Zum dritten Mal versuche ich nun aufzustehen, jedoch komme ich nicht hoch. Ich kann mich fast gar nicht bewegen. Millimeterweise versuche ich meinen Körper an den Rand des Bettes zu zwingen. Ich stöhne auf, denn die Schmerzen werden wieder stärker. Die Schmerzen, die mich immer verfolgen, egal was ich mache. Bei der kleinsten Bewegung melden sie sich zu Wort.
Resigniert bleibe ich auf dem Rücken liegen und versuche die Druckschmerzen zu ignorieren. Selbst das Liegen tut weh, da ich mich schon wund gelegen habe. Aufstehen kann ich schon lange nicht mehr alleine. Ich bin einfach zu schwach dafür und jede Bewegung schmerzt in den Gelenken.
Lange Zeit starre ich die Decke an, ohne diese scharf sehen zu können, denn die Kraft meiner Augen hat im Laufe der Zeit nachgelassen. Das einzige, was ich an der Decke sehe, ist ein dunkler Fleck, der sich bewegt. Ich vermute, dass es sich dabei um eine Fliege handelt, doch sicher bin ich nicht.
Vor langer Zeit hätte mich das Brummen dieser Fliege solange genervt, bis ich aufgestanden wäre. Doch ich kann das Brummen nicht mehr hören, was an meinen schlechten Ohren liegt. So stört es mich wenigstens nicht mehr.
Doch so gerne würde ich mich wieder darüber aufregen, ihr hinterherrennen, mich von ihr nerven lassen. Denn es würde bedeuten, dass ich noch Kraft hätte, es würde bedeuten, dass ich noch lebe.
Doch ob das hier noch ein Leben ist? Ich weiß es nicht und starre weiter an die Decke. Am liebsten würde ich das alles hinter mir lassen, mich vom Leben verabschieden. Doch selbst dafür fehlt mir die Kraft. Ich habe keine Angst vor dem Tod, denn es ist etwas Neues, mir Unbekanntes. Es kann nur besser sein, als in einem hilflosen Körper gefangen zu sein und völlig von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Ich habe mein Leben gelebt und bin bereit. Bereit für das Ende.
Ich warte nur noch, ich warte auf Erlösung. Ich warte bis das alles hier vorbei ist. Denn ich bin mir sicher, der Tod ist gerade etwas überfordert und hat mich nur vergessen. Doch lange wird es hoffentlich nicht mehr dauern, beruhige ich mich selbst.
Ich vernehme ein leises, fast polterndes Geräusch und daraufhin einige dumpfe Schläge, was bedeutet, dass sich jemand nähert.
In der Hoffnung, dass es der Tod ist, versuche ich noch einmal aufzustehen, breche diesen Versuch jedoch mit einem Schmerzensschrei ab.
Das ist keine gute Idee.
Die Schritte werden schneller. Mein Puls steigt ein letztes mal.
»Guten Morgen«, begrüßt er mich, zumindest denke ich, dass er das sagt. Könnte auch Puten Sorgen sein, da bin ich mir nicht so sicher.
Doch in einer Sache bin ich mir sicher. Dies ist doch nicht der Tod, sondern nur mein Enkel und Pfleger. Obwohl, nur ist eigentlich das falsche Wort. Ohne ihn wäre ich völlig hilflos und schon lange verdurstet oder verhungert. Dann wäre aber diese Qual endlich vorbei.
»Wie geht es dir heute?«, fragt mich mein Enkel.
»Willst du das wirklich wissen?« erwidere ich mit leicht zittriger Stimme.
»So schlimm?«
»Unerträglich schlimm« stöhne ich und versuche ihn anzusehen, was jedoch nicht klappt. Mühsam unterdrücke ich einen Schmerzensschrei und flüstere ihm zu: »Am liebsten wäre ich tot. Denn das wäre eine Erlösung von den Qualen.«
»Aber...«, höre ich das Entsetzen in seiner Stimme.
»Ich kann gar nichts mehr machen, ich bin völlig von dir abhängig. Die Schmerzen, die ich erleide sind höllisch, da hilft gar nichts mehr. Das ist kein Leben mehr, es ist nur noch Qual. Ich will so nicht leben.« Es kostet mich unheimlich Kraft diese Worte auszusprechen, sowohl körperlich, als auch geistlich. Ich nehme alle meine Kraft zusammen um weiterzusprechen. »In der Natur würde ich schon längst nicht mehr leben. Es ist der ewige Kreislauf. Jeder stirbt irgendwann, manche früher, andere später. Die Leute müssen sterben um anderen Platz zu machen. Und meine Zeit sollte eigentlich schon vorbei sein.«
Ich atme tief ein, was von einem Anfall Schmerzen quittiert wird.
»Woher willst du wissen, was nach dem Tod passiert? Hast du keine Angst, dass du später nichts bist?«, will mein Enkel von mir wissen und hält meine Hand.
»Nach dem Tod wird das gleiche sein, wie vor der Geburt. Was genau, das kann ich jetzt noch nicht sagen, aber ich bin bereit dafür, was auch immer es ist.
Ich will, dass du mir noch einen letzten Gefallen tust.«
»Was immer du willst«, entgegnet er mit zittriger Stimme.
»Erlöse mich«, flehe ich ihn an.
»Aber...bist du sicher?«
»Ich war noch nie sicherer. Tue es für mich«
»Wie soll ich das machen?«, fragt er und rückt näher zu mir.
»Überleg dir was. Hautsache es geht schnell und schmerzlos.«
Ich merke ihm an, dass er nicht begeistert ist, doch er verschwindet mit den Worten, dass er bald wieder da sei.
Also habe ich wieder Zeit die Fliege anzustarren und mir kommen die Tränen. Nicht weil mein Leben bald vorbei sein wird, sondern wegen meinem Enkel. Er macht so viel für mich, einen besseren Enkel gibt es nicht.
Nachdem meine Tränen versiegt sind, kommt mein Enkel wieder. Er setzt sich zu mir und fragt mich sofort: »Hast du geweint?«
Erneut breche ich in Tränen aus und ich spüre die Tränen meines Enkels auf meiner Wange. Für einen Moment vergesse ich sogar die Schmerzen.
»Ich hoffe, du bekommst deshalb keinen Ärger«, flüstere ich.
»Wiederhole deinen Wunsch zu sterben, ich werde ihn als Beweis aufnehmen«, fordert er.
So laut ich kann wiederhole ich meinen Wunsch zu sterben.
»Trauere nicht um mich. Behalte mich in Erinnerung. Denn: Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur wer vergessen wird.«
Ein letztes Mal umarmt er mich und ich flüstere ihm zu, wie sehr ich ihn liebe.
Es wird ruhig und er tröpfelt mir etwas in den Mund.
Ich schlucke es herunter und schließe meine Augen. Während ich seine Hand in meiner spüre sage ich meinen letzten Satz: »Poenam no sentio mortis. Poena fuit vita, requies mihi morte parata est.«
Ich spüre seine Tränen auf meiner Haut, während ich den Satz auf Deutsch wiederhole: »Ich spüre nicht die Strafe des Todes. Die Strafe war das Leben, der Tod hat mir Erlösung gebracht«
Ich sinke in meinen ewigen Schlaf, zum ersten Mal seit langem schmerzfrei.
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Infos
Aufgrund des doch sehr intensiven Themas der vorherigen Kurzgeschichte, sehe ich es als meine Pflicht an, noch einige Worte über dieses Thema zu verlieren und darüber zu informieren, die Leser nicht mit deisem Thema alleine zu lassen. Denn vor allem kurz nach dem Schreiben habe ich die Intensität dieses Themas gespürt und verstanden warum dieses Thema oft ignoriert wird. Doch jetzt habe ich mich ziemlich intensiv mit dem Tod und der Sterbehilfe beschäftigt und denke, dass man sich zumindest etwas mit diesem Thema beschäftigen sollte, denn jeder kann einmal in eine solche Situation kommen, auch wenn es hofentlich niemals soweit kommt, dass die Sterbehilfe der letzte Ausweg ist. Doch trotzdem wird jeder irgendwann in seinem Leben mit dem Tod konfrontiert, dehalb denke ich dass man dieses Thema nicht einfach verdrängen kann und darf.
Deshalb bin ich bereit über dieses Thema noch ausführlicher zu sprechen, falls Interesse besteht.
Aber mir war auch wichtig zu sagen, dass die (aktive) Sterbehilfe in Deutschland als eine Straftat gilt. Doch dazu im folgenden mehr.
Auch geht es mir darum, etwas über dieses Thema zu informieren, da dieses Thema, vor allem ethisch aber auch gesetztlich, sehr stark umstritten ist.
Im folgenden beziehe ich mich auf einige Domkumentationen und den Wikipediaeintrag. Dabei werde ich versuchen die Informationen möglichst korrekt zu halten, doch trotzdem können Fehler entstehen, gerade im juristischen Bereich. Für diese übernehme ich keine Haftung, würde mich aber freuen, wenn ihr mich darauf aufmerksam macht.
Sterbehilfe (wie es unser Enkel in der Geschichte getan hat) ist in Deutschland
seit dem 10. Dezember 2015 laut §217 des Strafgesetzbuch verboten. In diesem Artikel steht, dass die geschäftsmäßige Tötung verboten sei. Doch wenn der »Teilnehmer« ein Angehöriger der sterbenden Person sei oder dieser nahestehen würde und nicht geschäftsmäßig handelt bleibt in Deutschland meist straffrei.
Doch wo fängt Sterbehilfe an und wo ist die Grenze zum Mord? Worum handelt es sich bei der (aktiven) Sterbehilfe überhaupt?
Bei der Stebehilfe wird zwischen der aktiven und passiven, gelegentlich auch der selteneren indirekten Sterbehilfe unterschieden.
Die aktive Sterbehilfe liegt vor, wenn der Patient aktiv getötet wird, beispielsweise durch Medikamente. Dies ist in Deutschland verboten (trotzdem unter den oben genannten Bedingungen meist Straffrei). Doch hier wird noch unterschieden, ob es sich um den Wunsch des Patienten handelt oder nicht. Ist es nicht im Sinne des Patienten, das heißt fehlt die Einwilligung (in Form eines früheren Wunsches) oder einer Patientenverfügung, zählt dies vor Gericht als Mord oder Todschlag und nicht mehr als Sterbehilfe. Falls also nicht konkret bewiesen werden kann, dass es sich um den freien Willen des Patienten handelt, muss mit einer Anklage gerechnet werden. Also hat unser Enkel richtig gehandelt, denn er hat als Beweis die Aufnahme, dass es sich um den freien Wilen handele. Doch er hat sie nicht aktiv getötet, weshalb wir uns nun auch die anderen Arten anschauen werden.
Von indirekter Sterbehilfe spricht man, wenn die Ärtze das Leben des Patienten nicht mehr retten, sondern durch beispielsweise eine dauerhaft zu hohe Dosierung einiger Medikamte, meist Schmerzmittel, »verursachen«.
Die Ärzte nehmen den Tod in Kauf, denn der Patient befindet sich zu dieser Zeit schon in einem Stadium, in welchem er dem Tode sehr nahe ist und somit wenigstens seine Schmerzen gelindert werden. Somit ist der Tod eher eine Nebenwirkung, bei dem Versuch dem Patienten zu helfen.
Auch hier gab es einige Diskussionen, doch nach dem aktuellen Gesetz sind die Ärzte nicht schuldig, eher im Gegenteil. Falls sie in diesem Falle nicht ausreichend Schmerzmittel geben, können sie aufgrund von unterlassener Hilfeleistung/Körperverletzung angezeigt werden. Damit soll verhindert werden, dass sich Ärzte außerhalb ihrer nötigen Sorgfalt bewegen. Doch in der Praxis ist diese Form der Sterbehilfe eher selten, weshalb dies eine eher rein akademische Diskussion.
Von passiver Sterbehilfe wird gesprochen, wenn das Ziel der Ärzte nicht mehr die Lebenserhaltung, sondern das Verbessern der Lebensqualität ist.
Die Ärzte versuchen nicht mehr das Leben der Patienten zu »heilen«, wie es in der Kurativmedizin (curare (lat.)=heilen) der Fall wäre, sondern die Lebenssituation des Patienten zu verbessern, wie es in der Palliativmedizin (paliare (lat.)=mit einem Mantel umhüllen) der Fall wäre. Es wird Rücksicht auf die letzten Wünsche des Patienten genommen und versucht dessen Tod so wenig quälend wie möglich zu gestalten. Auch wird auch lebensverlängernde Maßnahmen, wie Wiederbelebung verzichtet.
Besonders Wert wird auf das ausführliche und ohne Zeitdruck stattfindende Gespräch der Palliativmedizin gelegt, welches dem Patienten informieren soll und dabei helfen soll diesem die Angst zu nehmen.
Nun haben wir die drei wichtigsten Formen der Sterbehilfe abgearbeitet.
Doch es gibt noch weitere Formen, die zwar keine richtige Sterbehilfe darstellen, welche ich aber der Vollständigkeit halber ergänzen werde. Denn das was unser Enkel getan hat, lässt sich mit keiner der drei Arten wirklich beschreiben.
Es gibt noch die Sterbebegleitung, bei der nicht in den Prozess des Todes eingreift, sondern der Patienten auf dem Weg begleitetet und unterstützt wird. Dies ist nicht rein medizinisch sondern hauptsächlich therapeutisch, um dem Patienten einen angenehmen Lebensabend zu bieten. Angebote, um solchen Menschen zu helfen, werden unter dem Begriff »Palliative Care« zusammengefasst.
Nun folgt die letzte Form die ich hier vorstellen werde.
Hierbei handelt es sich um die Beihilfe zur Selbstötung oder den Assistierten Suizid. Dies bedeutet, dass eine andere Person die Mittel bereitstellt, um der Person den Suizid zu ermöglichen. Doch es zählt nur als Suizd, falls die Person wirklich selbst handelt und die andere Person in den eigentlichen Tötungsprozess nicht eingreift.
Meist handelt es sich hierbei um Medikamente, die bereitgestellt werden. Genauso wie es der Enkel es tat und der ihr die Medikamente besorgte.
Doch wer genau aufgepasst hat, wird jetzt sagen, dass dies nicht korrekt sei. Tatsächlich hat der Enkel ihr die Tropfen gegeben, womit dieses Detail aussagt, dass es sich um aktive Sterbehilfe und nicht um Beihilfe zu Suizid handelt. Nur dieses kleine Detail verändert den ganzen Strafbestand.
In diesem Falle ist es kein großer Unterschied, doch in einigen Ländern kann dieses Detail vieles verändern.
In Niederland zum Beispiel ist die aktive Sterbehilfe erlaubt, aber nur wenn sie unter Kontrolle eines Arztes durchgeführt wird und alles sorgfälig geprüft ist. Dort wäre unser Beispiel verboten, würde dort höchstwarscheinlich als Mord zählen.
In Italen dagegen ist die Gesetzeslage unklar, weshalb ich keine Angaben dazu geben würde, wie in solcher Fall dort bestraft werden würde.
In Deutschland ist das Besorgen und Bereitstellen der Medikamente nicht verboten, da keine rechtwiedrige Haupttat vorliegt. Außerdem wird damit keine »andere« Person verletzt oder getötet wird.
Doch es gibt auch Ausnahmen dieser Straffreiheit. Denn der Suizid zählt juristisch als Unglückfsall, deshalb kann man trotzdem wegen unterlassener Hilfeleistung (mit Todesfolge) angeklagt werden. Doch dies ist wie gesagt eine Ausnahme.
Außerdem kann eine Strafttat im Rahmen des Arzneimittelgesetz oder des Beäubungsmittelsgesetzes vorliegen.
Dies lässt sich jedoch auch (in besonderen Fällen) umgehen, denn jeder Mensch hat unter drei Bedingungen die Erlaubnis eine tödliche Dosis Natrium-Penobarbital zu kaufen. Diese Mittel sorgt für einen zuverlässigen und schnellen, schmerzfreien Tod.
Dem zugrunde liegt die Menschenwürde. Jeder Mensch soll selbst über sich entscheiden dürfen und der Staat würde bei einem Verbot gegen den Erwerb dagegen Verstoßen. Außerdem wird dies als Art der Therapie gesehen, weshalb kein Widerspruch zum Betäubungsmittelgesetz besteht.
Die Überprüfung übernimmt ein dafür zuständiger Sachverständiger des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte vor.
Dieser prüft ob eine extreme Notlange vorliegt, in Form einer unheilbaren schmerzhaften Krankheit, ob der Patient selbständig entscheidet zu sterben und ob keine andere Möglichkeit besteht, als der Sterbewunsch.
Nun lässt sich sagen, dass unserem Enkel in Deutschland unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben würde. Trotzdem kann er thoretisch angeklagt und bestraft werden.
Im großen und ganzen bin ich der Meinung, dass Sterbhilfe durchaus als Erlösung gesehen werden kann, aber nur als Ausnahme.
Man sollte sich im Falle eines Falles (was hoffentlich nicht passieren wird) gründlich Informieren, denn die Gesetzeslage ist alles andere als klar und einfach.