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Das Röcheln und Keuchen des Typen neben mir bringt mich fast um den Verstand. Die großen Schweißflecken unter seinen Armen sind kaum zu übersehen und fast kann ich sehen wie ihm die Schweißtropfen von seiner Stirn abperlen. Langsam bereue ich es kein Auto zu haben. Im Sommer wäre das wirklich angenehmer, denn sich mit lauter schwitzenden Menschen den Bus zu teilen, ist nicht sonderlich angenehm.
Glücklicherweise hält er Bus wenige Minuten später an der Haltestelle, an der ich aussteigen muss. Schwungvoll erhebe ich mich von dem harten Sitz und drängele mich durch die Menge der Menschen, die sich an den Haltestangen festhalten, weil sie keinen Platz gefunden haben. Da kann ich echt froh sein früh genug eingestiegen zu sein, um einen der letzten freien Plätzen zu ergattern.
Ich springe aus dem Bus auf den Bürgersteig und trete schnell auf den Bürgersteig, bevor ich von den Fahrradfahreren umgefahren werde, die über den Fahrradweg rasen.
Relativ gut gelaunt betrete ich den gepflasterten Weg, setze meine Kopfhörer ab und strecke sie unordentlich in meinen Rucksack zurück, sodass ich meine Rückfahrt wahrscheinlich damit verbringen werde das Kabel wieder auseinander zu knoten. Ich könnte aber auch Elijas fragen! Für die Sache mit dem Pizzaboten schuldet er mir schließlich noch etwas, aber den Gefallen sollte ich mir vielleicht lieber für etwas Wichtigeres aufsparen. Man kann ja nie wissen, was im Leben noch so auf einen wartet.
Auf dem Campus der Universität angekommen, erblicke ich sofort meine besten Freundinnen Kayl Jordan und Kena Thompson, die gleichzeitig auch meine Studienkolleginnen sind. “Hey Leute“, grinse ich, als ich bei den beiden angekommen bin.
Kayl sitzt auf einem Stein neben der Treppe, die in die Schule hinein führt, während Kena am Geländer lehnt und auf die Blondine mit den pinken Spitzen hinunterblickt. Kayl trägt wie immer ihre schwarze Lederjacke und ein weißes, bauchfreies Top, durch das ihr neongelber BH durch scheint. Selbst in der Uni legt sie wenig Wert darauf sich so streberhaft wie die meisten anderen hier zu kleiden. Das passt einfach nicht zu ihr. Stattdessen bleibt sie sich selbst treu und verändert sich nicht für andere, was ich an ihr bewundere, egal wie verrückte ihre Entscheidungen meist auch sein können. “Hey Leyla“, grinst die Blondine: “Schön dich endlich wieder zu sehen.“
“Das kann ich nur zurückgeben“, erwidere ich und beuge mich zu meiner Freundin hinunter und schließe sie in die Arme: “Ich hab euch beide echt vermisst.“ Nun mischt sich auch Kena ein: “Wir dich auch.“
Wie immer trägt die junge Spanierin die neuste Mode und macht daraus auch kein großes Geheimnis. Sie ist einfach ein Mädchen, das manchmal wirklich teure Sachen braucht, um für einen Moment das vollkommene Glück zu spüren. Außerdem liebt sie die Bewunderung der Jungen und die Eifersucht, der vielen Mädchen, die gerne ebenfalls sowas tragen würden. Zum Glück brauche ich sowas nicht, um mich gut zu fühlen und wenn ich Aufmerksamkeit will, gehe ich einfach in den Club und gehe meiner Arbeit nach.
Das schwarze Haar hat sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, der ihre weichen Gesichtszüge noch zusätzlich betont. Ihre Haut hat eine natürliche Bräune, die dafür sorgt, dass ihre grün-grauen Augen hervorstechen. Die vollen Lippen sind mit rotem Lippenstift bedeckt und ihre Wimpern sind dunkel getuscht.
Ich werfe einen Blick auf das Display meines Handys: “Fängt nicht gleich dieser Vortrag an?“ “Ja, stimmt“, pflichtet mir Kena bei: “Wir sollten uns gute Plätze sichern. Ich hab gehört der Mann, der den Vortrag hält, soll super heiß sein.“ “Hast du ihn etwa gegoogelt?“, meine Stimme klingt vollkommen vorwurfsvoll. “Nein“, schnell schüttelt sie theatralisch den Kopf: “Dieses Mal nicht.“
“Gut, dann los“, schwungvoll steht Kayl von dem Felsbrocken auf und packt jeweils eine von Kayls und meinen Händen, um uns mit sich in den riesigen Gebäudekomplex zu ziehen.
Im Hörsaal angekommen, machen wir uns auf die Suche nach einem guten Platz. “Da sieht es doch gut aus“, Kena deutet auf drei freie Plätze in der Mitte. “Stimmt“, erwidert Kayl und klettert, ohne einen von uns zu Wort kommen zu lassen, zwischen den Sitzen her, zu unseren neuen Plätzen.
“Wie war es eigentlich in Chicago?“, fragt mich Kena aus: “Gab es einen heißen Sommerflirt?“ Bei ihren Worten breche ich fast in Gelächter aus. Kaum bin ich aus dem Urlaub zurück, will jeder sofort Details hören. Wenn ich mich mit Bree treffe, werde ich sicher auch nicht darum herumkommen ihr noch einmal all den Mist zu erzählen, der passiert ist. “Also so würde ich das nicht nennen“, unsicher beginne ich auf meiner Lippe herumzukauen, während der Hörsaal bereits bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Der Einzige, der noch fehlt, ist der Mann, der eigentlich bereits vor einigen Minuten seinen Vortrag angefangen haben sollte.
“Wir wollen alle Details“, bitten meine Freundinnen genau im selben Moment und ich beginne regelrecht an Telepathie zwischen Freunden zu glauben. Ich rolle nur mit den Augen: “Später, jetzt ist erst mal lernen angesagt.“ Mit dem Kopf nicke ich in die Richtung der Tür, durch die gerade ein, in einen strengen Anzug gekleideter, Mann. Das muss wohl der sein, der uns gleich irgendwas über seinen Job erzählen wird. Wirklich gut kann er darin aber nicht sein, wenn man bedenkt, dass er viel zu spät ist.
Sobald der Brünette allerdings an das Pult tritt, durchfährt mich fast so etwas wie ein richtiger Schock. Dieses Gesicht, diese markanten Wangenknochen und die Augen. All das kommt mir total bekannt vor! Beinahe so als hätte ich ihn schon einmal gesehen und da war er sicher kein Geschäftsmann im Anzug.
Sie schenkt seinen Augen einen Moment und bemerkt dann, dass er sie wie aus Argusaugen betrachtet. Beinahe fühlte ich, wie sich Wärme in meinen Wangen sammelt und diese leicht rot färbt. Dass er mich so sehr fokussiert, sorgt dafür, dass ich mich verdammt unwohl fühle. Warum sieht er ausgerechnet mich so versessen an?
“Sag mal, kennst du diesen Kerl“, fragt Kena halb überrascht und halb erfreut: “Hatten ihr irgendwas miteinander?“ “Nein, ich habe keine Ahnung wer das ist“, meine Stimme ist schwach und nachdenklich. In meinem Kopf fahren die Gedanken Achterbahn.