Shape of my heart
Die Form meines Herzens.
Teil 3 – Kapitel 1
Beim Bordeaux bedenkt.
beim Burgunder bespricht,
beim Champagner begeht man Torheiten.
Anthelme Brillat-Savarin
Mittlerweile überraschte es Molly nicht mehr allzu sehr, mit einem dröhnenden Schädel aufzuwachen. Alles andere würde ihr unwirklich, abstrus erscheinen. Murrend linste sie aus den dunkelgrünen Kissen hervor und seufzte erleichtert auf als sie feststellte, dass sie sich in einem ihr bekannten Raum befand.
Beim zehnten Feuerwhiskey waren die Lichter in ihrem Oberstübchen endgültig erloschen. Wie sie hier her gekommen war, hatte sie nicht gekümmert und es interessierte sie jetzt ebenso wenig.
Dass es Lucius war, der neben ihr lag, war zwar nicht gerade erfreulich, doch erfasste sie ein Gefühl von Sicherheit. Zumindest war er weder Noah, noch Miles.
Noah Adams hatte sie mehr oder weniger dazu eingeladen, ihren Schmerz und ihre Wut zu betäuben. Es half, auch wenn die Heilungschancen nur von kurzer Dauer waren.
Molly bedankte sich bei ihrem brummenden Schädel. Sie wandte ebendiesen zur anderen Seite und haschte nach ihrer Uhr. Der Zeitmesser verwies auf kurz vor zehn Uhr.
Sie seufzte, auch wenn es Sonntags bis elf Uhr noch etwas Essbares gab, so hatte sie wenig Lust, sich aufzuraffen, geschweige denn, den Slytherin aufzuwecken. Zwar wäre Molly auch allein losgezogen, doch war ihr das Passwort der Schlangen unbekannt, sodass sie abermals auf ihren Begleiter angewiesen war.
Kurz stutzte sie. Sonntag?
Ein flüchtiges Grinsen legte sich auf ihre Lippen.
“So früh schon gute Laune? Da wird einem ja übel.”, krächzend gelangten seine Worte an ihre Ohren und Molly verdrehte die Augen.
“Oh, der kleine Sonnenschein ist also ein Morgenmuffel?”, schnappte sie und setzte sich auf.
Lucius hatte ihr den Rücken gekehrt und die Bettdecke über seine Schultern gezogen. Molly verzog nur missbilligend das Gesicht, doch im selben Augenblick wagte es ihr dröhnender Schädel, sich erneut in den Vordergrund zu drängen. Es kostete sie eine gewisse Anstrengung, nach den Medikamenten Ausschau zu halten, die Lucius ihr nach ihrem ersten Absturz mitgebracht hatte. Als sie jedoch nicht fündig wurde, sah sie sich einmal mehr gezwungen, das Interesse des Jungen auf sich zu ziehen. Eher rüde als vorsichtig zog es das Mädchen vor, den jungen Mann auf ihr Dilemma aufmerksam zu machen.
“Hey, Malfoy!”, begann sie und wunderte sich nicht, dass ihre Stimme belegt, aber dennoch kratzig klang. “Wo hast du diese... diese Anti-Kopfschmerz-Bomben?”
Doch der Junge reagierte nicht wie gewünscht auf ihr Anliegen. Abermals entschied sich Molly dazu, zu härteren Bandagen zu greifen.
“Hey, wo sind die Kopfschmerztabletten?”, verlangte sie erneut zu wissen und rüttelte unsanft an der freiliegenden, unbedeckten, blassen Schulter.
“Du nervst!”, war die gefauchte Antwort auf ihr Begehr.
Eine gemeine Erwiderung lag ihr bereits auf der Zunge und drängte danach, von eben dieser zu springen und suchte munter nach einem Weg in die Freiheit. Doch Molly verbot sich, so früh am Tage mit verbalen, unschönen Ausdrücken um sich zu werfen.
“Lucius”, es kostete sie schier unglaubliche Überwindung, ihn bei seinem Vornamen zu nennen, und noch mehr, ihn laut und verständlich genug um etwas zu bitten. “Lucius, bitte sei so gut und verrate mir, wo ich diese verdammten Tabletten finde!”
Ihre Worte hatte sie gezügelt, doch wäre beinahe die Galle bitter ihrer Kehle empor gestiegen. Tonlage und Färbung schienen ihn jedoch zu überraschen.
Murrend warf sich Lucius, unter beabsichtigtem Quietschen der Bettfedern, auf die Seite. Das weiß-blonde, beinahe silbrig schimmernde Haar war zerzaust und eigentlich hatte er in diesem Moment weniger mit einem Adonis gemein (wie sonst der Fall war, zumindest in seiner Welt), als mit einer Vogelscheuche.
Molly, ganz kluge und beherrschte Gryffindor, verbiss sich einen Kommentar des Spottes. Sie wusste, dass ihre Haarpracht jeden Morgen einer Katastrophe glich und ob er um diesen, seinen Umstand wusste, war nicht wichtig. Ihr Interesse galt dem Lindern der pochenden Schmerzen hinter ihrer Stirn.
“Ich habe doch gesagt, keinen Alkohol!”, knurrte Lucius brummend und klang nicht minder rau, kratzig und dunkel. Ein Lacher entfloh auf seine Worte hin ihren Lippen.
“Oh nein, du hast gesagt: Kein Wetttrinken!”, höhnte Molly und kam nicht umhin, ihn in seiner Affektiertheit nachzuahmen. “Wo sind die Tabletten?”
Da er sich nun ihrem knurrenden und fordernden Ton abermals ausgesetzt sah, entfloh seiner Kehle ein gedehnter Seufzer, ehe sich Lucius aufsetzte, die langen, weißen Beine aus dem Bett hob und murrend in einer Schublade des alten Sekretärs (einem Relikt aus den Zeiten seines Großvaters), nach dem Röhrchen suchte. Eher müßig trabte er, nach erfolgreichem Durchwühlen des Schreibtisches, wieder ins Bett zurück und warf dem Mädchen, noch bevor erneut die Bettdecke über sein Haupt zog, den Behälter der Tabletten zu. Ein zerknirschtes “Danke” gelang seine Ohren, ehe er den schweren Stoff der Zudecke bis zur Nasenspitze hochzog.
Nicht mehr lange, nicht mehr lange, einer Beschwörungsformel gleich geisterten die Worte und Silben durch ihren Kopf, während Molly im Waschraum der Mädchen ihre Erscheinung im Spiegel betrachtete. Die Zähne waren geputzt und der widerliche Geschmack der letzten Nacht somit ausgemerzt. Ihr Magen begann zu knurren und sie ertappte sich dabei, einfach aus der Tür zu spazieren, um sich an ihren Tisch und zu ihren Leuten zu setzen.
Sich selbst rügend schüttelte sie den Kopf, stützte ihre schlaffen, käsigbleichen Arme auf der Armatur des Waschbeckens ab und starrte erneut prüfend in ihr Antlitz.
“Jetzt sehe ich schon genauso krank und blass aus, wie die Schlangen. Na super!”, seufzte sie und wusch sich zum dritten Mal das Gesicht.
Sie erschrak, als plötzlich die Tür zu den Räumlichkeiten aufgestoßen wurde und eine Horde Viertklässlerinnen sie argwöhnisch beäugten. Horde? Nun, es waren drei zauberhafte Wesen, deren Erscheinen Molly etwas aus dem Konzept brachten. Unter den Mädchen befand sich keine geringe als Narzissa Black, doch diese schenkte der Gryffindor jedoch wenig, wenngleich gar keine Beachtung. Wie ein Geist schwebte sie zu einem der anderen Waschtische, die dem der Löwin gegenüber lagen. Die anderen beiden jungen Damen, deren Namen Molly auf der Zunge lagen, ihr aber dennoch nicht einfallen wollten, begaben sich jeweils links und rechts neben der Verlobten ihres Peinigers an die Tische und begannen, wie die Eisprinzessin selbst, mit ihrem Schönheitsritual.
Und wieder kam es der jungen Gryffindor so vor, als würde es Schneeflocken von der Zimmerdecke rieseln. Leise, lautlos, still und stumm flogen sie durch die Luft und fielen weich auf Haare, Schultern, Arme, Waschbecken und den Boden.
Dem sinnlosen Geplapper vierzehnjähriger Mädchen schenkte Molly wenig Aufmerksamkeit, sie waren bei weitem nicht von Interesse, doch das, was Narzissa sich erlaubte zu berichten, fiel nun doch in den Bereich der Neugierde Mollys. Endlich fielen ihr auch die Namen der anderen Mädchen ein, als Narzissa diese rügte und befahl, das Geschnatter doch etwas zu dämpfen, da sie nicht allein im Raum seien.
Marylin Drafft und Joseline Somerstone, die eine so brünett, wie die andere blond war. Beide so hochnäsig und eitel, wie es Narzissa tagein tagaus zur Schau trug und ebenso von geistiger Stärke, wie es Mädchen in diesem Alter zu eigen war. Marylin und Joseline waren, abgesehen von Körpergröße und Fülle, das genaue Abbild der Black´ischen Erbin. Die brünette Marylin, eher klein und pummelig, warf einen scheuen Blick in Mollys Richtung. Doch so schnell wie Mary den Kopf nach hinten drehte, so hastig war er wieder auf Narzissa gerichtet, deren Blick ihr weitere Aktionen dieser Art verbot und bescherten Molly im Inneren gehässige Genugtuung.
Gerade war die hagere, einer Bohnenstangen nicht unähnlich wirkende Joseline im Versuch, von den Ereignissen der gestrigen Feier zu berichten, als Narzissa ihre feinverzierte Haarbürste auf die Granitarmatur des Waschtisches heruntersausen ließ.
“Joseline Agatha Somerstone, halt endlich deinen Mund! Ich will nichts davon hören!”, keifte die blonde, blasse Gebieterin drohend und wandte sich von dem Spiegel ab. “Ich verbiete weitere Worte in der Anwesenheit dieser Person!”
Damit hatte Narzissa den Fokus auf Molly gelenkt, die gerade im Begriff war Cremedöschen, Zahn- sowie Haarbürste in das kleine Kulturtäschchen zu verstauen, welches sie vorsorglich mitgenommen hatte. Molly konnte über solch Anfälle von Blasiertheit nur den Kopfschütteln und das Grinsen, welches sich auf ihre Lippen stahl, nicht unterdrücken.
So jung Narzissa Black auch war, so alt war ihr Benehmen, ihre Sprache und die Art, wie sich gebar. Auch Molly war einst in ihrem Alter gewesen , hatte sich jedoch weniger hochtrabend, hochnäsig und herablassend verhalten.
Zu einer Aussprache würde es wohl nie kommen und Molly war auch nicht sehr erpicht, den ersten Schritt zu tun. Noch etwas mehr als vierundzwanzig Stunden, und sie wäre befreit aus dieser Gefangenschaft. Ein Gedanke, der sie durch den Tag brachte, die Stunden verkürzte, auch wenn sie weiterhin angebunden schien.