Er
Mein Blick ist wartend auf die Uhr über meinem Schreibtisch gerichtet, während ich mit dem Ende des Bleistifts rhythmisch auf der hölzernen Platte meines Schreibtisches herum.
Normalerweise macht mir die Arbeit eigentlich Spaß, aber heute ist irgendwie der Wurf drinnen. Ich kann mich nicht konzentrieren und mich heute einfach nicht für die Arbeit begeistern. Stattdessen warte ich einfach auf das Ende dieses Tages, um endlich nach Hause zu gehen und mich ins Bett zu legen.
Was mich so blockiert weiß ich zwar, versuche aber jeden Gedanken daran zu verdrängen. Zwar ist das Zusammentreffen mit dieser besonderen Frau schon einige Tage her, doch trotzdem spuckt sie immer noch in meinem Kopf herum.
Ich würde nicht sagen, dass unsere Begegnung enttäuschend war, denn das war sie auf keinen Fall. Sie war allerdings nicht so wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich hätte gedachte, dass sie stolz auf ihren Job ist und kein Geheimnis daraus mache, doch als ich sie darauf angesprochen habe, schien es viel eher so, als würde sie daraus ein Geheimnis machen. Verstehen kann ich das natürlich, da ich nicht wüsste, wie mein Umfeld reagieren würde, wenn ich ihm mitteilen würde, dass ich als Stripper in einem Nachtclub arbeite, aber aus irgendeinem Grund hat mich ihr Verhalten wirklich überrascht.
“Was ist los, Ashton?“, fragt mich mein Boss, der mir gegenüber an seinem eigenen Schreibtisch sitzt. “Nichts, Dad“, gebe ich zurück, weiche seinem Blick aber aus. Mein Boss ist gleichzeitig auch mein Vater. Einige würden mit ihrem Vater vielleicht nicht gerne zusammen arbeiten, aber ich habe da nichts gegeben. Er hat mich anfangs in die Firma eingeführt und mir alles gesagt, was ich wissen muss. “Lüg mich nicht an, Ash“, er sieht mich prüfend an: “Dafür kenne ich dich viel zu gut.“ “Na gut“, seufze ich: “Mich beschäftigt wirklich etwas.“ “Worum geht’s? Eine Frau?“, er sieht mich interessiert an. Erneut komme ich nicht darum herum zu seufzen: “Ja, leider.“ “Warum leider? Eigentlich ist das doch kein Grund betrübt zu sein.“ “Eigentlich nicht, aber mit ihr ist es anders“, erkläre ich. Normalerweise rede ich mit meinem Vater wirklich nicht gerne über sowas, aber in dieser Situation kommt mir ein Gespräch mit Dad irgendwie richtig vor. Schließlich kennt er sich selbst ausreichend mit komplizierten Frauen aus. Er ist schließlich mit einer verheiratet.
“Also, was ist mit ihr?“, der blonde Mann stützt seine Arme auf dem Tisch ab: “Warum macht sie dir solche Sorgen, mein Sohn?“ Ich merke genau, dass ihm dieses Gespräch immer mehr Spaß zu machen beginnt. Schließlich führen wir solche Vater-Sohn-Gespräche sonst nicht wirklich regelmäßig. “Ich hab sie in einem Club gesehen, aber nicht mit ihr gesprochen. Dort fand ich sie total beeindruckend und wollte sie unbedingt wieder treffen“, ich stütze meinen Kopf in die Hände: “An dem Tag, an dem ich dann den Vortrag in der Uni halten sollte, habe ich sie wieder getroffen und dieses Mal all meinen Mut zusammen genommen, um sie anzusprechen.“ “Seit wann hast du denn Probleme dabei eine Frau anzusprechen?“, kommentiert Dad. Ich verdrehe nur die Augen: “Ich hab's doch schon gesagt. Sie ist besonders“, beharre ich: “Auf jeden Fall habe ich sie dann angesprochen, doch sie wirkte plötzlich völlig anders, als in dieser Nacht im Club.“ “Auf eine schlechte Art?“ “Nein, keinesfalls, aber ich hatte sowas einfach nicht erwartet“, erkläre ich ihn. Dass ich sie gerne wiedersehen würde, um sowohl das Mädchen aus der Uni, als auch die Stripperin, besser kennenzulernen, verschweige ich meinem Vater. Er soll mich ja nicht für einen gefühlsduseligen Trottel halten und zudem nichts von ihrem Job erfahren. Nicht, dass es mir peinlich wäre, was sie macht. Ich kenne meinen Vater einfach zu gut. Er würde mir sagen, dass ich das lassen sollte, weil Frauen wie sie keine Beziehungen wollen oder eine Nummer zu groß für mich sind, und das will ich gerade einfach nicht hören.
Gerade will mein Vater erneut etwas fragen, da öffnet sich die Tür zu seinem Büro und seine Assistentin stürzt hinein. “Tut mir leid, dass ich Sie störe, Mister Lane, aber Sie hatten mich darum gebeten Ihnen schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf das Konzept der neuen Werbekampagne zu besorgen“, sofort ist mir klar, dass die junge Frau mit meinem Vater und nicht mit mir spricht.
Erst war es für mich wirklich komisch mich daran zu gewöhnen, dass wir beide hier ‘Mister Lane‘ genannt werden, aber mittlerweile habe ich mir gemerkt, dass sie seine persönliche Assistentin ist und nicht meine. Das heißt, dass sie immer ihn meinen wird, wenn sie mit irgendwelchen Unterlagen hineinkommt.
“Oh, vielen Dank, Miss Grand“, er schenkt ihr ein freundliches Lächeln: “Das ging schnell.“ “Ja, ich bin sofort in die Marketingabteilung gegangen und hab gefragt“, sie legt einen Stapel Papiere auf seinen Schreibtisch: “Kann ich noch etwas für Sie tun?“ Sie wirkt völlig gestresst und fast könnte man denken, dass ihr jeden Moment Schweißtropfen die Stirn hinuntertropfen. Dass sie viel arbeitet und meistens sogar bis in die Nacht in der Firma bleibt, habe ich mir schon oft gemerkt, aber heute muss ich vor ihr wirklich den Hut ziehen. Sie bringt echte Hochleistungen.
“Nein, Sie haben heute schon genug getan“, mein Vater schenkt ihr einen dankbaren Blick: “Sie vollbringen hier so viel und erleichtern mir die Arbeit wirklich sehr.“ Die junge Frau öffnet ihr blondes Haar und bindet es erneut zu einem unordentlichen Knoten: “Das mache ich doch gerne.“ “Ich weiß, trotzdem möchte ich Ihnen für den Rest des Tages freigeben. Entspannen Sie sich und verbringen Zeit mit ihren Freundinnen oder legen die Füße hoch. Das haben Sie sich wirklich verdient“, bittet mein Vater sie freundlich.
Sofort nehme ich wahr wie ihre blauen Augen zu leuchten beginnen, weshalb mich ihre Worte völlig überraschen: “Vielen Dank, aber das kann ich doch nicht machen. Ich kann mir doch nicht einfach freinehmen, während alle anderen so hart arbeiten.“ “Doch, das können Sie. Außerdem nehmen Sie sich nicht frei. Ich gebe Ihnen frei“, berichtigt er sie, die Arme vor der Brust verschränken. Was seine Mitarbeiter angeht, war er schon immer sehr fürsorglich, doch diese junge Frau scheint ihm wirklich am Herzen zu liegen. Zwar lässt er sie genauso hart und vielleicht auch härter, arbeiten wie alle anderen, aber trotzdem spricht er mit ihr freundlich und begegnet ihr ausnahmslos respektvoll und das ist eine wirkliche Auszeichnung, wenn man selbst weiß wie schwer es ist sich seinen Respekt zu verdienen.
Sie rollt mit den Augen, kommt seiner Bitte aber nach: “Na gut, aber morgen komme ich wieder ganz normal, sonst beschwere ich mich.“ “Einverstanden“, lächelt er, als sie aus dem Raum verschwindet.