hape of my heart
Die Form meines Herzens.
Teil 1 – Kapitel 6
Erneut betrat Molly das Nest der Schlangen. Eigentlich war sie es gewohnt, in die Höhle des Löwen mit erhobenem Haupt hinein zu marschieren, doch da sie sich nun auf feindlichem Gebiet befand, verdrückte sich ihr Mut in die hinterste Ecke ihres Seins. Sie war nicht feige, so etwas würde sie sich nie und nimmer eingestehen, doch waren die Kerker Hogwarts nun einmal nicht der Gryffindor-Turm!
Dass sich die Schüler der jeweiligen Häuser so sehr mit diesen identifizieren konnten, brachte ihr ein Stirnrunzeln ein. Wie Schlangen aalten sich die älteren Schüler Slytherins in den Sesseln und auf den Sofas. Die »Kleineren«, Jüngeren unter ihnen saßen mit großen Augen und andächtig vor ihren älteren Mitschülern und blickten diese mit Ehrfurcht an. Das gleiche Spiel, wie es bereits am Morgen der Fall gewesen war. Es herrschte eine Art Rangordnung unter den Schlangen.
Kopfschüttelnd beobachtete Molly, wie schwer sich die Jüngeren taten, um die Gunst einer der »erwachsenen« Schlangen zu genießen. Diese arroganten, hochnäsigen Subjekte ließen sich von vorn bist hinten bedienen. Ab und zu sah sie auch einen jüngeren Schüler, dem wohl die Güte zuteil wurde, ebenfalls in den Genuss des »bewirtet werdens« zu kommen, obschon sie wusste, dass es nur an dem Reichtum und der Reinheit der Blutlinie lag. Zwar gab es in Slytherin auch Halbblüter, deren Elternteil entweder ein Zauberer oder eine Hexe war, doch wurden diese beinahe rücksichtslos und fast minderwertig behandelt, aufgrund der anderen Hälfte der Vorfahren, die sich als ganz normale Menschen ohne jegliches Talent für Magie auszeichneten.
Nur eines war den Schlangen etwas wert: sauberes Blut; und eventuell ein Erbe, welches wohl irgendwann recht üppig ausfallen würde.
Die junge Gryffindor verzog angeekelt das Gesicht. Molly verabscheute solche Vormachtstellungen. Wie irrsinnig es ihr erschien, Menschen, Kreaturen nach der Reinheit des Blutes zu beurteilen! War ihr Blut nicht genauso rot, wie das anderer? Oder hatte das Blut von Zöglingen, denen es vorherbestimmt war, einmal Schüler des Hauses Slytherin zu werden, eine andere Farbe?
Blau, vielleicht?
Oder gar grün?
Bei dem Gedanken an griftgrünes, slytheringrünes Blut kräuselten sich die Lippen Mollys zu einem flüchtigen Lächeln. Nein, Blut, der Saft des Lebens, war rot! Bei manchen Menschen war es nur um Nuancen heller, bei anderen etwas dunkler, aber dennoch blieb es rot. Gryffindorrot. Rot als Farbe des Mutes, der Tapferkeit. Rot, als Farbe des Lebens, der Liebe ... Farbe des Herzens.
Obgleich sie anzunehmen schien, dass der Lebenssaft bei einigen ihrer Spezies statt rot, eher der Farbe eines verkohlten Holzscheites glich:
Dunkel.
Gefährlich.
Schwarz.
Molly gestattete sich einen Blick auf den Jungen neben sich. Lucius überblickte das Treiben mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Dank seiner Größe, die für sein Alter und ihren Geschmack eindeutig zu viel war, da er mehr ersehen konnte, als sie, war es für ihn ein Leichtes, über die Köpfe seiner Mitschüler hinwegzusehen.
Plötzliche Röte und Nervosität krochen und schlängelten sich ihren Körper hinauf. Die junge Gryffindor fühlte sich unbehaglich unter den beinahe leuchtenden Augen der Slytherins. Doch nur ein paar vereinzelte unter ihnen schienen sie zu registrieren, doch diese Handvoll Schlangen reichte alle mal, um ihr ein ungutes Gefühl zu vermitteln.
Die junge Frau blickte an Lucius vorbei und erkannte Miles McKinnley, mit dem sie sich einen Wettstreit im Trinken von Feuerwhiskey geliefert hatte. Er starrte sie an, als hätte er es nie für möglich gehalten, dass sie sich immer noch an Lucius' Seite befand. Molly konnte sich irren, aber Miles schien ihr ein aufmunterndes Kopfnicken entgegenzubringen. Sollte sie das als eine Art Bekundung des Respekts hinnehmen? Vielleicht ...
»Gehen wir«, bemerkte Lucius und schritt geradewegs auf die Schlafräume der Jungen zu.
»Aber ...«, setzte Molly und verstummte, als sie seinen Blick empfing.
»Willst du dir dieses Spektakel noch länger ansehen?«, seine Stimme schlug augenblicklich einen herausfordernden und gleichzeitig amüsiert-hinterlistigen Ton an. Ohne zu zögern schüttelte Molly ihr Haupt. Wenn sie gekonnt hätte, dann wäre sie noch vor Lucius an der Tür zu seinem Zimmer gewesen, doch leider fehlte es ihr in diesen Gefilden an Orientierung.
Abscheulich, erniedrigend, fürchterlich, respektlos ..., noch mehr Adjektive formten sich in ihrem Kopf zu einer steinernen Kugel zusammen, die nur darauf wartete, endlich den Abhang hinunterzurollen. Die Gänsehaut, die ihren Körper überzog, als Lucius die Türe zu seinem privaten Raum geschlossen hatte, ließ sie frieren. Unaufgefordert trat Molly auf den kleinen Kamin zu und rieb sich ihre kalten Finger, nachdem sie ihr Köfferchen in einer Ecke neben der Tür abgestellt hatte.
»Haben alle Räume so einen Kamin?«, fragte sie ungehalten und hoffte, dass Lucius die Anspielung verstand und es ihr etwas angenehmer machen würde, indem er die Feuerstelle entflammte. »Wieso hast du eigentlich ein eigenes Zimmer?«
Lucius trat an ihre Seite und stützte sich mit den Armen an dem Kaminsims ab. Als er seinen Kopf in ihre Richtung wandte, umspielte seine Lippen ein kleines Lächeln. »Habt ihr so etwas nicht?«, wollte er wissen und ließ aber keine Spur von Verwunderung aufkommen. Molly sah zu ihm und schwieg. Langsam nickte der junge Slytherin und stieß sich von der steinernen Umrandung des Kamins ab. »Ab einer gewissen Altersstufe ist es uns gestattet, ein eigenes Domizil zu beziehen, auch unter der Voraussetzung, dass es finanziell machbar ist«, erklärte er, zückte seinen Zauberstab und ließ ein kleines Flämmchen auflodern.
Molly biss sich auf die Lippen. Nun waren es also längst nicht mehr das reine Blut und die finanziellen Mittel, die einem einen Aufenthalt hier genehmigten, auch spielte das »gewisse« Alter nun ebenso eine gewichtige Rolle.
Ein Anflug von Neid überkam das Mädchen. Wie oft war sie es Leid gewesen, ständig mit vier weiteren Mädchen in einem kleinen Zimmer eingepfercht zu sein, und nie die Stille und Ruhe zu genießen, die sie an manchen Tagen einfach gebraucht hätte?
»Bezieht sich dieses uns auch auf die Mädchen?«, hakte Molly nach, doch Lucius schüttelte den Kopf. »Habt nur ihr Jungs die Erlaubnis zu solchen Zimmern?«
Ihre Nachforschung quittierte die Schlange mit einem stummen Nicken. »So ist es um einiges leichter, nicht nur seine Ruhe haben zu wollen, sondern auch dem nachzugehen, wo nach einem gerade der Sinn steht.«, ein verschwörerisches Grinsen umspielte seine Lippen.
Auf solche Art von Anzüglichkeiten wusste Molly nur ein empörtes Schnauben von sich zu geben. Allmählich schienen sich die Gerüchte zu bewahrheiten, was die Schlangen und ihre Eskapaden betraf, die man unter Tuscheln und Flüstern vermutete.
Molly selbst wusste, wie schwierig es war, Zeit mit der Person zu verbringen, die man liebte, wenn in dem selben Raum noch vier weitere Jungen schliefen, die aber alles andere als »schlafen« im Sinn hatten. Dass Jungs auch nur in die Nähe der Treppe zu den Mädchenschlafsälen kamen, war verboten und ein Mechanismus sorgte dafür, das die Stufen, sobald ein männliches Wesen, abgesehen von den Haustieren, diese betrat, zu einer Rutschbahn wurden, sodass es nie einem Gryffindor gelang, in die Räumlichkeiten der weiblichen Mitschüler vorzudringen.
Anders, wiederum, verhielt es bei den Jungen. Aber welches Mädchen wollte schon, dass alle Welt, oder zumindest die anderen vier Gryffindors, die mit gespitzten Ohren dalagen, mitbekam, was unter der Decke des jeweiligen Freundes vor sich ging? KEINES!
Als sich Lucius von ihr abwandte, hielt Molly indessen ihre eiskalten Hände an die Flamme, die nun einiges an Intensität zugenommen hatte. Zwar ließ das Zittern nach und gestattete der Wärme nun, Molly das Leben etwas zu erleichtern, doch kreisten ihre Gedanken noch immer um das, was sie im Slytheringemeinschaftsraum gesehen hatte und diese Erschütterung würde wohl noch lange an ihr nagen und haften bleiben.
»Ihr erniedrigt euch gegenseitig?!«, es war keine Frage, eher eine Feststellung ihrerseits. Lucius, der sich auf den grünen Laken ausgestreckt hatte, hob fragend eine Augenbraue und blickte sie an. Molly dachte nicht daran, sich zu ihm umzudrehen, sondern rieb sie sich weiterhin murrend ihre Arme.
»Wie meinst du das?«, hakte er nach, wandte sich von ihr ab und schloss die Augen.
»Findet ihr es nicht erbärmlich und absolut ... ungerecht?«, verlangte sie zu wissen.
»Worauf willst du hinaus?«, Lucius klang erschöpft.
»Na, auf das da draußen!«, erklärte Molly. »Warum behandelt ihr euch gegenseitig so schlecht?«
»Was findest du denn schlecht?«, fragte er.
»Wie ihr die Jüngeren behandelt, zum Beispiel. Warum tut ihr das?«, hakte sie nach.
»Was?«, forderte Lucius zu wissen.
»Euch bedienen lassen!«, setzte Molly hinter her.
»Jeder ist mal dran. Wenn die Siebtklässler nächstes Jahr nicht mehr hier sind, dann werden die jetzigen Sechstklässler so behandelt, wie sie es sich verdient haben. So ist die Hierarchie!«, erklärte Lucius.
»Hierarchie? Das ist abscheulich!«, zischte Molly und schüttelte mit angewiderter Miene den Kopf.
»Was?«, ein spöttisches Lachen verließ seinen Mund. »Sag bloß, dass du es lustig findest, wenn die Jüngeren dir auf der Nase herumtanzen? Ich denke nicht, dass es dir gefallen würde, wenn ein Jüngerer Ansprüche erhebt, auf die noch nicht einmal du ein Recht hast!«
»Stimmt, das gefällt mir nicht!«, giftete sie und wandte sich mit vor Zorn erblühter Miene zu ihm um. Ein bellendes, hochnäsiges Lachen entkam seinen Lippen.
»Oh Liebes, das hier, ist etwas komplett anderes, glaub mir.«, schnaubte er und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf.
»Ist es nicht!«, fauchte Molly, doch Lucius nickte bejahend.
»Vielleicht ist es bei euch Gryffindors nicht so, aber hier, bei uns, ticken die Uhren etwas anders. Wie ich dir bereits erklärt habe, ist jeder irgendwann einmal an der Reihe und kommt in den Genuss des, wie du es nanntest, »bedient werdens«. Die Älteren verlassen die Schule und neue, junge, frische Geister betreten diesen Grund und Boden. Von Anfang an hat man sich um die »Ranghöheren« gekümmert, weil man selbst irgendwann einmal so behandelt werden wird. Oder es sich zumindest so erhofft.«, erläuterte Lucius abermals.
»Das ist doch irrsinnig!«, beharrte Molly.
»Findest du?«, hakte der Slytherin nach.
»Ja«, schnaubte das Mädchen.
Lucius stemmte sich von den Laken auf und zuckte teilnahmslos mit den Schultern. »Es ist aber so. Nicht mehr lange, und du bist sowieso wieder in deinem Turm, Liebes. Dann hast nichts mehr mit uns zu schaffen.«
Molly war über so viel Gleichgültigkeit erschüttert und vermochte vor Verblüffung keine Silbe hervor bringen. Ihre Lippen blieben versiegelt, doch ihr Magen machte sich mehr als deutlich bemerkbar. Unter lautem Protest verlangte er nach etwas Essbarem und das möglichst schnell. Sie kniff die Augen fest zusammen, als ob sie so das Knurren unterdrücken oder verstecken könnte.
»Hunger, Liebes?«, fragte Lucius und blickte sie an.
Ihre Hände verkrampften sich an ihrem Körper, als sie diese zu Fäusten ballte. Molly hatte den Kopf gesenkt und biss sich auf die Lippen. Das Mädchen schüttelte den Kopf, doch die Lippen des jungen Mannes hoben sich bereits zu einem Grinsen.
»Warum gibst du nicht einfach zu, dass du hungrig bist?«, wollte er wissen. Molly hob den Kopf und starrte an die Zimmerdecke, ehe sie angespannt von einem Bein auf das andere trabte.
»Ich habe keinen Hunger«, brachte sie knurrend unter zusammengebissenen Zähnen hervor. Lucius starrte sie ungläubig an.
»Tja, du vielleicht nicht, Liebes. Aber ich schon!«, damit schwang er die Beine über den Rand seines Bettes und trat geradewegs auf die Tür zu. »Noch mal bringe ich dir nichts mit. Also, entweder du kommst mit, oder du wartest, bis es Abendessen gibt und das kann noch sehr, sehr, sehr lange dauern ...«
Seine Provokation verfehlte ihre Wirkung nicht. Genervt seufzte Molly auf und schritt an ihm vorbei. Lucius griff nach der Türklinke und hielt dem Mädchen mit gespielter Höflichkeit die Tür auf.
»Danke«, murmelte sie und erntete nur ein stummes, zynisches Grinsen.