"Ein eher barscher Auftritt der Parkinsons, zugegeben, aber nichtsdestotrotz gerechtfertigt." Evelyn konnte Ollivanders stoische Ruhe kaum nachvollziehen. Irritiert von der zurückhaltenden Reaktion des Zaubestabmachers, trank sie mehrere Schluck Wasser aus ihrem Glas ohne wirklich durstig zu sein. Wenn es auf der Feier an einem nicht gemangelt hatte, dann an Essen und Trinken.
"Sie sind Zwölf, wie kann man in diesem Alter an Heirat denken?"
Die Lippen leicht gespitzt zuckte er die Achseln. "Nun, um von Heirat zu sprechen ist es noch ein wenig früh, immerhin war das nur ein Angebot." Ähnliches hatte auch Blaise gesagt, nachdem Evelyn mehr als schockiert auf die Bedeutung der Kristallphiole reagiert hatte. "Die Parkinson machten ein Angebot, und die Malfoy werden in den nächsten Wochen entscheiden; oder eher Jahre. Ich bezweifle, dass Narzissa Malfoy sich so schnell festlegen lassen möchte."
Bei der Erwähnung von Dacos Mutter bewegten sich Evelyns Mundwinkel nach oben. Nach der plötzlichen Verkündung hatte sich die Stimmung aller Anwesenden schlaghaft verändert und ihre Blicke wurden wie von einem Magnet auf die kleine Vase mit Erde gezogen. Draco hatte sie schnell irgendwo auf dem Tisch voller Geschenke abgestellt, wo sie in Evelyns Augen eher gewirkt hatte, als wäre sie Dekor. Vermutlich wünschte sich Narzissa Malfoy in diesem Moment, es wäre nur kitschiger Raumschmuck, den sie irgendwo verstauben lassen konnte, sobald die Gäste die Feier verlassen hatten. Eine begeisterte Schwiegermutter sah jedenfalls anders aus. Ihr Lächeln, das sie wie zufällig an den ein oder anderen Gast wandte, war um einiges kälter geworden und erreichte für den Rest des Tages kaum ihre Augen.
In Evelyns Kopf wollte alles keinen Sinn ergeben. Wenn sie Draco oder Pansy ansah, war Heirat oder gemeinsame Zukunft nicht das erste, woran sie dachte. Auch nicht das zweite oder dritte. Romanzen und Liebesdinge gehörten mit zu den letzten Problemen, denen sie sich stellen wollte -- wenn überhaupt. Andererseits konnte man in diesem Fall kaum von Liebe reden. Narzissa würde das letzte Wort haben, sie würde das Angebot annehmen oder nicht. Dabei ging es nicht darum, was Draco oder Pansy wollten.
"Das ist so ...", Evelyn suchte nach dem passenden Wort, worin ihr Ollivander zuvor kam.
"Archaisch? Ist es, ja. Familien wie die des jungen Malfoy werten Ehre, Würde und Prestige oft höher ein, als eigene Entscheidungsgewalt." Er legte seine Hand auf ihre Schulter. "Machen Sie sich keine Gedanken. Wer weiß schon, was die Zukunft für den jungen Malfoy bereithält." Ich weiß das. "Ich bezweifle, dass die Malfoy auf das Angebot eingehen werden und selbst wenn, die Heirat wird erst in einigen Jahren stattfinden. Bis dahin kann so einiges passieren."
Ollivander gluckste vergnügt und schien sich nicht weiter darum kümmern zu wollen, dass man hier in wenigen Worten das Leben zweier Kinder bestimmte. Er belächelte die altmodischen Traditionen, es wirkte jedoch nicht, als würde er die Praktiken für verwerflich halten. Bei dem Gedanken an eine Zwangsheirat formte sich ein kalter Stein der Wut in Evelyns Magen, den außer ihr wohl sonst niemand verspürte. Noch nicht einmal Ollivander, was sie zugegebenermaßen enttäuschte und weshalb Evelyn das Thema nicht weiter vertiefen wollte.
"Muss ich mir Sorgen machen, dass Sie für mich eine geeignete Heirat arrangieren?"
Seine Augen schauten schelmisch auf sie herab. "Möchten Sie denn, dass ich jemanden für Sie suche?"
Etwas an seinem Ton gefiel ihr nicht. "Ich verzichte, danke", sagte sie vielleicht etwas zu ernst.
"Ich habe gehört Gilderoy Lockhart soll in Gesprächen mit Albus Dumbledore stehen. Wie es heißt wird er kommendes Schuljahr einen Posten übernehmen. Zweifelsohne für Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Möglicherweise lernen Sie bald eine weitere Berühmtheit kennen." Gerüchte, an denen ausnahmsweise etwas Wahres dran war. Evelyn widerstand dem Drang ihre Hand gegen die Stirn zu schlagen.
"Lockhart", seufzte sie und musste grinsen. Mit der Pfeife wird es jedenfalls witzig.
Ein wenig Humor konnte sie nach dem heutigen Tag gebrauchen, von dem sie nicht viel erwartet und sogar noch weniger bekommen hatte.
"Ah, wie ich sehe haben Sie schon von ihm gehört. Nun, wer hat das nicht. Ein beeindruckender junger Mann."
"Ja", sagte sie, darum bemüht ihre Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen, "beeindruckend."
Es war nicht zu übersehen, wie viel Ollivander von Lockhart zu halten schien, worin er momentan sicherlich nicht der Einzige war. Evelyn würde sich jedoch hüten ihre Meinung über den selbsternannten Schriftsteller laut auszusprechen.
"Die Familien haben Draco etwas Symbolisches geschenkt; und Wissen", begann sie schließlich langsam. Ihre eigenen Beobachtungen und ein paar Fetzen Information, die sie aus den Gesprächen mit den anderen aufgeschnappt hatte, hatte ihr so viel verraten. "Er hat besondere Bücher bekommen, Schatullen, Murmeln ... einen Zauberstab." Das letzte Wort dehnte sie und schaute Ollivander direkt in die Augen, der nur wie selbstverständlich nickte.
Er rückte sich die Brille zurecht. "Ich dachte mir, dass das neu für Sie ist. Sie werden sich ein paar Gedanken gemacht haben, nehme ich an?"
Ollivanders Angewohnheit eine Gegenfrage zu stellen, hatte Evelyn akzeptiert. In Momenten wie diesen, in denen er erneut versuchte sich einen Spaß daraus zu machen Evelyn alleine die richtige Spur finden zu lassen, verfluchte sie ihn. "Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht, weiß aber nicht, was ich davon halten soll." Ihre Antwort war ähnlich vage und warf den Ball zurück an Ollivander, der glücklicherweise nun verstanden hatte, dass Evelyn zu müde war, um große Gedankengänge zu bewerkstelligen.
"Familie Malfoy benötigt nichts Materielles; das haben Sie schon richtig erkannt. Nicht nur sie, die meisten Familien besitzen von allem viel zu viel. Erbstücke, Ankäufe, Gaben ... Ich habe Räume voll mit unnützem Zeug." Bei dieser Bemerkung, die Ollivander nur mit einer abwertenden Grimasse abtat, hob sich Evelyns Augenbraue. Zu gerne würde sie herausfinden, welche Art der Familienerbstücke er als unnütz bezeichnete, ließ ihn aber fortfahren. "Über die Generationen hat sich eine Familie nicht nur eine beeindruckende Sammlung von Krimskrams zugelegt, sondern auch von Wissen."
"Einzigartigem Wissen."
Er hob anerkennend den Finger. "Vollkommen richtig. Ich möchte behaupten meine Familie hat einen gewissen Hang zu magischen Hölzern." Wieder entdeckte sie in seinen Augen ein schelmisches Glitzern.
"Die Zabini kennen seltene Zaubersprüche ..."
"Und die Greengrass haben Bannsprüche in beinahe jeder Sprache. Man könnte ewig so weiter machen. Jeder von ihnen hütet ihr Wissen gewissenhafter, als die wertvollsten Schmuckstücke."
All seine Worte waren einleuchtend, dennoch runzelte sie irritiert die Stirn. "Sie verkaufen jeden Tag ihre magischen Hölzer. Ich will nicht respektlos sein, aber sie teilen das Wissen ihrer Familie täglich."
Einige Sekunden ruhte sein Blick auf ihr, sodass Evelyn schon befürchtet hatte zu weit gegangen zu sein. Die Entschuldigung schon auf den Lippen, begann Ollivander schließlich zu sprechen.
"Ich verkaufe und mache Zauberstäbe, das ist richtig. Ein Beruf und eine Leidenschaft ist es sehr wohl, aber mehr auch nicht."
"Verzeihen Sie, es stand mir nicht zu, das zu sagen."
"Evelyn", sagte er eindringlich und hielt sie dadurch davon ab weiter zu reden, "ich verbiete Ihnen nicht, Ihre Meinung zu sagen." Mit einem Ruck stand er auf und überlegte einige Sekunden, den Blick auf Evelyn gerichtet. Dann wandte er sich um und verschwand ohne ein weiteres Wort. Seufzend und mit schlechtem Gewissen lehnte sie sich zurück. Sie wusste, sie hatte etwas Falsches gesagt, nur war sie nicht sicher, wie genau sie Ollivander gekränkt hatte. Der heutige Tag hatte sie geistig beinahe völlig ausgelaugt, daher wollten ihre Gedanken sich nicht ordnen.
Müde zog auch sie sich in ihr Zimmer zurück, das sie wohl für heute nicht mehr verlassen würde. Es tat gut alleine zu sein, mit niemandem außer ihrer Schlange, die sich eher für die frischen Mäuse interessierte, als für Evelyn. Aufmerksamkeit hatte sie heute genug erlebt; das meiste hatte sie sogar in ihrer Erzählung vor Ollivander verschwiegen. Schamlos waren dutzende Leute in die Nähe der Gruppe junger Slytherin gepilgert um Pansy hinter vorgehaltener Hand zu bewerten. Bald hatte Evelyn erkannt, dass die meisten nicht nur über sie sprachen, sondern auch Pansy Klassenkameradinnen mit einschlossen; sehr zu Evelyns Missfallen. Evelyns sogenannte Tante war immer öfter beinahe zufällig an ihr vorbei gelaufen und hatte Evelyn zugezwinkert. Noch etwas, das sie Ollivander nicht erzählt hatte und was sie vermutlich auf die Liste ihrer Geheimnisse setzen würde. Sie konnte nicht einschätzen wie gefährlich es war, dass die echte Familie Fawley nun über sie Bescheid wusste, und Ollivander wollte sie damit nicht belasten.
Pansys Angebot hatte eine Tür aufgeschlagen, von der Evelyn vorher nicht gewusst hatte, dass sie existierte. Jeder hatte die Mädchen nun mit anderen Augen gesehen, denn sie alle waren, ihrer Meinung nach, potentielle Kandidaten für den Malfoy Erben.
"Schon seltsam von einer Sache so viel zu wissen und von anderen wiederum so gut wie nichts." Sie hatte leise in den Raum hineingesprochen und dabei Paimon angeschaut, der ihr natürlich keine Antwort geben konnte.
Die Feier war ihr im Grunde ein einziges Rätsel gewesen, genauso wie jede einzelne der anwesenden Familien. Sie konnte nicht genau sagen, ob Pansys Heiratsangebot großen Einfluss nahm auf das, was noch kommen würde. Von den Weasleys war niemand auf der Feier gewesen und Draco hatte Harry auch nicht einladen lassen; die einzige Sichtweise, die Evelyn kannte. Also konnte sie nicht ausschließen, dass genau das hier so passieren sollte, auch wenn Evelyn einen sauren Geschmack im Mund behielt.
Zu gerne hätte sie den Tag bei den Malfoys als einmaligen Ausflug einfach abgetan, ihn hinter sich gelassen, vielleicht sogar vergessen. Einige Personen und Ereignisse, machten das jedoch unmöglich. Zusätzlich bestätigte Millicent in den nächsten Tagen mit gelegentlichen Nachrichten, dass die Greengrass mehr als ungehalten waren. Daphne hatte kaum noch gesprochen, nachdem Draco die Geschenke angenommen hatte, daher erwartete Evelyn einen weiteren Skandal. Sie glaubte jedoch nicht, dass Daphne eifersüchtig war, Interesse hatte sie bisher an niemandem gezeigt, am wenigsten an Draco, doch Evelyn vermutete, dass das Angebot der Parkinsons alleine gereicht hatte, um eine Kluft entstehen zu lassen. Eine Kluft, die nun ständig zwischen ihnen sein würde, auf die ein oder andere Weise.
Trotz allem versuchte sie die nächsten Tage Abstand zu gewinnen und nicht allzu sehr über das Drama der Reinblüter nachzudenken. Anfangs hatte Evelyn noch erwartete morgens auf der Titelseite groß verkündet zu bekommen, dass die Malfoy die Vermählung mit den Parkinsons bestätigt hatten. Andererseits hatte Ollivander ihr versichert, dass so schnell nichts passieren würde und selbst wenn, würde das sicher nicht Top-Thema des Tagesprophet werden. Ollivander war nach ihrem Gespräch wieder zu seinem üblichen Selbst zurückgekehrt und grüßte sie, kaum dass sie am nächsten Morgen im Laden erschienen war. Evelyn hatte das Gespräch nicht wieder erwähnt, auch wenn ihre Fragen eigentlich nicht beantwortet worden waren. Sie hätte sich entschuldigt, wofür auch immer, doch Ollivander gab ihr nicht das Gefühl, dass es nötig wäre.
Der nun ständig gefüllte Laden hielt sie und Ollivander gut beschäftigt. Leider waren nicht alle Kunden nur an einem Zauberstab interessiert, wie sie Anfang August feststellen musste, als ein familiäres Gesicht im Laden erschien. Eine schlanke Frau, die sich trotz ihres hohen Alters elegant und leichtfüßig bewegte, trat kurz vor Ladenschluss ein und brachte die schwüle Hitze mit ihr. Sie zeigte ein schmales Lächeln, das ihre von der Sonne gegerbte Haut über ihre Wangenknochen zog. Man sah ihr an, dass sie sich Zurecht gemacht hatte: ein schlichtes, bestickte Kleid ging beinahe unter ihrem rot strahlendem Umhang unten, der farblich zu dem Federhut auf ihrem Kopf passte. Trotz der Wärme trug sie Handschuhe.
Dieselbe Dame hatte sie in beinahe den gleichen Kleidern zuvor auf der Feier der Malfoys gesehen. Mit beinahe jedem hatte sie geredet und alle schienen stets erfreut zu sein, die Frau um sich zu haben. Den Grund dafür hatte sie bisher nicht erfahren.
"Guten Abend, Ma'am", begrüßte Evelyn die Dame, als auch schon Ollivander hinter seinem Regal auftauchte.
"Obstetrix Twoob, welch Überraschung Sie zu sehen." Obelix wer?
Noch irritiert vom seltsamen Namen sah sie zu, wie Ollivander ihr die Hand reichte und sich leicht verbeugte; etwas, das sie bisher nur selten gesehen hatte.
"Es ist lange her, Garrick", ihre Augen schweiften ab um glitten beinahe beiläufig über das Mobiliar und schließlich über Evelyn. "Es hat sich beinahe nichts verändert."
Evelyn hatte eine kratzige und vom Leben gezeichnete Stimme erwartet, stattdessen hörte sie ruhige und regelrecht bezaubernde Töne.
"Möchtest du mich nicht vorstellen?", sie unterbrach sich selbst mit einem Lachen. "Ein Satz, den ich nicht oft benutze."
In Ollivanders Gesicht sah sie plötzlich ein Zucken, schwach und kurz, aber sie war sich sicher, dass es da war. "Das ist meine Enkelin; Evelyn Harris. Evelyn, das ist Obstetrix Winifried Twoob."
Eilig trat sie nach vorne und nickte der Dame stumm zu, darum bemüht bei dem seltsamen Namen nicht zu grinsen. Die hellen Augen Madam Twoobs glitten dabei abermals über Evelyn. Sie hatte bereits Erfahrung damit beäugt zu werden; entweder abschätzend oder seit neuestem auch als Ware auf dem Heiratsmarkt. Die Frau ihr gegenüber, hingegen, warf ihr einen Blick der anderen Art zu, die sie nicht einordnen konnte.
"Deine Enkelin, ja davon habe ich gehört." Eine schlichte Untertreibung, wie Evelyn fand. Sie konnte sich denken, dass Madam Twoob aus einem einzigen Grund hier war; nämlich Evelyn zu sehen.
Kurz schaute sie zu Ollivander um ihn stumm darum zu beten, die Frau schnell wieder los zu werden, als die Frau ihre Handschuhe auszog und Evelyns Kinn zwang nach oben zu schauen. "Ihre Wangenknochen sind zu hoch für eine Ollivander, auch wenn die Augen durchaus passen. Die Haare, etwas zu hell. Klein ist sie auch. Die Hände erinnern an eine Fawley, wenn auch nur sehr schwach."
Evelyn wrang sich aus ihrem Griff und rieb sich das Kinn, das die Frau ungewöhnlich fest gehalten hatte. Allein die Erwähnung der Familie Fawley ließ vermuten, dass die Frau mehr über ihre Geschichte kannte, als sie zugab. Wollen Sie meine Schuhgröße wissen?
"Ein gutes Auge, wie von Ihnen zu erwarten."
"Was haben wir hier; eine Affäre? Eine Adoption, womöglich? Oder etwas anderes? Ich hätte dich nicht so eingeschätzt, als würdest du eine Mätresse nehmen, Garrick."
Nervös kaute Evelyn an der Innenseite ihrer Lippe. Ihre Worte, so angenehm ihre Stimme auch war, kamen wir Gift aus ihrem Mund.
"Aber nein, wo denken sie hin, Obstetrix Twoob?" Sie bewunderte den Zauberstabmacher für seine Geduld. "Sie ist die Adoptivtochter meines Sohnes."
"Gawain lebt heutzutage in Frankreich, nicht wahr? Netter Junge."
"Sie wohnt hier, während sie Hogwarts besucht." Unbeeindruckt von ihrem Kommentare fuhr er fort. "Erfolgreich, möchte ich sagen."
"Mh, so weit von deinen Eltern entfernt?", sie sprach nun zu Evelyn.
"Ich bin gern hier."
Kurz hielten die Augen auf Evelyn inne, ehe die ihr dünnes Lächeln aufsetzte. "Verzeih meine Neugier, Garrick, aber es kommt nicht oft vor, dass ich ein Kind nicht kenne. Ich freue mich für dich, Gawain ist immerhin kinderlos. Adoptionen sind daher nichts Ungewöhnliches. Nur wieso trägt sie nicht den Namen Ollivander?"
Mittlerweile schmeckte Evelyn Blut. Sie wusste, dass ihr der Name möglicherweise zum Verhängnis werden würde.
"Sie ist eine Ollivander, doch wir haben uns dazu entschlossen, dass sie ihre Herkunft nicht vergessen sollte und ihren Geburtsnamen beibehalten. Kinder sind sensibel."
"Nicht so sensibel, wie du denkst. Der Sinn einer Adoption ist es, die Linie aufrecht zu erhalten. Wobei ich euch hier eher zu einem Jungen geraten hätte. Ihr hättet zu mir kommen können."
Beinahe hätte Evelyn etwas gesagt, es war jedoch Ollivander, der bestimmend einschritt. "Madam Twoob, es geht hier nicht um den Erhalt unserer Linie. Glauben Sie mir, es könnte mich nicht weniger kümmern, wenn die Familie mit mir endet."
"Wir wissen beide, dass das nicht wahr ist." Ollivanders Worte schienen sie kaum zu kümmern, weshalb sie nun ihre Aufmerksamkeit wieder auf Evelyn richtete. "Wie fühlst du dich, kleine Evelyn? Wer bist du? Ich habe schon so viel Verschiedenes über dich gehört, dass ich gar nicht weiß, wer du bist."
Vermutlich hätten Evelyns Knie in diesem Moment nachgegeben, wenn die nicht einen sanften Druck von Ollivander auf der Schulter gespürt hätte. "Wer ich bin?", wiederholte sie schwach und senkte den Kopf. Sie überlegte einige Sekunden, in denen die Stille schwer über ihnen lag, bis Ollivander wieder das Wort ergriff.
"Sie ist eine Ollivander, Obstetrix Twoob. Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen, wir beide, aber es ist alles geregelt."
Twoobs Ausdruck verriet, dass sie Ollivander nicht glaubte. Auch ihre Stimme verlor nun an Ruhe. "Es gibt Gerede, Garrick. Ich weiß, du willst das nicht hören, und vielleicht mag es dich nicht interessieren, aber das Gerede existiert."
"Gerede gibt es immer."
"Du kannst dich dem nicht verschließen."
"Ich muss es aber auch nicht mein Leben oder das meiner Enkelin bestimmen lassen."
Twoob zog ihren Handschuh über und streckte sich. "Ich habe gesehen, weshalb ich hergekommen bin. Denk über meine Worte nach, Garrick."
Er führte sie zur Tür, wo sie schließlich ohne ein weiteres Wort an Evelyn verschwand. Kaum, dass die Klingel der Tür verstummte, ließ sich Evelyn an die Theke fallen.
"Ich hätte nicht erwartet Twoob deswegen zu treffen", meinte Ollivander, als er vor Evelyn stehen blieb. Der fehlende Titel war ihr nicht entgangen.
"Wer war das?", fragte sie schwach und wischte sich etwas Schweiß von der Stirn, der sich nicht nur wegen der Hitze gebildet hatte.
"Obstetrix Winifried Twoob ist eine Hebamme im St. Mungo; vielleicht sogar eher die Hebamme."
"Eine Hebamme?" Sie wollte kaum glauben, dass diese Person nur eine Angestellte im Krankenhaus war.
"Die Hebamme", wiederholte er sanft und half Evelyn sich wieder aufzurichten. "Jedes magische Kind der letzten Generationen wurden von ihren Händen auf die Welt gebracht. Muggelgeborene ausgenommen."
"Ich habe sie auf der Feier der Malfoys gesehen."
"Zweifellos, sie genießt ein hohes Ansehen bei jeder Familie. Auch wenn ich persönlich nicht viel von ihren Ansichten halte."
Wieder wurde es still um sie beide. Die seltsame Atmosphäre war nicht mit Hebamme Twoob gegangen. "Danke, dass Sie mir den Rücken gedeckt haben."
"Kein Grund sich zu bedanken."
"Trotzdem, vielleicht sollte ich mir doch einen anderen Ort suchen. Das letzte was ich möchte ist, Sie und Ihren Ruf zu ruinieren."
Tiefes Lachen erfüllte den Raum. "Es bedarf weit mehr als Gerede um meinen Ruf zu ruinieren. Ich habe nicht gelogen; ich gebe nicht viel auf das, was die Leute über mich sagen. Sie sollten das auch nicht."
"Diese Twoob ist nicht dumm. Sie wird durchschauen, dass unsere Geschichte-"
"Machen Sie sich keine Sorgen. Niemand wird erfahren, wer Sie wirklich sind. Für alle sind Sie meine Enkelin. Die Umstände sollen sie sich selbst ausdenken und darüber diskutieren, bis sie ein neues Thema gefunden haben."
Die Gleichgültigkeit, die er ausstrahlte, war für Evelyn beinahe unerträglich. Das Treffen mit Twoob hat ihr abermals gezeigt, wie fragil ihre Existenz in dieser Welt war, und wie viel Ollivander bereit war zu riskieren.
Sie sah zu, wie er den Laden abschloss und den Verkaufstag damit für beendet erklärte. Sofort zur Tagesordnung überzugehen, kam ihr schwierig vor, trotzdem wollte sie es versuchen. "Ich wische noch durch, gehen Sie ruhig."
"Nein", meinte er sanft, "ich denke es wird Zeit, dass ich Ihnen etwas zeige."
Ohne auf eine Reaktion zu warten, verschwand er aus dem Raum. Evelyns Neugier war zweifelsohne geweckt, auch wenn sie nach der Episode mit der Hebamme keine weiteren Überraschungen wollte. Trotzdem eilte sie ihm hinterher und war erstaunt zu sehen, dass er bereits einen Fuß auf der Wendeltreppe gestellt hatte, bereit hinunter in sein Arbeitszimmer zu gehen. In seinem Gesicht las sie eine Stumme Einladung ihm zu folgen.
"Passen Sie auf, die Stufen sind sehr eng", warnte er, als Evelyn zögerlich die ersten Schritte machte. Kurz überlegte sie ihn daran zu erinnern, dass sie einige Jahrzehnte jünger war als er und er sich deshalb keine Sorgen um ihre Sicherheit auf der steilen Treppe machen musste. Doch der Gedanke Ollivanders Arbeitsstube zu sehen gab ihr neue Energie und ließ ihre Gedanken schnell in andere Richtungen gleiten.
Bisher hatte sie einen respektvollen Abstand zu Ollivanders Stube gehalten und nie auch nur die Treppe betreten. Sie verstand es als ihre Aufgabe sich um den Laden und um Ollivander zu kümmern so gut es ging. Seine Unterstützung heute hat nur wieder gezeigt, dass es das mindeste war, was sie tun konnte.
Die Arbeitsstube hatte sie immer als etwas Intimes angesehen und auch jetzt fühlte sie sich, als ob sie in seinen geheimen Unterschlupf einbrechen würde; trotz Ollivanders Erlaubnis. Sie versuchte nicht zu sehr zu starren und konzentrierte sich eher darauf ihre Schritte sicher zu setzen, denn die Warnung war nicht ganz unbegründet gewesen. Jede einzelne Holzstufe war mit einer dicken Schicht aus Spänen bedeckt, die in unterschiedlichen Brauntönen mit dem natürlichen Holz der Stufe harmonierte, es aber zu einer sehr rutschigen Angelegenheit machte. Ihre Füße fanden wie automatisch die Einkerbungen, die hunderte Schritte dort hineingelaufen hatten.
Wie um sie zu verhöhnen für die nie ausgesprochene Bemerkung, hatte Ollivander sehr viel schneller seinen Weg hinunter gefunden, als Evelyn, die eher hinter ihm hergeschlichen war.
"Kinderspiel", meinte sie scherzend, als sie festen Steinboden erreichte und den Blick schließlich von ihren Füßen nahm. Ollivander bot ihr seine Hand zur Hilfe an und führte sie schließlich einige Schritte durch einen fast komplett finsteren Gang.
"Hier unten kann ich keine Fackeln aufhängen", meinte er entschuldigend und verstärkte seinen Griff um Evelyns Hand. "Kein Feuer, um genau zu sein."
Sie ließ sich von ihm führen, unfähig irgendetwas zu sehen, konzentrierte sie sich auf ihre Nase. Mit jedem Schritt wich der staubige Geruch des Ladens mehr und mehr einer fast minzigen Note frisch geschnittener Zweige. Es hätte sie nicht gewundert, wenn Ollivander sie direkt in einen Wald geführt hätte.
Das Kratzen von Holz auf Stein durchschnitt die Stille und ein plötzlicher Lichtstrahl erhellte Evelyns Umgebung. Neben sich konnte sie nun Ollivanders Gesicht sehen, der leicht nickte.
"Nur zu, gehen Sie rein."
Sie hatte erwartet ein dunkles Loch zu finden, schmutzig und verstaubt mit unzähligen Werkzeugen, gerade einmal ein paar Armlänge breit. Doch die schiere Dimension seiner "Stube" überwältige sie.
Eine hohe gewölbte Decke umspannte einen langen Raum, der sich dutzende Schritte erstreckte. In einer Halbkugel war dessen Ende komplett in Glas gefasst, wodurch mehr als genug Licht hineinflutete. Links und rechts waren hunderte Schubladen in den festen Stein eingelassen, die alle einen verblichenen Zettel als Beschriftung hatten. Das Werkzeug, von dem es gar nicht so viel gab, hing an langen Ketten griffbereit von der Decke. Einiges erkannte sie wieder, anderes hatte seltsame Formen und Strukturen, sodass sie noch nicht einmal erraten konnte, wofür genau man das benutze.
Ollivander folgte ihrem Blick. "Meines Großvater Großvater hat bereits hier sein Handwerk gelernt. Jeder Zauberstabmacher stellt sich seine Werkzeuge selbst her, noch während der Ausbildung." Sanft griff er nach einer der Ketten, die sofort begannen unter seiner Berührung klirrend hin und her zu schwingen.
Vor Staunen konnte sie seinen Worten kaum folgen, sondern bewegte sich auf eine der Holzkonstruktionen zu; ein großes Rad, das dicke Seile eingesponnen hatte. Sie fuhr mit dem Finger über die fein polierte Oberfläche und stellte sich vor, wozu das Gerät wohl gut war. Nun, da sie näher davor stand, sah sie wie eine feine Rille die Oberfläche des Rades überzog, die zufälligerweise genau die Größe eines Zauberstabs hatte.
"Gefällt sie Ihnen?" Direkt neben ihr hatte er sich leicht herunter gebeugt und begann nun an dem Seil zu ziehen, was das Rad in Bewegung setzte. "Die gute Amata hier stammt von meinem Ur-Großvater."
Sie schmunzelte kurz darüber, wie Ollivander von der Apparatur, die sogar einen Namen trug, sprach, wie von einer alten Freundin. "Sie haben eine schöne Werkstatt, mit erstaunlichem Ausblick."
"Wenn man oft Stunden hier verbringt, ist man froh über ein bisschen Aussicht." Räuspernd bewegte er sich zur Wand und zog an einer der Schubladen, die völlig geräuschlos aus dem Stein glitten. In ihr offenbarten sich dutzende grobe Zweige unterschiedlichster Länge. "Dies hier sind Rohlinge", erklärte er, wobei er einen Zweig herausholte und ihn Evelyn gab, die ihn eher unschlüssig in Händen hielt. Für sie sah das aus wie ein gewöhnlicher Ast eines Baumes, grob und noch überzogen mit Rinde. Sie konnte noch nicht einmal genau sagen, um welche Art Holz es sich handelte.
"Sie haben schon einmal einen Rohling gesehen; es war einer in der Schachtel für den jungen Malfoy."
Ehrfürchtig formte sie ein stummes O und betrachtete den Zweig erneut, den sie nun mit etwas anderen Augen sah.
"Sie haben Malfoy einen Rohling geschenkt ... Mr Ollivander, wie bekommen Sie die Rohlinge?"
Schmunzelnd nahm er das Holz entgegen. "Es sind Momente wie dieser hier, in denen ich es bedauere, dass Sie keine Ravenclaw geworden sind. Ihre Intuition liegt richtig, dies ist das Wissen der Familie Ollivander. Magische Hölzer sind ein seltenes Gut und äußerst anfällig. Die Beschaffung und Lagerung ist schwieriger, als die Bearbeitung selbst."
Sie schaute zu, wie er den Rohling zurück in die Schublade legte. "Ich habe Sie noch nie Zweige holen gehen sehen."
"Natürlich nicht, ich appariere von hier aus zu den Hainen. Hier unten baue ich nicht nur Stäbe."
Sie kam sich dumm vor und senkte beschämt den Blick, was Ollivander überging. "Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen, wie man mit den Hölzern umgehen muss."
Das ließ sie aufschrecken. "Mr Ollivander, das kann ich nicht annehmen."
"Evelyn, ich meinte, was ich gesagt habe. Für alle sind sie meine Enkelin, auch für mich. Ich denke bereits seit dem Tag der Feier darüber nach, Sie dementsprechend auch zu schulen."
"Zauberstäbe zu machen? Mr Ollivander, ich schaffe noch nicht einmal die einfachsten Zauber ohne Schwierigkeiten auszuführen. Ich will ihre Tradition nicht beschmutzen."
"Wer redet denn von beschmutzen; Sie sind zu viel von Slytherin umgeben. Ich sehe Sie als einen Teil meiner Familie an und ich denke die Abwechslung tut Ihnen ganz gut. Vielleicht wird das auch ein bisschen das Gerede beruhigen."
Sie wusste, dass er den letzten Satz nur ihretwegen gesagt hatte und schüttelte nun den Kopf resignierend. "Ich muss Sie warnen. In Kunst war ich nie besonders gut."
"Stäbe müssen nicht schön aussehen, wie Sie sicher von ihrem eigenen Stab wissen."
Ein Schmunzeln kam ihr über die Lippen, wobei sie gleichzeitig dachte, dass auch Gaila einmal hier gestanden hatte um die Kunst der Familie Ollivander zu lernen. Eine Abwechslung würde es mit Sicherheit werden, das bezweifelte sie nicht. Trotzdem wollten ihr einige Dinge nicht aus dem Kopf, als Ollivander begann die einzelnen Werkzeuge vor ihr auszubreiten, um ihr die Funktionen zu erklären.
Hebamme Twoob, so unverschämt sie auch gewesen war, hatte ihr eine Frage gestellt. Wer war sie? Ollivander hatte souverän geantwortet, weil er wohl dachte, dass sie nicht die richtigen Worte finden würde. Teilweise war das auch richtig. Schlimmer war jedoch, dass sie sich eingestehen musste, dass sie für diese Frage gar keine Antwort hatte.