Der Einbrecher machte sich gerade am Safe zu schaffen, als Fred ins Chefbüro kam. Fred schaltete die Neonlampen ein. »Störe ich?«
Der Einbrecher fuhr herum. Er trug eine Skimaske und zielte mit seiner Pistole auf Fred, einer Glock, also ein durchaus Ernst zu nehmendes Argument. Fred nahm die Hände hoch. »Das wird Herrn Simoneit aber gar nicht gefallen, was Sie da mit seinem Safe machen!«
Der Einbrecher wedelte mit der Pistole. »Wer sind Sie?«
»Nur ein kleiner Mitarbeiter dieser großen Firma«, erwiderte Fred und holte sein Mobiltelefon heraus. »Ich werde jetzt die Polizei anrufen.«
»Das würde ich nicht tun.«
»Aber Sie sind doch hier eingebrochen.«
»Ich könnte die Nerven verlieren und Sie erschießen, Herr...«
»Fred«, meinte Fred. »Sagen Sie einfach Fred zu mir. Wir bei Simoneit Schokoladen und Confiserie reden uns immer mit den Vornamen an. Wie darf ich Sie nennen?«
Der Einbrecher grinste. »Ihr seid eine einzige große Familie, was?«
Fred nickte. »Die Simoneit Schokoladen und Confiserie ist besonders seit unserer strategischen Partnerschaft mit der Swiss Sweets and Chocolats ein europaweit agierendes Unternehmen in der Süßwaren- Confiserie- und Schokoladenbranche. Allein mit unserer Neueinführung des Schoko-Chocs im vergangenen Jahr konnten wir eine zweistellige Steigerung unseres Marktanteils...«
Doch der Einbrecher hatte keinen Sinn für Unternehmensphilosophie. »Und du kaufst dem Chef diesen ganzen Blödsinn ab?«, fragte er und deutete mit der Waffe auf das Büro. »Wahrscheinlich bist du auch noch glücklich, dass du für den großen Thomas F. Simoneit arbeiten darfst.«
»Es war immer eine Ehre, für die Familie Simoneit zu arbeiten«, sagte Fred. »Die Firmengeschichte geht zurück bis ins 18. Jahrhundert, als der ehrenwerte Johann Gottfried Simoneit hier am Ort seine Simoneit Feinste Schokoladen gründete, die später sogar kaiserlich-königlicher Hoflieferant wurden.«
»Und mit diesem ganzen kaiserlich-königlichen Quatsch, dieser Traditionsgeschichte und dem ganzen Blödsinn lasst ihr euch bis heute über den Tisch ziehen?«
»Ich fühle mich ganz uns gar nicht über den Tisch gezogen«, erwiderte Fred. »Wir bekommen bei der Simoneit Schokoladen und Confiserie selbst jetzt, wo die ganze Branche unter den Folgen der Finanzkrise leidet, immer noch ein dreizehntes Monatsgehalt, Urlaubsgeld und haben eine Betriebskrankenkasse mit zahlreichen Sonderleistungen. Wir haben einen firmeneigenen Kindergarten, in unserer Kantine kocht ein Sterne-Koch und jeder Mitarbeiter bekommt ein Deputat von feinen Schokoladen, Trüffeln, Schoko-Schnitten und Schoko-Chocs im Wert von 500 Euro pro Jahr. Denn die Simoneit Schokoladen und Confiserie fühlt sich verpflichtet, ihren Mitarbeitern ...«
»Klappe!« Die Pistole des Einbrechers wanderte über die altertümlichen Holzschreibtische, die sorgsam aufgearbeiteten Sessel und Bürostühle in dem mit dunklen Holzpanelen verkleideten Büro, in dem der Sohn der seligen Johann Gottfried Simoneit die Firma aus den kleinsten Anfängen zum kaiserlich-königlichen Hoflieferantin geführt hatte. Nur der moderne Safe in dem Regal zwischen den vielen dicken alten Büchern mit Schokoladenrezepturen und Zubereitungsanweisungen störte das Bild ein wenig. »Das richtige Geld verdient doch hier immer noch der Chef. Von dem Schoko-Chocs hat er letztes Jahr drei Millionen Einheiten verkauft.. Das waren glatte 30 Millionen Umsatz.«
»Nun ja«, sagte Fred. »Simoneit... also Thomas, er ist der Chef. Ich meine - er hat die Rezeptur für die Chocs entwickelt.«
Der Einbrecher schüttelte den Kopf. »Und deshalb glaubst du, dass er ein Recht darauf hat, besser zu leben als du? Ich habe etwas über Simoneit gelesen. Er ist einer aus dieser Erben-Generation, die sich nichts selbst haben erarbeiten oder verdienen müssen. Geboren mit einem goldenen Löffel im Mund, Internat in Salem, Golfturniere, Segel-Wettbewerbe und ein Dutzend Semester BWL...«
»...und zwei Jahre an der Ecole du Chocolat in Brüssel«, ergänzte Fred.
»… und dann Erbe einer florierendes Unternehmens, das er als erstes an einen schweizer Konzern verkauft! Kaum 34 und schon Multimillionär. Während er zuhause im Bett liegt und im Schlaf Geld verdient, schlägst du hier die Nacht um die Ohren für... für wie viel?«
»Acht Euro achtzig die Stunde«, sagte Fred langsam. »Es ist nur ein Ferienjob. Ich studiere nämlich. Ökotrophologie.« Er musterte die Pistole des Einbrechers. »Wie geht es hier jetzt weiter? Wollen Sie mich niederschlagen, damit Sie endlich den Safe öffnen können?«
Der Einbrecher grunzte etwas unter seiner Maske.
»Sie haben es bestimmt auf die Rezeptur unserer Neuentwicklung abgesehen, nicht wahr?«, fragte Fred. »Die Feinen Simoneit Schoko-Thaler werden die Süßwarenbranche aufrütteln. Als Edel-Confiserie im oberen Preissegment bieten sie in den Geschmacksrichtungen Mint, Cranberry, Holunder und Cognac allerfeinsten Schokoladengenuss.«
Der Einbrecher machte eine unwillige Handbewegung. »Der euren Chef glatt zu einem der zehn reichsten Männern Deutschlands machen wird, wenn er im Herbst damit auf den Markt kommt«, sagte er.
»Ich frage mich nur, was Sie mit der Rezeptur für Schoko-Thaler wollen?«, meinte Fred dann. »Ich meine, normalerweise suchen Einbrecher doch vergleichsweise banale Dinge wie Schmuck, Geld, Briefmarken...«
»Möglicherweise kann ich die Rezeptur gut verkaufen«, warf der Einbrecher ein.
Fred kratzte sich am Kopf. »Oder sie arbeiten für jemandem, der mit der Rezeptur etwas anfangen kann«, sagte er. »Zum Beispiel für die McChoclate, unsere schärfste Konkurrenz.«
»Die Simoneit Schokoladen sind doch viel zu klein um McChoclate überhaupt gefährlich zu werden«, meinte der Einbrecher.
»Aber natürlich können wir das«, sagte Fred enthusiastisch. »Die Amerikaner wollen ihre Fast-Choclate-Läden aufwerten. Mit Coffee-Bar, einer Choclate&Cacoa-Lounge und hochwertigen Schokoladen- und Confiserie-Produkten. Im Herbst wollen sie mit dem McChoclate-Quarter-Pounder herauskommen, von dem man wahre Wunderdinge erzählt...«
Fred ahnte, dass der Einbrecher unter seiner Maske grinste. »Feinste Schokoladenzubereitung in den Geschmacksrichtungen Sweet Alabama, Hot Texas und Fine Florida. Zucker- und fettreduziert, in einer hochwertigen Verpackung«, erläuterte er. »Und kosten soll der Quarter-Pounder nicht mehr als 4,99 Euro. Damit hängen sie euch mit eurem Schoko-Thaler vom Start weg ab.«
»Wenn der Quarter-Pounder in Verarbeitung und Leistung die gleichen Standards erfüllt wie der Schoko-Thaler«, schränkte Fred ein. »Was ich allerdings zu bezweifeln wage. Wissen Sie, ich denke, die Cowboys von McChoclate lassen es sich eine Menge kosten, alles über den Schoko-Thaler herauszubekommen.« Fred sah ihn lange an. »Darf ich schätzen, was Sie von McChoclate für diesen Einbruch hier bekommen? Zehntausend Euro? Zwanzigtausend?«
»Jedenfalls mehr als du bei deinem Nachtwächterjob jemals verdienen wirst«, sagte der Einbrecher.
»Als Nachtwächter sieht und hört man allerdings eine ganze Menge«, gab Fred zu bedenken. »Zum Beispiel habe ich neulich zufällig gesehen, wie der Chef den Safe geöffnet hat.«
Die Augen des Einbrechers hinter den schmalen Sehschlitzen blitzten auf.
»Und ich bin Eidetiker«, sagte Fred. »Falls Ihnen das etwas sagt.«
»Du hast ein fotografisches Gedächtnis?« Er wedelte mit der Pistole. »Soll das heißen, du kennst die Safekombination?«
»Kommt darauf an, wie viel sie Ihnen wert ist!«, sagte Fred. »Ich esse zwar jeden Tag eine Packung Schoko-Chocs aus meinem Deputat, weil Schokolade die Gedächtnisleistung fördert, aber Geld regt mein Gedächtnis ebenfalls ungeheuer an.«
»Einen Tausender für dich, wenn du mir den Safe aufmachst«, sagte der Einbrecher.
Fred lachte. »Zehntausend! Immerhin geht es um die Pläne für den Schoko-Thaler. Das ist ein Millionengeschäft.«
Der Einbrecher wollte sich an Kopf kratzen, aber er hatte vergessen, dass er die Skimaske aufhatte.
»Okay!«, sagte er dann. »Zehntausend, wenn du mir den Safe aufmachst. Und an deiner Stelle würde ich nach dem Coup verschwinden, sonst stellt dir die Polizei womöglich noch ein paar lästige Fragen.«
»Ich kann schon sehr gut für mich selber sorgen«, erwiderte Fred. »Kann ich jetzt die Hände herunternehmen? Wo wir doch sozusagen - Partner sind?«
Der Einbrecher nickte.
Fred nahm die Hände herunter. »Vielleicht können Sie die Maske abnehmen«, schlug Fred vor. »Ich meine - zur Sicherheit. Ich möchte gern wissen, wie der Mann aussieht, der mir morgen 10.000 Euro geben wird. Oder den ich der Polizei beschreiben muss, falls er sie mir nicht gibt.«
Der Einbrecher zögerte, dann nahm er die Maske an. Er war Mitte zwanzig, blond und sah ganz normal aus.
»Und jetzt mach den Safe auf!«
Fred tippte ein paar Zahlen auf der Tastatur, die der elektronisch gesicherte Safe statt des altmodischen Nummernrädchens hatte. Es klickte.
»Bitteschön.«
Der Einbrecher trat vor den Safe. Langsam schwang die Tür auf. Als genug Licht hineinfiel, aktivierte sich die dort angebrachte Videokamera und die rote Kontrollleuchte begann zu blinken.
»Bitte lächeln Sie«, sagte Fred. »Ihr Bild wird nämlich gerade zur Sicherheitszentrale zwei Etagen tiefer übertragen und gespeichert. Videoüberwachter Safe mit externem Datenspeicher. Nicht alles hier im Haus ist nämlich so traditionell geblieben wie die Einrichtung dieses Büros. Die technische Aufrüstung in Produktion und Verwaltung war eines der zentralen Elemente unserer strategischen Partnerschaft mit den Schweizern, nur so nebenbei bemerkt.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Einbrecher verstand. Seine Pistole zuckte hoch.
»Natürlich können Sie mich jetzt erschießen«, sagte Fred. »Aber das ändert nichts daran, dass die Polizei morgen früh Ihr Bild aus unserem Sicherheitsrechner abrufen kann, um es auf ihre Steckbriefe zu drucken.«
Der Einbrecher ließ die Waffe sinken. »Okay«, meinte er. »Sie haben gewonnen, Schlaumeier.«
»Bitte, bleiben wir bei Fred.« Fred nahm ihm die Waffe aus der Hand und setzte sich in den Chefsessel. »Fred wie in Thomas Frederick Simoneit!«
Der Einbrecher starrte Fred an. »Und?«, fragte er. »Sie sind der Boss - was soll's. Rufen Sie schon die Polizei.«
»Aber warum denn?« Fred lächelte. »Genau wie sich McChoclate für die Rezeptur meines Schoko-Thalers interessiert, interessiere ich mich für die Rezeptur ihres Quarter-Pounders.«
Der Einbrecher begriff immer noch nicht.
»Was meinen Sie«, sagte Fred. »Könnten Sie mir die Rezeptur aus der Europazentrale von McChoclate besorgen? Als Gegenleistung kann ich Ihnen zwar keine 20.000 Euro bieten, aber ich kann Sie für die Dauer Ihres Auftrages als Aushilfe anstellen, dann könnten Sie auch von den vielen Sonderleistungen unserer Betriebskrankenkasse profitieren und Sie könnten vielleicht sogar bei guter Leistung Mitarbeiter des Monats werden. Selbstverständlich erhalten Sie auch ihr Schokoladen-Deputat. Und ich kann auch darauf verzichten, die Polizei anzurufen.
Der Einbrecher zögerte. Dann sagte er: »Okay, Herr Simoneit.«
Fred lächelte. »Bitte, sagen Sie Fred zu mir. Sie wissen ja: Wir sind hier wie eine große Familie. Und wie darf ich Sie nennen?«
ENDE