Lange Zeit habe ich darüber nachgedacht, was ich euch sagen könnte. So vieles wollte ich sagen. Doch mir fehlten die Worte. Ich konnte nichts sagen. Nicht zu euch und nicht zu anderen. Zu niemanden. Niemals könnte ich das, dachte ich. Es ist etwas, wo ich alleine durch muss. Es ist etwas, wo jede Frau alleine durch muss. Jede für sich selbst. Ich dachte, wenn man es schafft, ist man eine Frau. Wenn man es alleine schafft.
Doch nun stehe ich hier. Ich habe die Chance zu euch zu sprechen.
Ich weiß, ihr hasst mich. Ich weiß, ihr denkt ich habe euch verraten. Euch und eure Kultur.
Doch es gab einmal eine Zeit, da war es kein ihr. Da war es wir. Unsere Kultur.
Es ist lange her. Mittlerweile kann ich es mir schon gar nicht mehr vorstellen. Doch ich erinnere mich noch genau an damals. An die guten und die schlechten Zeiten.
Auch als ihr das getan habt. Ich dachte, es sei normal. Und doch wollte ich es nicht.
Ich erinnere mich noch genau. An jedes schreckliche Detail. An das Blut. An die Schmerzen. An das Gefühl. Das Gefühl nichts tun zu können.
Obwohl ich noch so klein war, spürte ich schon vorher, dass etwas anders ist. Alle haben sich so merkwürdig verhalten. Ich bekam mehr Essen. Sonst bekam ich nie einfach so mehr Essen. Ihr dachtet, ich werde es nicht mitbekommen. Doch ich habe es bei ihr gesehen. Ich habe es gesehen. Auch sie bekam mehr Essen. Dann habt ihr sie weggeführt, doch ich habe ihre Schreie trotzdem gehört. Ich bin euch gefolgt, weil ich wissen wollte, was los ist. Doch als die Schreie anfingen, bin ich gerannt. Gerannt. Immer weiter.
Ich war wieder zu Hause. Habe gesehen, wie sie wiederkam.
Nun war sie eine Frau. Schwach und wehrlos. Unterwürfig. Gebrochen. Ihr habt es geschafft. Da habe ich mir geschworen, dass ihr es bei mir nicht schaffen werdet.
Doch auch mich führtet ihr weg. Dort wo nichts mehr war. Ich wollte mich wehren. Habe geschrien. Doch ihr habt mich festgehalten. Habt mir erzählt, dass es so sein muss. Das es unrein ist. Das ich sonst nicht heiraten darf. Das ich sonst keine Frau sein kann. Das das dort unten weg muss. Alles. Komplett weg.
Ich spüre noch immer den Schnitt. Die Schmerzen dort unten. Jeden verdammten Tag! Jeden Tag. Jede Nacht.
Einfach alles weggeschnitten. Dann zugenäht.
Einfach so. Niemanden haben meine Schmerzen interessiert. Niemanden haben meine Schreie interessiert. Niemanden hat es interessiert.
Es war normal.
Heute frage ich mich warum. Ich dachte damals wirklich, dass es sein muss. Ich kannte keine Frau, bei der es nicht gemacht wurde. Nicht eine einzige. Schließlich durften sie nicht heiraten. So eine Frau würde kein Mann freiwillig nehmen.
Doch irgendwann traf ich auf diese Frau. Sie sah völlig anders aus, als alle anderen in meinem Dorf. Sie erzählte mir von ihrer Heimat. Ich war wirklich erstaunt, was sie erzählte klang alles so unglaublich. Ich wollte es sehen. Es schien in meinen Augen so perfekt.
Also fasse ich den Entschluss. Ich machte mich auf den Weg ins Fremde. Ich wusste, dass ich niemals wiederkehren werde. Dass ich alles hinter mir lassen muss. Damals fiel es mir wirklich schwer, auch wenn ich neugierig war. Doch heute bin ich wirklich dankbar dafür.
Ich habe dort vieles gelernt. Anfangs hatte ich wirklich Heimweh. Natürlich. Habe ich jetzt noch immer. Denn nicht alles ist alles ist schlecht, keineswegs. Gab auch richtig tolle Momente.
Doch als ich sie mit einem fremden Mann traf, war ich geschockt. Sie war noch nicht verheiratet!
Sie war völlig erstaunt, als ich ihr davon erzählte. Wirklich erschrocken. Dann erzählt es mir.
Ich war völlig erstaunt, als sie mir davon erzählte. Wirklich erschrocken.
Da wurde es mir klar. Es ist nicht normal, wie ihr es immer erzählt habt. Es ist nicht unrein. Es ist nicht notwendig. Es steht nicht im Koran.
Niemand muss diese Schmerzen erleiden, um eine Frau zu sein. Um heiraten zu dürfen. Um leben zu dürfen. Um Spaß zu haben.
Sie ist mittlerweile meine Freundin. Sie ist es, die mir beigebracht hat, dass ich darüber reden darf.
Das ich darüber reden muss. Ich muss anderen davon erzählen, die glauben, dass es normal ist, dass es nötig ist. Denn das ist es nicht! Niemand muss diese Schmerzen erleiden. Niemand! Ob ihr es glaubt oder nicht.
Ich habe dort, in meiner neuen Heimat, auch etwas weiteres begriffen.
Ich habe verstanden, warum ihr es macht. Wenn das dort unten weg ist, dann spürt eine Frau weniger. Es tut weh, wenn man Sex hat. Das bedeutet, dass eine Frau niemals freiwillig Sex hat - Ja, ich rede öffentlich darüber. Als Frau!
So wird euch keine Frau mehr fremdgehen. Die Männer können sie ganz für sich selbst beanspruchen.
Und genau das ist euer Problem! Ich habe es begriffen. Genau dort fängt es an, dass eine Frau feststellt, dass sie weniger wert ist als ein Mann. Die Schmerzen sollen daran erinnert, dass der Mann mehr Wert ist als die Frau. Die Schmerzen sind die Erinnerung daran, dass der Mann mehr wert ist, als die Frau.
Die Männer wollen die Macht über die Frau. Sie selbst dürfen sich aber alles erlauben. Sie dürfen machen was sie wollen und die Frau muss tun, was er will.
Und das ist falsch! In meiner Heimat, meiner neuen Heimat, ist das anders.
Wisst ihr, wie ein Mann dort seine Frau bei sich behält? Wie ein Mann dafür sorgt, dass die Frau nicht fremdgeht?
Indem er sie liebt. Wirklich liebt. Indem er bei ihr ist. Sie als gleichwertig ansieht. Als Person, nicht als Gegenstand. Ihr ihre Freiheiten lässt. Und vor allen indem er mit ihr umgeht, wie er selbst behandelt werden möchte. Auch der Mann darf dort nicht fremdgehen.
Und das beste daran ist: Es funktioniert.
Niemand muss Schmerzen leiden.
Zum Abschluss noch ein Zitat: »Das letzte Kamel in der Reihe ist genauso schnell wie das Erste. Was immer auch dem letzten von uns geschieht wirkt sich auf uns alle aus.«
Und übrigens: Ich habe eine wunderbare Freundin kennengelernt. Dank all der Schmerzen und all dem Leid. Ohne euch hätte ich sie niemals kennengelernt. Wir werden heiraten, sobald wir in der Heimat sind – denn dort ist es möglich. Die Liebe ist entscheidend, nicht die Unterdrückung durch andere.