Noch während sie sich vom Flug durch die Kamine erholte, griff sie an ihr Handgelenk, wo sie unter dem Stoff eine deutliche Erhebung spürte. Ollivanders Worte rangen noch in ihren Ohren, zusammen mit dem Tosen des Feuers um sie herum, das noch wie ein Echo nachhallte.
Vorsichtig zog sie ihren Ärmel noch einmal nach vorne über die eingerollte Schlange.
"Wir sind schneller aufgeflogen, als ich dachte."
Sie hatte es nicht über sich gebracht Paimon allein in ihrem Zimmer zu lassen und sich kurzerhand umentschieden ihn mit nach Hogwarts zu schmuggeln. Sie hatte erwartet, dass Ollivander dies bald bemerken würde, allerdings dachte sie, sie wäre dann schon auf dem Weg nach Hogwarts in irgendeinem Abteil im fahrenden Zug, wenn das passierte.
"Benimm dich einfach ganz natürlich, Kumpel", sagte sie an Paimon, während sie sich auf den Weg Richtung Bahnhof machte. Die Schlange hatte sich beinahe sofort um ihren Unterarm gewickelt, nachdem sie ihn aus dem Terrarium geholt hatte, in dem Glauben, Evelyn wäre ein Baum; und dabei wollte sie es die nächsten Stunden auch belassen.
Die Hitze, die trotz früher Stunden bereits über der Innenstadt Londons hing wie ein Daunentuch, kam ihr beinahe sofort entgegen. Sie kam keine fünf Schritte weit, als sich bereits feine Schweißperlen zwischen ihren Schulterblättern und in ihrem Nacken bildeten. In ihrer langen Kleidung würde sie draußen unter der Sonne nicht lange durchhalten, während Paimon sich vermutlich unter dem Stoff absolut wohl fühlte. Kaltblüter müsste man sein. Sie konnte die kühleren Temperaturen der Berge Schottlands kaum erwarten.
Bereits im Beton ummantelten Bahnhof fiel die Temperatur um einige Grad und sie hoffte, dass es unten bei den Gleisen noch einmal angenehmer werden würde. Die Menschen um sie herum fächerten sich mit Morgenzeitungen oder anderen improvisierten Fächern Luft zu, während die Fruchtsaftstände in der Bahnhofshalle bereits gut Umsatz machen. An Saft oder Eis, an dessen Laden ebenfalls eine Schlange stand, war sie nicht interessiert, und so fand sie innerhalb von Minuten ihr Gleis.
Langsam schlenderte sie die Rampe hinunter, wobei sie mit den Fingern ihren Ärmel über Paimon gezogen hielt. Vermutlich würde man ihn gar nicht als lebendes Tier erkennen, wenn man nur flüchtig auf ihren Arm schaute. Man könnte glauben er wäre extravaganter und breiter Schmuck, nur wieder eine neue seltsame Mode der Jugendlichen heutzutage. So würden zumindest die Muggel denken, die hier nur auf der Durchreise oder auf dem Weg zur Arbeit waren.
Sie wusste jedoch, dass hier unter den Fahrgäste auch Zauberer gemischt waren, die die Abfuhr des Hogwarts-Express' überwachten. Was die sehen würden, war eine andere Angelegenheit.
Tatsächlich entdeckte sie ganz in der Nähe des hinteren Pfeilers, durch den man aufs Gleis 9 ¾ kommen würde, ein bekanntes Gesicht. Eine Frau mittleren Alters, die völlig in eine Zeitschrift versunken war. Evelyn könnte schwören die Frau trug sogar exakt dasselbe, wie ein Jahr zuvor, als sie den Weg zum Pfeiler beobachtet hatte. Eine Hexe, wie Evelyn nun wusste.
Sie ging zielstrebig auf die Frau zu, die ihr nur kurz einen Blick zuwarf, als Evelyn sie passierte. Evelyn glaubte nicht, dass sich die Frau an sie erinnerte und wie sie sie vor einem Jahr kurz nach dem Weg gefragt hatte. Ihr Alter und ihre Tasche identifizierte Evelyn eindeutig als Schülerin, was der Frau mit Zeitschrift völlig genügte. Sie nickte und wünschte Evelyn eine gute Fahrt. Evelyn ging nicht darauf ein, sondern steuerte ohne anzuhalten auf das Portal zu, wo sie kaum zwei Herzschläge später vom hellen Licht der anderen Seite geblendet wurde.
Der Geruch nach verbranntem Holz war noch stärker, als Evelyn es in Erinnerung hatte, aber nicht unangenehm. Sie vergewisserte sich, dass das Gleis links noch immer zu Ende war, und drehte sich nach rechts, wo sie dem hohen Torbogen mit dem Bronzezaun entgegen lief.
Beinahe wehmütig erkannte sie, wie sie kaum noch einen Blick für die Wunder um sie herum hatte. Kaum ein Jahr zuvor hätte sie am liebsten jeden Stein betrachtet und genauer untersucht. Sie würde nicht sagen, dass sie alles schon als normal empfand, denn das tat sie nicht, aber sie hatte sich eingelebt.
"Ganz alleine?", fragte der Mann vor dem Bronzetor, der Evelyns Fahrkarte entgegennahm. Dieselbe Frage, die sie schon einmal an dieser Stelle gehört hatte. Um das Dejavu nicht vollkommen perfekt zu machen, zuckte sie nur die Schultern und lächelte den Mitarbeiter an. "Ich bin schon groß und kann auf mich selbst aufpassen."
"Na dann, viel Spaß junge Dame."
Seine Grüße gingen im Lärm des sich öffnenden Zauns und dem schweren Dampfen der Lok dahinter unter. Sofort merkte sie, wie ihr heiße Luft entgegen strömte.
Es waren noch nicht viele da, aber schon jetzt erkannte man den einen oder anderen Erstklässler.
Nicht mehr zum Frischfleisch zu gehören, die Neulinge der Schule, war mehr als befriedigend. Nun waren sie nicht mehr die Jüngsten und verhielten sich dementsprechend. Obwohl sie nur ein Jahr über den neuen Kindern waren, hielten sie den Kopf hoch und allwissend, während die paar Erstklässler eher verschüchterte Eindrücke vom Hogwarts-Express stahlen. Evelyn hielt sich etwas abseits von den Gleisen, wo sporadisch heißer Dampf aus der Lok geblasen wurde, und lief ans andere Ende, wo sie an die Backsteinwand gelehnt wartete.
An ihrem Handgelenk spürte sie, wie sich Paimon bewegte und legte beruhigend ihre Hand über ihn. Sein Griff um ihren Arm verstärkte sich, ehe er wieder still wurde.
"Ich bin ein Baum, ich bin ein Baum", wiederholte sie leise, den Blick über das Gleis schweifend. Es kamen minütlich immer mehr Reisende mit Familie an, sodass es schon bald eng wurde. Hin und wieder entdeckte sie bekannte Gesichter aus ihrem Haus und aus ihrer Klassenstufe, doch genauso wie Evelyn ihnen kaum mehr als einen Gruß zuwarf, ignorierten auch diese Evelyn weitestgehend. Erst als Daphne mit ihrer Schwester an der Hand auf sie zukam, streckte sie sich und schenkte ihr ein Lächeln.
Keiner der beiden hatte schon ihre Umhänge an, sondern trugen eine beinahe identische Bluse, hineingesteckt in einen luftigen Rock.
"Aufgeregt, Astoria?", meinte sie an das Mädchen gewandt, das mit großen Augen die Lok bewunderte.
"Nein", erwiderte sie knapp, wobei ihre unnatürlich hohe Stimme sie Lügen strafte.
"Sie hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Kein Auge hab ich zugemacht." Evelyn schmunzelte als sie sah, wie glasig Daphnes Blick war. Gleichzeitig wusste sie, dass wenig Schlaf nicht gut für Daphnes Laune war. Noch hatte sie niemanden aus der Familie Parkinson gesehen, das würde sich aber sicherlich bald ändern. Der Blick zur Uhr verriet ihr, dass der Zug in einer halben Stunde fahren würde.
Daphne schien dasselbe zu denken und schickte Astoria kurz zurück zu ihren Eltern um sich zu verabschieden, ehe sie Richtung Express nickte. "Suchen wir uns ein Abteil, ich will mich hinlegen."
Evelyn protestierte nicht und griff nach ihren Sachen, darauf bedacht Paimon nicht ausversehen mit dem Riemen zu zerquetschen. Einige andere hatten dieselbe Idee gehabt und sich bereits ein Abteil im Zug gesichert, allerdings war er bei weitem noch nicht so voll, wie er bei Abfahrt sein würde.
Ein leeres Abteil war schnell gefunden und genauso schnell hatten sie sich ausgebreitet. Astoria war bei ihnen, obwohl Daphne ihr riet sich ein Abteil mit anderen Erstklässlern zu teilen. Als Antwort hatte Astoria sich nur stumm neben Daphne gesetzt und starrte nun auf ihre Schuhe.
Evelyn hielt das Gleis im Auge, auf der Suche nach ihren Zimmergenossinnen. Millicent stieß schon bald zu ihnen, doch von Pansy fehlte jede Spur. Dafür sah sie eher amüsiert zu, wie Crabbe auf dem Gleis stand und darauf wartete, dass entweder Goyle oder Draco kamen.
"Da seid ihr ja, guten Tag die Damen", hörte sie Zabini sagen, der wie selbstverständlich das Abteil geöffnet hatte und sich zu ihnen setzte. Auch er hatte normale Hosen und ein weißes Shirt an, das seiner dunklen Hautfarbe schmeichelte. Seine Haare waren ungewöhnlich kurz, so als ob er gerade erst beim Friseur gewesen war. Was Evelyn jedoch mehr auffiel war, wie groß er geworden war, seit Malfoys Geburtstagsfeier. Evelyn schüttelte den Kopf und sah wieder hinaus. Ich klinge wie meine Oma.
Sie dachte selten an Zuhause, an ihr richtiges Zuhause. Hauptsächlich weil sie sich ihre Familie nicht vorstellen wollte, wie sie verzweifelt nach ihr suchten. Sie war ihr einziges Kind und hatte schon immer ein gutes Verhältnis zu ihnen gehabt, dementsprechend schwer fiel es ihr an sie zu denken. Sich vorzustellen wie sie ihretwegen litten, brachte sie nahe an ihre emotionalen Grenzen. Mehr als einmal hatte sich auch schon überlegt einen Weg nach Hause zu suchen, doch dafür müsste sie erst einmal wissen, wie sie hier gelandet war. Sie hatte nichts außer einem weißen, leicht verbrannten Buch.
Nichts hatte sie von ihrem alten Leben behalten, außer dem Buch, das einmal Band 1 gewesen war, nun jedoch nichts weiter als eine Ansammlung blanker Seiten ohne Cover und Rückseite war. Sie trug es stets bei sich, getarnt als Notizbuch, doch sie schrieb nie etwas hinein. Sie hoffte damit vielleicht irgendwann zurück kehren zu können, doch dafür würde sie Hilfe benötigen; und die würde sie so schnell nicht bekommen.
Zabini beugte sich über Evelyns Schulter und starrte hinaus. "Wir fahren gleich ab, wo bleiben die bloß?"
"Sie sind schon da, ich hab sie kommen sehen", sagte Daphne eher uninteressiert. "Haben sich wohl ein anderes Abteil gesucht. Sollen sie doch."
Evelyn schloss kurz die Augen und atmete lange ein. Kein guter Start und doch war es alles, was sie erwartet hatte. Pansy ließ sich nicht blicken, auch nicht, als der Zug pünktlich begann anzurollen. Die Vorstellung war nicht abwegig, dass Pansy mit Draco irgendwo im Zug saß und sie gemeinsam zur Schule fuhren, was an Daphnes Laune kaum etwas verbesserte, im Gegenteil.
"Sicherlich hat er schon zugesagt, nur wissen wir noch nichts. Das neue Traumpaar." Sie hatte Gift in der Stimme, das Evelyn überraschte.
"Bist du eifersüchtig?" Es war nicht gut sie zu provozieren, ihre Frage war aber neutral genug gestellt gewesen, ohne spöttischen Unterton, sodass Daphne ebenso neutral antwortete.
"Das hat nichts mit Eifersucht zu tun. Sie hat uns damit alle in etwas reingezogen, das ich gerne noch vermieden hätte." Ihr Blick ging kurz zu Blaise, der eher überrascht die Hände hob, aber nichts erwiderte. "Meine Eltern überlegen jetzt auch ein Angebot zu machen, keine Ahnung an wen."
Millicent knetete ihre Finger und hielt den Blick starr nach unten gerichtet. "Mum hat gesagt, sie wird noch kein Angebot abschicken."
Das ließ Evelyn aufhorchen. "Du sagtest doch, du hättest noch keine Pläne."
"Habe ich auch nicht, aber Mum."
"Oh, Milli." Evelyn schluckte schwer und schaute kurz zu Blaise, der stumm und eher hilflos neben ihr saß. "Blaise, geh bitte kurz raus, such dir was zu essen, geh spazieren. Das ist ein Frauengespräch."
Stirnrunzelnd faltete er die Arme. "Wie soll ich denn im Zug spazieren gehen?"
"Blaise!", fuhr sie ihn streng an, strenger als beabsichtigt, doch es half. Sofort duckte er sich und ging ohne weitere Proteste hinaus. "Seine Ohren müssen das nicht hören. Daphne, es ist nicht Pansys Schuld, sicherlich wollte sie genauso wenig, dass das passiert."
"Es ist aber passiert." Sie fuhr Astoria über den Kopf, da diese Daphne am Arm hielt. Eine beruhigende Geste, da sie nun mit weniger Wut weitersprach. "Ist doch sowieso egal, wir sind kaputte Ware. Würde mich überraschen, wenn jemand das Angebot annimmt."
Erschrocken stellte Evelyn fest, dass Millicent nichts erwiderte, während ihr selbst ein Kloß in den Hals rutschte. "Niemand ist kaputte Ware. Daphne, denk nicht so von dir."
"Wieso nicht? Dank meinem Onkel sieht uns doch kaum eine ehrenwerte Familie noch an und die, die es tun sind ...", sie brach ab und schaute wieder zu Astoria. Sie musste nicht weitererzählen damit Evelyn wusste, von welcher Sorte Zauberer sie redete.
"Die, die so denken verdienen dich nicht, Daphne." Es ist lange her, dass Millicent ihr von Daphnes Onkel und seiner Verbindung zu Voldemort erzählt hatte, und an vieles konnte sie sich auch nicht mehr erinnern. Ausgerechnet jetzt würde sie aber nicht nachfragen. Sie sah, wie Daphne sich quälte und das genügte ihr zu wissen.
"Wer verdient mich denn? Vincent? Blaise? Blishwick? Das sind nur einige der Namen, die ich aufgeschnappt habe und die zweifelhafte Ehre haben könnten mein Ehemann zu werden. Vielleicht bin ich nächstes Jahr mit ihm verlobt!" Sie deutete zur Abteiltür, wo Blaise vor einigen Minuten verschwunden war. Evelyn hoffte, dass er nicht so bald zurückkehren würde.
"Niemand sollte dir sagen, wen du zu heiraten hast, oder wann du zu heiraten hast. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt?" Sie wiederholte einige der Worte, die auch Ollivander zu ihr gesagt hatte, bei Daphne hatten sie aber eine etwas andere Wirkung, als erhofft.
"Zukunft? Harris, manchmal bist du so naiv. So eine Denkweise können wir uns nicht leisten. Schön für dich, dass du bei Ollivander lebst, dass der wohl andere Pläne für dich hat. Dass du auf die wahre Liebe hoffen kannst." Sie stand auf und ignorierte Evelyns Versuche sie zu beschwichtigen. Stattdessen erklärte sie, wie sie für Astoria etwas Süßes kaufen wollte, und verschwand ebenfalls.
"Das lief ja nicht so gut", meinte Evelyn zu Millicent, die nur hilflos schwieg. "Es tut mir leid, Millicent. Wenn ich etwas Falsches gesagt habe, tut es mir leid."
Unbequeme Stille breitete sich aus, als die Landschaft hinter dem Fenster langsam zu einer ländlichen Gegend wechselte, die trügerischen Frieden vorgaukelte. Daphnes Worte gaben ihr zu denken. "Bin ich naiv, Millicent?"
"Ich würde sagen, optimistisch." Es war nicht Millicent, die geantwortet hatte, sondern die kleine Astoria. "Optimismus ist gut, aber trügerisch. Trotzdem wäre ich gerne so optimistisch wie du." Ihre Beine erreichten kaum den Boden des Abteils, und so schwang sie in den ruckelnden Bewegungen des Zuges hin und her. Ihre Worte wollten nicht so recht zu dem zierlichen, jungen Wesen passen, das vor Evelyn saß.
"Alles was ich sagen möchte ist, dass es für uns alle hier zu früh ist um über Heirat nachzudenken. Pansy und Draco mit eingeschlossen." Sie seufzte und lehnte ihren Kopf gegen das weiche Polster des Sitzes hinter ihr. Millicent lehnte gegen das Fenster und schaute stumm hinaus.
"Meine Güte, unser zweites Schuljahr beginnt morgen; erstes in deinem Fall, Astoria." Das kleine Mädchen lächelte und wurde rot, wobei sie ungeduldig zur Tür schaute in der Hoffnung, Daphne bald zu sehen Es sollte noch einige ungemütliche Minuten verstreichen, bis Daphne, zusammen mit Zabini, zurück ins Abteil kam. Trotz Zabinis Versuche die Stimmung mit unverfänglichen Erzählungen etwas zu heben, verbrachten die Fünf den größten Teil der Reise still und in sich gekehrt, oder mit geschlossenen Augen.
Kurz vor Hogsmeade, als schon längst die Sonne tief über den Bergen Schottlands hing, spürte Evelyn, wie sich Paimon unruhig an ihrem Handgelenk regte. Die Reise wurde ihm nun doch zu lang und Evelyn versuchte unbemerkt von den anderen unter dem Vorwand sich ihren Umhang anzuziehen Paimon anders zu positionieren. Die enge Zugtoilette musste dafür herhalten.
Ihn einfach in die Tasche zu stecken wie ein Stofftier erschien ihr brutal und grenzte an Folter, allerdings würde sie das Fest in der Großen Halle kaum mit ihm am Arm bestehen können.
"Wir sind bald da, Kumpel. Halt noch ein bisschen aus. Ich weiß, das ist alles unbequem." Vorsichtig entwirrte sie die kleine Schlange von ihrem Arm, der durch den ständigen Druck und die Bewegungen Paimons stark gerötet war. Sie schüttelte den Arm aus, erleichtert darüber endlich wieder Luft an ihrer Haut zu spüren. Auch Paimon streckte begierig seine Zunge heraus, um seine Umgebung wahrzunehmen. Je später es wurde, desto aktiver war auch Paimon und Evelyn befürchtete nun, er würde vielleicht gar nicht in der Tasche bleiben und stattdessen auf Wanderschaft gehen.
Noch hatte sie kein Terrarium, das würde, so hoffte sie, Ollivander bald schicken. Darauf hatte sich ihr Plan gestützt, zusammen mit den zwei Miniratten, die sie als Proviant für Paimon hatte mitgehen lassen.
Noch einmal würde sie nicht bei Snape um Futter für ihre Schlange fragen, diesen Gefallen hatte sie einmal eingefordert und überraschenderweise sogar erhalten. Ein zweites Mal rechnete sie nicht damit, dass sie Erfolg haben würde. Morgen, noch bevor der Unterricht beginnen würde, würde sie eine Dauerbestellung an die Magische Menagerie absenden. Vielleicht würde sogar Ollivander selbst sich darum kümmern. So oder so hatte sie nicht vor sich jeden Monat eine neue Möglichkeit auszudenken Paimon zu füttern.
Sie hatte die ein oder andere Münze gespart von dem, was Ollivander ihr gab. Glücklicherweise waren Schlangen weitaus günstiger und weniger verfressen als Katzen oder andere Tiere. Im Monat benötigte Paimon kaum mehr als ein halbes Dutzend Mäuse und die waren mehr als erschwinglich.
Kritisch begutachtete sie ihre Tasche und Paimon im Wechsel, der sich nun einen Weg hinauf an Evelyns anderem Arm suchte.
"Du haust mir doch nur ab, wenn ich dich da rein stecke. Ich will nicht dieses Jahr diejenige sein, die kurz vor Hogwarts durch den Zug rennt und ihr Tier sucht. Ihr illegales, will ich meinen. Dich darf keiner sehen, also Schluss mit Turnen und roll dich wieder ein!"
Sie nahm sich eine der Proviantmäuse und bot sie Paimon an, was nicht gerade einfach war. Mittlerweile hatte er ihre Schulter erreicht und zeigte nur wenig Interesse an dem Essen und genoss eher die frisch gewonnene Freiheit, sodass Evelyn die Maus wieder wegpackte.
"So wird das nichts."
Plötzlich spürte sie, wie der Zug an Geschwindigkeit verlor. Scheiße.
Automatisch griff sie zur Balance mit der einen Hand an die Wand der Toilette und mit der anderen hielt sie unnötigerweise Paimon fest.
Ungeduldig pflückte sie Paimon von ihrem Arm und hob ihn stattdessen an die Öffnung ihres Ärmels, der für Paimon eine wahre Einladung war. Sofort steckte er seinen Kopf hinein und suchte sich erneut seinen Weg hinauf an Evelyns Arm.
"Da bleibst du jetzt; und sei anständig."
Mit eher mulmigem Gefühl kehrte sie ins Abteil zurück, wo auch die anderen in ihre Umhänge geschlüpft waren. Astoria stand am Fenster und versuchte draußen etwas zu sehen, was, wie die anderen wusste, nicht möglich war.
Mit dem Rucksack oder der Tasche griffbereit, warteten die Slytherin darauf, dass der Zug vollständig hielt. Quietschend fand er seinen Platz in Hogsmeade, wo das ständige Wackeln mit einem abrupten Ruck schließlich aufhörte.
"Willkommen in Hogwarts", meinte Zabini breit grinsend an Astoria gewandt und fuhr ihr wild übers Haar, während er aufsprang und die Abteiltür aufriss. Überall im Zug bewegten sich die Schüler und strömten hinaus aufs Gleis, wo sie sich wie Motten unter den Lichtkegeln der Laternen sammelten. Von weitem hörte Evelyn schon Hagrid rufen, sodass Astoria sich weiß wie ein Bettlaken von ihnen verabschiedete. Sie selbst suchten eher unschlüssig einen Pfad weg von der Plattform und folgten einfach den älteren Schülern vorbei am leer stehenden Bahnhofshäuschen. Das Wort Kutsche fiel immer häufiger, sodass Evelyn gespannt die Augen nach ihrer Mitfahrgelegenheit offen hielt.
Sie war seltsam gespannt darauf zu erfahren, ob sie vor den Kutschen etwas sehen würde. Sie hatte schon den ein oder anderen Familienangehörigen verloren, angefangen mit ihren Großeltern, allerdings war sie nie dabei gewesen, wenn sie gestorben waren. Sie hatte es nie mit eigenen Augen gesehen, daher konnte sie nicht einschätzen, wie es sich da mit den magischen Wesen verhielt.
Vor ihr verteilte sich die Menge entlang der breiten Straße, die hinein in ein anliegendes Waldstück führte, und von dort vermutlich hinauf zum Schloss, das noch nicht zu sehen war. Große, eher schlicht gehaltene, Gebilde auf vier schmalen Rädern reihten sich auf der Straße auf, die nun durch die kleinen Lampen der Kutschen erhellt wurde. Die Thestrale, die die Kutschen ohne Zweifel zogen, waren für Evelyn nicht sichtbar.
Einerseits war sie enttäuscht die Geschöpfe nicht sehen zu können. Andererseits, wenn man bedachte was es hieß, wenn man sie sah, dann war sie ganz glücklich darüber sich zu den Unschuldigen und Unwissenden zählen zu dürfen. Pff, unschuldig und unwissend, du denkst zu hoch von dir.
Sie suchte in den Augen von Millicent, Daphne und Blaise Anzeichen dafür, dass sie die schwarzen Skelettpferde sahen, die waren jedoch nur begeistert von den großen Kutschen, weshalb Evelyn annahm, dass auch sie keine Zugpferde sahen.
"Nehmen wir die", sagte Blaise und öffnete die Tür mit einer einladenden Geste. "Eintreten, die Damen, ich kümmere mich um das Gepäck."
Millicent nahm sein Angebot grinsend an, während Daphne nur stöhnend ihren Koffer nahm, an Blaise vorbei trug und ihn in mehreren Anläufen auf die Ablage der Kutsche hievte. Jede Hilfe, auch die von Evelyn, lehnte sie dabei ab. "Finger weg, ich schaff das allein", war alles, was sie unter Anstrengungen nuschelte, bis sie schließlich in die Kutsche kletterte.
"Was hast du ihr gesagt, dass sie so bissig ist?", fragte Blaise, als sie beide allein neben der Kutsche standen.
"Vielleicht verrate ich es dir irgendwann wenn du größer bist." Augenzwinkernd klopfte sie auf ihre Tasche, die nicht annähern so schwer war wie Daphnes Koffer, sodass Evelyn ihre Sachen schnell verstaut hatte.
Blaise schüttelte nur entgeistert den Kopf. "Ich hätte doch mit Draco fahren sollen."
Die Fahrt in der überdachten Kutsche war entgegen ihrer Erwartungen recht angenehm. Die weichen Lederpolster federten die harten Bewegungen des Bodens ab, sodass ihre von der Zugfahrt ohnehin geplagten Körper nicht noch mehr strapaziert wurden. Durch die Fenster wehte frischer Abendwind, der eine willkommene Abwechslung zur stickigen Luft des Zuges war. Leider sah man durch sie hindurch nicht das Schloss oder irgendetwas anderes, das nicht gerade ein paar Meter rechts und links an ihnen vorbei zog. Mit dem Boot anzureisen war definitiv beeindruckender gewesen, allerdings sparten sie sich so den langen Marsch hin und den beschwerlichen Aufstieg hoch zum Schloss.
Jeder schaute für sich durch die Fenster und schwieg, als sie ein riesiges steinernes Tor passierten, an dessen Seiten schwerfällige, geflügelte Schweine sie mit Kopfnicken begrüßten.
"Hogwarts, Hogwarts, warzenschweiniges Hogwarts, bring uns etwas bei", murmelte Evelyn mit einem Schmunzeln im Gesicht und lehnte sich zurück. Sie erwartete, dass die Fahrt bald zu Ende sein würde.
Statt den Ausblick zu genießen, betrachtete sie nun ihre Hände, die kaum aus den Ärmeln ihres Umhanges hervor lugten. Die Hogwarts Uniform nach einigen Wochen wieder am Leib zu tragen war ungewöhnlicher, als sie gedacht hatte. Der grüne Innensaum und das Wappen waren im Dunklen nur schlecht zu sehen, was vielleicht auch ganz gut war.
Auf Höhe ihrer linken Schulter spürte sie ein Kitzeln von Paimons Zunge und zuckte daher unweigerlich zusammen. Benimm dich, sagte sie in Gedanken an die Schlange gewandt, der unbeeindruckt fortfuhrt Evelyns Arm mit seiner Zunge zu erkunden.
"Wir halten." Millicents Aussage war eher überflüssig, da sie alle spürten, wie die Kutsche zum Stillstand kam. "Endlich sind wir da."
Nacheinander kletterten sie hinaus und streckten sich. Direkt vor ihnen befand sich der riesige Haupteingang des erhabenen Schlosses, das durch tausende Fenster den Innenhof erhellte, auf dem sie standen. Die zwei Fackeln über dem Eingang leuchteten ihnen zusätzlich den Weg.
Professor Flitwicks Stimme hallte über den Hof, vermutlich hatte er sie mit einem Sonorus verstärkt. "Willkommen Schüler. Bitte treten Sie langsam und einer nach dem anderen ein. Mr Filch und ich werden eure Namen aufnehmen."
Tatsächlich stand der kleine Flitwick am oberen Ende der Stufen mit einem dicken, noch eingerolltem, Pergament in Händen, während Mr Filchs Silhouette am unteren Ende der Treppe zu sehen war.
"Lassen Sie ihr Gepäck auf den Kutschen und treten Sie einzeln vor."
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen und reihten sich in der Schlange ein, die an Flitwick vorbei führen würde. Die meisten hatten denselben Gedanken, weshalb ihre Schlange sehr viel schneller wuchs als die vor Filch. "Verteilt euch, bitte verteilt euch."
Einige Vertrauensschüler liefen die wartende Menge auf und ab und versuchten als erste Amtshandlung die Schüler etwas gleichmäßiger zu verteilen; mit Erfolg.
"Schlange stehen um in die Schule zu dürfen." Blaise überkreuzte die Arme und reihte sich eher mürrisch hinter Evelyn ein, darauf bedacht von den Vertrauensschülern nicht doch gezwungen zu werden zu Filch hinüber zu wechseln.
Während sie sich langsam ihren Weg hinein ins Schloss bahnten, schaute Millicent stets über die Schulter. Evelyn hatte die Vermutung, dass sie nach Pansy Ausschau hielt, denn auch sie suchte die Menge ab und zu nach der fehlenden Slytherin ab. Bei der Anzahl an Schülern war es aber beinahe unmöglich sie zu finden. "Wir sehen sie gleich in der Halle", meinte Evelyn an Millicent gelehnt, kurz bevor sie Flitwick erreicht hatten.
"Guten Abend, junge Fräulein. Mr Blaise", er nickte ihnen zu und trug etwas auf seinem Pergament ein. Ein ulkiger Anblick, da ihn der Schaft seiner Feder um einige Zentimeter überragte. Ein Blick zu ihnen hatte wohl genügt, da er sie bereits weiter winkte um die nächsten zu empfangen.
"Guten Abend, Professor", erwiderten sie noch und erreichten endlich das Innere des Schlosses. Dort verteilten sich die Schüler schnell und suchten ihre Klassenkameraden, falls sie im Innenhof nicht dazu gekommen waren. Auch Millicent lief schnell einige Schritte hinein um nach Pansy zu suchen, wurde aber von Daphne zurückgerufen. "Lass es, Millicent. Ich will etwas essen." Es war eine direkte Bitte so schnell wie möglich in die Halle zu gehen, der niemand widersprach.
Evelyn ließ ihren Blick über die vertraute Halle schweifen, die nun, da so viele Schüler sich darin befanden, ein wenig kleiner wirkte. Die Hauselfen hatten sicherlich wieder die besten Speisen vorbereitet, deren Duft bereits überall hing.
Als sie die Große Halle betraten sahen sie ihren Schulleiter, Professor Dumbledore, mit vor sich gefalteten Händen hoch oben am Lehrertisch stehen. Er sagte nicht, noch nicht, sondern schaute ihnen mit leichtem Lächeln dabei zu, wie sie und viele andere sich ihre Plätze suchten. Außer ihm, war keiner der Lehrer anwesend.
"Endlich sind wir da", sagte Blaise mit tiefem Seufzen, als er sich auf die Bank fallen ließ. "Die Reise wird auch jedes Mal länger."
"Du tust ja fast so, als seist du schon etliche Male hierher gefahren." Evelyn schaute Millicent mit einem wissenden Blick an, die die Geste erwiderte.
"Drei Mal, das reicht ja wohl."
Glücklicherweise füllte sich der Tisch ihres Hauses schnell, ebenso wie die restliche Halle. Sie entdeckten sogar Pansy, die weit nach ihnen zusammen mit Draco, Crabbe und Goyle als eine der letzten hineinströmten. Die Gruppe setzte sich jedoch am oberen Ende, weit weg von den Lehrern, zwischen ältere Schüler. Daphne ließ nur ein Schnauben hören, während Evelyn die Schultern zuckte.
"Immerhin haben wir sie gesehen."
Spätestens in ihrem gemeinsamen Zimmer würde sie ihnen nicht mehr aus dem Weg gehen können. Sie lehnte sich zu Blaise, um leise mit ihm zusprechen. "Wenn du lieber zu Draco möchtest, darfst du gerne den Platz wechseln. Du musst nicht mit uns Mädels hier sitzen."
Er zog jedoch nur seinen Mund zusammen und hob die Augenbrauen. "Ich fühl mich ganz wohl hier umringt von hübschen Mädchen."
Millicent kicherte, während Daphne nur die Augen verdrehte. In diesem Moment öffneten sich die kleinen Türen hinter dem Lehrertisch und ihre Professoren traten ein. Auch Hagrid war unter ihnen was bedeutete, dass die Erstklässler bereits mit Professor McGonagall draußen warteten. Evelyn bemerkte, dass Snape unter ihnen fehlte. Millicent hingegen hatte nur Augen für jemand anderen.
"Merlin, da ist er. Evelyn schau. Er ist wirklich hier!"
Eine aufgeregte Millicent zog an Evelyns Ärmel, glücklicherweise ihrem rechten, und verlangte ihre Aufmerksamkeit. Einigen Anwesenden in der Halle erging es ähnlich, da plötzlicher lauter Tumult aufkam. Es gab Schreie und Pfiffe der positiven Art, wobei Evelyn sich gewünscht hätte, ein weiterer Troll wäre erschienen. So weit war sie mit ihrer Vorstellung gar nicht entfernt, auch wenn der Troll dieses Mal Gilderoy Lockhart hieß.
Zum ersten Mal sah sie den jungen Mann, dessen blonde perfekt gekämmten Haare ihm leicht über die Stirn fielen. In seinen aquamarin blauen Roben strahlte er mit seinem Lächeln um die Wette, als er länger als jeder andere Professor stehen blieb um den klatschenden Schülern zu winken, so als wäre er die Königin Englands selbst.
Evelyns Augen wurden groß und sie klammerte sich mit beiden Händen am Tisch fest, was Millicent nicht bemerkte, da ihr Blick völlig auf Lockhart fixiert war. Schwer schluckend wandte sich Evelyn von Lockhart ab, der noch immer im Jubel der Schüler badete; sehr zum Missfallen einiger Lehrer.
Verdammt! Er sieht gut aus.
Den Mund zusammen gekniffen fuhr sie mit der Hand über ihre Stirn und massierte sich den Nasenrücken in der Hoffnung, das Bild des jungen Lockharts zu verdrängen. Sie hatte sich nie die Mühe gemacht eines seiner Bücher zu öffnen, an deren Ende zweifellos ein Bild von ihm abgebildet gewesen wäre. Er hatte einen ekelhaften Charakter und sie wünschte, er würde diesen Charakter äußerlich wenigstens ein bisschen zeigen. Das Gegenteil war jedoch der Fall.
Seine Ausstrahlung war einnehmend und sie konnte nun nachvollziehen, weshalb so viele weibliche Hexen dem jungen Lockhart verfielen. Jung, das war noch etwas, das sie so nicht auf dem Schirm hatte. Er sah kaum älter aus, als sie in Wahrheit war. Seine Augen hatten einen jugendlichen Schein und um seinen Mund erkannte man trotz der Entfernung zum Lehrerpult leichte Grübchen.
Jemand tippte ihr auf die Schulter. "Bitte sag, dass du jetzt nicht auch zu seinen Anbetern gehörst." Zabini schaute sie flehend an, wobei sein Blick immer wieder hoch zum winkenden Lockhart glitt. "Nicht du auch noch."
"Er sieht gut aus, das ist aber auch schon alles", versicherte sie ihm, wobei sie es vermied seinem Blick zu folgen und Lockhart erneut allzu genau anzusehen.
"Gut, mit ihm konkurrieren zu müssen hätte mir gerade noch gefehlt."
Ihr gefiel nicht, wie er seinen Satz formuliert hatte, doch bevor sie etwas erwidern konnte, war Dumbledore nach vorne getreten und hatte Lockhart sanft gebeten Platz zu nehmen, ehe er mit einem Schwenker seiner Hand einen Stuhl und den Sprechenden Hut heraufbeschwor. Kaum drei Herzschläge später, marschierte Professor McGonagall mit einer Schar verängstig wirkender Kinder im Schlepptau ein, und Evelyn konnte nicht anders als zu lächeln. Genau ein Jahr war es her, da hatte sie zu dieser Gruppe gehört, und nun schaute sie zu, wie die nächsten Erstklässler ihren Platz in Hogwarts fanden.
Ob sie selbst einen Platz in Hogwarts gefunden hatte wusste sie nicht, aber sie fühlte sich weniger fremd, als noch ein Jahr zuvor.
Sie entdeckte Ginny unter all den jungen Gesichtern, wobei es schwer war sie nicht zu sehen mit ihrer leuchtend roten Haarmähne. Evelyn registrierte kaum, wie Professor McGonagall ihnen all das erzählte, was Evelyn schon wusste; wie einer nach dem anderen den Sprechenden Hut aufsetzte. Sie klatschte, wann immer ihr Tisch zu klatschen begann, um ein neues Mitglied bei ihnen willkommen zu heißen, wobei sie darauf achtete nicht zu sehr ihren Arm zu bewegen, um Paimon nicht mehr als nötig durchzuschütteln. Daphne war besonders stolz zu sehen, wie sich eine sichtlich erleichterte Astoria wieder zu ihnen gesellte.
Die nächste Generation war in Hogwarts angekommen, und Evelyn konnte nicht anders als beinahe wehmütig daran zu denken.
Auch Dumbledores Rede ging schnell an ihr vorbei – sie bemerkte aber die leichten Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr – und endlich erschien das Essen vor ihnen.
"Mh, da kommt endlich unser Hauslehrer und lässt sich auch mal blicken", meinte Blaise mit vollem Mund, während er mit der Gabel herum wedelte, der Evelyn vorsichthalber auswich. Oben am Lehrertisch war Snape erschienen, doch statt sich hinzusetzen, ging er direkt zu Dumbledore und redete auf ihn ein.
"Was haben die denn zu besprechen?", fragte Daphne kritisch. "Da, McGonagall und Dumbledore gehen."
"Sieht nach Ärger aus."
Evelyn zuckte die Schultern. "Nicht für uns."
Die drei Professoren gingen hinaus, wobei es unmöglich war in ihren Gesichtern herauszulesen, worum es ging. Zumindest für Millicent, Daphne und Blaise. Evelyn schaute sich kurz über ihre Schulter um zum Gryffindor-Tisch, wo Ginny neben ihren großen Brüdern saß, aber Harry und Ron fehlten.
Gut, die Herren sind wohl auch angekommen.
Sie wandte sich wieder ihrem Essen zu und beteiligte sich nicht an den Diskussionen, warum Snape ausgerechnet den Schulleiter und seine Stellvertreterin hinaus gebeten hatte. Eine ihrer Lieblingstheorien war gewesen, dass er sich beschweren wollte ein weiteres Jahr nicht den Posten als Verteidigungslehrer bekommen zu haben, wobei Millicent lautstark bekräftigte, dass Lockhart eindeutig die bessere Wahl war.
"Ich kann kaum erwarten, was er uns alles beibringen wird. Vielleicht zeigt er uns, wie er den Yeti eigenhändig gezähmt hat!", schwärmte Millicent ihnen vor. Daphne konnte sich angesichts von Millicents Freude tatsächlich ein Lächeln abgewinnen, was Evelyn als gutes Zeichen betrachtete. Sie waren bereits beim Dessert und würden bald in ihre Häuser zurück kehren.
Während dem Essen waren die Vertrauensschüler herumgegangen und haben ihnen das Passwort auf einem Zettel überreicht, der sich auch sofort selbst in Staub aufgelöst hatte, nachdem sie die Notiz gelesen hatten. Reinblut. Ein eher unkreatives Passwort, was sogar Blaise mürrisch zugab.
"Wow, zum Glück will niemand in unseren Gemeinschaftsraum. Wer würde sich schon denken, dass Reinblut unser Passwort wäre?" Seine Worte waren schwer von Ironie, die Millicent und auch Daphne abermals zum Lachen brachten.
Weder Snape, noch die Schulleitung, ließen sich vor Beendigung des Essens blicken, weshalb Flitwick, auf seinem Stuhl stehend, das Mahl für alle abschloss und sie bat sich zurück zu ziehen. Glücklicherweise verlangte er nicht von ihnen die Schulhymne zu singen, oder er vergaß es schlicht. Evelyn war es einerlei, da sie nun zusammen mit dem Großteil ihres Hauses nach unten in die Kerker pilgerte. Astoria blieb zurück, um mit den restlichen Erstklässlern die Einführung von den Vertrauensschülern zu erhalten.
Sie alle hatten es eilig den Weg hinter sich zu bringen und so schnell wie möglich ins Bett zu kommen. Der Tag der Anreise war stets belastend für alle, vor allem wenn man bedachte, dass morgen schon der erste Unterricht stattfinden würde. Noch hatten sie keinen Stundenplan erhalten, den würden die Vertrauensschüler ihnen während des Frühstücks überreichen, so hofften sie.
Das Passwort funktionierte und ließ sie ohne Probleme in den Gemeinschaftsraum eintreten, der wohl kaum wenige Stunden zuvor völlig gereinigt und für sie vorbereitet worden war. Ein Feuer brannte bereits in der Feuerstelle, und frisches Obst lag überall verteilt. Nicht, dass sie noch Hunger hätten. Viele der älteren Schüler hielten sich nicht lange auf, sondern verschwanden sofort in den Schlafsälen, und auch Millicent drängte die anderen, zu gehen. Mit wenigen Worten verließen sie einen gähnenden Zabini, der wohl noch ein bisschen Zeit im Gemeinschaftsraum verbringen wollte. Es war gut möglich, dass Snape doch noch hier erscheinen und ihnen eine Ansprache halten würde, auf die Evelyn jedoch verzichten konnte, speziell da sie sich vorstellte, wie schlecht seine Laune schon am ersten Abend sein dürfte nach dem Zusammentreffen mit Harry.
Sie freute sich schon darauf endlich Ruhe zu haben, als sie hinter dem Eingang zu ihrem Schlafsaal Pansy sahen, die bereits ihren Koffer auspackte.
"Guten Abend", sagte sie steif, wobei sie sich nicht stören ließ in dem, was sie tat.
"Ach, Madam Parkinson redet mit uns. Schön nicht mehr ignoriert zu werden."
Wie erwartet reagierte Daphne eher giftig und stampfte an Pansy vorbei zu ihrem eigenen Bett. Evelyn warf Millicent einen Blick zu, die versuchte zu schlichten.
"Wie war die Fahrt? Wir haben dich nicht gesehen."
"Als ob ihr mich dabei haben wolltet. Ich hatte eine schöne Zeit mit Draco, der mich nicht ständig Vorwürfe macht, obwohl er sogar einen Grund hätte."
"Niemand macht dir Vorwürfe, Pansy", sagte Evelyn schwach und trat näher an sie heran, noch bevor sie aber etwas anderes sagen konnte, warf Daphne ihr Kommentar dazwischen.
"Und ob wir das tun! Millicents Eltern denken nun auch darüber nach ein Angebot zu schicken; und meine reden über nichts anderes mehr."
"Daphne!", sagte Evelyn energisch, wurde aber völlig ignoriert.
"Soll ich mich entschuldigen? Darauf kannst du lange warten, Greengrass."
"Wieso musste das jetzt sein, Pansy? Wieso jetzt? Hätte das nicht noch ein, zwei Jahre warten können?" Daphne schlug mit ihrer Hand gegen den Pfosten ihres Bettes und senkte den Kopf. Ihre Stimme hatte brüchig geklungen und Evelyn glaubte ein paar Tränen in ihrem Gesicht zu sehen. Sie hatte nicht laut ausgesprochen, was sie mit "das" genau gemeint hatte, allerdings war es auch nicht nötig.
"Dich will eh keiner heiraten", gab Pansy zurück, was für Evelyn der letzte Tropfen war. Kurzerhand ging sie das letzte Stück auf Pansy zu und gab ihr eine Ohrfeige. Niemand hatte Zeit zu reagieren, noch nicht einmal Evelyn, die völlig spontan und aus dem Affekt gehandelt hatte. Pansy hob sich die Backe, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen. Nachdem der erste Schock überwunden war, klatschte Daphne Evelyn zu, wobei Pansy nun ihrerseits Evelyn mit hasserfülltem Blick betrachtete.
"Was mischst du dich überhaupt ein, Harris? Du hast kein Recht dazu!"
"Was gibt dir das Recht über andere zu urteilen?", gab sie die Frage im dunklen Ton zurück. Mit ihrer Bemerkung war Pansy in Evelyns Augen definitiv zu weit gegangen. Evelyn hatte sich vorgenommen keine Seite zu wählen, denn auch Daphne tat der jungen Parkinson Unrecht, doch Pansy hatte nun eine Grenze überschritten. "Ich weiß, dass du diese Hochzeit genauso wenig willst. Komm von deinem hohen Ross herunter."
"Was ich will geht niemanden etwas an! Am wenigsten dich, Harris. Enkelin von Ollivander. Hat er denn schon darüber geredet ein Angebot zu machen? Nein, du wirst nicht verheiratet. Du darfst irgendwann wählen. Wie waren deine Ferien? Viel Spaß mit deinem Opa gehabt?" Pansy trat nun ihrerseits auf Evelyn zu und ließ ihrer Wut freien Lauf. "Muss Spaß machen in seinem Laden zu helfen. Du bist sicherlich erholt und voller Energie!" Mit den letzten Worten war sie immer lauter geworden, bis sie schon nahe am Schreien gewesen war.
"Das reicht jetzt!", versuchte Millicent es mit ähnlicher Lautstärke, erntete aber nur einen Blick von Pansy.
"Du denkst doch dasselbe, Millicent. Während du dir anhören musstest wen du heiraten sollst, hat sich unsere Evelyn hier einen schönen Sommer gemacht. Vielleicht sogar einen netten Jungen kennen gelernt." Sie drehte sich zu Daphne, die den Holzpfosten mit ihren Fingern umkrallte. "Eure Angebote wären irgendwann so oder so zum Gespräch geworden; ob dieses Jahr, nächstes oder das Jahr darauf ist irrelevant. Jetzt lasst mich in Frieden mit eurem lächerlichen Beschwerden."
Mit einem Ruck schloss sie den Deckel ihres Koffers und verschwand ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Die plötzliche Stille lastete schwer über ihnen, vor allem da sie noch ihre Worte im Ohr hatten.
Das lief sogar noch schlechter.
Evelyn rieb sich ihre Handfläche, die nun zu brennen begann. Sie konnte sich vorstellen, wie sich Pansys Wange anfühlen musste, und plötzlich tat es ihr leid sie geschlagen zu haben. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Millicent sich auf ihr Bett setzte und die Vorhänge zuzog.
Sie sah in Daphnes Augen und dem Blick, den sie Evelyn entgegenwarf, dass sie zumindest teilweise den Worten Pansys glaubte und nun auch in Evelyn einen Feind sah. Lächerlich überhaupt von Feinden zu denken, wie Evelyn fand, aber das sagte sie nicht laut. Sie sagte gar nichts mehr und überließ Daphne ihren Gedanken, bevor auch sie sich wie Millicent zurück zog.
Zu gerne hätte sie gesagt, dass Ollivander durchaus mit dem Gedanken gespielt hatte sie zu verheiraten, es vermutlich sogar noch immer tat. Allerdings würden einige der Anwesenden nicht begeistert reagieren, wenn sie verkünden würde an wen das Angebot hätte gehen sollen. Die Mädchen würden kein Problem darin sehen die zukünftige Braut Lockharts zu werden. Ein Gedanke, den Evelyn trotz seines guten Aussehens nur anwiderte. Abgesehen davon, dass sie tatsächlich niemals ihre Einwilligung zu irgendeinem Verkupplungsversuch von Ollivander geben würde. Sie konnte und würde wählen, wie Pansy es gesagt hatte.
Sie verstand ihre Sorgen und sogar ein bisschen ihre Wut auf Evelyn, die nicht dieselben Erfahrungen machte, wie sie. Dass sie ihre eigenen Pakete zu tragen hatte, davon wussten sie natürlich nichts, und Evelyn würde ihnen auch nicht davon berichten.
Keiner war im Moment gut auf den anderen zu sprechen. Wenn die Mädchen, darunter Millicent, sie die nächsten Wochen mieden, würde sie damit leben. Was anderes blieb ihr nicht übrig.
Vorsichtig zog sie ihren Umhang aus und rollte den Ärmel ihres Hemdes nach oben, bis das Schwanzende von Paimon zu sehen war. Noch bevor sie ihn überredete heraus zu kommen, griff sie unter ihr Bett und zog am Rucksack. Schnell hatte sie das Seidenhemd gefunden, das als eines der letzten Dinge im Gepäck verschwunden war und eigentlich auch nur einen Zweck zu erfüllen hatte.
Sie formte mit den Händen ein Nest und legte es vorsichtig an den Rand ihres Bettes, das sie im Schlaf hoffentlich nicht umstoßen würde. Ob sie überhaupt schlafen würde war die Frage, da die Unterhaltung sie aufgewühlt zurück gelassen hatte.
Langsam zog sie Paimon heraus und legte ihn in das Nest, wo er nun nicht mehr herauskommen würde. Es tat ihr ein bisschen leid zu sehen, wie Paimon sich dank des seidenen Untergrunds nicht vom Fleck bewegen konnte, versicherte ihm aber stumm, dass er schon bald wieder in seinem Terrarium würde schlafen dürfen.
"Willkommen zurück in Hogwarts, Kumpel. Das war doch ein richtig guter Anfang."