Stille senkte sich spürbar über den Raum und ließ die vielen knisternden Stimmen verebben. Alle Augen richteten sich auf das Podest, das gerade hoch genug war, um auch den hinteren Reihen gute Sicht zu gewähren. Eine Frau betrat die Bühne natürlich anmutig, ihr ovales Gesicht umrahmt von langen dunklen Haaren, die sie sich aus dem Gesicht strich, während sie ihren Blick über das Publikum streifen ließ. Es war, als tausche sie sich mit jedem kurz aus, bevor sie zu sprechen begann. Der Klang ihrer Stimme hüllte den Raum in warme Töne, die körperlich zu berühren schienen. Wie Schwingungen, die die Körper durchdringen und energetisiert zurück lassen.
"Wir sind heute zusammen gekommen, um uns mit der heilenden Wirkung des Klangs zu verbinden. Musik spielt in der Menschheitsgeschichte eine große Rolle, als Ausdrucksmittel für Stimmungen, als Informationskanal wie bei den Minnesängern, oder als kollektive Bewegung wie bei Trommeln zu schamanischen Anlässen oder auch Ermutigung, wenn Kämpfe bevorstehen. Klang kann heilen, wenn die richtige Schwingung getroffen wird. Hören von Musik, menschliche Stimmen kann emotional heilen, manchmal sogar körperlich. Doch die größte Heilungswirkung entfaltet der Gebrauch der eigenne Stimme." Cora gab eine Zusammenfassung verschiedener Möglichkeiten, angefangen vom wieder in Schwingung versetzen der Stimmbänder, das Erschließen der Körperregionen als Resonanzräume, die immer feiner angesteuert werden können, bis zu Einstimmung auf konkrete körperliche Schwierigkeiten, die mit Hilfe von Klang genesen können. "In diesen Fällen geht es darum, alte Verkrustungen der Vergangenheit wieder zu lösen und in Bewegung zu bringen. Die Stimme kann aber noch mehr: Sie kann mit höheren Frequenzen Kontakt aufnehmen, neue Räume öffnen und so in die Zukunft weisen." Während sie kurz erläuterte, wie das gehen kann, veränderte sich ihre Tonlage. Als würde ein heller Kegel nach oben zur Decke des Raumes geöffnet, durch den helles Licht strömte.
"Wir wollen jetzt herausfinden, wie unsere Zukunft aussehen kann, wenn wir uns auf unsere tiefsten Herzenswünsche einlassen", kündigte sie an, "dazu stimme ich ein paar Töne an und wer mag, kann dann ebenfalls aus vollem Herzen, aber summend, hinzukommen. Lauscht dabei auch auf die anderen. Wir wollen uns nicht gegenseitig übertönen, sondern miteinander klingen und schwingen." Dann schloss sie die Augen. Aus weiter ferne schien ein goldener Ton zu kommen, der langsam lauter wurde, sich ausbreitete, ein etwas helleres "o" folgte, und noch eines, wie ein gurgelnder Gebirgsbach, der vom Gletscher kommt und durch die Sonne erwärmt ins Tal fließt.
Einer nach dem anderen summte leise mit, bis ein Schwarm an Stimmen durch den Raum tanzte, aufeinander echote, sich umeinander wand, lauter wurde, zur Decke strömte wie ein Wirbel, wieder abfiel. Manchmal schwangen sich ganze Klangwolken durch den Raum, schwebten im Kreis und verebbten wieder. Ein Spiel der Seelen, die sich freuten, einen Teppich zu weben. Ohne Zeichen, sondern ganz von selbst in Stille mündete. Eine warme, angenehme Stille voller Freude.
Cora öffnete ihre Augen wieder und strahlte einen nach dem anderen an. Dann verließ sie die Bühne. Nun folgte aufgeregtes Stimmengewirr, als sich alle mit ihren Nachbarn über ihre Erfahrungen austauschten.