London, 1959
Die dumpfen Schritte eines in einen schwarzen Umhang gehüllten Mannes hallen geräuschvoll auf dem dunklen Stein der kleinen Gassen wieder. Sein Weg wird von nichts erleuchtet als den flackernden Laternen an den Hauptstraßen und den Sternen, die in dieser kalten Nacht über ihm noch heller leuchten als sonst, während die Glocken von Big Ben ihren Klang über das schlafende London schicken. Der seichte Wind, der um diese Zeit durch die Straßen weht, zerzaust das dunkelbraune Haar des Verhüllten und lässt ihn sich die Kapuze tiefer ins Gesicht ziehen. Der Ausdruck auf seinem gebräunten Gesicht ist von Nervosität geprägt und er wirkt gehetzt. Die Augenbrauen hat er zusammengezogen, als würde er nachdenken, während er sein Tempo immer weiter erhöht, bis es beinahe so wirkt, als würde er vor etwas fliehen. Auf den Straßen riecht es nach dem Regen der letzten Nacht, der sich überall in den Gassen und auf den Straßen angesammelt hat.
Plötzlich ragt eine riesige Steinmauer vor dem Londoner auf und versperrt ihm seinen Weg, doch das scheint den Mann nicht davon abhalten zu können weiter zu gehen. Vorsichtig streckt er seine schwieligen, mit Narben übersäten, Hände aus und drückt sie gegen die harte Barriere vor ihm. Erst drückt er sanft dagegen, nimmt die Hände dann jedoch wieder weg und hält sie rechts und links neben seinem Körper fest angespannt. Für wenige Sekunden verharrt er beinahe leblos in dieser Position, doch dann beginnt er leise Worte in einer fremden Sprache vor sich hin zu flüstern: "Gaamts'vane nateli." Sobald bereits die erste Silbe über seine vollen Lippen gekommen ist, leuchtet plötzlich ein blauer Kreis in der Mitte der Wand auf. Den Kopf richtet er gen Himmel und seine blauen Augen beginnen zu leuchten wie der Ozean, der in helles Mondlicht getaucht ist, während er den Satz wie ein Mantra immer wieder vor sich hin flüstert, bis es fast so wirkt, als würde er nie wieder damit aufhören, doch dann verstummt er wieder und erneut herrscht eine schneidende, kalte Stille um ihn herum. Er verbirgt seine Hände wieder in den Taschen des Mantels und dreht sich unsicher noch einmal um, um sicher zu sein, dass keiner ihm gefolgt ist, denn schon seit er sein Zuhause verlassen hat, um sich auf den Weg zu machen, beschleicht ihn das ungute Gefühl verfolgt zu werden. Dann dreht er sich jedoch wieder nach vorne und läuft einfach weiter, denn die Wand vor ihm ist verschwunden, ohne nur irgendeine Spur ihrer eigentlichen Existenz zurückzulassen.
Nun eröffnet sich dem Mann der Blick auf zwei junge Frauen, die gemeinsam gegenüber von ihm stehen. Als der sie erblickt, schleicht sich ein erleichtertes und gleichzeitig liebevolles Lächeln auf seine Lippen und er beginnt nun schneller auf die Beiden zuzugehen.
Die Blonde löst sich von ihrer Freundin mit dem dunkelblonden Haar und will auf den Mann zu gehen, doch bevor sie sich auch nur einen Zentimeter bewegt hat, stößt der Hexer vor ihr einen schmerzerfüllten Schrei aus und die Spitze eines Messers, die seine Brust halb durchbohrt hat, schimmert gleißend hell im nächtlichen Licht des Mondes, während die Hände des Opfers zu seinem durchlöcherten Herz wandern. Sie schlägt sich geschockt die Hände vor den Mund, um einen lauten Schrei des Schrecks zu unterdrücken und läuft auf den Mann zu, der langsam auf dem Boden in sich zusammen sackt, doch ihre Freundin packt sie am Arm und zieht sie weg von dem Erdolchten.
Hinter einer dunklen Ecke bleiben sie stehen und die blonde Frau lässt sich, mit sich schnell hebender und senkender Brust und wild schlagendem Herzen, an der Wand hinunter auf den dreckigen Boden gleiten. Tränen bilden sich in ihren Augenhöhlen und sie ist kurz davor loszuweinen, doch ihre Freundin bedeutet ihr sich zurückzuhalten: "Dafür ist gerade genau der falsche Moment. Wir müssen los, bevor man uns entdeckt, Miss Blakemore." Doch sie schüttelt den Kopf und versucht sich am Boden fest zu klammern: "Nein, das geht nicht. Ich kann nicht ohne ihn gehen, Molly." Molly versucht die vollkommen verzweifelte Frau vor mir zu beruhigen: "Er ist tot, Miss, und nun ist es meine Aufgabe ihr Leben zu schützen. Also kommen sie jetzt mir mit, sonst werden sie bald das Schicksal ihres Geliebten teilen müssen." "Das ist nicht wahr. Ich kann ihn noch retten", fleht sie: "Du weißt, dass ich stark bin." "Ja, das weiß ich, aber all Ihre Stärke wird ihnen bald nichts mehr bringen, wenn die Mörder Ihres Geliebten uns hier entdecken, also los jetzt." "Es sind nicht irgendwelche Mörder", klärt Miss Blakemore auf: "Es sind Harvey und Adam Hollingsworth." "Was? Aber ...", setzt Molly an, versucht sich dann aber wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren: "Das ist doch nur noch ein Grund mehr dafür, dass wir hier sofort verschwinden müssen. Seien Sie doch vernünftig, Miss Blakemore." "Ich kann ihn hier aber nicht zurücklassen. Bitte lass mich ihn holen", fleht sie: "Ich liebe ihn." Molly rauft sich überfordert die Haare:"Na gut, ich verspreche ihnen, dass ich losgehen und ihn holen werde, nachdem ich sie in Sicherheit gebracht habe. Die Hauptsache ist jetzt, dass Sie am Leben bleiben. Die Welt braucht Sie, Miss Blakemore!" "Versprochen?", versucht die Blonde sich noch einmal zu vergewissern. "Versprochen!", bestätigt Molly mit demselben magischen Leuchten in Ihren braunen Augen, dass schon bei dem Hexer vor ihr zu sehen war, bevor die beiden Freundinnen gemeinsam in die Anonymität der Dunkelheit verschwinden.