Langsam ließ sie ihre geschundenen Finger in das warme Wasser tauchen und seufzte erleichtert auf. Die Wärme und die Öle in dem Wasser, taten nicht nur ihren schmerzenden Fingern gut, sondern beruhigten auch die Seele.
Neben ihr stand rudimentäres Verbandszeug und Salbe bereit, was sie nach dem Handbad benutzen würde. Momentan bemühte sie sich jedoch ihre Hand im Wasser ruhen zu lassen und sich so wenig wie möglich zu bewegen. Das Wasser färbte sich leicht rosa durch das bisschen Blut, das durch die vielen kleinen Schnittwunden austrat.
Ollivander war streng und unnachgiebig, wenn es um seine Hölzer ging. Sie durfte altes Werkzeug benutzen, nicht aber sein eigenes, das war ihr verboten. Das alte Werkzeug war leider völlig unhandlich und sie glaubte nun zu wissen, weshalb sich jeder Zauberstabmacher seine Utensilien selbst herstellte.
In den letzten Tagen hatte sie unzähliger Holzsplitter in die Finger bekommen, sich geschnitten, sich gequetscht und wund gescheuert. Trotzdem machte sie weiter, da ihr die Arbeit unverhofft Spaß machte. Sie hatte Schmerzen, beinahe jeden Tag, nicht nur in den Händen sondern auch im Rücken vom gebückten Stehen und dem Ziehen der Hölzer auf Amata, doch sie hatte schnell gemerkt, wie gut es ihr tat, beschäftigt zu sein. Das hölzerne Gestell war, wie Evelyn nun wusste, dafür da, die Rohlinge zu strecken, sie weich zu machen und für den Kern vorzubereiten. Eine Arbeit, die Ollivander manchmal Evelyn überließ.
Ollivander selbst schien ebenfalls in der Rolle des Lehrers aufzugehen. Er war geduldig und zeigte ihr jeden Schritt langsam und ausführlich. Begonnen hatte er damit ihr die Eigenschaften der Hölzer zu erklären, was insgesamt noch der einfachste Teil gewesen war. Ausgerüstet mit Feder und Pergament hatten sie an Ollivanders freiem Tag jede erdenkliche Holzart näher unter die Lupe genommen. Dabei hatten Ollivanders Augen gestrahlt und die Art, wie er Evelyn die Zweige und Hölzer zeigte, hatte für Evelyn etwas Fürsorgliches, beinahe Väterliches. Er liebte sein Handwerk und die Materialien; und er liebte es darüber mit Evelyn zu reden, die es ihm zurückzahlte, indem sie aufmerksam zuhörte.
Ihr Wissen über Bäume beschränkte sich auf das, was sie noch aus dem Kindergarten wusste. Sie konnte ein paar Bäume an ihren Blättern unterscheiden, erkannte eine Birke, wenn sie sie sah, und kannte den Unterschied zwischen Nadel- und Laubbäumen. Einen Unterschied zu erkennen mit nichts weiter außer Zweigen und vielleicht ein paar Knospen, war jedoch etwas gänzlich anderes.
Dabei kam sie schnell an ihre Grenzen, was Ollivander nur umso mehr beflügelte. Mittlerweile hatte sie mehrere Pergamentbögen, vollgeschrieben mit Holzarten, und wie man sie erkannte; selbst die Unterarten. Was nicht hieß, dass ihre Beobachtungen immer korrekt waren. Die erste Zeit hatte Ollivander ihr regelmäßig, wenn sie es am wenigsten vermutete, einen Zweig als Test gegeben, den sie bestimmen sollte. Selbst, als er ihr erlaubt hatte ein bisschen in ihren Unterlagen zu spicken, waren ihre Antworten nicht immer richtig. "Mit der Zeit kommt die Erfahrung, dann werden diese kleinen Tests Ihnen leicht von der Hand gehen", sagte er stets, was Evelyn nie kommentierte.
Man konnte schlecht seine jahrzehntelange Erfahrung mit ihrem Laienwissen vergleichen, aber er schätzte ihr Bemühen.
Ähnlich sah es mit ihren ersten Versuchen aus das Holz zu bearbeiten. Noch wusste sie nicht, wo und wie Ollivander die Rohmaterialien beschuf. Bisher hatte er jede Frage nur lächelnd abgetan mit dem Versprechen es ihr bald zu zeigen.
"Reiben Sie Ihre Hände noch mit diesem Öl ein", sagte er, als er sie im Raum beim Handbad entdeckte. Sie nickte stumm und begann sich mit einem Handtuch zu trocknen, ehe sie einen Finger nach dem anderen zu verarzte.
Ollivander stellte sich neben den Tisch und beobachtete sie kurz, ehe er weitersprach. "Ihre Schnitzarbeit war heute weitaus besser, als noch vor ein paar Tagen. Nicht zu tief, sehr gut gemacht."
Evelyn stieß trocken ihren Atem aus, während sie daran dachte, wie sie auf dem Holz herumgehackt hatte. Mehr als einmal hatte sie zu fest gedrückt, sodass der Stock einfach unter ihrem Druck zerbrochen war. Sie hatte nie gefragt, und Ollivander hatte es von sich aus auch nie bestätigt, aber sie ahnte, dass sie zum Üben keine magischen Hölzer bekommen hatte. Vermutlich ließ Ollivander sie an normalen Zweigen werkeln, die er in irgendeinem Hinterhof von einem normalen Baum gesammelt hatte.
Weiter war sie bisher nicht gekommen. Die Kerne hatte Ollivander ihr nur einmal kurz gezeigt, und auch nur, weil Evelyn danach gefragt hatte. Den größten Vorrat hatte er vom Einhornhaar, das in ganzen Strängen, silbern glänzend, in einer weiteren Schublade verstaut darauf wartete, in Hölzer eingearbeitet zu werden. Ein weiteres Geheimnis, denn wie genau die Kerne in das bearbeitete Holz kamen, hatte ihr Ollivander bisher weder gezeigt, noch erklärt. Was sie wusste war, dass der Kern zu den letzten und kritischsten Schritten bei der Herstellung eines Zauberstabes gehörte. Dementsprechend war es für sie, die noch nicht einmal problemlos die Rohlinge voneinander unterscheiden konnte, noch nicht wichtig mehr darüber zu erfahren. Nicht wichtig, da gab sie Ollivander recht, dennoch juckte in ihr die Neugier, die sie aber wohl oder übel ertragen musste.
An die Drachenherzfasern war sie eher zögerlich herangetreten, da sie einen blutigen Inhalt erwartet hatte. Tatsächlich strahlten die feinen Stränge rot wie Rubine, und sahen auch aus, als wären sie aus dem Kristall gemacht. Zu gerne hätte Evelyn die Fasern berührt, doch nach nur wenigen Sekunden hatte Ollivander die Schublade geschlossen und ihr die letzten Zutaten gezeigt, die er als Kerne nutzte.
Nur drei Phönixfedern hatte er momentan in seinem Besitzt, alle in unterschiedlichen Farben. Die eine Feder war tief rot, noch schillernder als die Drachenherzfaser selbst. Die zweite hatte beinahe keine Farbe und schien fast weißlich, während die dritte bläulich leuchtete. Bisher hatte sie Fawkes noch nicht zu Gesicht bekommen, und in Anbetracht dessen, dass Fawkes nur im Büro des Schulleiters zu finden war, hoffte sie auch, dass sie ihn nie sehen würde. Echte Federn einen Phönix nun vor sich zu sehen, entbrannte in Evelyn dennoch den Wunsch eines dieser Tiere irgendwann einmal aus der Nähe betrachten zu können. Bereits eine dieser Federn strömte eine magische Anziehung auf sie aus, wie mochte es dann sein, einem ganzen Vogel gegenüber zu stehen?
"Phönixfedern sind äußerst selten und ich bekomme nicht immer welche mit meiner Bestellung zugeschickt."
"Sie müssen freiwillig gegeben werden", hatte Evelyn leise erwidert, während Ollivander die Feder verstaute.
"Vollkommen richtig. Diese Federn sind mit magischen Hölzern zu vergleichen, müssen Sie wissen." Da hatte Evelyn aufgehorcht. "Der Phönixvogel muss die Feder aus freien Stücken geben. Ähnlich ist es mit den magischen Hölzern. Nimmt man sie mit Gewalt, verlieren sie ihre magischen Eigenschaften. Mal abgesehen davon wie frevlerisch es wäre einem Phönix, oder auch einem magischen Baum, Leid zuzufügen."
"Wie ernten Sie dann die Rohlinge?" Eine Frage, die Evelyn nicht ohne Hintergedanken, den Ollivander jedoch schnell erkannte, gestellt hatte.
"Das ist die Frage", war alles, was er zu dem Thema sagte, ehe er sie stumm wieder ihrem Holzwerk überlassen hatte.
Evelyn räumte die Schale mit Wasser beiseite und das Verbandszeug zurück in den Schrank. Jeder ihrer Finger war nun dünn mit Leinen eingewickelt, was aussah, als würde sie sich für einen Boxkampf bereit machen.
Sicherlich gab es einen Zauber oder eine Tinktur, die jede ihrer Verletzungen innerhalb weniger Sekunden heilen konnte, doch das verwehrte Ollivander ihr. Sie sollte spüren wie es war mit Holz zu arbeiten, und dazu gehörten auch die Folgen. Also lebte sie mit kleinen Entzündungen und einer äußerst scherzhaften Verletzung unter dem Nagel, wo sie unvorsichtigerweise einen Splitter hineingestoßen hatte.
"Morgen wird keine Zeit sein sich lange in der Werkstatt aufzuhalten, fürchte ich. Andererseits tut Ihnen ein Tag Ruhe sicherlich gut", meinte Ollivander mit einem kurzen Blick auf ihre Hände, die sie als Antwort nur in die Hüften stemmte. Eine eher lächerliche Pose, dank ihrer Größe, die eigentlich einschüchternd wirken sollte.
"Machen Sie sich auch noch darüber lustig, wie ich aussehe?" Ihre Anschuldigung war nicht ernst gemeint, was Ollivander auch nicht annahm.
"Keineswegs. Ich denke aber, der morgige Tag könnte Ihnen gefallen?" Evelyn hob eher skeptisch die Augenbrauen und wartete, was Ollivander zu erzählen hatte. "Wie Sie vielleicht wissen ist morgen ein großer Tag in der Winkelgasse."
"Ist es das?" Sie ahnte nun, worauf Ollivander hinauswollte und verlor allmählich das Interesse.
"Oh ja, Gilderoy Lockhart hält eine Signierstunde ab, das wird einige in unsere bescheidene Winkelgasse treiben; darunter sicherlich auch etliche Kunden für uns." Ein Blitzen erschien in Ollivanders Augen, was Evelyn veranlasste leicht mit dem Kopf zurückzuweichen. "Wenn Sie mögen gebe ich Ihnen morgen mit Freuden frei."
"Frei? Und wieso sollte ich das wollen?" Sie dachte nicht daran auf seine Anspielungen einzugehen.
"Ich meine nur, falls Sie die Zeit nutzen möchten um Mr Lockhart kennen zu lernen, stehe ich Ihnen nicht im Weg."
Sie bemühte sich ruhig zu bleiben, indem sie sich einredete, dass Ollivander sicherlich nur ihr bestes wollte. "Mr Ollivander, ich versichere Ihnen, ich habe kein Interesse daran Gilderoy Lockhart kennen zu lernen. Es gibt nichts, womit Sie im Weg stehen könnten. Ich werde lieber im Laden bleiben, als mich dem Gedränge der wartenden Fans anzuschließen."
"Ja richtig, Sie werden sicherlich noch Gelegenheit haben Ihn zu sprechen, sobald Sie in Hogwarts sind."
Evelyn schluckte jedes Kommentar hinunter und dachte an die Einkaufsliste, die vor wenigen Tagen hier erschienen war. Was Evelyn schon lange wusste wurde durch die Liste für alle anderen bestätigt: Lockhart würde der neue Lehrer in Hogwarts werden, was natürlich jede Menge Wirbel um seine Person gemacht hatte. Wirbel, den Lockhart sicherlich genoss, wie Evelyn vermutete. Sie hatte bereits alles gekauft, was sie benötigte, unter anderem auch "seine" Bücher, die alle völlig unberührt bereits in ihrer Tasche für Hogwarts verschwunden waren.
Ollivander sollte mit einem recht behalten: die Kunden strömten ab Mittag nur so in seinen Laden, sodass sie beinahe keine Pause hatten. Dabei kauften die wenigsten neue Zauberstäbe, sondern ließen ihre eigenen nur neu richten, ausbessern, aufpolieren oder neu eichen. Auch das gehörte zu den Aufgaben des Zauberstabmachers. Dass die meisten dieser Kunden weiblich waren, entging Evelyn nicht.
Als die Klingel erneut erschallte, erwartete Evelyn schon den nächsten völlig aufgelösten Besucher, der noch an der Tatsache zu knabbern hatte, Gilderoy Lockhart höchst persönlich getroffen zu haben. Das Gesicht, das sie anstrahlte, war aber das einer Bekannten.
"Millicent!", meinte Evelyn erleichtert und grüßte ihre Freundin herzlich. Sie hatte einen leichten Rotschimmer auf den Wangen, wie bereits einige andere Damen, die sie heute gesehen hatte.
"Ich dachte, ich schau mal vorbei", ihr Blick glitt zu Evelyns Fingern. "Was ist denn da passiert?"
"Oh, Miss Bullstrode", sagte Ollivander, der schauen wollte, wen es nun in seinen Laden verschlagen hatte. "Was kann ich heute für Sie tun?"
"Eh, nichts, Mr Ollivander. Ich wollte nur Evelyn besuchen."
"Wenn das so ist bitte ich Sie beide nach hinten zu gehen, damit Kunden den Laden betreten können."
Während Ollivander gesprochen hatte, hatte Evelyn ihre Freundin bereits am Arm gepackt und mit sich gezogen.
"Wir sind schon weg."
Millicent konnte kaum reagieren, da hatte Evelyn sie schon nach hinten geführt, die Treppe hoch und hinein in ihr Zimmer.
"So, das ist besser", sagte Evelyn schließlich und schaute Millicent zu, wie sie Evelyns kleines Reich inspizierte. Ob es sie überraschte beinahe nichts außer einigen Stapeln Bücher auf dem Boden und Paimons Terrarium zu sein, sagte sie nicht.
"Nett hier."
"Ich hoffe deine Eltern wissen, dass du da bist?"
"Schon in Ordnung, Mum trinkt gerade einen Kaffee mit einer alten Freundin. Ich hab ein bisschen Zeit."
Evelyn ging nicht darauf ein, dass Millicent nur von ihrer Mutter, nicht aber von ihrem Vater geredet hatte, und setzte sich neben sie aufs Bett.
"Entschuldige bitte die Eile vorhin, aber solange jemand im Laden ist, kann kein anderer Kunde eintreten. Ich musste dich also hierher bringen."
"Oh, das wusste ich nicht", meinte Millicent entschuldigend und ließ noch immer ihren Blick durchs Zimmer gleiten.
"Suchst du etwas?", fragte Evelyn mit einem Schmunzeln.
Millicent fühlte sich ertappt. "Nein, nein es ist nur … ein Teppich würde hier ganz gut passen."
Kurz herrschte Stille, ehe Evelyn zu lachen begann. "Ich werde es mir merken. Wie geht's dir? Irgendwelche neuen Heiratsangebote von denen ich wissen müsste?"
"Pah, bloß nicht. Soweit ich weiß ist Daphne immer noch ziemlich beleidigt. Ich hoffe das legt sich bis zum Schulanfang, aber große Hoffnungen habe ich keine." Schwer seufzend sprang sie auf und beugte sich zu dem Terrarium. "Hallo Paimon."
Evelyn ignorierte Millicents Grüße an Paimon, genauso wie die Schlange darin auch, und lehnte sich zurück. "Daphne ist stur. Ich bezweifle, dass es einfach werden wird."
"Wieso mussten die Parkinsons auch ein Heiratsangebot machen?", Millicent seufzte erneut und überkreuzte die Arme. "Das wird alles verändern."
Natürlich gab ihr Evelyn stumm recht, trotzdem versuchte sie Millicent aufzuheitern. "Vielleicht wird es auch gar nicht so schlimm. Warte erst einmal ab."
Tatsächlich hellte sich Millicents Miene etwas auf. "Wenn sie sich zu oft streiten, lege ich einfach einen Stumm-Zauber auf sie." Zur Bekräftigung formte sie mit dem Zeigefinger einige Figuren in die Luft, die an Zauberstabbewegungen erinnerten. "Hast du ein bisschen zaubern üben können?"
Evelyn inhalierte scharf. "Üben? Hätte ich tun sollen, aber ich hatte keinen Kopf dafür." Sie hob ihre verbundenen Hände und präsentierte sie wackelnd Millicent. "Außerdem war ich etwas verhindert."
"Stimmt!", Millicent warf sich zurück aufs Bett und nahm eine Hand von Evelyn. "Du wolltest mir ja sagen, was hier passiert ist? Hat Paimon dich mit Futter verwechselt?"
In knappen Worten erzählte Evelyn ihr, wie sie in den letzten Wochen mehr Zeit in der Werkstatt, statt über den Büchern verbracht hatte, und wie Ollivander ihr ein wenig mehr zu Zauberstabkunde beigebracht hatte. Millicents Augen waren immer größer geworden, und Evelyn sah ihr an, wie gerne sie die ein oder andere Sache genauer erfahren hätte. Aus Respekt vor Ollivander, ging Evelyn nicht allzu sehr ins Detail und berichtete nur das Gröbste von dem, was Ollivander ihr beigebracht hatte.
"Wahnsinn, stell dir vor du könntest der nächste große Zauberstabmacher werden. Zauberstabmacherin." Evelyn teilte ihre Euphorie nicht wirklich und blieb bescheiden.
"Vom Zauberstab machen ist gar nicht die Rede. Und bisher bin ich nicht sehr geschickt", als Beweis präsentierte sie erneut ihre verbundenen Finger. "Es macht Spaß, das gebe ich zu, aber ich bin besser bei Büchern aufgehoben."
Plötzlich klatschte Millicent in die Hände. "Ja natürlich, Bücher. Warst du heute bei der Autogrammstunde von Gilderoy Lockhart?"
Aus Evelyns Gesicht verschwand allmählich das Lächeln als sie in Millicents Augen ein ähnliches Glitzern erkannte, wie sie es heute schon oft gesehen hatte. "Bitte sag mir nicht, du magst Lockhart."
"Er ist der Größte!", sagte Millicent schwärmerisch und Evelyn kam nicht umhin sich die Hand ins Gesicht zu schlagen, was Millicent nicht davon abbrachte weiter zu erzählen. "Er hat mir die Hand geschüttelt, als ich ihm meine Bücher gegeben habe! Evelyn, sein Lächeln. Sein Lächeln ist einfach perfekt, und er riecht wie frische Kirschbäume."
Das ließ sie stutzen. "Wie frische was? Himmel nochmal, Millicent."
"Ich habe all seine Bücher gelesen. Er ist ein Held! Ich kann es kaum glauben, dass wir von ihm lernen dürfen. Dumbledore hat wirklich etwas richtig gemacht."
"Ja, kaum zu glauben." Sie räusperte sich und versuchte gegen Millicents Ausbruch anzukommen. "Du warst aber nicht Stunden lang bei Flourish & Blotts gestanden und hast gewartet, dass Lockhart dir die Hand schüttelt?"
Peinlich berührt knetete Millicent ihre Finger, mit denen sie wohl Lockharts Hand berührt hatte. "So eine Gelegenheit kann man sich nicht entgehen lassen, oder?"
"Gelegenheit", wiederholte Evelyn mit leichtem Kopfschütteln. "In wenigen Wochen ist er in Hogwarts und glaub mir, er würde mit Freuden nach jedem Unterricht alles signieren, was du ihm hinhebst. Ganz ohne Gedränge und Schlange stehen."
Realisation machte sich in Millicents Gesicht breit, das nun noch röter war, als vorher. "Ich bin keine Ravenclaw."
"Ich auch nicht", sagte Evelyn augenzwinkernd.
"Immerhin hatte ich daher die Gelegenheit dich zu besuchen."
Sie scherzten noch einige Minuten, als Millicent schließlich verkündete zurück zu ihrer Mutter gehen zu wollen. Sie waren nun schon einige Zeit in Evelyns Zimmer, daher hatte Evelyn bereits erwartet, Millicent bald wieder gehen zu sehen. Gemeinsam liefen sie zurück, wobei Evelyn sie durch einen anderen Eingang führte, der nicht durch den Laden ging. Sie und Ollivander nutzen eher diesen Weg.
Während Millicent neben ihr stand, bemerkte sie den plötzlichen Höhenunterschied, der ihr vor ein paar Wochen noch nicht so drastisch vorgekommen war. Millicent überragte sie um einige Hand breit und sie machte eine stumme Notiz sich um die Dosierung ihrer Tränke zu kümmern, um ein falsches Wachstum zu simulieren. Schrumpfen und dann wieder wachsen aber nicht zu sehr, Merlin.
"War schön dich zu sehen", meinte Evelyn zum Abschied, was Millicent erwiderte. Bevor diese jedoch auf der Straße verschwinden konnte, hielt Evelyn sie noch einmal kurz zurück. "Millicent, bevor ich es vergesse: kennst du jemanden mit Namen Winifried Twoob?"
Millicent musste nicht lange überlegen. "Ja sicher, sie besucht uns manchmal. Naja, sie besucht jeden. Ich glaube sie war bisher auf jedem meiner Geburtstage. Wieso, war sie hier?"
Als Antwort nickte Evelyn nur knapp, was Millicent sofort verstand. "Ja, Mutter mag sie auch nicht besonders. Sie meint, sie sei zu alt um zu erkennen, wann sie unerwünscht ist."
Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und Evelyn kehrte in den Laden zurück, wo gerade die nächste Gruppe ihre Stäbe untersuchen ließ. Es dauerte zum Glück nicht lange bis sie verschwunden waren und Ollivander einige Minuten Zeit für sie hatte.
"Welche schöne Überraschung die junge Miss Bullstrode zu sehen."
"Sie war bei Flourish & Blotts", erwiderte Evelyn und erklärte mit dieser kurzen Bemerkung einiges.
"Ah, eine weitere Verehrerin."
"Bitte sagen Sie das nicht."
"Gilderoy Lockhart ist ein charmanter junger Mann, Ravenclaw noch dazu, und er hat in seinem jungen Leben bereits mehr geleistet, als einige aus dem Zaubergamot."
Sie konnte ihm nicht in allen Punkten recht geben, nickte jedoch trotzdem. "Sie haben selbstverliebt vergessen."
"Na, bewerten Sie eine Person nicht, ehe Sie sie kennengelernt haben", meinte er mit strengem Ton.
Um des Friedens willen ersparte sie sich ihn daran zu erinnern, dass er den guten Lockhart ebenfalls nicht kannte. Daher beschloss sie es auf bekannten Themen zu belassen.
"Was für ein Zauberstab hat Mr Lockhart eigentlich?" Sie zog das Mister ein wenig in die Länge, aber nicht zu sehr um Aufsehen zu erregen.
Ollivander spitzte kurz die Lippen und dachte nach. "Wenn ich mich richtig erinnere, und das tue ich, Drachenherzfaser, Neun Zoll, Kirschholz und leicht biegsam. Was sagt Ihnen das?"
Ein weiterer Test, den Evelyn dieses Mal sogar erwartet hatte. Sie nahm sich kurz Zeit eine Antwort zu formulieren, die so neutral wie möglich war. "Kirschholz und Drachenherzfaser, solide Kombination, gut fürs Kämpfen. Kirsche kann schwierig zu zügeln sein, man benötigt einen starken Geist. Nicht, dass es irgendetwas aussagen würde, wie der Zauberer das Holz führt, ist ausschlaggebend und sonst nichts."
"Mh, sehr gute Antwort." Zufrieden nickte er und fuhr sich mit den Fingern über das Kinn. "Mr Lockhart war ein nervöser kleiner Junge, schwere Kindheit. Schon früh lastete großer Druck auf seinen Schultern und ich bin stolz zu sehen, was aus ihm geworden ist. Ich habe Kirsche für ihn ausgewählt in der Hoffnung, dass er lernt mehr Selbstbewusstsein zu haben, was wohl gelungen ist."
Schlimme Kindheit, Druck, das übliche also. Evelyn hatte viel Mitgefühl in Ollivanders Stimme gehört, die sie nicht so recht teilen wollte. "Es gibt viele mit einer schweren Kindheit. Er ist nicht der einzige, auch wenn er ein sehr großes Selbstbewusstsein hat."
"Wohl wahr, letztendlich geht es aber darum, was man aus sich macht und Gilderoy Lockhart hat sich, als einziger seiner Familie, zu einem großen Zauberer gemausert. Das verdient Anerkennung."
Evelyn stieß sich von der Theke ab, an die sie gelehnt hatte und sah, wie von draußen bereits der nächste Kunde eintrat. Dieser ersparte es ihr auf Ollivanders letzte Aussage zu antworten.
Die letzten Tage der Ferien vergingen schließlich viel zu schnell. Neben den Aufgaben, die Ollivander noch immer stellte, bereitete sie sich nun erneut auf die Schule vor, begann die ersten Kapitel der Bücher zu lesen, wobei die Gilderoys Geschichten ignorierte, und sie tüfftelte abends an ihren Tränken. Sie hatte gelernt nicht zu kompliziert zu denken und versuchte sich zunächst daran ihre Tränke ein wenig zu verdünnen, was letztendlich gar nicht so verkehrt gewesen war.
Manchmal hatte sie geglaubt draußen auf der Straße den roten Umhang der Hebamme vorbeilaufen zu sehen, doch es gab weitaus mehr rötliche Roben, als nur die der Hebamme. Sie erzählte Ollivander nichts von ihren "Sorgen", doch sie beruhigte sich selbst stets damit, dass die Hebamme wohl besseres zu tun hatte, als zu zufälligen Zeiten vor Ollivanders Laden zu lungern. Würde sie erst in Hogwarts sein, müsste sie sich nicht mehr um Twoob kümmern. Dafür warteten wieder andere Probleme auf sie.
Ollivander hatte glücklicherweise aufgehört zu versuchen ihr Lockhart schön zu reden, im wahrsten Sinne des Wortes. Noch hatte sie keine Strategie, was den neuen Lehrer für Verteidigung anging, doch vielleicht war das auch gar nicht nötig. Schwieriger würde die Sache mit dem Basiliken werden, besser gesagt nicht irgendwann plötzlich genau in dem Gang zu stehen, durch den die riesige Schlange sich bewegte.
In der letzten Zeit hatte sie versucht sich an genaue Daten zu erinnern, doch außer der ersten Attacke auf Mrs Norris, an Halloween, war ihr Gedächtnis in dieser Hinsicht äußerst vage. Sie hatte also die Möglichkeit nach dem Essen ihren Gemeinschaftsraum nicht mehr zu verlassen, oder nur noch mit einem Spiegel bewaffnet um die Ecke zu gehen. Letzteres würde aus mehreren Gründen zu viel Aufsehen erregen und Fragen provozieren, die sie nicht beantworten wollte.
Immerhin hatte sie sich an die Reihenfolge der Opfer erinnern können; das war etwas, an dem sie sich orientieren würde.
Abgesehen davon rechnete sie mit einem eher ruhigen Jahr, zumindest für sie. Egal wie sie es durchrechnete, die allgemeine Schülerschaft blieb von all den Vorkehrnissen eher unberührt, und so würde auch sie kaum etwas von dem mitbekommen, was in Gryffindor vor sich ging. Sie würde sich nicht in den Wald schleichen müssen, ein fliegendes Auto steuern oder aus Snapes privatem Vorrat stehlen müssen. Nein, sie würde im Hogwarts-Express sitzen, wie jeder andere auch, würde Hausaufgaben im Gemeinschaftsraum machen und Gilderoy stumm belächeln.
Zumindest hoffte sie, dass es so kommen würde. Von dem emotionalen Stress des letzten Schuljahres hatte sie sich inzwischen erholt, allerdings hatte sie nicht die Absicht erneut nahe an den Zusammenbruch gebracht zu werden.
Nun, am Tag der Abreise, hatte sie ihre wenigen Habseligkeiten bereits gepackt und stand in Gedanken versunken vor Paimons Terrarium.
"Ich glaube, ich kann dich nicht mitnehmen", meinte sie leise an die Schlange gewandt, die ihr in den letzten Wochen noch mehr ans Herz gewachsen war. Sie redete oft mit Paimon, vertraute ihm einiges an und schilderte ihm ihre Pläne, so als ob er ihr Antwort geben könnte. Natürlich war sie kein Parselmund, zum Glück, und so starrte er sie nur mit seinen schwarzen Knopfaugen an. Manchmal döste er auch einfach weg und sie bekam noch nicht einmal einen Blick von ihm.
"Letztes Mal konnte ich ein Schlupfloch auszunutzen, aber jetzt würde ich wirklich gegen die Regeln verstoßen, wenn ich dich mitnehme; und ich denke das kann ich mir nicht leisten."
Sie legte ihre noch immer verbundene Hand an die Scheibe. "Ollivander wird sich um dich kümmern. In Hogwarts wäre es eh nur langweilig für dich. Der Kerker ist sowieso viel zu kalt in den Wintermonaten."
Es war lächerlich sich bei einer Schlange zu entschuldigen, dennoch fühlte sie sich, als wäre sie ihm eine Erklärung schuldig.
Es war noch früh. Wie letztes Mal würde sie weit vor Abreise am Gleis sein, das hatte sich gut bewährt und würde bereits dem ersten Hindernis aus dem Weg gehen. Nicht, dass sie am Ende auch vor verschlossenen Türen stand; oder Pforten. Langsam zog sie sich an, entschied sich dann jedoch kurzfristig für eine andere Garderobe und ging innerlich nochmal ihre Liste durch um sicherzugehen nichts vergessen zu haben.
Ihre Fahrkarte hatte sie schon griffbereit in die Tasche gesteckt, zusammen mit allem anderen, wie sie zufrieden feststellte. Es konnte jeder Zeit nach Hogwarts gehen.
"Haben Sie alles, was sie benötigen?", wollte Ollivander wissen, der nun im Zimmer erschienen war.
"Das, was ich mitnehmen kann, ja", ihr Blick fiel auf das Terrarium, wobei sie nicht lange starrte, sondern eilig ihre Tasche nahm. "Jetzt heißt es wohl wieder Abschied nehmen, bis Weihnachten."
"Ich hoffe doch ich höre schon vorher von Ihnen." Zusammen traten sie hinaus, wobei Evelyn ihr langes Shirt zurecht zog. "Es ist bereits sehr warm draußen, sind Sie sicher, dass Sie etwas langes anziehen wollen?"
"Im Zug ist es ziemlich kalt, das bisschen morgendliche Wärme werde ich schon überstehen."
Mit einem Schulterzucken beließ er es bei dem Thema und geleitete sie zum Kamin, den Evelyn mit einer leichten Grimasse beäugte.
"Ich wünsche Ihnen ein weniger aufregendes Jahr, als das letzte. Mögen Sie viel lernen und denken Sie daran: Sie müssen nicht in jedem Fach die beste sein, tun Sie war sie können. Sollte Minerva Ihnen aber wieder Ärger machen, zögern Sie nicht mir zu schreiben."
"Von Ärger kann man nicht reden, Mr Ollivander, ich werde es mir aber merken."
"Oh, und vergessen Sie nicht Ihr Wissen um die Hölzer zu vertiefen. Hogwarts hat eine wunderbare Bibliothek, Sie werden dort sicherlich die ein oder andere Lektüre dazu finden. Bei Ihrer Rückkehr an Yule werde ich sehen, wie viel sie gelernt haben."
"Keine Lektüre kann Sie ersetzen", meinte sie leicht schmunzelnd während sie in den Kamin trat. Trotzdem zögerte sie noch einen Moment, nicht nur, weil ihr der Gedanke gleich mit Flohpulver reisen zu müssen missfiel. Sie ließ ihre Tasche sinken und trat noch einmal hinaus, um Ollivander zum Abschied zu umarmen. Sein schlanker Körper versteifte sich kurz, sodass Evelyn die Umarmung eilig löste. Ehe sie jedoch eine Entschuldigung murmeln konnte, spürte sie seine Hand auf ihrem Kopf, die ihr über die Haare strich.
"Auf Wiedersehen, Evelyn."
Peinlich berührt beeilte sie sich nun in den Kamin zu kommen und die Worte "Euston Station" so deutlich wie möglich zu sagen, als sie in derselben Sekunde Ollivander hörte.
"Passen Sie gut auf Paimon auf."
Mit einem Lächeln und mit winkender Geste, verschwand Ollivander in grünen Flammen aus ihrer Sicht.
AN:
Ein eher kurzes Kapitel, ich weiß, aber das muss auch mal sein. Wie nähern uns dem Ende von Part 2, yeay.