Etwa 30 junge Frauen und Männer hatten sich im Hof eingefunden und warteten auf ihren Dozenten. Tierheilkunde stand auf dem Programm. "Warum sollen wir uns eigentlich hier draußen einfinden?", fragte Tara die Umstehenden.
"Vielleicht, weil es den Tieren nicht so viel Spaß macht, in den Hörsaal zu gehen", sagte jemand hinter ihr, dessen Stimme ihr bekannt vorkam. Clé.
"Du hier?" Sie staunte.
Zu ihrer Verwunderung schaffte er sich Gehör und gab den Neuen eine Einführung in den Ablauf der nächsten zwei Stunden: Es war eine allgemeine Sprechstunde für die Tierbesitzer der Umgebung, der sie als Zeugen beiwohnen würden. Zwischen den Behandlungen durften sie Fragen stellen, doch während Kunden vorsprachen, hatten sie absolutes Redeverbot.
Zwei Pferdewagen waren bereits auf den Hof gerollt und eine Frau kam mit ihrer Tochter, die eine Katze auf dem Arm trug.
"He, wie heißt du", fragte Clé das Mädchen, Lotta, und ließ sich die Katze geben. "Na, was fehlt dir denn?" Er schaute die Katze einen Moment an und nahm sie dann auf seine Arme, wo er sie eine Weile hielt.
"Dass sie sich das gefallen lässt!" Lottas Mutter war verblüfft. "Sie lässt sich nie von Fremden anfassen."
Clé antwortete nicht. Er war mit der Katze beschäftigt.
Tara beobachtete die beiden fasziniert. Dass sich jemand unter Beobachtung so mühelos bewegen konnte. Offenbar hatte Clé nicht die geringste Sorge, dass seine Behandlung schief gehen könnte. Es sah aus, als wäre er voll damit beschäftigt, mit dem Tier zu schmusen.
Er lächelte Lotta und ihre Mutter an, als er die Katze zurück gab. "Lassen Sie sie einfach die nächsten ein oder zwei Tage noch drinnen. Obwohl ich glaube, dass sie nicht mehr humpeln wird. Sie muss sich ja nicht gleich wieder in Kampfgetümmel mit den anderen stürzen. Vor allem nicht mit dem schwarzen Kater, von dem sie offenbar eine gewischt bekommen hat."
"Sie wissen von Peet?! Die beiden sind sich schon nicht grün, seit er neu in die Straße gekommen ist ..."
Er ließ den Ausruf unbeantwortet. Zu Tara gewandt meinte er: "Es geht nur ganz entspannt oder gar nicht. Aber das wirst du bald auch merken." Seinen Ausführungen für die Gruppe zufolge machte er dasselbe, was Bernstein ihnen beim Empfangsvortrag berichtet hatte: Einen einfachen Shift im Bewusstsein.
"Cool", meinte jemand.
"Lasst uns zu den Pferden gehen."
Tatsächlich wanderte die Gruppe nur einen Teil des Weges bis zum Parkplatz. Das erste Pferd, ein brauner Wallach mit einer breiten weißen Blesse, die unregelmäßig über seiner linken Nüster endete, wurde bereits gebracht. Es humpelte leicht und schien sein rechtes Hinterbein nicht belasten zu wollen. Der Rücken wirkte schweißnass, der Sattelabdruck war noch zu sehen.
Clé schüttelte den Kopf. "Das ist kein Springpferd. Versuchen Sie gar nicht erst, ihn dazu zu machen."
Der Mann, der das Tier führte, bekam einen roten Kopf und wollte etwas erwidern.
Doch sein Gegenüber strahlte jetzt etwas sehr Bestimmtes aus, das keinen Widerspruch duldete. Er nahm das Führseil und bedeutete dem Pferd stehen zu bleiben. Es zitterte, tat aber, worum es gebete wurde. "Schauen Sie, wie kommt es, dass ein Pferd, das an Menschen gewöhnt ist, solche Angst vor Menschen hat?" Er schaute den Besitzer direkt an, ohne Vorwurf. "Sehen Sie, wenn Sie nicht lernen, auf den Charakter Ihrer Tiere einzugehen, werde ich in absehbarer Zeit nichts mehr tun können. Solche Widersprüche vertragen sich nicht." Offenbar kannte Clé den Mann.
Was er gemeint hatte, erklärte er seinen Schülern später: Manches kann aus Gnade heilen. Aber wenn dieser - an sich schon erstaunliche - Umstand zur Ausrede für immer fortwährendes gleiches Verhalten genutzt wird, ohne die offensichtlich notwendigen Änderungen zu etablieren, dann schwindet das Heilungspotential. "Wir können nicht erwarten, dass sich die Welt ändert, wenn wir es nicht tun."
Dem Pferd widmete er sich mit derselben Intensität, die er bereits mit der Katze geteilt hatte. Der Wallach schnaubte leicht und wuschelte ihm mit der Nase durchs Haar.
Sie machten den Eindruck, als kennten sie sich schon ewig, fand Tara.
Als der Fremde mit seinem Pferd wegging, humpelte es nicht mehr. Clé schaute den beiden nach, die Hände in die Seiten gestemmt. "Bei manchen Menschen wünschte ich, ich könnte sie zur Vernunft schütteln, oder ihnen gleich die Tiere wegnehmen." Dabei hatte er mehr zu sich gemurmelt, als zu der Gruppe gesprochen. Als er sich zu ihnen umdrehte, hatte er wieder einen verschmitzten Jungenausdruck im Gesicht. "Wisst ihr, es ist ein großes Geschenk, dass wir diese Wunder erleben dürfen. Und ja, manche von euch haben es richtig beobachtet: Das was ich mache, ist im Grunde ein Gewahrseinsshift. Tiere sind sehr empfänglich dafür. Sie spüren diese zeitlose Dimension."
Er beantwortete noch ein paar Fragen, bevor er sich mit dem zweiten Pferd befasste. Eine nervöse, kleine Stute. Unter Clés Blick wurde sie sehr ruhig. Die beiden schmusten eine Weile. Der Besitzerin riet er, bei Gelegenheit einen der Kurse zu besuchen. "Sehen Sie, ich kann Ihr Pferd jetzt beruhigen. Aber eigentlich ist das Ihr Job. Deshalb müssen Sie sich verändern."
Die Frau wurde sichtlich verlegen, nahm die Zügel wieder an sich. Sogleich scheute die Stute.
Nun legte Clé ihr eine Hand auf die Schulter. Die Frau entspannte sich sichtlich - und das Pferd mit ihr. "Sehen Sie?"
Sie nickte. Ihr Gesicht wurde rot vor Scham.
Alle drei - Frau, Pferd und Clé - schienen in einer Bubble aus Zeitlosigkeit, wie in einer riesigen Seifenblase, zu verharren. Die Szene hatte etwas Mystisches.
Am liebsten hätte Tara noch länger so gestanden. Sie war ein bisschen enttäuscht, als sie die Frau reden hörte:
Sie versprach, wieder zu kommen. "Ich weiß ja, Sie haben recht." Wie sich herausstellte, mochte ihr Mann "diesen Hokuspokus" wie er es nannte nicht. Es war ihr schon schwer gefallen, überhaupt herzukommen und um Hilfe zu bitten.
"Verstehe." Clé schwieg.
Die Frau schaute auf ihre Stiefelspitzen. "Ich - ich werd - eine - Möglichkeit - " Sie sprach immer leiser und mit langen Pausen. Irgendwann blickte sie auf: "Ja, das werde ich", sagte sie mit fester Stimme.