterte ihre Gefährtin kritisch. Arya verschränkte die Arme und legte den Kopf in den Nacken um die Sterne besser sehen zu können. Sie hatte sich, nachdem sie ihrer Mutter gefolgt war wie so oft heimlich wieder davongestohlen.
So verharrte Arya, ohne Delina eine Antwort zu geben und dachte nach. Wie sie und Deseis in ihrem Bett gelegen hatten, um zu reden, sie fragte sich, wann in ihr der Entschluss gereift war Baal und die Waffe zu bringen, die er erbeutet hatte. Vielleicht hätte er dem Dunklen mit der Seelensense entkommen können.
Vielleicht war es ihre Schuld das Baal tot war und Churchs Bruder.
Vielleicht war sie schuld an ihrem Wahnsinn, an all den Toten, die sie hinterlassen hatten.
Delina seufzte und schien die Hoffnung auf eine Antwort aufzugeben.
„Warum erinnert er sich nicht?“, mit Arya’s Gegenfrage hatte sie nicht gerechnet.
Delina überlegte: „Ich weiß nicht viel über sein Leben... eigentlich nichts! Er ist ein Schatten und diente Finn, aber das warum...“
„Er wurde jahrelang in einem dunklen Loch gefoltert! Nachdem du Baal um seine erbeutete Waffe gebracht hast, zwang der Dunkle den Dämonenkönig zum Selbstmord auf den Ebenen vor Madum. Deseis nahmen sie gefangen und ließen ihn in Madum verrotten, das hat ihn beinahe das Leben und den Verstand gekostet. Eine Elfe wie du hat ihn befreit, um ihn in weitere Finsternis zu stürzen. Das was ihr heute seht ist, was von ihm übrig ist. Und sobald eine Frau in seine Nähe kommt wird es nur schlimmer!“, Arya und Delina fuhren herum, Claude lehnte in der Türe.
„Und jetzt wissen wir nicht was mit ihm nicht stimmt! Das hat er nicht verdient, bei all seinen Verbrechen er hat genug gelitten!“, Claude schien wirklich in Sorge zu sein.
Arya blickte schuldbewusst auf den Boden, was Delina nicht entging.
“Wenn du etwas weißt das uns helfen könnte, dann sag es!“, forderte sie Arya streng auf.
Arya seufzte tief, dann erhob sie sich, Delina wollte ihr folgen.
“Nein!“ Arya erhob die Hand und ein seltsam verformter Totenkopf erschien, in welchen eigenartige Symbole eingeritzt waren, welche in einem eisigen blau leuchteten, „Du gehst mit Vernon, falls du das immer noch willst!“
Delina griff sofort nach dem Schädel, dem Fluch der Familie Guren.
Schnell sprintete sie aus dem Tempel, bis zu dem kleinen Grab, welches sie für ihren Vater und ihre Schwester errichtet hatte. Vernon stand mit dem Rücken zu ihr, er wirkte seltsam verändert.
"Hast du was wir brauchen um unsere Rache zu bekommen?", verlangte er zu wissen und drehte sich zu ihr um. Delina erschrak kurz, es schien für einen Moment, als wären seine Augen pechschwarz. Dann aber kamen sie zu ihrer ursprünglichen Farbe zurück.
"Delina!", eine wohlbekannte Stimme ließ sie das Farbenspiel von Vernons Augen vergessen.
"Cash!", freudig fiel sie ihrem besten Freund um den Hals, "Sag was machst du hier?"
Vernon grinste: "Ich habe ihn gerufen, er soll dir beistehen, das Ritual wird dich im schlimmsten Fall sogar töten. Auf jeden Fall aber wird es dir alles abverlangen!"
Cash sah sie Ernst an: "Vernon hat mich aufgeklärt, bist du sicher, dass du das tun willst?"
Delina überlegte schnell, aber ihr Entschluss stand fest.
"Zeig mir den Weg Vernon, ich bin bereit ihn zugehen. Koste es, was es wolle!"
Vernon lächelte und verneigte sich kurz: "Dann komm, wir müssen nach Buldarak!"
Der Kerker der alten Festung der Familie Guren war hell erleuchtet durch die Fackeln, die Vernon an den Wänden entzündet hatte. Sie warfen eigenartige Schatten an die Wände, die zu tanzen schienen. Delina lag in der Mitte des Raumes, ihr Körper schien zu levitieren und Vernon hob den Schädel in die Höhe.
"Bei allen Seelen, die gefangen wurden, beim Muttermord und der Tötung des eigenen Vaters, wir rufen euch, alte Geister...", begann der Halbwolf und Cash kniff die Augen zusammen. Seltsame Energie schien aus dem Schädel zu strömen, direkt in Delinas Körper. Vernon legte den Schädel in den Ritualkreis, den er um Delina gezogen hatte und zog sich zurück.
Cash wich erschrocken zurück und sah wie sich Delinas Haut veränderte, gräuliche Blässe durchzog sie zuerst, um sie ganz zu vereinnahmen. Die Energie aus den Schädelrelikten der Hexenkönige und des Dämonenfürsten Agares flossen weiter in ihren Körper. Delinas Schreie wurden lauter es wirkte, als könnte ihr Körper all die Energie nicht aufnehmen.
Vernon rannte zum Ende des Kreises, um den Dämonenschädel zu entfernen, aber Delinas vor Schmerz gepresste Stimme hielt ihn auf: „Nicht... Das Ritual muss beendet werden...“
Vernon stockte, seine Moral und seine Vernunft riet ihm das Ritual sofort zu unterbrechen und sich damit dem Willen seines Bruders und seiner Nichte zu widersetzen.
Dann begann er zu überlegen, welche Konsequenzen die vorzeitige Beendigung des Rituals haben könnte, eine Befreiung der Seelen aus den Relikten die Vincent ihm anvertraut hatte. Vertrauen. Vincent hatte ihn gebeten Vertrauen in Delinas Stärke zu haben. Er schloss kurz die Augen und blickte zu seiner sich in der Luft unter dem Einfluss der dunklen Magie windenden Nichte. Und seine neue Herrin würde ihn töten wenn das Ritual nicht beendet werden würde.
Delinas dunkle Haare begannen zu verblassen, wurden fahl und schlohweiß. Es war zu spät um das Ritual zu stoppen, Delina gehörte nicht länger in die Welt der Lebenden. Sie schrie wieder auf, als durch ihre Stirn Hörner schossen die an Treplew erinnerten, pechschwarz und nach oben gebogen, lang wie die eines Widders.
Delina riss ihre Augen auf und statt dem ehemaligen violett schienen sie eisig blau zu lodern, beinahe zu flammen. Die Relikte begannen sich wie Wild um sie im Kreis zu drehen, Vernon hechtete zur Seite, als Agares Schädel auf Delina zuschnallte und wie auch die Schädel der vergangenen Hexenkönige Teil ihrer unheiligen Rüstung wurde. Der gehörnte Schädel fand seinen Platz auf ihrer rechten Schulterplatte. Schwarze Schultern mit einem Schädel, ein unheimlich schimmerndes Schwert aus Gebeinen und Flügel, welche aus Schatten zu bestehen schienen machten aus ihr was Vincent geplant hatte. Die Hexenkönigin.
Delinas Körper stürzte zu Boden und Vernon haderte einen Moment mit sich, ob er nicht doch die Flucht ergreifen sollte.
Mit Delinas Aufprall begann die Erde zu Beben und aus den erloschenen Kammern und verfluchten Zellen kamen laute.
Vernon warf einen hektischen Blick zurück und musste mit Schrecken feststellen, dass grässliche Kreaturen den Zellen entstiegen. Dämonen, verfallen und alt wie dieses Verlies selbst.
Seine Augen begannen zu gelb leuchten als die erste Missgestalt, bewaffnet mit einer Keule in der Größe eines Menschen, auf ihn stürmte. Das Maul der gräulichen Kreatur schäumte vor Wut und Aufregung, der Koloss holte aus und hielt plötzlich inne. Der Körper der Kreatur bäumte sich auf, jede Flüssigkeit in ihm schien zu brodeln, dann explodierte das Wesen und seine Einzelteile wurden durch den Raum geschleudert. Vernon selbst war besudelt mit dem Blut des Angreifers. Langsam drehte er sich um und blickte in Delinas eisige Augen: „Niemand wird je wieder meiner Familie Schaden zufügen!“
Ihre Stimme war noch dieselbe, schien aber von der Kälte des Todes durchzogen.
Vernon musterte sie kritisch, es war vollbracht, der letzte Wille seines Bruders. Seine Tochter war jetzt Hexenkönigin, die mächtigste die es je gegeben hatte. Dämonen waren kein Gegner gegen sie und auch die Dunkler Kinder würde gut daran tun ihr aus dem Weg zu gehen. Selbst Church würde als Erbe Agares, dessen volle Kraft nun in dem ehemals unscheinbaren Ding schlummerte, würde einen Kampf gegen sie verlieren.
Vernon fragte sich ob Silas noch in der Lage wäre sie aufzuhalten.
„Ist es vorbei?“, vor der schweren Holztüre erklang Hannibal Cashs Stimme, „Irgendetwas passiert hier, Dämonen, überall!“
Delina deutete Vernon ihr zu folgen und Schritt auf die Türe zu, Vernon bemerkte das zumindest die seltsamen Flügel verschwunden waren.
Delina sah die Türe an und eisige Pfähle schienen einfach unter ihr aus dem Boden zu schießen und rissen das Hindernis aus massivem Holz aus ihren Angeln.
Bretter flogen durch die Luft und hinter Delina setzten sich die verblieben Knochen des explodierten Dämons zu einem großen Skelettungeheuer zusammen, welches mit derselben Magie wie sie selbst durchzogen war.
Vernon schreckte zuerst zurück, biss er das eiskalte Grinsen in Delinas Gesicht sah: „Ab heute bin ich der Puppenspieler! Finn soll sich in acht nehmen!“
Vernon nickte: "Mein Auftrag ist nun erfüllt. Ich empfehle mich!"
Er konnte die Rufe seiner Herrin hören, klar und deutlich, nicht mehr nur ein Flüstern. Delina nickte und wendete sich an Cash: "Bring dem kleinen König eine Botschaft! Er möge meinen Boten in Illutia treffen, alleine!"
Cash nickte: "Das werde ich tun! Du sollst auch mit Deseis reden, er hat wohl einen Plan um eine Armee aufzustellen!"
Delina nickte: "Eines nach dem anderen..."
„Die kleine Guren ist nun also im Besitz des Familienrelikts...“, der Schatten neben Vernon schien immer mehr an Gestalt zu gewinnen.
Vernon nickte: „Sie trägt nun den Fluch der Familie Guren, wie ihr Befohlen habt, Herrin!“
Aus dem Schatten schien immer mehr der Körper einer Frau zu entstehen.
„Und schon bald werde ich wieder einen Körper haben!“, die Stimme des Schattenwesens wurde fester, klang nicht mehr so gespenstisch.
„Was machen wir an diesem Ort?“, Vernon sah sich um, sie standen an der staubigen Ebene, wo einst Yoricksstadt gewesen war, bevor Suma und Church hier alles ausradiert hatten.
„Hier gibt es nichts mehr!“, stellte er bitter fest und dachte traurig an den Tag, als er die Königsstadt von Amergyn das erste Mal betreten hatte.
„Oh doch!“, seine Herrin strich über die Asche, „Ein wütender Geist, ganz versessen auf Rache! Euer Grab war der Boden vor den Toren, hingerichtet, abgeschlachtet. Die letzte Reinblütige aus dem Haus der Schlangenlords. Eure Gifte, legendär, eure Grausamkeit gefürchtet. Erhebt euch Lady Raafe, die Zeit eurer finsteren Wiedergeburt ist gekommen!“
Vernon glaubte keine Luft mehr zu bekommen als sich aus der Asche eine Figur manifestierte. Knochen, Muskelstränge, Haut... schwarzes langes glattes Haar, stahlgraue Augen, die plötzlich eisig blau zu leuchten begannen, schlanke aber doch weibliche Figur.
„Hallo Bruder!“, Vernon erschauderte beim klang der Stimme seiner einst hingerichteten Halbschwester.
Finn sah sich nervös um, er wartete nach wie vor auf den Boten von Delina. Wieder würden sie sich in Illutia treffen, da wo er Delina verbannt hatte.
Die Schatten, die über ihn gekommen waren, alles was passiert war. Er bereute es zutiefst, von ganzem Herzen. Er hatte das Gefühl innerlich zu verbrennen, nicht länger stehen zu können. Aber er konnte jetzt nicht einknicken, es stand viel zu viel auf dem Spiel. Die Geister hatten ihm gezeigt, wie sein Weg enden würde, falls er nicht Herr der Lage sein würde.
"Wenn das nicht der kleine König ist!", eine unheimliche, verzerrte Stimme, die seltsam nachhallte, ließ ihn aus seinen Gedanken schrecken.
"Wer bist du?", Finn wich zurück vor der Gestalt, die sich vor ihm aufgebaut hatte.
"Pfeif deinen Hund lieber gleich zurück oder ich sorge dafür das er so schnell nicht mehr Gassi gehen kann!", funkelnde eisblaue Augen musterten ihn, weißes Haar und fahle Haut. Dieses Wesen war bestimmt nicht das, was er erwartet hatte, bestätigten ihm, aber das die Gerüchte wahr sind.
"Welchen...", Finn wollte grade nachfragen als plötzlich Jäger erschienen, die ihre Pfeile auf die Gestalt richteten.
"Ich habe befohlen mir nicht zu folgen!", empörte er sich und deutete ihnen die Bögen zu senken. Aber es passierte nicht.
"Die meinte ich nicht, sie sind keine Gefahr für mich!", Delina warf Finn einen belustigten Blick zu, "Ich meinte Belial, der sich in den Schatten versteckt!"
Finn seufzte tief: "Komm schon raus!"
Church erschien neben ihm und musterte Delina ebenso nichtsahnend.
"Schon besser! Wollt ihr diese Abtrünnigen beseitigen oder soll ich es tun?", fragte Delina dann kalt.
"Bitte!", Finn wendete sich an die Jäger, "Senkt doch endlich eure Waffen!"
Delina betrachtete die Situation gelangweilt.
Vernichte sie.
Töte sie.
Töte sie alle!
Die Stimmen, die durch ihren Geist schwebten wurden unruhig, sie wollten erhört werden, wollten entfesselt werden.
"Wie ich sehe hat der Prinz wie immer alles im Griff!", spottete sie und grinste.
Die Jäger spannten die Sehnen ihrer Pfeile und wollten feuern, aber keiner konnte seinen Arm bewegen.
Sie begannen zu schreien und langsam zusammenzubrechen, die Pfeile flogen durch den ganzen Raum, während Delina sich nicht einmal bewegt hatte.
„Nun?“, sie sah Finn fragend an, „Werden wir zusammenarbeiten, um Merlin zu stellen?“
Finn kniff die Augen zusammen: „Wer seid ihr?“
Delina lächelte: „Ich bin Niemand!“
Church riss die Augen auf: „Vincent!“
Finn begriff auch: „Du hast also das Erbe deines Vaters angetreten, Delina Nebula!“
Delina nickte gleichgültig: „Allerdings ist mein Name Guren und ich werde meine Familie rächen!“
Finn begann zu verstehen: „Es tut mir leid...“
Delina unterbrach ihn: „Du bist mir gleichgültig, ich spreche bloß mit dir, weil du einen sinnvollen Verbündeten abgibst. Danach, wenn Merlin tot ist, kannst du wieder jagt auf mich und Silas machen! Oder sollte ich sagen das du der gejagte sein wirst? Auf jeden Fall wirst du durch meine Hand sterben, Finn!“
Finn sah zu Church und nickte ihm zu woraufhin er den Raum verließ, er musste mit Delina alleine sprechen.