Du und ich … ergibt wir beide
Mühselig bahnte sich Seamus seinen Weg durch den Schnee. Warum hatte Dean es denn nur so eilig, aus den Drei Besen wegzukommen? Jetzt begann es auch noch zu schneien. Schwer fielen die Flocken gen Boden. Der junge Ire hielt inne.
»Hey, Dean, was ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte Seamus gerade heraus.
Sein bester Freund schien ihn jedoch nicht verstanden zu haben und stapfte weiterhin mürrisch durch die weiße Landschaft. Das Flockentreiben nahm immer mehr zu. Bald würde man die Hand vor Augen nicht mehr erkennen. Hoffentlich würden sie Hogwarts bald erreicht haben.
Seamus konnte sich nicht erinnern, Dean jemals so wütend erlebt zu haben. Es war kein Geheimnis mehr, dass er mit der Schwester seines Zimmergenossen Ron Weasley zusammen war. Seamus hatte sich zwar erst etwas vernachlässigt gefühlt, doch mit der Zeit hatten sowohl Ron, als auch er, die Beziehung der Beiden mehr oder weniger akzeptiert.
Und nun?
Dean gab ihm einst zu verstehen, dass die rothaarige Hexe mehr auf dem Kasten hatte, als man ihr ansah. Ginny wusste, was sie wollte. Und anscheinend gefielen einige Dinge nicht, die sich Dean erlaubte. Dieser sprach zwar nur wenig über Ginny und darüber, wie es um die beiden stand, jedoch meinte Seamus eine gewisse Spannung zwischen den Beiden wahrzunehmen.
»Hey!«, meinte Seamus erneut, als er seinen Kumpel endlich erreichte. Gerade hatten sie das schmiedeeiserne Tor zum Schulgelände passiert. Dean schwieg. Er blieb ohne Vorwarnung stehen und starrte in das wirre Treiben der Schneeflocken.
»Alles klar?«, fragte Seamus und hoffte, dass sich Dean nicht wieder herauswinden würde. Dieser schien seinen Freund endlich registriert zu haben.
»Ich glaube, ich mach' mit Ginny Schluss!«, sagte Dean knapp und stapfte weiter. Seamus sah verwirrt drein.
»Hä?«, fragte er, doch Dean schien ihn geflissentlich zu überhören.
Verdutzt schlang Semaus seinen Schal fester um seinen Hals und folgte Dean zum Schloss hinauf.
»Ah, so ein Drachenmist!«, schimpfte Seamus, zog sich seine buntgestrickte Pudelmütze vom Kopf und schüttelte diese aus.
»Mach mir bloß keinen Dreck, Junge!«, zischte Filch, der Hausmeister.
Seamus zuckte kaum merklich zusammen. Wie sehr er es doch hasste, wenn man ihn von hinten überraschte und erschreckte. Mrs. Norris, Filch Katze, taxierte den Gryffindor mit einem gefährlichen Glühen in den stechend-roten Augen. Seamus warf dem, stetig um die Beine vom Hausmeister schmeichelnden, Katzenvieh nur einen wütenden Blick zu. Ein nerviges Tier, und seinem Herren treu ergeben. Nachdem ebendieser Seamus einen wirren, giftigen Blick zugeworfen hatte, machte er sich davon um den nächsten Schülern, die Schutz in den heiligen, warmen Hallen Hogwarts' suchten, eine Standpauke über Schnee, Nässe und verschmutzte Gänge zu halten. Auch Mrs. Norris strich dem Hausmeister hinterher.
»Dämliches Viech!«, zischte Seamus und vernahm ein leises Kichern hinter sich.
»Wenn es dich beruhigt, ich mag sie auch nicht!«, sagte das Mädchen, welches gerade die Stufen aus den Kellern erklomm.
Blonde lange Zöpfe hingen ihr auf den Schultern, die Mütze, die sie trug, war in einem warmen Orange gehalten, genauso wie die dicke Winterjacke. »Kommst du gerade von draußen?«, fragte sie und trat ein paar Schritte auf ihn zu.
Seamus nickte bejahend. Das Mädchen riskierte einen Blick hinaus und sah, dass das Schneetreiben noch schlimmer war, als zu vor.
»Schade, und dabei wollte ich doch ...«, hob sie an, wurde jedoch durch jemanden, der hinter ihr die Stufen hochstieg, unterbrochen.
»Schade, Hannah, aber das wird wohl heute nichts mit Hogsmeade!« Diese Stimme erkannte der Gryffindor sofort: Ernie Macmillan und Justin Finch-Fletchley gesellten sich zu ihnen.
Der blonde Hufflepuff-Junge verzog sein Gesicht zu einer dramatischen Fratze. Seamus musste ein Grinsen unterdrücken. Er kannte Ernie. Im letzten Jahr waren sie Mitglieder in Dumbledores Armee gewesen und ab- und zu hatten sie auch ein paar Worte miteinander gewechselt. Doch eigentlich hatte er nie viel mit den Hufflepuffs zu tun gehabt. Auch wenn sie, wie die Ravenclaws, einen besseren Draht zu den Gryffindors hatten, als zu den Slytherins. Hannah, das blonde Mädchen, zuckte traurig mit den Schultern.
»Dann warten wir eben noch, bis es aufhört.« Justin zuckte die Schultern, sein Vorschlag jedoch wurde mit Begeisterung angenommen.
»Darauf würde ich nicht wetten!«, gab Seamus zu bedenken und nickte in Richtung des Eingangs.
Argus Filch versuchte gerade unter großen Anstrengungen, die Pforte wieder zu schließen, durch die Draco Malfoy, sowie Vincent Crabbe und Gregory Goyle gegangen waren. Diese stolzierten geradewegs auf das Grüppchen zu.
»Na wen haben wir denn da?«, stichelte Malfoy und versuchte sich an einer gehässigen Miene.
Entweder lag es an dem Wetter oder an anderen Umständen, aber Seamus war der Meinung, dass Draco irgendwie nicht so aussah, wie es sonst der Fall war: Müde, eingefallen und klatschnass.
Ein leichtes Grinsen zierte jetzt das Gesicht des Gryffindor. Er gehörte nie zu denen, die sich mit den Slytherin anlegten und bei Merlin, er würde heute nicht damit anfangen, dennoch leistete er sich ein zufriedenes Lächeln. Weder die Hufflepuffs, noch er antworteten dem Jungen. Die Hufflepuffs starrten eher apathisch vor sich hin. Crabbe und Goyle drängten sich, so dicht sie konnten, an den Mitschülern vorbei und Draco trieb es soweit, nah genug an das Mädchen heranzutreten um ihre Zöpfe zur Seite zu schleudern. Hannah blieb ruhig stehen, verzog keine Miene. Einen angewiderten, blasierten Blick später waren die Slytherins in Richtung der Kerker verschwunden.
»Kann der uns nicht einfach in Ruhe lassen?«, fauchte Ernie und sah dem blonden Jungen nach.
»Lass ihn doch!«, sagte Hannah leise und kämpfte mit einer stetig ansteigenden Röte. Ernie schnaufte verächtlich, auch Justin schüttelte den Kopf.
»Also ich hätte ihm sonst was auf den Hals gehetzt!«, meinte Seamus und erntete verwirrte Blicke.
Nur Hannah sah ihn in einer Art und Weise an, die fast an Bewunderung heranreichte. Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.
»Ich geh dann mal. Sonst liege ich Morgen bei Pomfrey!«, erklärte Seamus mit Lockerheit in der Stimme und zeigte auf seine klitschnasse Kluft.
»Okay«, meinte Justin und Seamus sprang die Stufen der großen Treppe hinauf. Er hörte noch, wie das Mädchen meinte, dass es wohl nicht mehr möglich wäre, ins Dorf zu kommen und das es lieber in Hogwarts bleiben würde.
Endlich hatte Seamus das Portrait der fetten Dame erreicht. Schnell nannte er das Passwort und schlüpfte in den Gemeinschaftsraum. Dieser war gut gefüllt, da einige seiner Mitschüler, trotz der Seltenheit der Besuche im Dorf Hogsmeade, in Schloss geblieben waren. Kichernde Drittklässler kamen ihm entgegen. Hastig wich er ihnen aus und hielt Ausschau nach seinem besten Freund. Wie zu erwarten, befand sich dieser im Schlafsaal, doch die Vorhänge seines Himmelbettes waren zugezogen.
»Dean?«, fragte Seamus verwundert an.
»Was?« Deans Antwort kam schnell und gereizt.
»Was war das vorhin? Ich hatte dich nicht verstanden.« Seamus, trabte zu seinem Bett und setzte sich darauf.
Während sich er sich der nassen Jacke entledigte, begann Dean mit einer ausführlichen Erklärung des vorhandenen Problems. Dean hatte sich endlich aus seiner liegenden Position erhoben, schob die Vorhänge zurück und ließ kein gutes Haar an seiner Freundin.
»Wenn es dir nicht passt, dann lass sie einfach« Mehr als das, und einem Zucken der Schultern, konnte Seamus nicht beisteuern.
Lautes Gepolter ließ die Beiden verstummen. Neville hastete zur Tür herein und sah beide verdutzt an. »Wart ihr auch schon draußen?«, fragte er verwundert. Dean und Seamus nickten.
»Bist du so nach Hogsmeade gegangen?«, fragte Dean, denn der Junge war, dem Anschein nach, ohne Kopfbedeckung nach in Richtung Dorf aufgebrochen.
Neville war so durchnässt, dass sich eine kleine Pfütze zu seinen Füßen bildete. Hastig sprang er zur Seite und verzog sich ins Badezimmer. Dean ließ das begonnene Gespräch in der Luft hängen.
»Und wann?«, fragte Seamus.
»Nach dem Essen«, warf ihm Dean an den Kopf.
Mit trockenen Sachen begaben sich die drei Löwen Gryffindors in die große Halle.
»Was meinst du, was Ron dazu sagt?«, flüsterte Seamus und war bemüht, dass Neville nichts von dem Vorhaben seines besten Freundes mitbekam.
Dean zuckte nur mit den Schultern. »Ich glaube, dass es ihm sowieso nie recht war.«
Als die Jungen die Pforte zum Saal beschritten, fiel Seamus' Blick unweigerlich auf den Haustisch der Hufflepuffs. Für einen flüchtigen Moment blieb sein Augenmerk an dem Mädchen mit den blonden Zöpfen hängen. Er kannte ihren Vornamen, doch war ihm immer noch schleierhaft, woher sie ihn kannte. Kopfschüttelnd ließ er sich zwischen Neville und Dean auf seinen angestammten Platz fallen und griff als erstes nach einer Schüssel mit Kartoffelpüree. Er versuchte es eher beiläufig klingen zu lassen, als er sich nach dem Mädchen erkundigte. Dean warf ihm einen verwirrten Blick zu.
»Meinst du Hannah?«, mischte sich Neville ein und sah zum Hufflepuff-Tisch herüber.
»Neville, jetzt starr doch nicht so auffällig!«, zischte Seamus und stieß seinem Mitschüler in die Seite.
»Sie ist nett«, meinte Neville weiter und biss in die Kürbispastete. »Habe letztes Jahr mit ihr geübt. Den Patronus, wisst ihr?«
»Hannah - und weiter?«, wollte Seamus wissen.
»Abbott!«, kauend legte Neville den Kopf schräg und warf ihm einen fragenden Blick zu. Dean zuckte nur mit den Schultern und starrte gebannt auf die große Eingangstür.
»Was habt ihr zwei denn?« Neville blickte nun ebenfalls in jene Richtung.
»Neville!«, mahnten Seamus und Dean wie aus einem Mund. Durch den stetigen Wechsel von Schülern, die die Halle betraten und wieder verließen, wurde Dean immer angespannter.
»Da ist sie.«, zischte er und deutete auf das Weasley-Mädchen.
Mit geröteten Wangen und nassen Haaren nahm Ginny neben Dean Platz. Seamus verdrehte die Augen. Dean schwieg und auch Ginny schien sehr ernst zu sein. Mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck war sie bereits an den Tisch gekommen und Seamus konnte sich denken, dass dies nur der Anfang einer großen Tragödie sein musste. Abermals unbemerkt ließ er seinen Blick durch die Halle schweifen. Vorbei am Lehrertisch, an dem Professor McGonagall in ein intensives Gespräch mit der Astronomie-Lehrerin Sinstra vertieft war. Dann sah er eher beiläufig zum Hufflepuff-Tisch. Hannah Abbott? Es war ein normaler Name für ein normales, eher unscheinbares Mädchen und doch machte Seamus in diesem Augenblick etwas zu schaffen. Nämlich, dass sich Hannah angeregt mit Ernie Macmillian unterhielt.
So viel wusste er noch:
Ernie war zum Vertrauensschüler von Hufflepuff ernannt worden und mit ihm auch Hannah. Er hatte sie auch in der DA registriert, dessen war er sich jetzt sicher, ebenso, dass sie wohl für Schokofroschkarten schwärmte. Ernie, Justin oder jemand anderes hatte es wohl einmal erwähnt. Hannah war nicht dumm, vielleicht ein wenig schusselig und schüchtern. Jetzt lachte sie über irgendeinen Witz, den Macmillian von sich gab. Nein, kein Lachen, eher ein Kichern. Verklemmt, still und leise. Kaum zu bemerken.
»Du, Seamus«, riss Neville den Jungen aus seinen Gedanken. Hastig blickte sich der junge Ire um. Neville sah ihn verwundert an.
»Was?«, fauchte Seamus leise.
»Dean ist abgehauen!«erklärte dieser und Seamus sah zu seiner linken Seite.
Der Platz, an dem Dean gesessen hatte, war leer, ebenso der von Ginny. Gerade noch sah er den roten, hüpfenden Schopf des Weasley-Mädchens. Hastig sprang Seamus von der Bank auf und hastete seinem Freund als Verstärkung hinterher. Neville zuckte nur mit den Schultern und schlürfte seinen Kürbissaft.
Sobald Seamus das Portal zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum erreichte, stand Dean bereits davor und machte einen geknickten Eindruck. Seamus wollte ihm gerade eine Hand auf die Schultern legen, als Dean ihm einen wütenden Blick zu warf.
»Lass mich!«, knurrte dieser und stapfte durch das freigewordene Loch.
Völlig verdutzt blieb Seamus davor stehen. Konnte er seinem Freund denn in so einer Situation helfen? Nein, wohl eher nicht.
»Was denn nun, Jungchen?«, wollte die fette Dame im Portrait wissen, doch Seamus schüttelte den Kopf. Er machte auf den Hacken kehrt und stieg die Stufen der großen Treppe wieder herunter.
Es war ein kalter Samstagabend.
Seamus hatte gerade das Ende der Treppe erreicht, als er überlegte, noch einmal zurückzugehen, um sich einen wärmeren Pullover, oder vielleicht sogar seine Winterjacke aus dem Schlafsaal zu holen. Doch dann würde er höchstwahrscheinlich Dean, Ron oder Harry in die Arme laufen.
Wenn Dean wirklich wütend war, dann ging man ihm aus dem Weg. Und Ron und Harry? Nun, da er nie so viel mit ihnen zu tun gehabt hatte, konnte er sich denken, dass beide auf Informationen pochten. Informationen darüber, was zwischen Dean und Rons Schwester Ginny vorgefallen war. Doch woher sollte Seamus Auskunft darüber geben können?
Kopfschüttelnd entschied sich der Gryffindor, einfach nur durch das Schloss zu streifen. Vorsicht war jedoch geboten. Mit den Lehrern oder dem Hausmeister war nicht zu spaßen. Mit den Händen in den Hosentaschen bahnte sich Seamus seinen Weg durch die Gänge Hogwarts. Nicht selten hatte sich der junge Ire dafür entschieden, durch das Schloss zu wandern. Allein, ohne eine Begleitperson. Hier hatte er Zeit zum Nachdenken. Die besten Orte dafür fand er in den Lehrräumen. Zur Ruhe kommen, den Schulstress etwas abbauen. Oder einfach nur für sich sein. Seamus blieb stehen und sah sich um. War er so in seinen Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, wohin ihn seine Füße trugen? Offensichtlich! Doch auch hier unten, in den Kellern und Kerkern, da war er sich sicher, würde er einen Platz für sich finden.
Sich vorsichtig umschauend, öffnete Seamus die Tür, die ihm am Nächsten war. Es war ein eher kleiner Raum. Kaum fünfzehn Schüler hätten hier drinnen Platz, schoss es ihm durch den Kopf. Sich nochmals umsehend schloss er die Tür. Nicht ahnend, dass man ihn dennoch bemerkt hatte.
Der Gryffindor setzte sich auf einen der umher stehenden Tische. Lässig ließ er die Beine baumeln und griff nach seinem Zauberstab, um den dunklen Raum zu erhellen.
»Was machst du da?«, fragte jemand plötzlich hinter ihm.
Die Stimme, die er vernahm, war weder laut, noch zornig. Im Gegenteil, sie war melodisch, sanft. Hastig wandte sich Seamus zur Tür. Nur ihre Silhouette konnte er wahrnehmen. Die Funken aus seinem Zauberstab reichten nicht aus, um sein Gegenüber zu entlarven. Jetzt kicherte das Mädchen leise und trat ein paar Schritte in den Raum.
»Ich habe dich gesehen, aber warum bist du denn allein hier?«, wollte sie wissen. Seamus kniff die Augen zusammen um sie besser sehen zu können.
»Ah, Hannah!«, sagte er zögernd.
Diese sah sich im Raum um. »Oh, den hatte ich ja fast vergessen, wenn du nicht hierher gekommen wärst.«, erklärte sie leise lachend.
»Wie ... meinst du das?«, hakte Seamus nach und bemerkte, dass Hannah ihr Haar nicht wie gewohnt zu Zöpfen trug. Forschend neigte er den Kopf, was ihm nur ein kleines Kichern einbrachte.
Sein verwirrter Blick amüsierte sie sehr, dann fuhr Hannah fort: »Nun ja, solche Räume sind, glaube ich, normalerweise nie in Gebrauch. Daher hat es mich gewundert, dass du hier her gegangen bist.«
»Hast du etwas an dir verändert?« Seine Frage verblüffte sie.
Eine leichte Röte umfing ihre Wangen. Hastig blickte Hannah auf ihre Schuhe hinab. Da sie die Hände auf dem Rücken verschränkt hielt, verlieh ihr all das eine gewisse Schüchternheit.
»Ähm, ja«, gab das Mädchen leise zu, wagte es nicht einmal, zu ihm aufzusehen, »Ich dachte, etwas Abwechslung würde auch mir vielleicht gut tun.«
Seamus betrachtete sie eingehender. Die blonde Mähne lag wellenartig auf ihren schmalen Schultern und verlieh ihr so etwas mehr Weiblichkeit. Keine mädchenhafte Weiblichkeit, nein. Hannah wirkte femininer. Und Seamus beschloss für sich, dass es ihm gefiel.
»Was ist?«, fragte das Mädchen verwundert und strich befangen über die Ärmel ihres rotbraunen, wollenen Rollkragenpullovers. Seamus gab keine Antwort.
»Ist dir nicht kalt?«, erkundigte sich Hannah, doch Seamus schüttelte den Kopf. »Hier unten ist es oft sehr kalt, deshalb ... was ist denn?« Ihre Stimme nahm einen eher unerwarteten, verwirrten Ton an.
»Nichts«, meinte Seamus, die Schultern zuckend.
Es war offensichtlich, dass es ihr nicht behagte, auf diese Art und Weise gemustert zu werden. Kurzerhand drehte Hannah ihm den Rücken zu. Nervös fuhr sie sich mit der linken Hand durchs Haar, ihre rechte Hand ruhte dabei auf ihrer Hüfte. Obschon er bemerkte, dass es Hannah nicht gefiel, wenn man sie anstarrte, war ihre Rückansicht auch nicht zu verachten. Seamus räusperte sich. Aus dem Räuspern wurde jedoch schnell ein lautes Husten. Hannah wandte sich zu ihm um.
»Warum holst du dir keine Jacke?«, verlangte sie wissen.
»Kann ich nicht!«, sagte Seamus und hatte sich nun wieder unter Kontrolle.
»Warum nicht?«, fragte Hannah und ging ein paar Schritte auf ihn zu.
Sie stützte sich mit den Händen an der Tischkante ab. Seamus sah hoch zur Decke.
»Na ja, ist etwas kompliziert.«, meinte der Gryffindor und schien zu überlegen, ob und wie er es dem Mädchen sagen könnte.
»Willst du darüber reden?«, fragte Hannah sichtlich interessiet. Seamus Miene zierte leichtes Misstrauen.
»Irgendetwas bedrückt dich doch, oder nicht?«, hakte sie nach. »Ich will dir nur helfen.«
Dass es so einfach war, mit einem Mädchen wie Hannah zu reden, glich für Seamus einer neuen Erfahrung. So berichtete er, dass er selbst nicht genau wisse, was vorgefallen war. Dass Dean mit Ginny Weasley eine Beziehung führte, erstaunte Hannah nicht. Schließlich hatte man beide oft genug auf den Fluren und Gängen miteinander gesehen. Hannah nickte ab- und zu, warf Fragen ein und versuchte, Dinge aus ihrer Sicht zu erläutern. Mittlerweile hatte sie sich, mit genügend Abstand, zu dem Jungen auf den Tisch gesetzt. Dieser ließ jetzt aus seinem Zauberstab bunte Kringel und Spiralen aus Feuer um beide herum tanzen. Wie er bereits vermutete, war das Mädchen neben ihm nicht dumm, im Gegenteil. Sie hatte Witz, war gescheit und einfühlsam.
»Und Dean hat dir einfach gesagt, dass er mit ihr Schluss macht?«, fragte Hannah und in ihrem Gesicht zeichnete sich Bedauern ab. »Wie schade! Beide schienen sehr gut miteinander auszukommen.«
Seamus starrte auf den Boden und schwieg. Die Feuerspiralen waren längst erloschen.
Ihr plötzliches Seufzen ließ ihn aufsehen. »Und weil du weder ihm, noch Harry oder Ron über den Weg laufen wolltest, bist du einfach so hier heruntergegangen? In den Keller?«
Ihre Frage beantwortete Seamus kopfnickend.
»Bist du oft hier?« hakte sie vorsichtig nach.
»Nur, wenn ich allein sein will«, offenbarte Seamus und Hannah warf ihm einen erschrockenen, fragenden Blick zu.
»Oh. Das wusste ich nicht, wenn ich gewusst hätte, dass ...«, sagte Hannah hastig und wollte gerade vom Tisch springen, als Seamus seine Hand auf ihre Schulter sinken ließ.
»Nein, nicht gehen. So habe ich das doch nicht gemeint«, entkam es ihm eilig und er war versucht, Hannah zurückzuhalten. Diese warf ihm abermals einen fragenden Blick zu.
»Ich meine, dass du nicht zu gehen brauchst«, Seamus' Stimme überschlug sich fast.
»Aber wenn ...«, wollte Hannah fortfahren, doch der junge Gryffindor schüttelte den Kopf.
»Nein, schon gut. Ehrlich. Es macht Spaß, sich mit dir zu unterhalten.«, gestand er.
Wieder zierte ihr Gesicht Erstaunen, dann zuckte Hannah sacht die Schultern, ehe ihr ein Lächeln über die Lippen huschte. »In Ordnung.«
Alle Euphorie wich nun einer eher unangenehmen, drückenden Stille. Warum fiel es ihm plötzlich so schwer, ein weiteres Gesprächsthema für sich zu finden?
»AH!«, rief Seamus aus, doch er bemerkte nicht, dass Hannah erschrocken nach Atem rang. »Es ist doch zum Haare raufen!« Und eben diese standen nun, nach einem durchforsten seiner Hände, zu allen Seiten ab. Hannah jedoch lachte über seine Unbeholfenheit.
Seamus warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Du bist wirklich lustig, aber erschreckt habe ich mich trotzdem!«, meinte Hannah und wischte sich die kleinen Lachtränchen mit ihrem Pulloverärmel von den Wangen.
»Tut mir leid.«, murmelte Seamus und zwang sich, ernst zu bleiben.
»Du darfst ruhig lachen, Seamus. Ich sag's auch Keinem.«, neckte Hannah.
»Na ja, mir ist nicht gerade nach lachen zu Mute.«, erklärte dieser nun wiederum ernster, und gefasster, als zuvor. Allerdings schlich sich auch ein kleines Lächeln auf seine Gesichtszüge. Hannah verstummte und räusperte sich verhalten. »Ich kann mir vorstellen, dass es nicht so einfach für dich war, deinen besten Freund mit jemandem zu teilen.«
Seamus warf ihr einen verwirrten Blick zu.
»Nun ja ...«, wollte sie fortfahren, doch das schwere Ausatmen der angehaltenen Luft, die Seamus nun laut entweichen ließ, ließ Hannah erneut wortlos in seine Richtung blicken.
»Darum geht es nicht!«, meinte der Gryffindor leise knurrend.
»Nicht? Was ist es dann?« Hannahs Miene zierte Unverständnis, doch Seamus schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht. Es gibt viele Dinge. Die Schule zum Beispiel, oder dass die Zeiten im Moment nicht gerade das sind, was man als friedlich bezeichnen könnte.« Seine Stimme schwoll an, ohne, dass er es beabsichtigte.
Nachdenklich legte Hannah das blonde Haupt schräg. Seamus konnte sehen, dass sie plötzlich um ihre Fassung rang und sich verkrampft auf die Lippen biss.
»Hannah ...«, nuschelte er und versuchte sie zu beruhigen, indem er eine Hand auf ihre Schulter legte, doch diese wandte vehement den Kopf.
»Nein, du hast Recht. Die Zeiten sind schrecklich. Es ist fürchterlich. Jeden Tag kann man bereits über Todesfälle in den Zeitungen lesen.« Tapfer hob Hannah den Kopf, den sie zuvor hatte hängen lassen und schniefte. Angestrengt hielt sie die Augen geschlossen und lächelte plötzlich. Nun war Seamus völlig perplex.
»Weißt du, ich habe mal gelesen dass man, wenn man Angst hat, oder traurig ist, nur an etwas schönes zu denken braucht, dann würde es einem nur noch halb so schlimm erscheinen«, versuchte sie sich an aufmunternden Worten.
»Ich wollte dich mit meinen dummen, unnötigen Aussagen nicht verletzten« Hilflosigkeit überfiel ihn hilflos, doch Hannahs Miene blieb urteilsfrei.
»Damit hättest du schon mal einen meiner Schwachpunkte entlarvt«, meinte Hannah eher träge. »Ich reagiere oft über und steigere mich ziemlich oft in irgendwelche Situationen hinein.«
In seinen Augen schimmerte Skepsis.
»Und fast hatte ich mir eingebildet, dass du mich heute Abend beobachtet hättest!«, lachte Hannah, nicht merkend, dass Seamus schluckte.
»Aber weißt du, was mich wirklich beeindruckt hätte?«, wollte sie wissen und sah den Gryffindor nun neugierig an.
»Nein, was?«, hakte Seamus nach.
»Na ja, ich hätte mir gewünscht, dass du diesem Draco Malfoy wirklich etwas auf den Hals gehext hättest« Mit dieser Aussage schwang sich Hannah nun vom Tisch herunter.
»Hätte ich auch!«, empörte sich Seamus und erntete nur Hannahs Lächeln.
»Bestimmt!«, sagte sie und nickte bejahend.
»Wirklich!«, setzte er hastig nach. Hannah stand ihm nun gegenüber und dies veranlasste Seamus dazu, ebenso vom Tisch zu rutschen.
»Also, Seamus Finnigan, es war wirklich nett, sich mit dir zu unterhalten« Hannah streckte ihm die Hand entgegen. Seamus sah zu ihr herunter. Sie war fast zwanzig Zentimeter kleiner als er. Zögernd ergriff Seamus die zarten Finger.
»Siehst du, so leicht schließt man Freundschaften«, lachte Hannah. »Wir sind doch Freunde, oder Seamus?«
»Klar!«, sagte er und drückte nochmals ihre Hand.
»Wenn dich wieder etwas bedrückt, dann kannst du dich mir ruhig anvertrauen, ich höre dir gern zu«, sagte sie lachend.
Weder Seamus, noch die anderen Schüler ahnten, dass man Hannah nur wenige Tage nach dem Gespräch der Beiden von der Schule nahm. Die Nachricht, dass ihre Mutter von den Todessern verschleppt und ermordet worden war, traf selbst ihn wie einen Schlag.
Tausend Gedanken rasten in seinem Kopf umher. Hätte er ihr gestehen sollen, dass es ihn freute, ihre Bekanntschaft gemacht und sich mit ihr unterhalten zu haben?
Hannah hatt so verständnisvoll auf ihn und seine Sorgen und die Situation reagiert, ihm Ratschläge erteilt und versucht ihn aufzumuntern. Wenn er nun darüber nachdachte, tat es ihm leid, ihr all die Dinge nicht gesagt zu haben, die ihm auf der Seele lagen.
Nun war sie fort, auf unbestimmte Zeit und doch meinte Seamus ein vertrautes Gefühl der Verbundenheit zu dem Mädchen zu spüren. Er nahm sich vor, stark zu sein. Für sich und Hannah, die so viel durchmachen musste. Hätte er mehr auf sie eingehen sollen? Fragen sollen, was sie bedrückte? Doch er hatte sich nur für sich und seine Belange interessiert, wollte sich dem Ballast entledigen und hatte nicht einen Gedanken daran verschwendet, dass es anderen womöglich ebenso schlecht erging.
»Ich werde kämpfen!«, erklärte Seamus mit festem Blick und starrte zum Baldachin hinauf.
»Was hast du gesagt?«, verlangte Dean zu wissen, doch eine Antwort blieb ihm verwehrt.
Seamus fixierte einen Punkt, der sich im dunklen Stoff über ihm verlor. Schon längst war sein Entschluss gefasst, nicht kampflos unterzugehen. Er würde helfen, diese Tyrannei zu beenden, denn schließlich waren Hannah und er Freunde.
Inspiriert durch das Lied „Wir beide“ der Band Juli.