„Und? Wie fühlt er sich an?“
Shuri war begeistert von ihrer eigenen Erfindung. Bucky saß vor ihr auf einer modernen Liege. Beinahe geräuschlos ließen sich die Gelenke bewegen. Bucky brauchte keine Übung, um mit der neuen Prothese klarzukommen. Was er davon halten sollte, wusste er nicht. Klar war es ein wunderbares Gefühl, ohne Einschränkung alles allein machen zu können. Aber es erinnerte ihn an Hydra und seine Zeit als Mörder.
„Wie gefällt dir das Design?“, sie grinste wie ein Honigkuchenpferd, wodurch sie so jung und naiv wirkte, dass Bucky sich zum hundertsten Mal frage, wie ein so junges Mädchen, so schlau sein konnte. Er bewunderte sie, wie ein Bruder seine kleine Schwester. Ein Grund ihr nicht zu sagen, dass er das Gold zu protzig fand. Er war gespannt, was Steve dazu sagen würde.
„Einem Soldaten würdig“, sagte er mit einem gedankenverlorenem Unterton.
Sie streckte ihm die Hand entgegen und er legte fragend den Kopf schief. Shuri machte die Augen groß, hob die Augenbrauen und machte mit der Hand eine Bewegung, die ihm sagte, dass er sie ergreifen sollte. Das tat er auch.
„Und?“
Nun war es an Bucky die Augenbrauen zu heben. Auf seinem Gesicht bildete sich ein überraschtes Lächeln. „Wie...?“, er sprach nicht zu Ende, als er das Grinsen in Shuris Gesicht sah. War es egal, wie es funktionierte?
„Ich kann dich spüren.“
„Genau.“
Sie ließ seine Hand los und holte ein kleines, fragiles Gerät, mit dem sie an dem Metallarm schraubte.
„Es liegt am Vibranium und den Elektroden. Es nimmt die Wärme, Kälte und die magnetischen Impulse wahr, die wir Menschen ausströmen. Diese Informationen leitet es an deine Nerven weiter, die das zu einem Reiz umwandeln und dann ans Gehirn senden. Ist das nicht toll?“
Sie redete weiter und erklärte in komplizierter Form, wie sie darauf gekommen war. Doch Bucky hörte nicht mehr richtig hin. Von seinem Platz aus, sah er Steve an, der mit verschränkten Armen, locker an der Wand lehnte und sie beobachtete. Der zufriedene Ausdruck berührte Bucky. Steve war voller Zuversicht, dass alles wieder gut werden würde. Die grenzenlose Güte, die Steve in seinem Herzen bewahrte, egal was passierte, hatten Bucky dazu verleiten lassen nachzugeben. Was gut war. Er merkte, dass es ihm tatsächlich besser ging.
Bucky fragte sich, wie lange Steve da stand und ihn beobachtete, aber Steves warmes Lächeln, sagten mehr als tausend Worte. Da war noch etwas in seinem Blick. Bucky konnte es nicht deuten. Schon vorher war ihm dieser Glanz aufgefallen und machte ihn innerlich ganz kribbelig. Steve hatte sich verändert. Seine Gefühle Bucky gegenüber hatten sich verändert. Inwiefern konnte Bucky nicht sagen.
„Oh, Steve! Du kommst rechtzeitig. Wir sind fast fertig.“ Als Shuri sich nach ein paar Minuten aufrichtete und die Geräte beiseite legte, machte sie einen Schritt zur Seite und streckte die Arme aus, als würde sie ein Kunstwerk präsentieren.
„Tadaaaa! Und wie findest du es?“
„Shuri, du bist ein Wunder.“
Sie lachte und Steve strich ihr über die Schulter, dann streckte er die Hand nach Bucky aus und Bucky ergriff sie, wenn auch zögernd. Noch immer saß Bucky auf der Liege. Seine Knie berührten Steve beinahe. Steve strich über das glatte Metall und die Handfläche, worauf Buckys Finger zuckten und schließlich eine lockere Faust bildeten, die seinen Daumen umschloss.
„Du spürst es“, flüsterte Steve, als hätte er es mehr zu sich selbst gesagt, als zu Bucky. Sein Lächeln wurde etwas melancholischer, bis er erkannte, wie seltsam das aussehen musste. Räuspernd ließ Steve Buckys Hand los. Nachdenklich strich Bucky mit den Fingerkuppen über seine Handfläche, als er die Hand zurückzog. Steve konnte er noch immer spüren.
„Du bist ein Genie, Prinzessin“, lobte Steve Shuris Arbeit, die sich zwar bedankte, aber den Blick zwischen den beiden Männern hin und her wandern ließ.
„Da fällt mir ein, mein Bruder wollte mich sehen“, sagte sie in einem aufgesetzten Ton und ging los. Als die Türen sich öffneten, stand T‘Challa bereits davor. „Ich wollte gerade...“
Shuri unterbrach ihn und boxte ihn aus dem Raum. Mit einem Zischen schlossen sich die Türen wieder. Steve und Bucky waren allein. Stille legte sich über sie.
„Ich freu mich, Buck.“
Bucky atmete aus. „Hm, ja. Ich weiß bloß nicht, was ich davon halten soll.“
„Gefällt es dir nicht?“
„Doch“, Bucky hob kurz die Schultern. „Ich weiß nur nicht, was ich davon halten soll“, wiederholte er sich, weil er nicht wusste, wie er es anders in Worte fassen sollte.
„Es wird wieder. Alles wird gut.“
Bucky sah hoch und lächelte nach langer Zeit aufrichtig. Es war breit und einladend. Auf Steves Gesicht spiegelte sich Erleichterung und Freude.
„Ich weiß.“
Schweigend berührte Steve seine Hände. Es war ein leichter Griff. Er hielt Bucky ganz locker an den Fingern. Sein Blick ruhte darauf.
„Es war hart dich so zu sehen. Es fühlte sich an wie ein Wunder“, nach dem längeren Schweigen, das sich über sie gelegt hatte, hörte sich Steve leise Stimme laut in dem Zimmer an. „Dich lebendig zu sehen, meine ich“, er räusperte sich, als hätte er einen Kloß im Hals. „Selbst nachdem, was du durchgemacht hast. Himmel, Buck“, er sah hoch, die Augenbrauen in einem wütenden Ausdruck zusammengezogen. „Verglichen mit den Sachen, die man sich vorstellt, die Sachen, die sich in die Träume schleichen und man schweißgebadet aufwacht, war es nichts“, er unterbrach sich. Die Wut wurde von Verzweiflung und Trübsinn überschattet. „Ich hatte nur deine Akte gelesen. Ich will mir nicht vorstellen, wie es wirklich war“, bei dem Gedanken schlangen sich seine Finger kräftiger um Buckys Hände, als hätte er Angst ihn erneut zu verlieren.
Das Atmen fiel Bucky schwer. Schweigend hörte er Steve weiter zu. „Ich habe nie aufgehört an dich zu denken. Nie habe ich dein Gesicht vergessen. Oft habe ich dich gesehen, wenn ich die Augen schloss. Jede Nach habe ich von dir geträumt. Der Tag, an dem ich dich verloren habe, hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt und ich lernte nur so viel zu schlafen, wie nötig.“
Bucky befreite seine Hände und zog Steve an den Oberarmen näher zu sich. Sofort nahm Steve ihn in die Arme. Auch Bucky schlang seine Arme um ihn. Jetzt war es an der Zeit, dass jemand Steve tröstete. Buckys Knie lagen nah an Steves Hüften.
„Ich habe nie daran gedacht dich zu verlieren. Kein einziges Mal. Doch es war passiert und danach war alles anders“, Steve schluckte hörbar und Bucky biss bei dem Gedanken die Zähne fest zusammen.
„Sie sagten mir, auch wenn es Opfer gibt, so können wir gewinnen“, fuhr Steve fort. „Aber als du abgestürzt bist, hatte ich bereits verloren. Ohne dich bedeutete mir der Sieg nichts mehr. Er war völlig unbedeutend. Ab da hatte ich nur funktioniert und nicht mehr gelebt. Als mir die Gelegenheit geboten wurde, wie ein Held zu sterben, nahm ich sie dankbar an. Nicht um in die Geschichtsbücher einzugehen, sondern damit die Leere, die seit dem Verlust in meiner Brust, wie eine offene Wunde klaffte, endlich verschwand“, seine Stimme war tief und vibrierte bei jeder schmerzhaften Erinnerung. „Nachdem ich abgestürzt bin, war ich bei Bewusstsein. Ich legte mich hin um zu sterben und mein letzter Gedanke warst du.“
Nun hielt Bucky es nicht mehr aus. Er schob Steve ein Stück von sich und sah ihn dessen blaue Augen. Ihre Blicke verloren sich in den Augen des jeweils anderen. Plötzlich wand Steve sein Gesicht ab. Er blinzelte weg, was auch Bucky fühlte. Am liebsten hätte Bucky ihm gesagt, dass er ruhig weinen könne, doch Taten wogen mehr als Worte. Also umschloss er mit den Händen Steves Hinterkopf, strich ihm durch die Haare und zwang Steve, ihn anzusehen, was dieser auch tat. Steves Augen waren rot gerändert und die Iriden glänzten leuchtend blau.
Ihre Lippen berührten sich. Indem Augenblick löste sich bei Steve eine einzelne Träne und benetzte auch Buckys Gesicht. Der Kuss war voller Schmerz und Erlösung. Es war eine spontane Handlung. Bucky wusste nicht, warum Steve das tat. Doch in dem Augenblick merkte er, wie sehr es ihn berührte. Es drückte sein Inneres zusammen. Ließ sein Herz schneller schlagen.
Dieser Kuss bedeutete ihnen beiden mehr, als sie dachten, denn Bucky spürte an seiner Brust auch Steves Herz schneller schlagen, als Steve seine bebenden Körper gegen seinen drückte und die starken Arme kräftiger um Buckys Körper schlang. Seine Zunge strich über Buckys Gaumen. Er spürte, wie Bucky ihn mit Leidenschaft erwiderte. Dieser Kuss riss sie förmlich in Stücke um sie erneut zusammen zusetzten, wodurch sie neue Menschen wurden. Diese intensiver Moment veränderte so Vieles ihn ihnen und ihrer Zukunft. Bucky fragte sich, ob die Veränderung gut oder schlecht war.
Bucky unterbrach diese Nähe. „Was tuen wir, Steve?“
Steve legte seine Stirn an Buckys. Schwer atmend. Den Blick gesenkt, aus Angst die Abweisung in dem Gesicht seines Freundes zu sehen. Schweigend rührte er sich nicht. Er leckte sich über die Lippen. Schmeckte Bucky. Nahm ihn bewusst wahr und wollte ihn nicht mehr loslassen. Genau das tat er, weil Bucky sich aus der Umarmung befreite. Er ließ Steve los und wand sich von ihm ab. Als Bucky den Raum verließ, stand Steve noch immer dort, wo er ihn gelassen hatte. Den Kopf auf der Brust gebettet, die Augen geschlossen, die Hände auf der Liege, als könnte er nicht aus eigener Kraft stehen.