einer Bestie?
Ungläubig verzog der kleiner Junge sein Gesicht. Es schien, als traue er den Worten seines Vaters nicht, denn die Skepsis war ihm deutlich anzusehen, als er, im Schneidersitz, auf seinem Bett verharrte und dem Mann prüfend entgegenblickte. »Du glaubst mir nicht?«, lachte Shikaku auf und tätschelte seinem Spross den Kopf.
»Nein«, gab dieser sofort zurück.
»Nein«, wieder war ein melodisches Lachen zu hören, »nein, natürlich nicht.«
»Es gibt keine Monster, oder bösen Geister. Und erst recht keine Frauen, die Männer in Stein verwandeln!«, der Trotz in der Stimme des Jungen ließ das Grinsen des Vaters noch breiter werden.
»Frauen sind zärtlich und süß.«, behauptete sein alter Herr.
»Sagst du«, schoss es aus dem Mund des Kindes hervor.
»Nun, das sollten sie sein.«, gab Shikaku zu bedenken.
»Mama ist das nicht.«, platzte es aus dem Jungen heraus.
»Nicht immer.«, ließ der Vater zustimmend und sich vorsichtig umsehend, verklingen.
»Ist sie ein Monster?«, die Neugierde des Nara-Zöglings kostete dem Herren noch seinen Kopf, wenn er weiterhin nachbohrte.
»Psssst!«, zischte der Vater. »Shikamaru, lass das bloß nicht deine Mutter hören!«
»Also«, hob der Spund an, »ist sie eins?«
»Manchmal ... vielleicht.«, entkam es dem Alten zähneknirschend, ehe er resigniert seufzte.
Tief holte der Kleine Luft, ehe er den Kopf schüttelte. Sein Vater band ihm einen Bären auf, dennoch war nicht von der Hand zu weisen, dass seine Mutter wahrlich zu einem beängstigenden Wesen mutieren konnte.
»Kann sie dich in Stein verwandeln?«
»Aber Shikamaru!«, erneut verfiel das Nara-Oberhaupt in ein zitteriges Lachen. »Nicht alle weiblichen Geschöpfe verwandeln ihre Männer in Statuen.«
»Aber du hast doch gerade gesagt ...«, wollte er protestieren.
»Shikamaru, das ist eine Legende, ein Mythos.«, wieder strafte ihn der Sohn mit einem argwöhnischen Blick. »Hier.« Shikaku reichte ihm das alte Buch und erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen und seinem Jungen von den alten Sagen erzählt hatte.
Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen starrte er in die Dunkelheit. Die Worte seines alten Herren geisterten noch immer in seinen Gedanken und ließen seiner Furcht nur noch mehr Raum, sich zu entfalten. Für sein Alter galt Shikamaru Nara bereits als überdurchschnittlich klug, doch wollten die Geschichten, die ihm sein Vater vorlas, nicht so recht zu der Intelligenzbestie passen, die, noch immer wachliegend, grübelnd an die Zimmerdecke blickte.
Im Geiste wiederholte er, was sein Vater ihm berichtet hatte. Doch es half nichts, also wand er sich aus seiner Decke, schlich auf nackten Sohlen durch den Raum und suchte in dem dunklen Zimmer nach der sicheren Lichtquelle. Eiligst wurde die Leuchte entflammt, ehe der Sohn im Stillen lauschte.
Offenbar, und zu seinem Glück, schienen die Eltern bereits zu Bett gegangen, sodass er dennoch sicherheitshalber nach einem geeigneten Gegenstand Ausschau hielt, dem Licht der kleinen Lampe keine Möglichkeit zu geben, durch die Ritze der Tür zu entfleuchen um so seine Mutter auf den Plan zu rufen. Hastig stopfte er den Überwurf in den kleinen Spalt und begab sich auf leisen Sohlen wieder zu seinem Bett, um sich abermals und eigenständig mit dem Schauermärchen vertraut zumachen.
»Medusa?«, zwischen den Augenbrauen des kleinen Mannes bildete sich eine Grübelfalte. Schnell überflog er die gedruckten Worte. Eine Sage, ein Mythos, wie sein Vater es nannte, aus einer Zeit, in der Götter herrschten und Helden geboren wurden.
»Häupter aus Drachenschuppen, Schlagen statt Haaren, Eckzähne in den Mündern und Flügel?«, prüfend beäugte Shikamaru das Gelesene abermals. Sein Verstand hatte längst begriffen, dass es keine Gorgonen gab, dennoch tat jene Saga nichts zu seinem Vertrauen in die weibliche Gesellschaft bei.
Am Morgen spürte er den Blick seiner Mutter auf sich. Doch erschien ihm dieser drängender, fordernder. Er vermied es, sie anzusehen und Yoshino Naras Misstrauen begann langsam aber stetig zu wachsen.
»Shikamaru«, erhob sie ihre Stimme, »iss deinen Reis!«
Der Junge tat wie verlangt doch entzog er sich noch immer ihren bohrenden, bedrohlich wirkenden Augen. Er weigerte sich, ihr ins Gesicht zu sehen. Schweigend aß er brav und beendete dankend sein Frühstück.
Im Verlauf des Tages konnte er jedoch nicht dem Drang widerstehen, seine Mutter einer Prüfung zu unterziehen. Schnell und schleichend versuchte er, ihr irgendeine Regung zu entlocken, die sie womöglich als Bestie entlarvte. Doch traten weder Schlagen aus ihrem Kopf, noch entwuchsen ihrem Mund riesige Fänge, und Drachenschuppen konnte er auch nicht an ihr ausmachen. Trotzdem hatte er den alten Taschenspiegel immer bei sich und hielt ihn schützend in Gänge und Flure, wann immer er seine Mutter vermutete. Vielleicht würde sie, wenn sie in ihr eigenes Antlitz starrte, wie in der Sage, selbst zu Stein? Denn Shikamaru hatte weder Sandalen mit Flügeln, noch eine Tarnkappe, geschweige denn eine Sichel oder einen glänzenden, reflektierenden Schild.
»Shikamaru, leg den Spiegel weg! Den ganzen Tag schon bist du damit beschäftigt.«, verlangte Yoshino, während die Familie zu Abend aß.
»Mama«, hob der junge Sprössling an, und während es ihm in den letzten Stunden gelungen war, sie klamm und heimlich zu beobachten, sich ihren Blicken jedoch gekonnt zu entwinden, sah sich der kleine Shikamaru nun in einer ausweglosen Situation. Yoshino hob den Kopf und sah von ihrer Schale auf. Auch Shikaku ließ seinem Sohn die volle Aufmerksamkeit zukommen.
»Bist du eine Gorgone?«, dass sein Vater laut los prustete, trug nicht zum Gelingen seines Vorhabens bei.
»Eine was, bitte?«, Yoshinos dunkle Augen fixierten erst ihren Sohn, ehe sie den Fokus auf ihren Mann richtete, dem der Schweiß bereits auf die Stirn trat.
»Ich habe dich beobachtet«, gab Shikamaru zurück.
»Und?«, hakte sie nach.
»Ich habe weder Schlagen noch Schuppen gesehen, und Flügel hast du auch nicht.«, wieder zeigte sich Trotz in der Stimme des Kindes.
»Schlagen? Schuppen? Flügel?«, verwirrt, aber dennoch misstrauisch unterzog die Herrin des Hauses den Jüngsten einem akribischen Blick.
»Papa hat erzählt, dass Frauen wie du eine bist, statt Haaren Schlagen auf dem Kopf haben«, gab der Junge trotzig zurück.
»Hey hey, so habe ich das nicht gesagt!«, hastig versuchte Shikaku die aufbrausenden Wogen zu glätten, doch seine Bemühungen blieben erfolglos.
»Was hat dein Vater gesagt?«, viel zu gut kannte der Ninja den Blick seiner Frau.
»Ich habe ihm nur vorgelesen. Gestern, vor dem Zubettgehen«, erneut probierte sich das Nara-Oberhaupt in erklärenden Worten. »Kinder und ihre blühende Fantasie. Ein Hirngespinnst. Es waren nur Mythen, nichts weiter.«
»Nichts weiter ... soso ...«, skeptisch hob sich eine Augenbraue gen Abendhimmel. Das drohende Gewitter vermochte nun nicht mehr eingedämmt werden. »Dem Kind solche Flausen in den Kopf zu setzen!«, herrschte Yoshino, während Shikaku einfach ausharrte und jenen Zank über sich ergehen ließ.
Noch Jahre später schüttelte der Nara-Spross seufzend den Kopf. Wieder kamen ihm die Worte seines Vaters in den Sinn.
»Frauen als zärtlich und süß zu bezeichnen ... Der spinnt doch!«, murmelte er, während er seinen Blick über die Menge junger Gesichter schweifen ließ. Frauen, Mädchen, wohin er sich auch wandte. Nun, selbst an Ino und ihre exzentrische Art hatte er sich gewöhnt, auch wenn dieser Prozess recht langwierig gewesen war. Und wenn er an die weiblichen Mitglieder der anderen Teams dachte, dann würden ihn die Jungen in seiner Meinung, was die Dominanz und Herrschsucht der Frauen anbetraf, sicherlich darin bekräftigen. Doch mit einem von ihnen tauschen wollte er nicht. Ino, Choji und er waren bereits von kleinauf eine eingeschworene Gemeinschaft, nicht zuletzt ausgelöst durch die langjährige Kameradschaft ihrer Väter. Frauen waren ihm einfach ein Rätsel und er tat gut daran, ihnen, wenn möglich, aus dem Wege zu gehen. In absehbarer Zeit jedoch, würde ihm jemand begegnen, der ihn wahrlich würde erstarren lassen.