Anders ...
Schon immer war ich anders, als die anderen.
Anders als jene, die zu meiner Familie gehörten und deren Gier und Wahn nach reinem Blut, ganze Generationen verachteten, die ihrer Gesinnung nicht entsprachen.
Ich wollte nicht so sein, wie sie.
Ich konnte nicht so sein, wie Vater, Mutter, Bella oder Zissa.
Mein kleines Leben sollte nicht durch ein Schicksal bestimmt sein, das meine Familie für mich erdacht hatte.
Ich wollte Widerstand, Gegenwehr sein!
“Andromeda”, hallte es durch die Gänge und Flure des pompösen Gebäudes, das ich einst mein Zuhause nannte.
In meinen Erinnerungen graute es mir beinahe jedes Mal, wenn Mutter durch ihre keifige Stimme ihre Autorität zum Ausdruck brachte und die Gemäuer stets aufs Neue zu erschüttern wusste.
Im Gegensatz zu meiner älteren Schwester Bellatrix, die wie ein Wachhund an Mutters Seite stand, oder Narzissa, die schon immer als Vaters Liebling hinter ihm her scharwenzelte, hatte sich mein Part auf den der “anderen” beschränkt.
Bei Anlässen, die nicht selten vorkamen, wurden wir stets so vorgestellt:
Vater, mit erhobenem Haupt, wies auf die schwarzhaarige, meist etwas wirr dreinblickende Bellatrix und beschrieb sie als Älteste.
Mich ließ man aus, denn nach meiner um zwei Jahre älteren Schwester folgte sogleich das Nesthäkchen.
Stolz und erhaben erklärte Cygnus Black mit Wohlwollen in der Stimme, dass es sich bei der blonden, elfenhaften Gestalt um sein jüngstes Kind handelte. Doch Narzissa war alles andere als liebreizend oder gar elfenhaft. Nichts von all dem haftete ihr an, stattdessen waren ihre Launen und ihre Arroganz unerträglich.
“Und sie?”, hörte ich ein ums andere Mal fragen und wappnete mich gegen Mutters abschätzigen Blick, der sagte, dass ich aus der Art geschlagen war.
“Das ist Andromeda, die Mittlere.”
Damit beließ man es bei meiner Person. Als Zögling, dem der Sinn nicht nach all jenem stand, wofür sich die Generationen der Blacks einsetzten, hatte man nichts zu sagen. Man wurde geduldet, doch beachtet wurde man nicht.
Auch, als ich zur Schule kam, errang ich nur ein mildes Zucken der Mundwinkel, als mich der sprechende Hut, wie alle Sprösslinge der Blacks, nach Slytherin schickte.
Es war nichts besonders dabei, schließlich war esTradition und niemand wagte es, diese zu brechen!
Kurz, bevor ich mein letztes Jahr auf Hogwarts beginnen sollte, verheiratete man Bellatrix mit Rodolphus Lestrange und selbst für Narzissa wurde bereits in ihrem zweiten Jahr an der Schule für Hexerei und Zauberei, ein Arrangement mit dem jungen, reinblütigen Lucius Abraxas Malfoy getroffen.
Auch für mich hatte man schon längst jemanden vorgesehen, denn folglich war ich die Nächste, die ein Eheversprechen abgeben und sich fügen sollte, sobald ich meinen Abschluss im folgenden Jahr machte.
Damit der Name Black in dem Zweig, den wir darstellten, auch weiterhin bestand, wählte man für mich den zweiten Sohn der Black-Burke-Verbindung: Castor Jodocus Burke, mit der Einwilligung, dass der junge Mann unseren Namen annahm.
Der kaum drei Jahre ältere Castor war von hagerer Gestalt. Mit dem länglichen Gesicht und den etwas zu weit auseinander liegenden, wässrigen Augen, wirkte er eher blass und kränklich, als gesund und kräftig.
Mir schauderte bei dem Gedanken daran, seine Berührungen über mich ergehen lassen zu müssen.
“Andromeda!”, erneut drang Mutters Stimme durch die geschlossene Tür der Bibliothek. Murrend klappte ich Vladimir Petersburgh´s “[i]Dunkle Mächte[/i]" zu, stellte den Wälzer sorgsam zurück an seinen Platz in dem hohen Regal und verließ das Zimmer.
Langsam trat ich einen Schritt vor den anderen, während meine Finger zitternd über das dunkle Holz des Geländers glitten. Schwer schluckte ich an dem Kloß in meinem Hals denn ich wusste, was mich erwartete.
“Gewiss”, vernahm ich die schwülstigen Laute, die mir einen Schauer über den Rücken jagten.
Ich hasste ihn!
Mir graute vor ihm!
Ich wollte ihn nicht!
“Oh, Andromeda, da bist du”, mit einer erhobenen Augenbraue bedachte mich Mutter mit erhabenem Blick. “Mein lieber Castor, eure Ehe wird wahrlich erfüllend sein. Nicht zuletzt, da du dich entschieden hast, den Namen Black fortzuführen.”
Erneut schluckte ich und das Zittern aus meiner Hand ging durch meinen Körper. Mir war kalt, ich fror fürchterlich. Mein braunes Haar hatte ich im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden und auch das lange, wollene Kleid, das ich trug, mit dem hohen Kragen, vermochte nicht mir Wärme zu spenden.
Mit den blonden, schlaff herunterhängenden Locken, dem großen, pechschwarzen Mantel und dem ebenso dunklen Hut, glich Castor Burke eher einem Totengräber, als einem wohlhabenden, jungen und jugendlich-frischen Mann. Seine langen, weißen, beinahe durchsichtig wirkenden Finger umschlangen den Knauf eines Gehstocks, der mich um vieles mehr faszinierte, als es sein Träger tat.
Kurz zuckten die bleichen Lippen und schienen sich auf abstruse Weise zu einem Lächeln aufschwingen zu wollen, doch sein Versuch misslang und scheiterte kläglich.
Mutter jedoch sah auf beängstigende Weise zufrieden aus. Etwas lag in ihrem Gesicht, dass mich abermals frösteln ließ. War es ein Lachen?
Mutter lächelte nie und Vater und meine Schwestern taten es ihr gleich. Und wenn ihnen einmal dieser Fauxpas unterlief, wurde dieser gekonnt und bewusst mit Gehässigkeit überspielt.
“Castor beehrt uns mit seinem Besuch, um die Einzelheiten eurer Vermählung mit deinem Vater zu besprechen.”, entkam es Mutter und ihr Gesicht gefror erneut zu einer eiskalten Miene. Mein Verlobter jedoch nickte nur flüchtig und ließ sich von Mutter in das angrenzende Arbeitszimmer meines Vaters geleiten.
Ich will nicht!, der Gedanke war allgegenwärtig.
Ich wollte keine arrangierte Ehe und ich wollte keinen Mann, der einem toten Fisch ähnelte und seelenlos vor sich hin starrte! Ich wollte keinen Gatten, dessen kalte, bleiche Finger mein Herz zum Stillstand brachten oder dessen Stimme weder geschmeidig noch anschmiegsam war!
Galashiels, das kleine Städtchen, in dem wir lebten, liegt zwischen Edinburgh von dem Örtchen Hawick. Die nächst größeren Städte, gen Süden, sind Carlisle und Newcastle.
Unser Anwesen, verborgen vor den neugierigen Blicken der Muggel, befindet sich auf einem kleinen Hügel, dessen gewundener, kleiner Weg ebenso unscheinbar daherkam, wie das winzige Bächlein, welches hinter unserem Hause dahin floss.
Mich zog es jedoch über die üppige Landschaft in Richtung Kelso. Meiner Leidenschaft, dem Wandern, frönte ich meist, um allein mit mir und meinen Gedanken zu sein. Gesellschaft behagte mir auf meinen Touren durch die Wildnis nicht. Lieber zog ich allein durch Gestrüpp, Wald und Wiesen, überquerte steinerne Mauern und trostlose Wege.
Ich ließ Mutter und meinen Verlobten allein, ehe ich nach meinem warmen Reiseumhang griff und das Anwesen in Richtung Osten verließ.
Die Schutzzauber, die unser Haus umgaben, nahmen ihre Arbeit wieder auf, als ich aus dem Bannkreis trat. Das hohe Bauwerk verschwand hinter mir und ließ nur verlassenes, nasses früh-herbstlich gefärbtes Grün erahnen.
Wieder schlenderte ich über Hügel und Weiden.
Der Weg war mir, nach meinen vielen, einsamen Stunden, so vertraut, dass ich unser Haus mühelos wiederfinden konnte, egal, zu welcher Tageszeit.
Tief sog ich die kühle, spätsommerliche Luft in meine Lungen und erlag dem Versuch, alles Geschehene völlig auszublenden.
Im Gegensatz zu meiner Familie, die jeglichen Kontakt zu Muggeln unterband, scheute ich mich nicht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Oft genug hatte ich unterhaltsame Stunden in dem kleinen Pub in Kelso verbracht, der der örtlichen Kirche gegenüber lag. Wieder würde ich dort einkehren, um Zerstreuung zu suchen. Zwar spendeten mir meine Rundgänge genügend Zeit, um Klarheit zu finden, doch sobald ich das feierliche Gelächter der Arbeiter vernahm und das hell erleuchtete Häuschen erblickte, zog sich mein Magen in freudiger Erregung zusammen.
Niemand wunderte sich mehr über das junge Mädchen, dass in einer Art altem Gewand die hölzerne Tür aufdrückte und den Pub betrat.
Das Lächeln der Wirtin hieß mich willkommen, als mich die Frau mittleren Alters erspähte. Meist traf man sie Gläser spülend oder Tische abwischend vor, doch dieses Mal stützte sie die Hände auf das dunkle Holz des Tresens auf und nickte aufmunternd. Hastig, aber dennoch geschmeidig, ließ ich mich auf einen der Hocker sinken.
“Und, Mädchen, was darf es sein?”, freundliche Lachfältchen legten sich um ihren Mund.
Butterbier, Feuerwhiskey oder Tautropfen-Honig-Likör trank man unter Muggeln nicht. Sie wussten nicht mal, dass es so etwas gab.
“Ein Ginger-Ale”, murmelte ich und beobachtete die Frau dabei, wie sie mir den Rücken kehrte und in dem alten Schrank hinter der Theke nach der benötigten Flasche griff.
“Theodore”, bemerkte die Wirtin, “bitte sei so gut und bring noch ein Fass herauf.”
Eine Erwiderung vernahm ich nicht, stattdessen erklang widerstrebend ein Laut des Protestes.
Murrend kam eine Gestalt die Stufen aus dem Keller hinauf gestapft, ehe der besagte Mann das erbetene Fass nach vorn in den Schankbereich trug.
Ich stützte meine Ellenbogen auf den Tresen auf, bettete mein Kinn auf meine zusammengefalteten Hände und beäugte das Spektakel mit regem Interesse.
“Da bist du ja wieder, holde Maid”, sagte er und schenkte mir, wie nur allzu oft, dieses warme und gleichzeitig elektrisierende Grinsen.
Missmutig zog ich eine Grimasse, da mir die Betitelung nur minder zusagte.
“Seit wann bist du wieder da?”, fragte ich geradeheraus.
“Seit letzter Woche”, erwiderte er. “Semesterferien.”
“Im August?”, lachte ich, doch mein Gegenüber zuckte nur mit den Schultern.
“Sei nicht so unhöflich!”, herrschte ihn die Wirtin an, “Benimm dich in der Gegenwart einer jungen Dame!”
“Tut mir leid, Mum.”, doch statt eine resignierte Haltung einzunehmen, verdrehte der junge Mann nur theatralisch die funkelnden, einem Sternenhimmel nicht unähnlichen, tiefblauen Augen.
Ich mochte die Farbe seiner Augen und wollte mich ein ums andere Mal, darin verlieren. Doch unsere erste Begegnung, vor zwei Jahren, hatte nichts mit dem Schalk gemein, dessen wir uns bei den darauffolgenden Treffen bedienten.
Geregnet hatte es, als ich meine Reise unterbrechen und in den mir nun mehr als vertrauten Pub einkehren musste. Gern wäre ich den Weg bis zur Küste gegangen, doch Sturm und Regen hatten meinem Vorhaben ein jähes Ende zu setzen gewusst.
Nass und verfroren betrat ich das heimelig wirkende Haus. Die Weihnachtsferien hatten es mir erlaubt, daheim, bei meiner Familie, zu sein, obwohl ich nur mit Widerwillen an den Feierlichkeiten teilnahm.
Mit vor Kälte zitternden Beinen hatte ich mich auf den Schankbereich zu bewegt und mich auf einen der Barhocker sinken lassen. Wasser tropfte von den Strähnen, die sich aus meiner aufwändig frisierten Haarpracht gelöst hatten.
“Liebes Kind, bist du denn schon alt genug, um dich hier niederzulassen?”, ich hob den Blick. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, allein bei Muggeln zu sein, obwohl ich ihnen stets freundlich gesinnt war. Die Frau, die mit mir sprach, blickte freundlich, wenngleich etwas misstrauisch.
“Ich werde fünfzehn”, erklärte ich, “Im Mai.”
“So?”, die Dame bedachte mich mit einer erhobenen Augenbraue. “Dann wäre ein Ginger-Ale wohl genau das Richtige. Ist zwar nicht warm, aber ich einen Tee könnte ich dir auch...”
Ich verneinte ihr Angebot und gab mich dem Erstgenannten zufrieden.
“Ich habe dich noch nie hier gesehen.”, begann die Wirtin und beäugte mich skeptisch.
“Ich komme von außerhalb”, gab ich preis, “Ich wohne in Galashiels.”
Ihren Blick konnte ich nicht deuten, dennoch verspürte ich das beunruhigende Gefühl, welches mich stets überkam, wenn Bellatrix begann, von niederem Getier zu sprechen.
“Sie halten mich für verrückt.”, sagte ich und beinahe zogen sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln empor.
“Nein, Kindchen, nur finde ich es recht eigenartig, dass so ein junges Ding allein durch die Gegend streift, und dann auch noch bei so einem Wetter und zu dieser Tageszeit.”, erklärte sie und der “wirre”, ungläubige Ausdruck in ihren Augen verschwand.
“Ich reise gern allein”, erwidere ich schulterzuckend, “Es macht mir nichts aus.”
Der hohe Klang der Wanduhr hinter dem Tresen ließ mich zusammenfahren. Ängstlich starrte ich zu dem Zeitmesser auf der mich mahnte, mich schnellst möglich wieder auf den Heimweg zu begeben.
“Oh je, ich muss gehen”, sagte ich hastig und rutschte von dem hohen Gestühl.
“Warte, Kindchen!”, hielt mich die Wirtin zurück, “Du wirst mir nirgendwo hingehen, zumindest nicht allein und bei diesem Sturm. Theodore!”
“Was ist?”, vernahm ich die trotzig und etwas missgestimmten Worte eines jungen Mannes.
“Bring das Mädchen nach Hause!”, forderte sie und verschränkte die Arme vor ihrer üppigen Brust, sodass die Schürze, die sie trug, bedrohlich spannte.
Mit verdrießlichem Gesicht erschien Theodore vor mir. Er kam mürrisch dreinblickend die Stufen aus dem oberen Stockwerk herunter und wirkte wenig begeistert von der Anordnung.
“Welches Mädchen?”, hakte er nach und sah sich in dem Pub um.
“Bei diesem Wetter lasse ich die junge Frau nicht allein nach Galashiels laufen!”, ihre Worte geboten keinen Widerspruch und etwas in dessen Färbung ließ mich unwillkürlich an meine eigene Mutter denken.
Theodore beäugte mich kritisch, mit einer Spur von Feindseligkeit. Abermals verzog er das Gesicht, ehe er mit den Schultern zuckte und nach einem Schirm griff.
“Galashiels?”, fragte er und sprach lauter, um gegen das Getöse des Windes anzukommen.
Mittlerweile hatte der Regen aufgehört, doch Theodore kämpfte noch immer mit dem aufgespannten Schirm, der ihm fortwährend entrissen wurde.
Ich nickte nur und zurrte den kalten, nassen Stoff meines Umhangs enger um meinen Körper.
“Hier”, meinte er plötzlich und reichte mir den Schirm, “Kannst du den mal kurz halten?”
Ich nickte und es kostete mich mehr Kraft, das Metall des dünnen Stieles zu umklammern, als ich dachte.
Der junge Mann zog seinen Wintermantel aus, nahm mir den Schirm ab und drückte mir den warmen, schweren Stoff in die Hand.
“Aber...”, begann ich, jedoch versiegten mir die Worte, da er nur mit dem Kopf schüttelte und mir so jeglichen Widerspruch verbot.
“Ist ziemlich weit...”, meinte Theodore und als ich nichts erwiderte, fuhr er fort: “Von Galashiels nach Kelso.”
“Eigentlich wollte ich zur Küste.”, erklärte ich und kämpfte gegen den heulenden Wind an.
“Zur Küste? Bei diesem Wetter?”, hakte er nach.
Mittlerweile umhüllte mich die Wärme seines Mantels und gemeinsam bogen wir in einen schmalen Feldweg ein.
“Wo genau wohnst du in Galashiels?”, wollte er wissen und plötzlich wich mir spürbar jegliche Farbe aus dem Gesicht.
“Es ist nicht mehr weit.”, haspelte ich, denn mir wurde mit jedem Schritt bewusster, dass ich soeben neben einem Muggel herging, der mich nach Hause bringen musste und dass ich ihn nicht verhexen können würde, ohne vor dem Gericht im Ministerium zu laden.
“Ich wohne etwas abgeschieden”, erklärte ich, “Du kannst jetzt gehen!”
“Bist du verrückt?”, meinte er und grinste. “Wie heißt du?”
“Ich? Verrückt? Nicht direkt.”, erwiderte ich und musste an Bellatrix denken, die diesem Vorwurf eher entsprach als ich.
“Komm schon Mädchen, wie heißt du?”, beharrte er weiter, “Oh, bitte verzeih mir. Ich bin Ted. Ted Tonks.”
“Ted?”, wiederholte ich. “Ich dachte du heißt Theodore?”
Als ich seinen Namen aussprach, zuckte er kaum merklich zusammen.
“So nennt mich meine Mutter jedenfalls. Für alle anderen bin ich Ted.”, erklärte der junge Mann und als ich nicht antwortete, drängte mich sein Blick, seine noch immer über uns schwebende Frage zu beantworten.
“Ich bin Andromeda.”, entkam es mir wahrheitsgemäß.
“Komischer Name.”, schlussfolgerte er und legte grübelnd die Stirn in Falten.
“Komisch? Ja, vielleicht.”, sagte ich und ein kleines Kichern entfloh meinen Lippen. “Eigentlich Andromeda Elladora Black.”
Theodore blieb abrupt stehen und beäugte mich abermals kritisch. In seinem Gesicht konnte ich lesen, dass ihm wohl noch nie so viele, ungewöhnliche Namen untergekommen waren, die eine einzige Person beschrieben.
“Kann man das abkürzen?”, fragte er forsch und hob eine Augenbraue.
“Abkürzen?”, hakte ich nach und begriff nicht, was er meinte.
“Na, deinen Namen. Wie wäre es mit Ella, Dora oder Andy?”, schlug er vor und nun war ich es, die ihn ungläubig anstarrte.
“Andy?”, fragte ich vorsichtig und runzelte die Stirn.
“Warum nicht? Der Rest klingt irgendwie eigenartig. So merkwürdig und alt.”, meinte er und zuckte nur mit den Schultern.
“Alt?”, ein erneutes, verwirrtes Kichern entfloh mir.
“Ich weiß ja, wer im Glashaus sitzt...”, begann er, fuhr sich verschämt dreinblickend durch die tief braunen, durchnässten Haare und wartete.
Ich verstand nicht auf was er hinaus wollte. Auch sein aufforderndes Nicken konnte ich nicht deuten.
“Na, der soll nicht mit Steinen werfen.”, endete er und blickte mich irritiert und fragend an. “Sag bloß du kennst das nicht?”
“Was? Muggel-Sprichwörter?”, verlangte ich zu wissen und schlug hastig die Hände vor den Mund.
“Was?”, ein nervös- und spöttisch klingender Laut entwich seinen Lippen. “Muggel? Was soll das sein?”
“Ach nichts weiter”, stotterte ich, “Du kannst mich jetzt allein lassen. Es regnet nicht mehr und den Weg nach Haus finde ich auch ohne deine Hilfe oder Begleitung.”
“Du bist seltsam.”, entschied er und zog fragend die Augenbrauen zusammen.
“Nicht anders, als andere.”, sagte ich rasch und reichte ihm die Hand zum Abschied. “Also, Ted Tonks, danke.”
Verdutzt blickte er zu mir. Er wirkte plötzlich verloren und unsicher.
“Wie? Das war's? Ein einfaches danke?”, Theodore schien wie vor den Kopf gestoßen.
“Nun, ich...”, begann ich, doch mir wollte nichts als Erwiderung in den Sinn kommen.
“Sehe ich dich vielleicht wieder?”, so etwas wie leise Hoffnung schwang in seinen Worten mit.
Vergessen war das Geheul des Windes, oder der peitschende Regen von vorhin. Als Antwort zuckte ich nur mit den Schultern.
“Ich weiß es nicht. Nicht vor den Sommerferien jedenfalls.”, erklärte ich und bemerkte das Mienenspiel auf seinem Gesicht.
“Sommerferien? Auf welche Schule gehst du denn?”, verlangte er zu wissen.
“Das kann ich dir nicht sagen.”, gebot ich ihm.
“Und warum nicht? Du willst mir schon nicht sagen, wo du wohnst und auch nicht, wo du zur Schule gehst?”, nichts missfiel mir mehr, als bohrende Fragen und Ted schien ein Meister im Nachbohren zu sein.
“In Schottland.”, sagte ich knapp. “Dort muss ich hin. Also dann, Ted Tonks, es hat mich gefreut dich kennen gelernt zu haben, wenngleich auch unter etwas merkwürdigen Umständen.”
Ich wandte mich zum Gehen und ließ den Jungen allein auf der von Nässe getränkten Wiese zurück.
Auf halbem Wege jedoch, traf mich ein Gedanke wie Säure in meinen Magen:
Noch immer trug ich seinen Mantel und er musste ihn wiederbekommen.
Gleich am nächsten Tag brachte ich ihm seinen Mantel zurück. Statt eines Dankes, schenkte Ted mir nur eines seiner vielen, alles verzaubernden Lächeln, die mein Herz auf beunruhigende Weise schneller schlagen ließen. Den Nachmittag verbrachten wir damit, einander ein wenig besser kennen zulernen. Ich erzählte ihm von Hogwarts, jedoch ließ ich außeracht, dass dort Hexen und Zauberer unterrichtet wurden. Er hielt es eher für ein Internat, auf dem die Sprösslinge der besser gestellte Herrschaften unterrichtet wurden. Ted ging, wie sollte es auch anders sein, auf eine Muggel-Schule, die nur Jungen zu besuchen hatten. Er war gerade einmal zwei Jahre älter als ich und würde, wenn er seine Schulzeit hinter sich gebracht hatte, ein Studium in Oxford beginnen.
Die Wintersonne schien wärmend auf uns herab, als wir das Meer erreichten. Es glitzerte und funkelte, als wäre es mit Diamanten übersät, wie der Nachthimmel, der voller Sterne hing.
Ted brachte mich zum Lachen, da er sich darauf verstand, seinen Worten mit allerhand Grimassen Ausdruck zu verleihen. Und bis zu meiner Abreise verbrachte ich beinahe jeden Tag mit ihm.
“Schön, dass du wieder da bist, Andy.”, neckte er und setzte sich neben mir auf den freien Hocker. “Du hast mir gefehlt.”
Ich bemerkte, wie sich meine Wangen färbten, als ich sein Zugeständnis vernahm.
“Du wirkst unruhig”, bemerkte er beiläufig und blickte abwesend auf die golden-schimmernde Flüssigkeit in dem Glas vor mir.
“Ach ja? Wie kommst du darauf?”, hakte ich nach und zwang mich, unbekümmert zu klingen.
“Du bist eine grauenhafte Lügnerin.”, lachte er auf und plötzlich spürte ich seinen musternden Blick auf mir.
“Wie lang musst du noch studieren?”, hakte ich vorsichtig nach.
“Ja, Ted, wie lange musst du noch studieren?”, mischte sich seine Mutter ein und auf meine Lippen legte sich ein belustigtes Lächeln.
“Mum”, warnte er und fügte an mich gewandt hinzu: “Im nächsten Jahr bin ich fertig.”
“Im Sommer, tz...”, zischte Misses Tonks, schnalzte mit der Zunge und schüttelte das mausbraune, lockige Haar.
“Und was ist mit dir?”, Ted ignorierte die Missbilligung seiner Mutter.
“Ich ähm...”, ich wollte es ihm nicht sagen.
Ich konnte es ihm nicht sagen. Es würde alles zerstören. Doch ihm entging nicht, dass ich nervös auf dem Holz hin und her rutschte. Dass er nach meiner Hand griff und es mir so noch schwerer fiel, ihm in die Augen zu sehen, machte die Situation nicht erträglicher.
“Du weißt, dass meine Familie...”, begann ich leise und wurde von einem Zischlaut unterbrochen.
Noch immer hielt Ted meine Hand, er hüpfte abrupt von dem Hocker, sodass ich mit ihm gerissen wurde. Ohne ein weiteres Wort zog er mich in den privaten Bereich des Pubs zurück und lotste mich die Treppe hinauf. Schon oft war ich hier oben gewesen, deshalb musste er sich nicht besonders anstrengen, mich in sein Zimmer zu führen.
“Hier, hier können wir reden. Die Leute sind wie Schwämme, die alles aufsaugen, was nicht für ihre Ohren bestimmt ist und da ich weiß, aus was für einer Familie du kommst, wäre es nicht ratsam, das Gespräch unten weiterzuführen.”
Seine Erklärung beruhigte mich und rechtfertigte sein vorschnelles Handeln. Ich mochte seine Umsichtigkeit und seine Führsorge. Ted dirigierte mich zu dem einzigen Stuhl, der in der kleinen Dachkammer zu finden war. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Fachbücher und Hefter, sowie Füllfederhalter, Stifte und merkwürdig aussehende, aus Plastik bestehende, geometrische Formen.
“Du nimmst dein Studium ernst”, schlussfolgerte ich und sah mich um.
Ted lief in dem schmalen, viel zu kleinen Raum auf und ab und wirkte wie ein eingesperrter Drachen.
“Andy!”, warnte er und ich ergab mich seufzend seinem Verhör.
“Meine Eltern ... sie ...”, wieder hielt ich inne. “Ich bin verlobt.”
Mein Geständnis ließ alle Farbe von seinen Lippen weichen. Sein Blick zeigte Verständnislosigkeit und Verwirrung.
“Bist du deshalb hier? Hast du deshalb den langen, weiten Weg auf dich genommen?”, wollte er wissen und blieb wie angewurzelt stehen.
Ich schwieg und biss mir in die Wange. Eine Angewohnheit, die mich überkam, wenn ich einer ausweglosen Situation nicht Einhalt gebieten konnte.
“Mir sind die Hände gebunden”, erklärte ich und bemerkte, dass meine Stimme von einem Zittern erfasst wurde, “Jede meiner Schwestern wurde verheiratet oder ist seit Jahren jemandem versprochen. Also ist es nur gerecht, wenn ich ihr Schicksal teile.”
“Das ist doch Unsinn!”, herrschte er so plötzlich, dass ich erschrak und nun war nichts mehr von der Blässe zu erkennen, die sich um seine Nase gelegt hatte.
Stattdessen war unbändige Wut von seinem Hals aufwärts in seine Wangen gefahren. Ich erhob mich von dem Stuhl und ging mit vorsichtigen Schritten auf ihn zu. Ich wollte nach seinen Händen greifen, doch sein Blick verbot mir, mich weiter vorzutasten.
“Andy, das kann doch nicht dein Ernst sein.”, leise, beinahe flüsternd drangen seine Worte zu mir.
“Ted, ich...”, ich wollte ihn berühren, ihn wissen lassen, dass es nicht meine Entscheidungen waren, die man getroffen hatte. “Es war nicht meine Entscheidung.”
“Erklär es mir!”, forderte er und ich verstand, wonach er verlangte. “Dass deine Familie eine etwas merkwürdige Einstellung pflegt, ist mir bekannt.”
Ein kleines, flüchtiges Lächeln legte sich auf meine Lippen. Ted genoss mein vollstes Vertrauen. Ihm konnte ich erzählen, was mich bedrückte. Er hörte aufmerksam zu, wählte jedes Wort mit Bedacht und bemühte sich, mir ruhig und vernünftig seine Ansichten mitzuteilen.
Doch in diesem Moment wirkte er unbeherrscht und aufgewühlt. Nichts ließ er mehr erkennen, das mein Vertrauen verdiente. Seine Augen umspielte ein Schatten, der mich ängstigte und seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst.
“Es ist nicht nur die eigenwillige Einstellung.”, erlaubte ich mir anzubringen.
“Sondern?”, hakte er nach und es klang, als hätte ihm dieses kleine Wörtchen alles abverlangt.
“Es... es ist Tradition.”, meine Erwiderung war kaum mehr als ein leises, verirrtes Flüstern.
Theodore schien sich der Absurdität des Augenblicks bewusst. Die angespannten Muskeln in seinem Gesicht lockerten sich. Er schwieg und seine Untätigkeit trieb mich beinahe in den Wahnsinn. Warum sagte er nichts?
“Ted”, meine Stimme erfasste ein Zittern, das mich verwirrte.
Meine Hände fühlten sich an, als hätte man sie in Eiswasser getaucht. Kälte wand sich durch meinen Körper, doch auf meinen Wangen konnte ich einen heißen Rinnsal ausmachen. Tränen brannten in meinen Augen. In diesem Moment begriff ich, dass ich mich zu fügen hatte und nicht einmal Theodore Tonks vermochte es, sich gegen die Anordnung meiner Sippe zu stellen.
Ich wusste nicht, was ihn dazu bewogen hatte, die kurze Distanz zwischen uns zu überbrücken. Meine Erwartungen, dass er den Raum verlassen, oder mich hinauswerfen würde, machte er im Zuge eines Wimpernschlages zunichte.
Warme, große Hände hüllten mein Gesicht ein und weiche Lippen pressten sich auf meinen Mund. Ich konnte nicht fliehen. Ich wollte nicht weichen. Ich stand reglos inmitten des Chaos. Meine Welt, bestehend aus Geboten, Gebräuchen und abwegigen, falschen Vorstellungen, erhielt einen Riss.
Mit jedem Kuss, jeder weiteren Berührung, bröckelte das Gerüst und zerfiel mehr und mehr zu Staub.
Die Arme um meinen Bauch geschlungen, drückte mich Ted noch enger an seinen Körper. Er vergrub seine Nase in der Kuhle zwischen meinem Hals und meinem Ohr. Seine Stimme war rau und klang ernst, als er das Wort an mich richtete.
“Wer bist du, Andy Black?”, seine Frage war mehr ein leises Hauchen, dennoch überzog eine Gänsehaut meinen ermatteten Körper. Jede Faser summte und erschauderte bei jedem Atemzug.
Ich entwand mich seiner Umklammerung und setzte mich auf. Mein Blick glitt über sein Gesicht. Seine Augen verrieten Neugierde, aber dennoch lag auch so etwas wie Furcht in ihnen.
Etwas gab es noch, dass ich ihm nicht gebeichtet hatte. Etwas, das wie eine große Kluft ewig würde zwischen uns stehen. Ich war es leid, dem Mann neben mir stets Unwahrheiten erzählen zu müssen. Doch die Gefahr und Angst, dass er nicht begriff und an seinem Verstand zweifelte, sobald er mein Geheimnis erfuhr, ließ mein Herz wie einen schweren Klotz nach unten sinken.
Ich verbarg mein Gesicht hinter dem schützenden Schleier meiner Haare, die wirr um meine Schultern lagen. Die Berührung seiner Hand auf meinem Rücken ließ mich erzittern.
“Ted”, begann ich vorsichtig, ehe ich meine Finger nach seinem Gesicht ausstreckte.
Ein zarter Bartschatten umschmeichelte sein Kinn und auf meine Lippen legte sich ein flüchtiges Lächeln, als meine Fingerspitzen über die Stoppeln fuhren.
Ich war mir seiner Aufmerksamkeit gewiss, denn sein Blick gebot mir, mit meinen Worten fortzufahren. Doch ich schwieg, sah mich in dem langsam von Finsternis heimgesuchten Raum um. Ich schloss die Augen und beschwor einen Aufruhe-Zauber.
Ein großes, dickes und schweres Buch glitt kaum hörbar von dem Schreibtisch und schwebte lautlos auf mich zu.
“Was?”, keuchte Ted hinter mir und konnte die Ungläubigkeit in seiner Stimme beinahe greifen. “Unmöglich!”
Doch statt ihm zu antworten, ließ ich auch die Stifte, ein Tintenfass und die geometrischen Formen durch die Lüfte tanzen.
“Unglaublich!”, murmelte Ted, doch er klang weder erschrocken, noch verängstigt.
“Ted, ich...”, ich spürte, dass er sich aufsetzte und als er sein Kinn auf meiner Schulter platzierte und das Spektakel fasziniert betrachtete war ich es, die von Angst und Furcht gepackt worden war.
Mit zitternden Fingern schickte ich die umherschwirrenden Utensilien wieder an ihre Plätze. Ich wagte es kaum, ihn anzusehen.
“Was bist du?”, verlangte er zu wissen und ich schluckte.
“Eine Hexe”, gestand ich und zwang mich, ihn anzusehen. “Ich bin eine Hexe.”
Ich nahm an, dass er mit sofortiger Wirkung aufspringen und mich der nächsten Institution überbegen würde, die geistige Leiden unter Verschluss zu halten wusste, doch zu meiner Überraschung verfiel Theodore in Schweigen.
“Eine Hexe?”, hakte er nach und klang weder schockiert, noch verängstigt.
Ich nickte zögernd. Seine Reaktion war für mich nicht vorhersehbar. Ich konnte nicht ahnen, wie er auf meine Beichte reagieren würde.
“Hast du mich verhext?”, der Ernst in seiner Stimme ließ mich schaudern.
“Nein.”, sagte ich entschieden.
“Hast jemals jemanden verhext?”, der eisige Ton ließ mich frösteln.
“Ja”, gestand ich, “In der Schule. Hogwarts ist kein Internat für die Kinder der bessergestellten Herrschaften. Es ist eine Schule für Hexen und Zauberer.”
“Das heißt, es gibt noch mehr, die so sind wie du?”, hakte er nach.
“Du meinst, noch mehr, die anders sind? Ja.”, trotzig entwich die Erklärung meinen Lippen.
Ted schüttelte den Kopf. Meine Befürchtung, dass er mich fortjagen oder einsperren lassen würde, bekam von jeder Sekunde, die verstrich, mehr und mehr Gewicht und schien mich schier unter der Last der Stille zu erdrücken.
“Du bist also eine richtige Hexe? Mit Zaubersprüchen? Und seltsamen Tränken?”, erkundigte er sich und mich beschlich das Gefühl, dass er alles nur für einen makaberen Scherz hielt.
Wieder nickte ich wahrheitsgemäß.
“Mit Sprüchen, Flüchen, Zaubertränken, Beschwörungen, Zauberstäben, Eulen, Katzen, Kröten, Besen, Kesseln...”, ich hätte ihm so vieles berichten können, doch meine soeben noch aufkeimende Euphorie verschwand bei dem Gedanken daran, dass er mir nicht glaubte.
Ted, dessen Kopf noch immer auf meiner Schulter ruhte, schloss die Augen und schien meine Worte langsam, aber bedächtig zu verarbeiten.
“Ich habe ja geahnt, dass du irgendwie anders bist, aber so anders habe ich mir dich nicht vorgestellt.”, erklärte er zu mir linsend und ich hoffte, dass er sich beruhigt hatte.
“Wenn du es wünschst, lasse ich dich alles vergessen.”, ich wusste kaum, wie mir geschah, als die Worte meinen Mund bereits verlassen hatten.
Abermals schloss er die Augen und drückte einen Kuss auf meine entblößte Schulter.
“Bist du verrückt?”, murmelte er an meiner Haut und ich vernahm ein Grinsen in seiner geschmeidigen, anschmiegsamen Stimme.
“Sag du es mir!”, forderte ich und wappnete mich bereits, mein Herz beisammen zu halten, noch ehe es in tausend Stücke zu zerspringen drohte.
Wieder spürte ich kräftige Arme, die mich umschlangen. Ted hielt mich fest und presste seine Brust an meinen Rücken.
“Wirst du mich verraten?”, meine Stimme zitterte von Neuem.
“Nicht, wenn du mich nicht verrätst.”, hauchte er und ich verstand nicht.
Nun war ich es, die schwieg und hoffte, dass er mit seinen Worten Klarheit schaffte.
“Ich studiere seit drei Monaten nicht mehr.”, gestand er mir und ich mühte mich, ihn anzusehen. “Stupides Lernen, der ganze trockene Stoff...”
“Aber ich dachte, dass du im nächsten Sommer fertig geworden wärst”, fassungslos starrte ich in seine tiefblauen Augen, “Warum? Was hast du in den letzten Monaten getrieben?”
“Ich bin herumgereist”, sagte Ted und zuckte mit den Schultern, “Habe in Häfen entlang der Südküste gearbeitet, um Geld zu verdienen. Inzwischen habe ich eine Menge sparen können.”
“Aber Ted...”, begann ich wieder, doch er gebot mir zu schweigen.
“Mutter weiß nichts von all dem. Nächste Woche mache ich mich, wie gewohnt, auf den Weg, nur dass ich einen großen Bogen um Oxford machen werde.” meinte er entschieden. “Kommst du mit mir?”
Ich erschrak, da ich auf seine Frage ganz und gar nicht vorbereitet war.
“Was?”, ein merkwürdiges Kribbeln erfasste mich, doch ich konnte dessen Ursprung nicht orten.
“Ich weiß, dass du nur noch ein Jahr vor dir hast und vielleicht ist es egoistisch, aber...”, die Aufregung, die aus seinen Worten sprach, war ansteckend, dennoch besann er sich rasch und Stille erfüllte erneut die kleine Dachkammer. “Ich weiß...”
Die Trauer und Einsicht in seiner Stimme umklammerte mein kleines Herz. Meine Verlobung, meine Familie und meine Pflicht standen uns im Weg.
“Aber, wir haben nichts.”, sagte ich leise, entwand mich seiner Umarmung und blickte ihm ins Gesicht.
“Ich weiß”, gestand er, “Aber bitte, lass mich dich glücklich machen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass es anmaßend ist, dich so zu bedrängen. Und ich weiß, dass ich nicht das Recht habe, so über dich zu bestimmen.”
“Du hast Recht”, entschlossen nahm ich sein Gesicht in meine Hände, “Du bist nicht befugt zu behaupten, mich glücklich zu machen ohne zu wissen, ob ich es nicht längst wäre. Und es ist durchaus respektlos und anmaßend, dass du dem Versuch unterliegst, dass es dir gelingen würde. Und nein, es ist dir nicht erlaubt, über mich zu bestimmen, denn lang genug habe ich über mich verfügen lassen.”
Ich beugte mich zu ihm vor und küsste ihn. Meine Entscheidung war gefallen, dennoch überkam mich Ungewissheit.
Ich berichtete Ted von meinem Leben im Hause Black. Ich erzählte ihm von den verdrehten Vorstellungen meiner Sippe, den arrangierten Ehen und der Welt, in die ich hineingeboren wurde. Ich erläuterte die Kunst der Magie, die uns zu eigen war, schilderte die Gegebenheiten der Zauberer und Hexen untereinander, die Klasseneinteilung, derer sich meiner Familie bediente und den Konsequenzen, wenn man sich ihnen widersetzte. Ich erklärte ihm, was es mit Rein- und Halbblütern, Squibs und Muggeln auf sich hatte.
Bei dem Wort Muggel hob er eine Augenbraue.
“Mein Fauxpas von damals tut mir leid, aber ich konnte es dir nicht sagen.”, ich senkte den Blick.
“Aber auch Muggel haben die Möglichkeit, auf diese Schule zu gehen?”, hakte er nach und ich nickte.
“Ja, wenn sie magische Fähigkeiten besitzen.”, erklärte ich.
“Könnte ich auch dorthin?”, fragte er und ich schüttelte den Kopf.
“Nein”, begann ich, “Dazu ist es wohl zu spät. Jedes Kind, das diese Begabung aufweist, bekommt an seinem elften Geburtstag einen Brief, indem man ihm erlaubt, Hogwarts zu besuchen.”
Ich wusste nicht, ob es Enttäuschung war, die sich auf seine Miene legte, oder ob er alles Gehörte als Scharlatanerie abtat. Ted wirkte plötzlich reserviert und nachdenklich.
“Wenn ich es mir recht bedenke, habe ich mit meiner Vermutung, dass du seltsam bist, gar nicht so falsch gelegen.”, sagte er und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, doch ich zuckte nur mit den Schultern.
“Und was hat dich zu dieser Annahme bewogen?”, hakte ich nach.
“Deine Kleidung. Ich dachte erst, es sei ein Requisit aus dem Fundus eines Theaters.”, sein plötzliches Auflachen verscheuchte die Kälte, die mich gefangen hielt. “Komm mit mir, Andy!”
Nun war ich es, die auflachte und erneut meine Lippen auf seinen Mund platzierte. Die Folgen würden verheerend sein, doch mein Gefühl sagte mir, dass ich nichts zu bereuen hatte.
Ich war anders als die anderen, denn ich hatte mich losgelöst von den Zwängen, hatte die Ketten gesprengt und war einer Zukunft entgegen geeilt, die ungewiss schien.