Evie
Als die Stimme meiner Mutter ertönt, stehe ich bereits im Hausflur und bin gerade auf dem Sprung: "Evie? Bist du schon weg?" Ein wenig enttäuscht von der Störung durch meine Mutter, bleibe ich stehen: "Nein, aber ich wollte gerade los, Mom." "Kannst du noch kurz warten? Ich muss mit dir reden", ich höre, wie sie die Treppe hinuntersteigt.
Wenige Sekunden später taucht der blonde Haarschopf meiner Mutter im Gang auf. Der Blick auf ihrem Gesicht ist eine Mischung aus Enttäuschung und einem leichten Anflug von Wut.
Scheinbar hat Ana sie wegen der Vollmondthematik angequatscht. "Was ist?", ich klinge ein wenig genervt:"Ich muss jetzt los. Heute Nacht ist Vollmond. Du weißt, wie wichtig das ist." "Ich weiß auch, dass du mit Ana über den Mond geredet hast", sie stützt die Hände als Ausdruck ihrer Empörung in die Hüften und blickt mich vorwurfsvoll an: "Ich dachte, wir wollten mit ihr nicht darüber reden und erst recht nicht diskutieren."
Verzweifelt überlege ich, wie ich aus dieser Situation am besten wieder raus kommen kann: "Das ist mir bewusst. Deshalb habe ich ja auch gesagt, dass es nicht geht. Soll ich ihr etwas sagen, dass sie nicht mit kann, weil wir Angst haben, dass sie stirbt? Dann würde sie ihre Kräfte nie wieder freiwillig nutzen." Die letzten beiden Sätze flüstere ich, um nicht das Risiko einzugehen, dass Ana uns vielleicht hört. "Du solltest aber eigentlich gar kein Wort darüber verlieren", schimpft Mom weiter. Um endlich hier wegzukommen, vertröste ich sie: "Können wir das bitte später diskutieren? Ich muss endlich los, Mom. Das ist super wichtig. Ich hab Reese extra dafür vertrösten müssen."
"Schon wieder?", meine Mutter wirkt enttäuscht: "So verlierst du sie nur." "Das weiß ich", erwidere ich nun ziemlich gereizt. Warum habe ich meiner Mom nur erzählt, wie es momentan zwischen Reese und mir aussieht? Denn dass sie mir immer wieder sagt, wie falsch es ist meine beste Freundin zu vertrösten, kann ich gerade echt nicht gebrauchen. "Ich verspreche, dass ich mich um Reese kümmere und mit Ana trainiere. Aber erst morgen, ok? Jetzt muss ich gehen, sonst schaffe ich die Dinge, die ich heute noch vorhabe, nicht mehr", mache ich ihr klar. Ein Seufzen entflieht ihrer Kehle: "Na gut, aber du musst es versprechen." Auch ich seufze: "Versprochen? Ist noch irgendwas oder bin ich frei?"
"Nein, du bist frei zu gehen", ihr sanftes Lächeln sagt mir in diesem Moment, dass ich sie an sich selbst in meinem Alter erinnere: "Versuch aber bitte in nichts rein zu geraten." Noch ein letztes Mal überprüfe ich, ob ich alles habe, was ich brauche: "Bin ich je in was reingeraten?" "Ja, zum Beispiel letzte Woche", erinnert sie mich.
Ertappt beiße ich mir auf die Lippe und setze meinen Rucksack wieder auf: "Ok, ich werde heute Nacht versuchen eine brave Hexe zu sein und keinem irgendwas anzutun. Ich verspreche, dass ich keinen Streit und keinen Kampf anfangen werde." Dass ich aber nicht zurückschrecken werde mich zu verteidigen, wenn mich irgendwer angreift, doch das erwähne ich lieber nicht.
"Und trainier doch bitte ein wenig mit Annabelle, während ich weg bin. Vielleicht heitert sie das ja ein wenig auf", schlafe ich vor, während meine Hand zur Türklinke wandert, um die Tür zu öffnen. "Dir ist aber schon klar, dass sie lieber mit dir übt, als mit mir, richtig?", wirft sie ein. Aus der Tür tretend, antworte ich knapp: "Aber du bist ihre Mutter. Du schaffst das sicher irgendwie."
Mit diesen Worten schlage ich die Tür hinter mir zu und laufe durch den Vorgarten. Während ich über den schmalen Kiesweg, der auf beiden Seiten von Büschen wie ein Schutzwall umgeben liegt, laufe, packt mich die Erinnerung an den Tag, an dem die Kräfte meiner kleinen Schwester erwachten.
Wir waren die Einzigen im Haus und beinahe hat sie eine Panikattacke bekommen, doch ich war glücklicherweise da, um sie zu beruhigen und ihr alles in Ruhe zu erklären. Seitdem bin ich immer für sie da, wenn es um ihre Hexenkräfte geht. Trotzdem kann ich, wenn es um den Mond geht, auf keinen Fall nachgeben. Das Risiko, das sie sterben könnte, wenn sie nicht stark genug ist, will ich einfach nicht eingehen. Selbst, wenn sie mich dafür hasst!