"Ein Mensch ist wie eine Fülle ineinander fließender Energieströme, die sich vernetzen - mit anderen Generationen, Wesen, Fragen" - er zeigte auf jemanden, den ich nicht kannte, "Sie ruhig." Er lächelte charmant. "Und ja, es ist nicht sicher, dass es wirklich Ströme sind" - hier betonte er das letzte Wort und machte eine Pause. "Möglicherweise sind es auch nur viele, viele Punkte, wenn Sie so wollen, die gleichzeitig an vielen Orten sind." Er nickte dem - oder der - Fragesteller zu und fuhr fort: "Wir bleiben trotzdem einen Moment in meinem Modell, einfach weil es leichter zu denken ist, also noch. Die Ströme fließen also ineinander, bilden Geschöpfe in Raum und Zeit ab, lassen aus den unendlichen Möglichkeiten welche sichtbar, fühlbar, spürbar, kurz erfahrbar werden. Dort, wo sie sich berühren, entstehen wir, also Menschen, oder auch Planeten, sie folgen bestimmten Eigenschaften. Dass zum Beispiel keiner von der Erde runter fällt, Äpfel nicht in die Luft fliegen und Wasser bergab fließt. Unsere Welt ist so konstruiert. Darin besteht Einigkeit. Also zurzeit." Er sah jetzt mich an: "Ja, das ist ganz schön komplex. Manchmal in dem, was wir als Lauf der Zeit bezeichnen, stellen sich Veränderungen ein. Wir nennen das Evolution. Tatsächlich tauchen diese Neuerungen aber recht spontan auf. Meine Lieblingstheorie dazu ist, dass sie dann eintreten, wenn jemand keine Lust mehr auf alte Dysfunktionen hat. Einfach mal anders, neuer, funktionaler. Macht mehr Spaß." Er grinste mich jetzt an.
Ich fühlte mich ertappt. Nicht viel ärgert mich so, wie die immer selben Schwierigkeiten, lästige Dinge wie die Unmöglichkeit mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Das beste, was die Menschheit zu bieten hat, ist eine immer schnellere Abfolge von Tätigkeiten - ein Ohr hier, das die wichtigsten Passagen heraus filtert aus dem, was die Freundin gerade sagt, eine getippte Nachricht dazwischen, lesen einer Anfrage... Oberflächlich mag das als gleichzeitig erscheinen. Tatsächlich geschieht es nacheinander. Was, wenn wir in der Lage wären, wirklich simultan und dabei voll präsent einzutauchen ins Geschehen? Also etwa im Kopf eine Matheaufgabe lösen, dabei eine Geschichte erfinden, während die Hände ein Formular ausfüllen und wir unserer besten Freundin zuhören? Da wär noch Kapazität offen, meine ich, zum Beispiel um eine Melodie zu summen. Versteh mich nicht falsch. Ich meine nicht so ein Hektikszenario, wo alles ganz gehetzt abgeht und keiner dem anderen richtig zuhört. Ich meine, was, wenn wir das alles gleichzeitig könnten und dabei ganz gelassen und präsent wären? Wie cool wär das denn!
"Mit jemand meine ich natürlich nicht irgendein Mensch-Ego, sondern ein höheres Bewusstsein. Eins, dass einfach ins bis dahin gewohnte Szenario auf der Erde tritt. Fragen Sie nur bitte nicht mich, wie das geschieht. Hier hat die Erklärung ein Ende. Irgendwo im Schöpfungsprozess ist eine Lücke - et voila, Kaninchen aus dem kosmischen Zauberhut, lacht es uns angoraweiß an."
Vor meinem inneren Auge hatte ich ein Bild von einem Plüschtier mit roten Augen, das von einer Hand aus dem Himmel gepackt und auf die Erde gesetzt wird. Ich musste laut loslachen. Einige andere fielen kichernd ein bis der ganze Hörsaal laut grölte, gluckste, dröhnte. Selbst unser Lehrer fiel in die ausgelassene Lachsalve ein.
"Wir sind also eine einzige unberechenbare und daher interessante Energiesuppe, in der aus unendlichen Möglichkeiten einige hervortreten, dadurch andere wieder wahrscheinlicher machen und heraus kristallisieren - oder sich auch ändern und andere hervorbringen. Dabei nimmt das Ganze alle möglichen - und wahrscheinlich unmöglichen - Perspektiven gleichzeitig ein... "
Oh, Gott, dachte ich, bin ich blasphemisch oder prophetisch? Wollte ich mich etwa ikarusgleich zu hoch aufschwingen - oder hatte ich eine Vision, in welche Richtung sich die Evolution bewegen könnte?
"Das ist nicht immer leicht zu sagen", meinte er und schaute mich freundlich an.