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Meine Finger schließen sich fester um den Griff meines dunkelblauen Rollkoffers, als ich mich die Menschenmengen quetsche. Überall um mich herum hetzen Leute zu ihren Gates oder reihen sich in ellenlange Schlangen ein. Nach den fast vier ein halb Stunden bin ich echt froh wieder festen Boden unter meinen Füßen spüren zu können und mich nicht schon wieder in eine Schlange stellen müssen. In der großen Halle ist es vollkommen stickig und ich bin sicher nicht die Einzige, die leicht zu schwitzen beginnt.
Am Eingang angekommen, sprinte ich beinahe aus dem Gebäude hinaus. Sobald ich ins Freie getreten bin, komme ich nicht umhin einen tiefen Atemzug zu nehmen. Zwar ist es hier draußen auch nicht gerade kalt, aber auf jeden Fall besser als im Flughafen oder in Chicago, wo die Sonne die Bewohner der Stadt fest an die Wohnung gefesselt hat. Schon allein das Tennisspiel hat mich unter der prallen Sonne ziemlich fertig gemacht. Und Melissa hat das Ganze mit ihrer Art nicht leichter gemacht.
Um nicht umgerannt zu werden, stelle ich mich mit meinem Gepäck in eine leere Ecke und ziehe mein Handy aus der Tasche. Mist, während des Fluges ist mein Akkustand auf zwanzig Prozent gesunken. Mit flinken Fingern checke ich schnell die Nachrichten meiner besten Freundin Bree, die mich eigentlich von hier abholen sollte. Aus dem Inhalt ihrer Nachrichten heraus, erfahre ich aber, dass sie es nicht schaffen wird mich abzuholen. Sie klingt kurz angebunden und erklärt mir, dass ihr Boss sie mal wieder vollkommen beansprucht und dass sie keine Zeit hat mich abzuholen.
Zwar habe ich jetzt das Problem, dass ich nicht weiß, wie ich nach Hause kommen kann, doch trotzdem habe ich auch Verständnis für ihre Situation. Ich kenne Bree noch aus meiner Schulzeit und weiß genau, dass sie mit zu viel Stress echt nicht klar kommt, weshalb ich den Job bei Lane Industries anfangs auch nicht gutgeheißen habe. Mittlerweile habe ich mich einfach entschieden ihr bei der Entscheidung, das Jobangebot anzunehmen, zur Seite zu stehen, anstatt ihr zu sagen, dass es nichts für sie ist. Natürlich kann ich ja auch verstehen, dass man eben mehr arbeiten muss, wenn man Assistentin ist und gerade ganz unten in der Firmenhierarchie steht.
Deshalb tippe ich auch nur ein kurzes “Ok“ in die Tastatur ein und füge hinzu, dass sie sich keine Gedanken um mich machen muss. Ich will einfach nicht, dass sie sich den ganzen Tag Sorgen um mich macht.
Kurz darauf folgt dann jedoch eine Nachricht ihrerseits, die mich total überrascht. Darin teilt sie mir mit, dass mein Mitbewohner Elijas sich dazu bereiterklärt hat, mich abzuholen. Ein dankbares Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Womit habe ich mir nur so gute Freunde verdient?
Schnell tippe ich eine Antwort ein, um ihr zu danken, und lasse meinen Blick dann über den riesigen Parkplatz vor mir schweifen. Leider ist Elijas‘ Ford schwarz und geht in der Masse total unter.
Unerwartet entdecke ich meinen besten Freund dann, nachdem ich lange genug gesucht habe, überraschenderweise an einem Hotdogstand. Sofort fällt mir auf, dass er seit meiner Abreise nicht mehr beim Friseur war, denn sein hellbraunes Haar fällt ihm nämlich bereits in die Stirn. Bei dem Anblick des dampfenden Hotdogs in seiner Hand, leuchten seine braun-grauen Augen, die mich jedes Mal, wenn ich hineinblicke, an die Haut einer Schlange erinnern, regelrecht auf. Auf einen Hotdog hätte ich jetzt auch echt Lust! Elijas Muskeln spannen sich unter seinem grauen T-Shirt, als er sich die Wurst und das Brötchen in den Mund schiebt, während seine vollen Lippen sich öffnen und den Blick auf seine strahlenden Zähne, die einen Kontrast zu ihrer stark gebräunten Haut bilden, freigeben.
“Elijas?“, die Freude in meiner Stimme klarer heraus zu hören als ich gedacht hatte. Er hebt seinen Blick von dem Snack und starrt stattdessen mich an. Sein Blick ist genauso freudig wie mein Eigener. Beinahe liebevoll! Sein Anblick lässt meinen ganzen Körper vor Freude wie ein warmes Lagerfeuer knistern. Dieser Mann, mein Kindheitsfreund, zaubert mir immer ein Lächeln auf die Lippen egal, wie mies ich zuvor gelaunt war.
Schnell wirft er seine Essen in die Mülltonne neben ihm, um mich in seine Arme schließen zu können, was irgendwie schade ist. Sein Körper an meinem lässt mich die Essensverschwendung vergessen. Wäre er nicht schwul, könnte ein Außenstehender wirklich denken, dass wir mehr wären als Freunde, doch wir beide wissen, dass selbst dann nie etwas zwischen uns laufen würde.
“Den Hotdog hätte ich übrigens echt gerne noch gegessen“, murre ich, als wir uns voneinander lösen. Mein bester Freund verdreht allerdings nur die Augen: “Wie wäre es erst mal mit einem ‘Hallo‘ oder einem ‘Schön dich wieder zu sehen.“ Ich spreche das aus, was ich wirklich schon vorher hätte sagen sollen: “Hallo, schön dich wieder zu sehen und danke, dass du mich abholst.“ “Gut so“, er grinst und streckt seine Hand nach meinem Koffer aus: “Gib hier. Wir sollten zum Auto gehen und nach Hause.“ “Wieso hast du es so eilig?“, ich klinge belustigt. “Du stinkst“, erwidert er amüsiert. “Ich will nicht wissen, wie du nach mehr als vier Stunden in einem Flugzeug bei unerträglicher Hitze riechen würdest“, beschwere ich mich. Gespielt beleidigt klappt er den Mund auf: “Ich würde klasse riechen.“ Darauf folgt ein nicht ganz ernst gemeintes Augenrollen: “Klar.“ “Danke“, das war seine Bestätigung: “Und jetzt lass mich deine Koffer tragen.“ “Nein, ich habe schließlich selbst Hände“, widerspreche ich hartnäckig.
Diese Diskussion hatten wir nämlich schon vor meiner Abreise und da habe ich auch gewonnen. “Nein, Leyla. Du bist durch den Flug sicher schön müde genug“, er streicht mir liebevoll, fast wie ein Bruder, eine meiner dunkelbraunen Haarsträhnen aus den grünen Augen: “Lass dir einfach mal von mir helfen.“ Für einen kurzen Moment will ich protestieren, schließe den Mund dann aber lieber wieder, denn er hat recht. Ich bin echt müde und mit Sicherheit würde ich die Diskussion dieses Mal verlieren. Also lasse ich es einfach und folge ihm wortlos, mit dem Gedanken an das warme, weiche Bett, was mich zu Hause erwartet, über den Parkplatz zum Auto.