Er
Die Straßenlaternen erleuchten meinen Weg flackernd. Mein Blick liegt auf dem Stein unter meinen Füßen, während ich versuche die vielen Leute, um mich herum auszublenden.
Mein Vater hatte eisern darauf bestanden, dass ich mal ein paar unserer neuen Angestellten zusammen trommle und mit ihnen irgendwas unternehme, um die Beziehung zu diesen zu verbessern, wovon ich jedoch gar nichts halte. Warum konnte er das nicht machen?
Schließlich ist er der Seniorchef unserer Firma und ich bin nur der Sohn, der angelernt wird, um das Geschäft später zu übernehmen, was erst gar nicht in meinem Interesse lag. Eigentlich wollte ich irgendwas machen, um mich kreativ auszuleben, zum Beispiel Bücher schreiben und malen, doch stattdessen haben meine Eltern darauf bestanden die Firma in der Familie weiter zu geben und da blieben meine Schwester und ich die einzigen Optionen.
Da ich fast mein ganzes Leben mit meiner Schwester verbracht habe, habe ich mich dazu entschlossen die Verantwortung zu übernehmen, da sie mit ihrem unbeschwerten, unbekümmerten Wesen niemals imstande wäre das zu tun. Zwar schätze ich meine Schwester und ihre Art wirklich, doch trotzdem weiß ich ebenso gut wie sie, dass sie gar nicht wüsste, man so ein Unternehmen leitet. Zwar würde Dad es ihr sicher erklären, doch ich kenne ihre Träume und wollte sie ihr wirklich nicht nehmen.
Anstatt jedoch, wie mein Vater es sich sicherlich gewünscht hat, mit den Neuen in irgendein Restaurant zu gehen, habe ich mich für eine ganz andere Lokation entschieden. Ich will meinen Abend einfach nicht damit zu in irgendeinem vornehmen Restaurant an einer langen Tafel zu sitzen und schweigend zu essen. Das ist etwas, was mein Dad tun würde, aber ich bin eben nicht mein Vater. Zwar hat er das auch nie gesagt und niemals versucht mich zu seinem jüngeren Abbild zu machen, doch trotzdem haben mich viele als klar wurde, dass ich Juniorchef werde, so gesehen. Mittlerweile hat sich das allerdings auch wieder stark gelegt und ich werde unabhängig von meiner Familie als Person gesehen.
Vor den schwarzen Türen eines großen grauen Gebäudes bleibe ich stehen, während die Gruppe, um mich herum, länger braucht, um zu realisieren, dass wir scheinbar nicht weiter laufen werden. "Warum stehen wir vor einem Stripclub?", fragt einer Dümmlich. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie einer der Anderen ihn in die Seite stößt und ihn irgendwas zuflüstert.
Selbstsicher gehe ich auf den Mann am Eingang zu und zücke mein Portmonee. Heraus ziehe ich meinen Ausweis, um dem breiten Türsteher vor mir zu zeigen, dass ich über achtzehn bin, was man aber auch nur schwer übersehen kann.
Ich würde nicht sagen, dass ich alt bin oder so aussehe, aber für unter zwanzig könnte man mich auch nur aus sehr weiter Entfernung halten. Mein dunkelbraunes Haar habe ich ein wenig nach hinten gestylt und der leichte Ansatz eines dunklen Dreitagebarts, der meine rosafarbenen Lippen umrahmt, ist bereits zu erkennen. Das Zentrum meines Gesichts bilden aber meine eisblauen Augen, die in Kombination mit meiner leicht gebräunten Haut, hervorstechen. Mit meinen dreiundzwanzig Jahren habe ich für mein Geschlecht eine normale Größe und bin auch nicht schlecht gebaut, obwohl man mich auch nicht wirklich als totalen Muskelprotz bezeichnen könnte. Manchmal ist weniger schließlich mehr und ich gefalle mir so, wie ich bin, was wohl der erste Schritt zu einem gesunden Selbstbewusstsein ist.
Die anderen Männer tun es mir gleich und folgen mir dann in den Club. Im Inneren wummert der Bass heftig und lässt den Boden leicht vibrieren. Das Licht ist auf die Bühne gerichtet, die man von fast jeder Position im Raum gut erkennen kann. Mein Blick schweift auf der Suche nach einem Sitzplatz durch die Ansammlung von Menschen. Einige von ihnen hängen bereits ziemlich betrunken auf ihren Barhockern und kippen einen Kurzen nach dem anderen hinunter, während der Rest, egal ob sitzend oder stehend, die jungen Frauen auf der Bühne betrachtet. Natürlich entgeht mir auch der hohe Anteil an männlichen Wesen in diesem Gebäude nicht. Frauen wissen nicht, was sie in einem Club voll mit angeturnten Typen tun sollen, wenn sie nicht gerade hier arbeiten. Genau das ist auch der Grund dafür, dass ich mich entschieden habe mit den weiblichen Kollegen an einem anderen Tag woanders hinzugehen.
Kurz deute ich auf eine der Sitzecken und gehe dann darauf zu ohne auf die anderen zu warten. Die Gruppe folgt mir einfach lärmend und lässt sich auf die schwarze Ledercouch fallen. Ich selbst setze mich als letzter hin und stütze meine Ellenbogen träge auf den dunklen, runden Holztisch. Meine Beine strecke ich entspannt aus und versuche einfach die Leute um mich herum auszublenden.
Eine Kellnerin unterbricht diesen Vorgang jedoch, als sie an unseren Tisch herantritt: "Hey, Jungs. Was wollt ihr trinken?" Sofort zieht sie einen Block mit einem dazugehörigen Stift aus ihrer schwarzen Kellnerschürze heraus.
Während sie wartet und dann die Wünsche der Männer notiert, mustere ich die junge Frau. Ihr Haar fällt ihr in seichten Locken über die Schulter. Ihre grau-weiße Haarfarbe ist zwar ziemlich ausgefallen, doch lässt sie die Kellnerin in keinster Weise halt aussehen. Stattdessen verleiht sie ihrem jugendlichen Gesicht noch mehr Frische und Vitalität. Das Highlight ihres Gesichtes bilden allerdings die sanften Grübchen, die bei jedem Grinsen hervorstecken und ihre moosgrünen Augen. Ihre Haut bedeckt sie nur mit einem kurzen, schwarzen Rock und einem Oberteil, das nicht einmal bis über ihre Rippen reicht und natürlich ebenfalls schwarz ist. Wenigstens die Schürze, die sie um ihre Hüften geschlungen hat, bedeckt ihre Oberschenkel größtenteils.
Als ich an der Reihe bin etwas zu bestellen, wende ich meinen Blick von ihrem, zugegebenermaßen schönen, Körper ab und blicke ihr wieder in die Augen, die ganz und gar nicht tiefgründig, sondern lediglich oberflächlich wirken. "Eine Cola, bitte", bestelle ich mit nüchterner Stimme. Ich weiß, dass ich bei den anderen Jungs jetzt sowas wie ein Weichei sein werde, aber das ist mir egal. Schließlich muss ich morgen arbeiten. Genau wie die anderen auch, aber die Tatsache scheint der Großteil der Gruppe zu ignorieren.
Die Reaktionen auf meine Bestellung folgen natürlich augenblicklich, also lasse ich die Lacher und die Kommentare still über mich ergehen und starre lieber auf die Tischplatte. Während ich hartnäckig damit beginne mit meinem Fingernagel in einem Schlitz in der Tischplatte herumzufummeln, wechseln sie das Thema plötzlich, als einer von ihnen darauf aufmerksam macht, wie heiß er die Kellnerin findet, die gerade an unserem Tisch war, doch nach einiger Zeit höre ich gar nicht mehr richtig hin. Gerade würde ich echt lieber auf dem Sofa in meiner Wohnung sitzen und Fernsehen oder lesen. Hauptsache irgendwas ohne die Frischlinge, die nicht besser zu tun haben, als sich über jeden möglichen Quatsch die Mäuler zu zerreißen. Genau deshalb hänge ich echt lieber mit denen ab, die schon länger für uns arbeiten und bereits ein wenig aufgestiegen sind. Sie sind einfach viel reifer und keine Küken mehr.
Eine Hand legt plötzlich einen Pappuntersetzer auf den Tisch vor mir, nur wenige Zentimeter von meinem Finger entfernt, hin und stellt dann ein Glas so schwungvoll darauf, dass die Cola darin fast den Rand schwappt und an der Außenseite hinunterläuft. Schnell schließe ich meine rechte Hand darum und stabilisiere es so, während ich den Blick habe und der Kellnerin mitten in die schönen Augen blicke. Für einen kurzen Moment sieht auch sie mich an, doch dann zieht einer meiner Kollegen ihre Aufmerksamkeit auf sich: "Und? Wie ist dein Name, meine Schöne?" Bei dieser grottigen Anmache muss ich mich wirklich beherrschen mir mit der flachen Hand vor die Stirn zu schlagen. Immer aufs Neue frage ich mich, warum wir Männer es meistens so herablassend versuchen, aber wahrscheinlich bin ich, was das angeht nicht besser, denn auch ich werde erst ein wenig herablassen, bevor ich einer Frau wirklich Bewunderung zeigen kann. Das ist wohl das Problem der meisten Männer auf dieser Erde. Sie wollen ihre Würde nicht verlieren, wenn sie weibliches Wesen umwerben. "Mein Name ist Lois", erwidert die Frau mit einem leicht gehobenen, rechten Mundwinkel. "Würdest du auch mal für mich so strippen, Lois?", sein Blick wandert zu der Bühne, auf der sich eine Reihe von Frauen an den Stangen rekelt. Ihren Vornamen zieht er absichtlich besonders lang, was sie aber nur zu einem Augenverdrehen veranlasst: "Du wärst der Letzte, für den ich sowas machen würde." Sofort bricht die ganze Gruppe erneut in Gelächter aus und auch ich kann mir ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. Diese Frau kann scheinbar nicht nur mit ihrem Aussehen, sondern auch mit ihrem Selbstbewusstsein punkten.
Mit einem Grinsen auf den Lippen stelle ich fest, dass ein neuer Song beginnt, als die Grauhaarige sich auf den Weg zum nächsten Tisch macht. Das Grölen meiner Begleiter kann mich allerdings erst davon überzeugen einen kurzen Blick auf die Bühne zu werfen, anstatt nur einmal aus dem Augenwinkel rüber zu linsen.
Scheinbar haben die Mädchen die Schichten gewechselt, was an sich nichts Besonderes ist, doch sofort sehe ich, was meine Mitarbeiter so fasziniert.
Da ist diese eine Frau. Sobald die ersten Klänge des Songs ertönen, beginnt sie ihren Körper gekonnte einzusetzen. Ihr Blick richtet sich in die Menge und das Leuchten ihrer tiefgrünen Augen zieht mich in ihren Bann. Ihr Körper steckt in schwarzer Unterwäsche und der dünne, dunkle Stoff ihrer Strümpfe schmiegt sich an ihre langen Beine, während ihr dunkelbraunes Haar in weichen Locken über ihre Schulter fällt. Ihre Lippen hat sie in einem starken Rot geschminkt und verleihen ihrem ganzen Look eine unbeschreibliche Macht, während sich ihr Körper um die Stange windet. Die Füße der etwa zweiundzwanzig jährigen Frau stecken in hohen High Heels, die ihren Look abrunden und sie nur noch heißer machen.
Doch es sind nicht ihr traumhafter Körper oder ihr schönes Gesicht, die mich eine tiefe Bewunderung für sie empfinden lassen, sondern die starke, verführerische Aura, die sie umgibt, und ihre Augen, die genau in diesem Moment ein Fenster zu ihrer Seele bilden und die Leidenschaft, die in diesem Moment in ihr zu toben scheint.
Wie aus der Ferne höre ich die Stimme der anderen Männer dumpf, schenke dem aber keine Aufmerksamkeit. Mein Mund wird trocken und ich greife nach meiner Cola, doch ich kann den Blick nicht abwenden, um richtig zu trinken. Fast fühle ich mich so an, als wäre ich hypnotisiert. "Geht's dir gut, Lane?", die Stimme von einem meiner Kollegen, mit dem ich mich, besser als mit den anderen, verstehe. "J-Ja", versuche ich selbstbewusst zu sagen, doch selbst ich kaufe mir das nicht ab: "Warum auch nicht?" "Stehst du etwa auf die Stripperin?", fragt einer der besonders vorlauten hämisch. Sofort bilden sich falten auf meiner Stirn, als ich ihn für einen kurzen Moment wütend anblicke: "Nein, natürlich nicht." Das dümmliche Grinsen, das auf meine Antwort folgt, scheint er sich nicht verkneifen zu können. Einen weiteren Kommentar spare ich mir und blicke stattdessen wieder konzentriert nach vorne.
Ich kann nicht sagen warum, aber irgendwie beginnt mein Herz beim Anblick dieser fantastischen Frau schneller zu schlagen, obwohl die Worte des Anderen mir einen leichten Stich versetzen. Er hat ja recht. Eine Frau wie sie kann ich nie im Leben haben und dieser Gedanke ist irgendwie ...schmerzhaft.
Nach längerer Zeit mal wieder ein längeres Kapitel und dieses Mal aus der Sicht von unserem lieben Ashton.