Zwei unentwegt lange Jahre fristeten die Sippen samt ihrem verbliebenen Getier in den Grotten der Inseln, als etwas vorfiel, was nur noch in den wenigsten Köpfen als Hoffnung schwelgte.
Das gemergelte Volk hatte es wahrhaftig vollbracht zu leben, wie es ihre Vorfahren einst vormachten. Karg und unter lauterem Verzicht. Zusammenhaltend und Sippen übergreifend. Es zählte schlussendlich das Überleben und nicht anerzogener Stolz, wenngleich einige Familien mit Bedacht und dem wissenden Schutz vieler, eine Hand voll der kleineren Inseln belebte. Diese waren weit genug von den anbrandenden Ufern der Hauptinseln entfernt, welche die Bewohner aus der Ferne beobachten und von nächtlichen Zugriffen weitestgehend verschon blieben. Ausschließlich mit Booten waren die Holme zu erreichen und auf diesen gab es nichts Lohnenswertes zu finden. Sie zollten den Invasoren sowohl Respekt als auch einen ausgehandelten Anteil ihres Lebensbedarfes. So stellten die Bewohner sicher, dass nebst einem steten Austausch gewisser Zusprüche gleichfalls Informationen preisgegeben wurden.
Die Mannen schafften es, so etwas wie eine Nachrichtenkette untereinander aufrechtzuerhalten. Wie auch immer der verbliebene Rat es bewerkstelligte, sie erhielten Kenntnis darüber, aus welchem Grunde Agrea ihnen den zugesprochenen Entsatz niemals schickte. Bereits ein Jahr, bevor die Blaubluter an ihren Küsten anlandeten, kämpfte Holmfirth und Memnach auf verlorenem Posten. Die ›Siebenkönigsgrenze‹, wie auch deren Länder waren unlängst gefallen.
Es polterte und schallte unangenehm Laut durch die hallenartigen Gewölbe der Höhlenlandschaft. Lautstarkes Geschimpfe begleitete einen Boten bereits von Weitem, der nicht daran dachte, sich zu entschuldigen, gar aufhalten zu lassen. Dessen Ziel war der Bereich, an welchem sich die meisten Hinterbliebenen der alten Seewacht zusammenrotteten.
Bisweilen blieben bis zu drei Scharen der größten Sippen tagelang abkömmlich, um die Inseln nach verstreuten und kleineren Gruppen des Feindes aufzuspüren. Oftmals wurden diese von Arbeitern begleitet, die die Überreste der zerstörten Höfe und Weiler der Erde übergaben und ein friedvolles Begräbnis gewährten.
Die Bewaffneten teilten sich gemeinhin auf. Ein Teil derer unterstützte bei den unsäglichen Beschäftigungen, die Übrigen behielten das Umland im Auge.
Ausschließlich Männer taten die Pflichten der Barmherzigkeit und gaben sich darüber hinaus keinerlei Mühen, unerkannt wie lautlos vorzugehen. Ihre Absicht war so offensichtlich wie lautstark an ausgerechnet jenen Stellen zu Werke zu gehen, an welchen sich die Informationen verdichteten, dass sich ortsnah marodierende Gruppierungen aufhielten.
Die Mannen gingen unterschiedlich vor, ohne dass es abgesprochen oder einem Muster glich. Je nach Truppenstärke hielten sich nebst der üblichen drei Scharen, weitere in unmittelbar auf. Zuweilen umrundeten diese den gegnerischen Pulk und fielen diesen in den Rücken oder sie überrumpelten den Feind, sobald er nur nahe genug heran war in voller Stärke.
Auf ihren Zügen fanden sie nicht nur vollends vernichtete Höfe und Weiler vor, einige konnten mit ein wenig Arbeit abermals hergerichtet werden. Häufig gerieten schlicht die Bedachungen in Brand und so blieben die Grundmauern weitestgehend schadlos in Takt, auch wenn diese den Gezeiten der Monate ausgesetzt waren.
Nachdem endlich die wochenlangen Brandwellen erloschen, ein Großteil der thulenischen Heerscharen nach monatelanger Invasion und Zerstörungszüge abgesetzt und die Kraft der Natur wieder sattes Grün gediehen lies, mussten sie es letzten Endes wagen.
Die hergerichteten Koppeln und Plätze lichtdurchfluteter Grotten konnten kein Dauerzustand für die geretteten Tiere bleiben und bedurften freien Auslaufes. Auf engsten Raume eingepfercht magerten diese zusehend ab und vermochten die Kinder wie Geschwächten nicht mehr ausreichend zu ernähren. All die Anderen begnügten sich oftmals mit dem, was sie erbeuteten oder als zurückgelassen vorfanden.
Die Ausbeute an frischen Eiern fiel geringer aus, Ziegen und Kühe gaben weniger Milch oder wurde ungenießbar gemolken. Selbst geschlachtetes Fleisch geriet ledriger und unter fadem Beigeschmack in ihren Mündern. Letztlich mittels Fischfang, wie ihre Vorfahren, hielten sie sich bei Kräften.
Ackerflächen mussten dringlichst ausgesät und Herden neu aufgezüchtet werden. Es wartete reichlich Arbeit auf einen jeden.
Ungezählte Gräber hoben die Scharen aus. Grabstätten für das Volk, welches die Thulenen und ihre Häscher in ihrem Wahn abschlachteten. Unter den Geschändeten ... Männer, Frauen und viel Schlimmer noch ... unzählige Kinder.
Augenscheinlich war es den Angreifern vollkommen egal, wohin oder wen ihre Klingen schlugen, gar, wem ihre Pfeile das Lebenslicht aushauchten. Jene, die nicht selbst in der Lage waren sich ihrer zu erwehren, wurden oftmals in eindeutigen Posen aufgefunden. Liegend in einer Bettstatt. Kniend über Fässer oder anderen Behelfsobjekten wie Zäunen, Stühlen, Bänken und Erdenklichem mehr.
Ihre Opfer, wenn nicht bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, lagen noch immer wie gefallen oder liegen gelassen. In zerrissenem Gewand, entzweiter Hose und mit allen tödlichen Wunden, in welchen sich bereits Myriaden von Fliegen labten.
»Was soll der Lärm?«, verlangte die Tochter der vergangenen Seewacht zu erfahren, als sie Berichte auf einem modrigen Tisch sortierte und in lederne Hüllen schob. Eine jede war mit einem Zeichen symbolisiert, welches die Sippen kennzeichnete. Eine dieser hingegen zierte ein Greifvogel, der ein leeres Wappenschild in den Klauen trug. Ungeachtet ihrem Tun, sah sie auf. »Nun?«
»Nachricht von den Holmen.« Der Boote, gekleidet in schlichter Fischertracht atmete schwer und schien vollends außer Atem. Offensichtlich ist der Mann den gesamten Weg von einem der Zugänge gelaufen, nur um seine dringliche Botschaft zu überbringen.
Sie griff seitlich des Tisches, hob einen tönernen Krug hervor und reichte diesen voran. »Trink, du musst durstig sein.«
Dankend nahm das Gereichte entgegen. »Sie verlassen die Inseln«, stammelte der Mann unter gierigen Schlucken.
»Was? Sie ...«
»Besteigen ihre Boote und legen ab. Nach all der Zeit ziehen sie endlich ab.«
»Du ... du wusstest davon? Seit wann?« Der Sprecher musste ihr Gesicht nicht sehen, um zu erahnen, dass ihre Brauen aufbrausenden Wellen glichen.
»Vor wenigen Momenten kam eine der Scharen zurück. Ich wollte dich gerade informieren. Danke Mann. Geh zu Deinem Weibe und nehm sie ganz fest in die Arme. Das Volk der Seemannen wird sich nunmehr vorbereiten, abermals unter freiem Himmel zu weilen.«
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und veranlasste den Rat zusammenzukommen, um die Jarls darin zu bekräftigen, jedweden im kampffähigen Alter befindenden Mannen anzuführen. Hinter jedem noch verbliebenden Baum, unter jeden Stein und in jedem Loch sollen sie schauen. Jeglicher Invasor, der die Inseln noch nicht verlassen habe, müsse Busse leisten.
Zwei Tage nach eintreffen der Nachricht, dass an allen zugänglichen Küstenstreifen die Boote und Schiffe ablegten, marschierten die Kampffähigen aus ihren Verstecken und verrichteten ihr Werk.
Die vielen zugleich eingegangenen Botschaften von unterschiedlichsten Kundschaftern behielten Recht und waren nicht wie so oft in der Vergangenheit geschehen, Ausgeburten von Intrigen und Verheißungen. Nur noch wenige dagebliebene, die dachten, diese Inseln seien ein lohnenswerter Besitz, sahen sich der unausweichlichen Konfrontation gegenüber. Es vergingen Wochen, in welchen tagtäglich und nahezu unablässig Mitteilungen ihren Weg in die Grotten fanden.
Nach und nach erklomm das Seevolk die Wege zurück unter freien Himmel, nur um festzustellen, dass sich ihr Leben im Wandel befand.
Ganze Wälder erlagen dem gierigen Verlangen der Flammenwut. Was nicht von allein niederbrannte, wurde geschliffen. Viele Gehöfte, komplette Weiler gar die Seefesten wie die Seewacht fielen dem Wüten der Invasoren zum Opfer. Es war ein schieres Ausmaß an Zerstörungswut und glich einzig einem Exempel. Warum auch immer. Thule wollte vermeiden, dass das Seevolk sich in irgendeiner Weise einmischte.